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Englische Milch-Newcomer vertrauen auf Roboterhilfe

In England haben wir zwei Brüder besucht, die vor 30 Jahren ein Lohnunternehmen gestartet haben und seit Frühjahr 2023 neu in die Milchproduktion eingestiegen sind. Sie setzen auf moderne Technik.

Lesezeit: 9 Minuten

Einsteigen, wo andere aussteigen. Als wir die Story von den englischen Lohnunternehmern Peter (51) und Richard (49) Burbage gehört haben, waren wir sofort interessiert.

Die Brüder, die alle nur Pete und Rich rufen, haben neben dem Lohnunternehmen einen Betrieb mit Acker- und Futterbau, einer Biogasanlage, einer Fleischrinderherde und sind seit Frühjahr 2023 frischgebackene Milchviehalter. Sie wollen den neuen Betriebszweig mit den 130 Kühen fast ohne zusätzliche Arbeitskräfte stemmen. Kann sowas klappen und was treibt die beiden an?

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Bei unserem Besuch im August sind die beiden Optimisten jedenfalls sicher, dass es vor zwei Jahren die richtige Idee war, in diesen Bereich einzusteigen. Dabei war der Weg, bis die erste Milch im Tank landete, alles andere als einfach. Und auch im August ist die Hälfte des Stalls noch nicht bezugsfähig. Lernt man die beiden Unternehmer näher kennen, vermitteln sie den Eindruck, dass sie auch diese Hürde meistern werden.

Um den Antrieb der Engländer zu verstehen, muss man sich mit der jungen Geschichte des Betriebs beschäftigen: Es ist die Geschichte von zwei Brüdern, die extrem harmonisieren und sich seit ihrer Kindheit zu 100 % sicher waren, irgendwann ihre eigene Farm zu haben. Sie mussten bei null anfangen, denn ihr Vater bewirtschaftete einen kleinen Pachtbetrieb im Süden der Insel, den sie nicht übernehmen konnten.

Beginn mit einem Traktor

Start war im Jahr 1991, als Pete Burbage den ersten Traktor kaufte und sich mit kleineren Lohnarbeiten selbständig machte. Sein Bruder Rich stieg ein paar Jahre später ein. Im Jahr 2005 konnten sie eine Farm in der Grafschaft Northamptonshire, ca. 60 km von Birmingham, kaufen.

Diese ursprünglich 40 ha sind überwiegend schwere Lehmböden und daher meist Grünland. Die Landschaft ist leicht hügelig und dünn besiedelt. Später ergab sich die Möglichkeit, weitere 45 ha in unmittelbarer Nachbarschaft zu kaufen. Die kompletten 85 ha Eigentumsfläche der Farm sind weitgehend arrondiert.

Heute bewirtschaftet der Betrieb insgesamt rund 550 ha, davon ca. 140 ha Acker, der Rest ist Grünland. Es gibt fünf Verpächter, im Schnitt liegt der Pachtpreis bei 430 €/ha. Viele der Flächen waren förmlich mit Black-Gras, also Ackerfuchsschwanz, verseucht und mussten erst wieder richtig in Kultur genommen werden.

Den Brüdern ist ein guter Kontakt zu den Verpächtern und ein korrekter Umgang mit den Flächen sehr wichtig. Wenn es überhaupt Land zu kaufen gibt, liegt der Preis in der Region nach Aussage der Brüder bei durchschnittlich 35.000 €/ha.

Vor allem Pete ist Tierhalter mit Leib und Seele. Als die Burbages die Hof­stelle bezogen, kamen schnell 30 Fleischrinder auf die Flächen. Mittlerweile ist diese Herde auf 700 Kopf angewachsen, davon sind 300 Zuchttiere. Hauptgeschäft ist aber das Lohnunternehmen, u.a. mit neun Traktoren, einem Häcksler und den Schwerpunkten Maisaussaat, Futterernte, Ballenpressen (fünf Packenpressen, zwei Presswickel-Kombis) sowie Gülleausbringung.

Neben Pete und Rich gibt es drei fest angestellte Mitarbeiter. In der Saison steigt die Zahl auf elf oder zwölf Leute an. Die Arbeitskräfte kommen dann aus der Umgebung, aber auch aus Neuseeland, Australien oder Irland. Die Brüder Burbage waren immer mal wieder auf Reisen und haben sich überall auf der Welt landwirtschaftliche Betriebe angesehen und intensive Kontakte aufgebaut.

Wir wollten immer Farmer sein, Tiere halten und im klassischen Kreislauf wirtschaften

Im Jahr 2014 kam eine Biogasanlage mit 125 kW dazu. Anregungen dafür haben sie sich auch in Deutschland geholt, hier kam der erste Kontakt zu top agrar zustande. Wenn man sich das Wachstum des Betriebs ansieht, kommt man schnell zur Frage, warum jetzt noch das Milchvieh? Eigentlich müsste doch Arbeit genug da sein …

Im Gespräch nennen Pete und Rich Burbage mehrere Gründe dafür: „Wir wollten immer Farmer sein, Tiere halten und im klassischen Kreislauf wirtschaften. Wir haben jetzt die Flächen und die Maschinen, um Futter anzubauen, die Möglichkeit, Gülle in der Biogasanlage zu verwerten und wieder die Flächen zu düngen.“

Das Grünland rund um die Hofstelle wird nicht von Straßen durchkreuzt. Deshalb gehört auch künftig Weidegang der Tiere zum Plan, wenn der Stall komplett fertig ist.

Ein weiterer, wichtiger Grund: Das Lohnunternehmer-Geschäft wird ihrer Ansicht nach immer hektischer und weniger planbar. Wenn man bei schwierigem Wetter nicht sofort alle Kunden bedienen kann, springen einige ab und rufen den Wettbewerber an. Zudem ist es auch in England schwer, wirklich gute Mitarbeiter zu bekommen. Deshalb wollen sie hier nicht weiter wachsen oder vielleicht sogar kürzer treten.

Einstieg in gesättigten Markt

(Einigermaßen) stabile Einnahmen über die Milch sowie eine gleichmäßigere Beschäftigung übers Jahr waren weitere Gründe. Aber ihnen ist auch bewusst, dass sie quasi voll gegen den Strom schwimmen.

In der Region haben viele Milchviehproduzenten in den letzten Jahren aufgehört, wie in ganz Großbritannien. Die Agentur AgE meldet, dass es laut einer Schätzung der britischen Absatzförderungsorganisation für Landwirtschaft und Gartenbau (AHDB) derzeit im Königreich insgesamt rund 7.500 Milcherzeuger gibt. Das sind 4,8 % weniger als ein Jahr zuvor.

Der englische Bauernverband hat in einer Umfrage unter 600 Landwirten herausgefunden, dass jeder zehnte Milchviehhalter mit dem Gedanken spielt, bis 2025 die Produktion einzustellen. Trotz starkem Strukturwandel ist die Milchproduktion in Großbritannien stabil bei rund 15 Mio. t Rohmilch geblieben. Der Brexit hat sich zwar in einigen Bereichen der Lebensmittelproduktion durchaus auf den Selbstversorgungsgrad ausgewirkt. Doch bei der Milch liegt er im Bereich von 100 %. Ein Mangel an regionaler Milch herrscht also nicht.

Wie finanzieren die Brüder das Ganze?

Seit Gründung haben die beiden kaum Geld aus dem Betrieb entnommen und möglichst viel direkt wieder investiert. Darüber, wie sie den Stall genau bezahlen, wollen sie nicht sprechen. Doch als wir nachhaken, nennt Pete Burbage eine Gesamt-Investitionssumme inklusive der Tiere von 875.000 Pfund, das ist umgerechnet etwas mehr als 1 Mio. €. Die sehr umfangreiche Eigenleistung kommt noch dazu.

Wenn man ein paar Stunden mit ihnen verbringt, in denen die Handys fast pausenlos klingeln, Mitarbeiter Fragen haben, ein Alarm von der Biogasanlage kommt, erkennt man, wie viele Bälle sie gleichzeitig in der Luft halten. Und es stellt sich die Frage, wie lange das gutgehen kann. Eine Bürokraft oder eine Lohnunternehmersoftware setzt der Betrieb nicht ein. Alles ist auf die beiden Betriebsleiter und Andy, den leitenden Mitarbeiter zugeschnitten – und alle drei sind selbst mit den Maschinen im Einsatz.

Der Entschluss, den Sprung in die Milchproduktion zu wagen, fassten sie erst vor zwei Jahren, zum Höhepunkt der Coronakrise. Auch in Großbritannien diskutierte man intensiv über die Versorgungsicherheit mit Lebensmitteln. Um das Ganzen stemmen zu können, sollte der Stall so weit wie eben möglich robotisiert sein.

Pete sagt: „Wir geben den Kühen eine optimale Umgebung, bestes Futter und wir glauben deshalb, dass sie im Gegenzug das tun, was sie sollen: Milch produzieren!“ Für erfahrene Milchviehhalter, die so etwas hören, mag es fast naiv klingen. Doch bei den intensiv gehaltenen Fleischrindern kann der Betrieb auf ein sehr erfolgreiches Business verweisen.

Keine Frage, das Auge fürs Tier ist da – und was es nicht sofort sieht, soll die Technik zeigen: Sensoren am Melkroboter und in den Halsbändern sollen Krankheiten oder andere Probleme frühzeitig erkennen. Die Newcomer vertrauen erstaunlich weitreichend auf die Gesundheitskontrolle durch Datenauswertung bzw. digitale Management-Anwendungen. Dafür nutzen sie das Programm Horizon von Lely.

Tierkontrolle mit Auge und vielen Sensoren

Pete hat für bestimmte Parameter Schwellen programmiert, die frühzeitig auf kranke Kühe aufmerksam machen. Aber wie geht es weiter, wenn er mit dem Häcksler in der Kundschaft unterwegs ist und ein Problem im Stall auftritt? Pete sagt, dass sich dann immer Leute im Team finden, die gerade in der Nähe sind und eingreifen könnten. Immerhin gibt es eine zusätzliche Teilzeit-Arbeitskraft, die sich beispielsweise um die Kälber kümmert.

Startpunkt des Projekts war im Oktober 2021, als die robotisierte Fütterung in Betrieb ging. Das System arbeitet mit zwei selbstfahrenden Mischeinheiten, die sich an Metallstreifen auf den Wegen und in den Ställen des Betriebes orientieren. Sie versorgen mehrere Stallgebäude. In der Futterküche entnimmt ein Greifer die Silage per Greifer aus Blöcken. Je nach Temperatur stellen die Landwirte die Blöcke entweder täglich oder auf Vorrat in der Futterküche ab. Im ersten Winter haben die beiden Mischer nur die Fleischrinder versorgt, und die Betriebsleiter konnten Erfahrungen sammeln.

Startschuss für den Bau des Kuhstalls war dann im Oktober 2022. Parallel haben die Brüder im Land tragende Rinder für die Herde gekauft. Deshalb musste der Stall spätestens im März 2023 in Betrieb gehen. Dass es knapp werden könnte, war den beiden Einsteigern klar. Dass es aber durch Lieferschwierigkeiten in einigen Bereichen fast nicht geklappt hätte, hätten sie nicht erwartet.

Nahezu alle Arbeiten erledigten sie mit ihrem Team in Eigenleistung. Nur die Natursteinwand am Giebel hat ein professioneller Maurer errichtet. Pete zeigt uns bei unserem Besuch am Tablet Bilder von den einzelnen Bauphasen. Die Brüder reden offen und durchaus selbstkritisch über die Schwierigkeiten beim Bau. So waren die speziellen Betonfertigteile, die als Basis für die beiden Roboter dienen, nicht pünktlich lieferbar. Doch sie trieben diese bei einem anderen Betrieb auf, der bereits welche hatte, den Stall aber später fertigstellen wollte. Sie vereinbarten einen Tausch.

Das Bild von der Montage der letzten Giebelbleche auf Petes Tablet ist auf dem 15. März 2023 datiert, am 17. März betrat die erste Kuh den Melkroboter. Und bei unserem Besuch waren 70 melkende Kühe im Stall, der Rest der Herde kalbt ab September. Noch musste eine komplette Reihe Liegeboxen fertiggestellt werden, es fehlten noch Betonflächen und Gitter. Der nasse Sommer hatte auch in England die Lohnarbeiten deutlich in die Länge gezogen.

Eine große Klippe war anfangs auch der Absatz der Milch: „Als wir mit den Planungen starteten, hatten wir noch keinen Abnehmer für unsere Milch. Das war schwieriger als gedacht.“ Aber dann kam der rapide Anstieg der weltweiten Milchpreise und auch in England war Milch knapp. „Wir konnten dann plötzlich zwischen mehreren Molkereien auswählen und der Tankwagen kam rechtzeitig.“ Gerade bekommen sie 41 Cent pro l Milch.

Die beiden grinsen, als sie von den vielen Klippen berichten. Trotzdem: Die endgültige Antwort, wie sie das alles schaffen wollen und warum sie sich das Ganze zusätzlich ans Bein binden – Richard hat zwei kleine Kinder – haben wir bei unserem Besuch nicht gefunden. Scheinbar haben die beiden Unternehmer Nerven aus einem besonders stabilen Material…

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