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Gülleansäuerung im Stall – Wunder gegen Ammoniak?

Klingt genial: Wer den pH-Wert in der Gülle schon im Stall absenkt, verringert die Ammoniakemissionen und rettet mehr Stickstoff für den Acker. Doch was kostet die Technik aus Dänemark?

Lesezeit: 17 Minuten

Milchviehhalter kennen das Problem: Bei der Genehmigung von Offenställen wie Boxenlaufställen spielen die Ammoniak (NH3)-Emissionen eine große Rolle. Denn durch die offene Bauweise kann viel des umweltschädlichen Gases aus der Gülle entweichen. Oft sind deshalb große Abstände zu Wäldern einzuhalten oder großflächige Ausgleichsmaßnahmen umzusetzen.

Für alle Landwirte kommt aber auch Druck von der EU: Schon allein die Emissionen aus der Landwirtschaft sorgen jedes Jahr dafür, dass Deutschland die zulässige Höchstmenge überschreitet. Ein Viertel der landwirtschaftlichen NH3-Emissionen kommt aus der Rinderhaltung, dabei sind die Emissionen der Gülleausbringung noch gar nicht eingerechnet. Die machen für alle Tierarten zusammen ein Drittel der NH3-Emissionen der Landwirtschaft aus.

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Um ein neues Vertragsverletzungsverfahren zu verhindern, setzt die Politik auf Abdeckung von Güllebehältern, schnelles Einarbeiten von Gülle und emissionsarme Ausbringtechniken. Effektiver wäre es, die NH3-Emissionen gleich dort zu deckeln, wo sie entstehen, nämlich im Stall.

Dass das geht, machen unsere Nachbarn in Dänemark vor: Viele Landwirte verschieben dort seit zwanzig Jahren durch die Zugabe von Schwefelsäure den pH-Wert der Gülle. So bleibt mehr Stickstoff in der Gülle, die Emissionen aus Haltung, Lagerung und Ausbringung reduzieren sich direkt um über 60 % bei Schweinen und 50 % und mehr bei Rindern. Schöner Nebeneffekt: Es kommt mehr Stickstoff aus der Gülle auf den Acker.

Dass die Technik in Deutschland bisher nicht verbreitet ist, liegt nicht nur daran, dass sie teuer ist, sondern auch z.B. daran, dass Landwirte Schäden am Beton der Güllebehälter durch die Säurezufuhr befürchten.

Wir zeigen, was die Ausstattung von Rinderställen mit einer Gülleansäuerungsanlage kostet und wie sie in der Praxis funktioniert.

Das Prinzip

Zurzeit bietet europaweit nur die Firma JH Agro Anlagentechnik zur Versäuerung von Gülle an. In Europa wurden bisher mehr als 300 Anlagen gebaut, über 200 davon in Dänemark und rund 40 in England. In Deutschland ging auf dem Milchviehbetrieb von Heinz-Hermann Hemme im niedersächsischen Landkreis Celle gerade die erste Anlage überhaupt in Betrieb.

Das Prinzip dahinter: Zwischen flüssigem Ammonium und gasförmigem Ammoniak der Gülle besteht ein pH-Wert-abhängiges Gleichgewicht. Säure verschiebt dieses zugunsten des Ammoniums. Die Folge: Es gast kaum noch Ammoniak aus, sobald die Ausscheidungen auf die angesäuerte Gülle im Güllekanal fallen. Emissionen gehen dann nur noch von den verschmutzten Laufflächen selbst aus.

Im Mastschweinestall verringern sich die Ammoniak-Emissionen so laut VERA um 64 %. VERA ist eine Kooperation zwischen Dänemark, den Niederlanden und Deutschland zur Prüfung von Umwelttechnologien der Landwirtschaft. Im Rinderstall kommt es laut dänischem Umweltministerium zu rund 50 % weniger Emissionen.

Die geringere Reduktion erklärt sich dadurch, dass in Laufställen in der Regel mehr Exkremente auf den Laufflächen bleiben als in Schweineställen. Die Versäuerung verringert nicht nur die Emissionen. Auch das Stallklima verbessert sich.

Dafür wird beim am Markt verfügbaren System Schwefelsäure aus einem geschlossenen Tank über Leitungen zum Stall transportiert und mit der Gülle aus dem Stall vermischt. Mit Hilfe von Sensoren wird so viel Säure zudosiert, bis der pH-Wert von etwa 7 auf 5,5 sinkt. Dafür sind nach Versuchen der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) rund 3,3 l/m³ Rindergülle nötig.

Messsonden im Güllekanal kontrollieren den pH-Wert, sodass nachdosiert wird, sollte der Wert von 5,5 abweichen. Der Landwirt kommt dabei nie mit der Säure in Kontakt, auch nicht zum kontrollieren, wie viel noch im Säuretank ist. Unterschreitet der Füllstand ein gewisses Niveau, meldet sich das System automatisch. Reparatur und Wartung der Ansäuerungsanlage übernimmt bei dem einzigen am Markt verfügbaren System die Firma JH Agro.

Damit die Versäuerung funktioniert, muss der Güllekeller unter Rinderställen mit Ringkanälen ausgestattet und mindestens 1,30 bis 1,50 m tief sein, was auf einen Großteil der bestehenden Ställe zutreffen dürfte, so Vertriebsleiter Holger Schulz von der Firma JH Agro. Allerdings müsse die Gülle ständig homogenisiert werden, um eine gleichmäßige Säurekonzentration in der Gülle zu gewährleisten, was den Einbau eines elektrischen Rührwerks nötig mache.

Zudem werden solch hohe Reduktionen der Ammoniakemissionen nur bei Spaltenböden erreicht. Bei planbefestigten Böden verbleiben die Exkremente länger auf den Flächen und gasen aus, bevor sie im Güllekeller landen.

Die Kosten

Die Kosten einer Ansäuerungsanlage zeigen zwei Beispiele: Hendrik Meese hält 130, Ingrid Berger 400 Kühe. Beide investieren in eine Ansäuerungsanlage: Zu den Investitionskosten von rund 116.500 € für eine Anlage, die die Gülle von bis zu 1.000 Kühen ansäuern kann, kommen die jährlichen Kosten für Strom und Säure hinzu. Wartung und Pflege laufen für rund 1.000 €/Jahr über einen Wartungsvertrag.

Beide halten ihre Jungrinder und Kälber in separaten Ställen ohne Ansäuerung, reduzieren also nur die Emissionen der Milchkühe. Würde Meese zusätzlich den Jungviehstall mit 120 und Berger den mit 360 Jungrindern an die Gülleansäuerungsanlage anschließen, bräuchten sie einen zweiten Injektionspunkt. Dadurch stiegen die Investitionskosten je nach Entfernung des Stalles zur Anlage um rund 20.000 € bis 30.000 € und die Betriebskosten um rund 1.500 € für Hendrik Meese bzw. 4.500 € für Ingrid Berger.

Rührt z.B. Landwirt Meese bisher die Gülle mit einem mobilen Mixer für die Heckhydraulik des Schleppers auf, hat also kein elektrisches Rührwerk, addieren sich zu den Kosten der eigentlichen Anlage die Kosten für ein fest installiertes elektrisches Rührwerk von ca. 10.000 € Investitions- und rund 1.000 €/Jahr Stromkosten.

Mehr Stickstoff verfügbar

Da weniger Stickstoff ausgast, bleibt mehr in der Gülle und ist pflanzenverfügbar. Dänische Studien gehen von 20 % mehr pflanzenverfügbarem N in der im Stall angesäuerten Rindergülle im Vergleich zur normalen Gülle aus.

Meese unterstellt vorsichtshalber nur 15 % und rechnet für sich mit folgender Ersparnis: Bringt er mit der Gülle seiner 130 Kühe plus Nachzucht im Durchschnitt 100 kg N/ha auf seinen 145 ha aus, kommen so bei Ansäuerung der Gülle ca. 15 kg N/ha und damit insgesamt 2.175 kg mehr bei den Pflanzen an.

Bei einem Preis von 60 ct/kg N bringt ihm das eine jährliche Ersparnis von ca. 1.300 €. Ingrid Berger mit ihren 400 Kühen spart auf ihren 450ha nach dieser Rechnung rund 4.000 €. Nicht berücksichtigt haben beide den Mehraufwand für die Kalkung, um die versauernde Wirkung der Schwefelsäure auszugleichen, da sie davon ausgehen, dass dieser Mehraufwand der Einsparung an Schwefeldüngung entspricht.

26 bis 67 € pro Kuh und Jahr

Insgesamt kostet die Ansäuerungsanlage den Betrieb Meese mit 130 Kühen jährliche knapp 9.000 € und den Betrieb Berger mit 400 Kühen gut 10.000 €. Pro Kuh und Jahr sind das im 130er Stall rund 67 € und im 400er Stall nur 26 € – eine riesige Kostendegression, die dadurch entsteht, dass die Investitionssumme für den 130er und den 400er Stall gleich hoch ist.

Wird auch die Gülle des Jungviehs angesäuert, erhöhen sich die jährlichen Kosten auf knapp 12000 € bei 130 Kühen und gut 16.000 € bei 400 Kühen. Müssen die Betriebe zudem ein Rührwerk installieren, das sonst nicht nötig wäre, kommen z.B. für Hendrik Meese mit seinen 130 Kühen jährliche Kosten von ca. 1.600 € für ein Rührwerk im Milchviehstall und nochmal 1.600 € für ein weiteres im Jungviehstall hinzu.

5 bis 11 € pro kg NH3

Je nachdem, ob Meese oder Berger neben der Gülle der Milchkühe, auch die des Jungviehs ansäuern und ob sie zusätzlich in ein Rührwerk investieren müssen, unterscheiden sich die Kosten pro vermiedenem kg NH3. So kostet die Vermeidung für Meese, wenn er nur die Gülle seiner 130 Kühe versäuert und dafür extra ein Rührwerk anschaffen muss, rund 11 €/kg NH3.

Die Ammoniakemissionen reduzieren sich von rund 1.900 kg auf ca. 950 kg NH3 pro Jahr. Säuert Berger die Gülle der 400 Kühe und die der 360 Jungrinder an und hat bereits Rührwerke, kostet die Vermeidung hingegen nur rund 5 €/kg NH3. Dabei werden rund 3.200 kg NH3-Emissionen vermieden.

Eine Ansäuerung erst bei der Feldausbringung kostet nach Berechnungen der Universität Kiel nur 1,46 €/kg NH3 bei der Ansäuerung von Gülle und 2,71 €/kg NH3 bei der Ansäuerung von Gärresten. Rechnet man auch noch den Vorteilsausgleich durch den eingesparten N-Dünger ein, ergeben sich noch geringere Vermeidungskosten von 0,88 €/kg NH3 für Gülle und 2,14 €/kg NH3 für Gärreste.

Die Kosten einer gasdichten Abdeckung von Güllebehältern liegen bei ca. 0,50 €/kg vermiedenes Ammoniak, der Einsatz emissionsarmer Technik bei der Gülleausbringung bei ca. 4 €/kg. Nach dänischen Untersuchungen kostet die Vermeidung von einem Kilogramm Ammoniak durch chemische Abluftreinigung in Schweinemastställen zwischen 3 und 5 €, die Vermeidung von Ammoniakemissionen durch emissionsarme Laufflächen in Rinderställen nach Untersuchungen der Uni Kiel zwischen 14 und 18 €/kg NH3.

Effektiv und „erschwinglich“

Die Gülleansäuerung im Stall liegt also hinsichtlich der Vermeidungskosten im mittleren Bereich. Aber: Kostengünstigere Technologien, wie z.B. die emissionsarme Ausbringung und die Güllelagerabdeckung, reichen möglicherweise nicht aus, um die von der EU geforderte Ammoniakreduktion zu erreichen. Dazu werden wahrscheinlich teurere Maßnahmen, die schon bei der Haltung ansetzen, nötig sein.

Da wird die Gülleansäuerung erst richtig interessant. Denn sie verringert als einzige der möglichen Maßnahmen sowohl Emissionen im Stall, als auch bei der Lagerung und der Ausbringung. Damit ist sie zwar nicht am günstigsten, aber am effektivsten verglichen mit den anderen Reduktionsmaßnahmen.

Baldige Gesetzesänderung?

Zurzeit wird ein Gemisch aus Gülle und Säure rechtlich als stark wassergefährdend eingestuft und müsste deshalb doppelwandig gelagert werden. Die Vorgabe hat der Betrieb Hemme als deutschlandweit bisher einziger Betreiber einer Versäuerungsanlage am Stall durch eine spezielle säurefeste Folie im Güllekeller eingehalten, was ihn viel Geld gekostet hat.

Allerdings schlägt das Bundesumweltministerium (BMU) vor, die entsprechende Verordnung so zu ändern, dass Landwirte angesäuerte Gülle künftig normal im Güllekeller oder -lager lagern dürfen. Der Gesetzesentwurf befindet sich nach Angaben des BMU derzeit in der Endabstimmung und wird bald in den Bundesrat eingebracht. Mit Verabschiedung der Änderung rechnet das BMU im Frühling 2021.

Fazit: Diese Änderung sowie ein Ausgleich der höheren Investitions- und Betriebskosten über z.B. das Agrarinvestitionsförderungsprogramm (AFP) oder die „Bauernmilliarde“ könnten die Gülleansäuerung im Stall für viele Landwirte attraktiv machen und viele Ammoniakemissionen vermeiden.

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Pflanzenbau: Mehr Ertrag

Angesäuerte Gülle kann den Ertrag steigern. Das zeigte die Landwirtschaftskammer Niedersachsen 2019 in 13 Versuchen an 7 Standorten. Der Ertrag von Winterweizen erhöhte sich um 11 dt/ha bei Schleppschlauch- und um 5 dt/ha bei Schleppschuh-Ausbringung verglichen mit normaler Gülle. Bei Wintergerste brachte der Einsatz von angesäuerter Gülle 9 dt/ha Mehrertrag sowohl bei Schleppschlauch- als auch bei Schleppschuh-Ausbringung.

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Vergärung: Mehr Biogas

Versuche der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) ergaben, dass eine über wenige Wochen mit Schwefelsäure versetzte Gülle im Substratmix den Gasertrag einer Biogasanlage um 20 bis 30 % erhöhen kann. Aber: Bei Langzeitansäuerung und einer damit verbundenen Hemmung der mikrobiellen Aktivität kann der Biogas- und Methanertrag deutlich sinken. Daher empfiehlt das LfL, höchstens 10 – 20 % angesäuerte Gülle am Gesamtsubstratmix einzusetzen. Der Betrieb Hem­­me versucht, durch Einsatz von Essigsäure höhere Gülleanteile einzuspeisen. Die Säure ist teurer, verspricht aber höhere Gaserträge.

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Güllelager: Keine Angst vor ­Korrosion

2017 ergab eine Umfrage der LfL zum Interesse an Gülleansäuerung mit 277 Teilnehmern, 61 % Landwirte: 80 % fürchten, der höhere Sulfatgehalt bzw. der geringere pH-Wert könne zu mehr Korrosion von Beton und Bauteilen führen. Versuchsergebnisse der LfL geben Entwarnung: Die Versuche verglichen drei unterschiedliche Betonmischungen, die ein Jahr lang in angesäuerter Gülle lagerten, mit solchen in unbehandelter Gülle.

Das Ergebnis: Es kam zu keinen signifikant stärkeren Schäden am Beton in der angesäuerten Gülle. In Dänemark werden 20 % der Gülle angesäuert, 2 500 Güllebehälter pro Jahr behördlich inspiziert. Dabei wurden laut dänischem Umweltministeriums bisher keine Schäden entdeckt, die auf Säure zurückzuführen sind.

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K O M M E N T A R

Bitte dringend fördern!

von Dr. Johanna Garbert, top agrar

Die Gülleansäuerung bietet endlich eine Lösung für den Zielkonflikt mehr Tierwohl – durch mehr Auslauf und Platz – versus Umweltschutz. Nur: Keiner ergreift sie. Warum funktioniert das Ganze in Dänemark seit 20 Jahren und hier tut sich fast nichts? Und das, obwohl die Politik gerade erst den Umbau der Nutztierhaltung beschlossen hat und gleichzeitig Natur- und Umweltschutz ganz oben auf die Agenda setzt. Ist das ernst gemeint, muss sich dringend etwas tun in Sachen Gülleansäuerung:

Eine Umfrage zeigt, dass der größte Vorbehalt gegen die Technik die Sorge um den Beton im Güllekanal ist. Eine aktuelle Studie gibt Entwarnung. Hier bedarf es weiterer Forschung. Aber  ­Politik, Berufsstand und Ministerien müssen bisherige und künftige Ergebnisse sowie Erfahrungen aus anderen Ländern auch mehr kommunizieren.

Angesäuerte Gülle hat einen ähnlichen pH-Wert wie Regenwasser. Landwirte sollten sie normal im Güllekanal lagern dürfen. Das spart unnötige Kosten.

BMU und BMEL wollen in der TA Luft Güllekühlung und -ansäuerung als Alternative zur Abluftreinigung vorschreiben. Doch die Technik auf Kosten der Landwirte einfach zu verordnen, ist der falsche Weg. Hier bedarf es ausreichend langer Übergangsfristen und einer anständigen Förderung:

Die Rentenbank zahlt in den nächsten vier Jahren 816 Mio. € aus der „Bauernmilliarde“ zur Förderung von Investitionen in z. B. Gülleaufbereitung oder emissionsarme Ausbringtechnik. Wieso fließt das Geld nicht auch in die Gülleansäuerung? Der geplante 40 %-Zuschuss wäre bestens investiert. Das Gleiche gilt für das AFP, das umweltschonende Techniken mit bis zu 40 % belohnt.

Zu tun gibt es also genug. Höchste Zeit, dass die Politik das tut, was sie seit Langem verspricht: Tierwohl und Umweltschutz vereinen.

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I N T E R V I E W

„Ohne Ansäuerung hätte es keine Genehmigung gegeben“

mit Prof. Dr. Jörg Oldenburg, Ingenieurbüro Oldenburg, Oederquart

top agrar: Sie haben das Gutachten erstellt, auf dessen Basis der Landkreis Celle den deutschlandweit ersten Stall mit Ansäuerungsanlage genehmigt hat.

Prof. Oldenburg: Genau. Der Milchvieh- und der Jungviehstall sollten ­direkt neben einem Kiefernwald gebaut werden. Die Emissionen waren viel zu hoch, als dass der Landkreis sie dort hätte genehmigen können – auch nicht mit hohen Schornsteinen und Lüftern. Da bot sich die Gülleansäuerung als Chance an, die Emissionen unter das erlaubte Maß zu senken.

Wie haben Sie die Ammoniakemis­sionen im Gutachten berechnet?

Prof. Oldenburg: Wie nach TA Luft vorgegeben, haben wir 14,57 kg Ammoniakemissionen pro Tierplatz und Jahr unterstellt – aufgeteilt auf 12,27 kg/Tierplatz/Jahr aus dem Stall und 2,3 kg aus der Lagerung – und diese multipliziert mit der Anzahl der Tierplätze. Da wir aus Studien des dänischen Ministeriums 50 % Reduktion der Ammoniakemissionen durch Gülleansäuerung nachweisen konnten, haben wir dann das Ergebnis halbiert.

Und damit war die Genehmigungs­behörde einverstanden?

Prof. Oldenburg: Nein. Sie hat aber immerhin 40 % Reduktion akzeptiert, da die VDI Richtlinie 3 894 Blatt 1, Tabelle B2 „Emissionsmindernde Maßnahmen Milchviehställe“ bis zu 40 % Reduktion durch Säurezusätze zu Flüssigmist angibt.

Hat das für die Genehmigung ­gereicht?

Prof. Oldenburg: Nicht ganz. Die ­fehlenden 10 % Reduktion haben wir über hohe Schornsteine und Lüfter hinbekommen, die die Emissionen in obere Luftschichten verteilen. So hat die Ausbreitungsrechnung Immis­sionen ergeben, die den Wald nicht schädigen und der Kreis hat die Ställe ohne weitere Auflagen genehmigt. 

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R E P O R T A G E

„Nur so konnten wir bauen“

Landwirt Hemme betreibt seit Anfang Oktober die deutschlandweit erste Ansäuerungsanlage im Stall. Die Genehmigung für den Stallneubau hätte er ohne diese nicht bekommen.

Heinz-Hermann Hemme hat keine Angst vor großen Schritten. Das sieht man sofort, blickt man sich auf dem Hofgelände im niedersächsischen Walle um: Dort stehen 840 Kühe in zwei Laufställen, der neuere gerade erst fertiggestellt. Mit Nachzucht kommt Hemme auf rund 1.480 Rinder.

Die Färsen stehen in Altgebäuden. Aber auch ein neuer Jungviehstall mit 460 Plätzen ist fast fertig: „Das war ursprünglich der Grund für den jetzigen Schritt von 430 auf 865 Kühe: Wir wollten einen neuen Stall für unser Jungvieh. Aber der allein rechnet sich nicht. Dafür braucht man mehr Kühe“, erinnert sich Milchviehhalter Hemme. Daher beantragte er einen neuen Jungvieh-, einen weiteren Milchviehstall, eine Kälberplatte für mehr Iglus und ein weiteres Gärrestlager für die Biogasanlage, in der er seine Gülle vergärt.

Schon der vorherige Schritt von 140 auf 430 Kühe war schwierig zu realisieren. Um an die Genehmigung des jetzt alten Laufstalls zu kommen, musste er ihn statt am Betriebsstandort, der an der Straße und nahe einer Wohnbebauung liegt, einige 100 m entfernt bauen. Auch der neue Lauf- sowie der Jungviehstall konnten nur an diesem neuen Betriebsstandort entstehen. Dort grenzt aber ein Kiefernwald an. „So war die Gülleansäuerung die einzige Möglichkeit, die uns blieb, um an eine Genehmigung zu kommen“, erläutert Hemme. Denn nur diese kann die Ammoniak-­Emissionen der geplanten Ställe soweit reduzieren, dass die Belastung für den nahen Wald nicht zu hoch wird.

Und tatsächlich: Es dauerte lange zehn Jahre, aber schließlich genehmigte der Landkreis Celle 2018 den Neubau. Neben der Gülleansäuerung, verpflichteten die Beamten Landwirt Hemme dazu, die neuen Ställe sowie den alten Laufstall mit 28 m hohen Schornsteinen auszustatten.

1 Million € Umweltkosten

Hemme begann mit dem Bau. Im „alten“ Laufstall mit planbefestigtem Boden und Schieber bleibt der Kot rund 1,5 Stunden auf der Lauffläche. In die neuen Ställe baute er Spaltenböden ein. So landet der Kot schneller im Güllekanal bzw. in der angesäuerten Gülle und stößt kaum noch Emissionen aus.

Da das Gülle-Säure-Gemisch zurzeit noch als stark wassergefährdet ein­gestuft wird, muss er es doppelwandig ­lagern. Der Landwirt musste seine Güllekeller daher mit Folie auskleiden. Das kostete ihn rund 430.000 €. Hinzu kamen mit rund 245 000 € recht hohe Kosten für die Ansäuerungsanlage, da er, um die an­gesäuerte Gülle in der Biogasanlage einsetzen zu können, zwei Systeme braucht: eins, das mit Schwefel- und eins, das mit Essigsäure ansäuert. Für die Kamine zahlte er ca. 250.000 €, für sämtliche Gutachten ca. 200.000 €. „Der Bau der zwei Ställe, der Kälberplatte und des Gärrestlagers kostete mich ca. 5 Mio. €. Rund 1 Mio. € gingen allein für die Erfüllung der Umweltauflagen drauf“, schätzt Hemme.

Kaum Güllegeruch

Seit Anfang Oktober ist der neue Laufstall belegt und die Ansäuerungsanlage läuft. „Die ersten zwei Tage schäumte die Gülle stark und man roch sie bis an die Straße. Seitdem ist das Klima im neuen aber sogar besser als im alten Stall, auch Dank der vielen Lüfter unter den Kaminen. Man riecht die Gülle praktisch nicht“, so Hemme.

Nur die Biogasanlage läuft noch nicht wieder rund. Hemme setzt 7 % Mais, 5 % Mist und sonst nur Gülle ein. Damit der Schwefelgehalt im Gas durch die angesäuerte Gülle nicht zu sehr ansteigt, kann er nicht nur Schwefel-, sondern muss auch die viermal so teure Essigsäure einsetzen, die aber auch mehr Methanertrag bringt. Die Unis Kiel und Bonn unterstützen ihn beim momentanen Austesten.

Auch beim Ackerbau sieht Hemme Vorteile: „60 % meiner 860 ha liegen im roten Gebiet. Durch die Ansäuerung der Gülle verliere ich weniger N, bekomme also aus Gülle und Gärresten mehr Stickstoff an die Pflanzen. Das ist ein echter Vorteil, gerade wenn ich künftig nur noch 20 % unter ermitteltem Bedarf düngen darf“, zeigt sich Hemme insgesamt zufrieden mit seiner Entscheidung zur Ansäuerung.

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