Die Schweinebranche in Deutschland ist in den vergangenen Jahren und Monaten von einer Krise in die nächste geschlittert. Die Corona-Pandemie, die Energiekrise als Folge des Ukraine-Krieges sowie die steigende Inflation haben sich nicht nur negativ auf die Produktionskosten ausgewirkt, sondern auch auf die Nachfrage nach Fleisch und Wurst. Schweinehalter, die ihre Tiere nach höheren Tierwohlstandards halten und einen höheren Preis verlangen, trifft das besonders hart.
Welche Chancen hat Tierwohlfleisch in Krisenzeiten? Dieser und weiteren Fragen sind top agrar und die Zeitschrift Lebensmittelpraxis gemeinsam mit Lebensmitteleinzelhändlern und Landwirten auf den Grund gegangen. In einer Online-Diskussion des Arbeitskreises „Bauern treffen Händler − Händler treffen Bauern“ haben sie von ihren Erfahrungen berichtet. Die wichtigsten Punkte der Diskussion haben wir hier für Sie zusammengefasst.
Vegane Bedientheken
Frage: Krieg, Energiekrise, Inflation: Welche Folgen haben die steigenden Preise auf die Fleisch- und Wurstnachfrage?
Antwort: „Die Verbraucher sind in ihrem Kaufverhalten aufgrund der gestiegenen Lebenshaltungskosten deutlich zurückhaltender. Nutznießer sind die Discounter. Sie erzielen Umsatzzuwächse“, erklärt Rewe-Kaufmann Dietmar Tönnies. Der Fleischkonsum ist seiner Erfahrung nach insgesamt rückläufig. Gegenüber dem Vorjahr ist er um rund 10 bis 15 % gesunken, schätzt er. „Fest steht: Wir brauchen innovative Konzepte, um den Kunden ein größtmögliches Angebot zu machen“, so Tönnies. Der Trend gehe hin zu weniger Fleischkonsum und mehr vegetarischer und veganer Ernährung.
In einigen Rewe-Märkten sei man deshalb mit veganen Bereichen in den Bedientheken gestartet, in denen die Kunden Fleischersatzprodukte finden. „Damit erreichen wir natürlich keine strikten Veganer, aber die Flexitarier, die ihren Fleischkonsum einschränken wollen“, erklärt Frank Schmitt, der das „Strohwohl-Programm“ bei Rewe betreut. In den Bedientheken gehe der Trend zudem zu Convenience-Produkten, da sich die Verbraucher immer weniger Zeit für das Kochen nehmen.
Thomas Richter, Abteilungsleiter Frische beim Warenhaus Bungert hat im Zuge des zunehmend preissensiblen Einkaufsverhaltens die Strategie geändert: „Um die sinkenden Umsätze einzufangen, mussten wir die Anzahl der Werbeartikel im Fleischbereich von 13 auf 20 %“ erhöhen. Zudem stellt Richter fest, dass Tierwohlfleisch eher am Wochenende im Einkaufskorb landet.„Die Verbraucher möchten sich dann etwas gönnen“, berichtet der Händler.
Tierwohl bleibt im Trend
Frage: Sind Tierhalter, die in Außenklimaställe investiert haben, die Verlierer der Krise?
Antwort: Der Preisdruck auf die Landwirte, die in Tierwohlställe investiert haben, nimmt zu. „Aktuell fällt es schwer, Perspektiven aufzuzeigen. Viele Betriebe sind durch die fehlenden Rahmenbedingungen verunsichert. Die Tierwohl-Pioniere sind jedoch keine Verlierer“, sagt Niko Brand, Geschäftsführer vom Schlachthof Brand. Die Fleischbranche sei krisengeplagt, das werde sich so schnell nicht ändern.
Durch geschlossene Wertschöpfungsketten schaffe man es jedoch, gestärkt aus Krisen hervorzugehen und die Wünsche der Kunden nach Transparenz und Tierwohl zu berücksichtigen. Auch Simona und Carl-Hendrik May bereuen den Schritt hin zu mehr Tierwohl nicht. Im vergangenen Sommer haben sie die ersten Mastläufer in ihren neu erbauten Stall eingestallt und halten die Tiere dort nach Haltungsform Stufe 4. Das Fleisch vermarkten sie nicht nur direkt, sondern auch über Supermärkte in der Region sowie die Gastronomie.
„Tierwohl ist ein großer gesellschaftlicher Trend, der langfristig die aktuelle Krise überdauern wird“, ist Carl-Hendrik May überzeugt. „Damit die Sache rund wird, müssen es Produkte mit Identität sein, auf dem die Familie mit Name und Gesicht abgebildet ist“, weiß Simona May.
Fest steht aber auch: „Nicht alle Landwirte können in die Direktvermarktung einsteigen“, beteuert Landwirt Timo Jürgens. Er bewirtschaftet einen Betrieb im geschlossenen System mit Offenstall und vermarktet seine Tiere an den Schlachthof Brand. Aktuell schwächelt die Nachfrage. Hinzu kommt ein weiteres Problem: „Häufig wird bei Tierwohlware mit Festpreisen gearbeitet. Durch die gestiegenen Schweinepreise ist die Differenz zwischen den Erlösen von Tierwohlfleisch und konventioneller Ware deshalb momentan gering “, bedauert Jürgens.
Gutes Marketing fehlt
Frage: Was braucht es für den Erfolg von Tierwohlfleisch?
Antwort: Für entsprechende Qualität gebe es immer Kunden, die das auch bezahlen, lautet die Einschätzung von Kaufmann Tönnies. „Was der Branche jedoch fehlt, ist eine gute Marketingorganisation wie damals die CMA“, bringt es Frank Schmitt auf den Punkt.
Sowohl bei den Konsumenten als auch innerhalb der Wertschöpfungskette habe man es beim Thema Tierwohl mit „Überzeugungstätern“ zu tun, sagt Carl-Hendrik May. Wichtig sei, ein gutes und individuelles Betriebs- und Vermarktungskonzept zu entwickeln. „Der Weg hin zu mehr Tierwohl ist risikobehaftet, aber der Tierwohltrend wird sich nicht umkehren“, ist Junglandwirt Timo Jürgens überzeugt.