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topplus Bodengesundheit

Gefährdet Plastik unseren Ackerbau?

Nicht nur in Gewässern, sondern auch in Böden ist Mikroplastik zu finden. Wie der Stand der Forschung ist, weiß Daniela Thomas vom Thünen-Institut.

Lesezeit: 8 Minuten

Schnell gelesen

Plastik ist allgegenwärtig und ist in Ackerböden in verschieden Arten, Größen und Formen zu finden.

Die Bodengesundheit kann durch das stabile Plastik negativ beeinflusst werden.

Strategien, um den Boden zu reinigen, gibt es derzeit noch nicht – daher ist der Plastikeintrag schnellstmöglich zu senken.

Frau Thomas, im Meer schwimmt viel mehr Plastik als angenommen. Warum ist Plastik in Ackerböden ­bislang hingegen kaum erforscht?

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Thomas: Man geht davon aus, dass die Belastung der terrestrischen Umwelt mit Plastik um ein Vielfaches ­höher ist als die der marinen Umwelt. Plastik ist zwar auf unserer Erde überall verbreitet, aber eine Plastiktüte am Straßenrand irritiert uns weniger als die PET-Flasche in der Meeresbucht.

Also fehlte bislang das Interesse?

Thomas: Davon würde ich nicht ausgehen. Das Forschungsgebiet „Plastik in der Umwelt“ hat lediglich im marinen Bereich ihren Ursprung. Dort ­wurden in der Vergangenheit ­bereits Techniken entwickelt, um z. B. die ­Probenahme valide durchzuführen. Wissenschaftlich betrachtet sind die Grundlagen zur Untersuchung von Plastik im terrestrischen Raum noch nicht standardisiert, wie z. B. Strategien zur Probenahme und -behandlung. Diese werden zurzeit aus anderen Bereichen übernommen und weiterentwickelt. Im Bereich der Probenahme dienen z. B. die Richtlinie LAGA PN 98 2019, die Bundesbodenschutz­verordnung sowie diverse DIN-Vorschriften als Grundlage.

Es scheint, als sei sich die Wissenschaft über die Verfahren nicht einig.

Thomas: Ein standardisiertes Ver­fahren zur Mikroplastikanalytik im Boden gibt es noch nicht. Die Wahl der Beprobungstechniken, Aufarbeitungsverfahren und damit verbundener Chemikalieneinsatz wird bspw. erprobt und diskutiert. Ein Konsens ist dabei noch nicht geschaffen worden, sodass jede Forschungsgruppe eigene Tech­niken entwickelt und anwendet, mit der Folge, dass die aktuell wenigen Daten nicht vergleichbar sind.

Wo liegen die Herausforderungen?

Thomas: Im ersten Schritt, der Probenahme, muss z. B. unterschieden werden, ob man Haufwerke, wie Komposte, oder Ackerflächen untersucht. Im Falle des Ackers wird davon ­aus­gegangen, dass Plastik in punktuell ­hoher Konzentration (Hotspots) ­vorliegen kann, z. B. in Ackersenken. Die Probenahmetechnik muss ein reales Bild über die Plastikbelastung des Ackers zulassen. Zudem ist der darauffolgende Schritt – die Probenbehandlung – nicht standardisiert. Während man in der marinen Umwelt schnell und simpel die Proben filtern kann, ist das im Boden nicht möglich. Man muss einen Feststoff (Plastik) von ­einem anderen Feststoff (z. B. Boden) trennen, der ca. 99,9 % der Probenmasse ausmacht. Dabei dürfen die Plastikbestandteile nicht angegriffen, also nicht fragmentiert, chemisch ­gealtert oder zersetzt werden.

Es lassen sich bis zu 67,5 g Plastik je kg Boden nachweisen."
Daniela Thomas

Bei dieser plastikschonenden Ent­fernung ist darüber hinaus die Boden­matrix kompliziert. So muss man z. B. anorganische Bestandteile wie Sand mit einer sogenannten Dichteseparation entfernen. Es müssen aber auch die organischen Bestandteile entfernt werden. Dies ist ein anspruchsvoller, teils mehrstufiger Prozess, in dem die Probe z. B. über Tage starken ­Oxi­dationsmitteln ausgesetzt ist. Um ­komplexere organische Bestandteile zu ­entfernen, wie Proteine oder Cellulose, benötigt man verschiedene Enzyme wie Proteasen und Cellulasen. Durch diese mehrstufigen Prozesse ist die ­Forschung nicht nur zeit- und personal-, sondern auch kostenintensiv.

Aber es gibt erste Daten. Wie stark ist Boden denn mit Plastik belastet?

Thomas: Die bisherigen Daten zur Plastikbelastung in verschiedenen ­Böden schwanken stark, von z. B. 0,34 bis 690 000 Partikel/kg bzw. 0,54 bis 67 500 mg/kg. Die Forschung befindet sich diesbezüglich schlicht­weg noch am Anfang.

Wie verhält sich Plastik in der ­Umwelt?

Thomas: Wird sichtbares Plastik in die Umwelt eingetragen, so wird vermutet, dass es aufgrund der enthaltenen Additive sehr persistent ist und sich nicht vollständig zersetzt und dadurch nicht in den Kohlenstoffkreislauf aufgenommen werden kann. In der Umwelt ist der Hauptmechanismus die Fragmentierung. Plastik zerfällt, begünstigt durch thermische oder mechanische Prozesse. Zerfällt z. B. ein Partikel mit einer Größe von 1 000 x 1 000 x 1 000 µm, so kann man 1 Mio. Partikel in einer Größe von 10 x 10 x 10 µm erhalten. Die Plastikbelastung wächst exponen­tiell mit sinkender Größe der Partikel. Man vermutet, dass mit sinkender ­Partikelgröße auch die potenzielle Schadwirkung steigt.

Verbraucher müssen im Bereich der Abfallentsorgung sensibilisiert werden."
Daniel Thomas

Neben dem sichtbaren Plastik ist ­häufig von Mikroplastik die Rede. Welche Größenverhältnisse sind ­dabei gemeint?

Thomas: Die Größeneinteilungen und allgemein die Definitionen von Nano-, Mikro-, Meso-, Makroplastik sind noch nicht abschließend geklärt. ­Jedoch geht man davon aus, dass es sich dabei um feste Partikel, Fragmente oder Fasern der Gruppe der Thermoplasten handelt. Mikroplastik besitzt eine Größe im Bereich von 1 bis 1 000 µm. Darüber hinaus bezeichnet man Plastik zwischen 1 000 bis 5 000 µm als „großes Mikroplastik“.

Unter Thermoplasten versteht man …

Thomas: … thermoplastische Erzeugnisse in der Regel auf Erdölbasis, wie PE, PP, PVC, PET und PS. Diese werden in erster ­Linie für die Verpackungs- und Bauindustrie hergestellt und machen einen Großteil der ge­samten Plastikproduktion aus. Seit den 1950er Jahren ist die Plastik­produktion weltweit von ca. 2 Mio. t auf 390,7 Mio. t im Jahr 2021 ge­stiegen. Weltweit werden ca. 4 % des ­Plastiks direkt für den ­Agrarsektor produziert.

Und wie wird es dort eingesetzt?

Thomas: In Europa wurden z. B. im Jahr 2011 ca. 670 000 ha der landwirtschaftlichen Flächen mit Plastikfolien bedeckt – mit steigender Tendenz. Diese Folien bestehen häufig aus PE und können in der Regel nicht rückstandsfrei aus dem Boden entfernt ­werden. Studien konnten zwischen 3 und 50 g Folienreste je m3 im ­Boden nachweisen.

Über welche Pfade kann Plastik noch in die Böden gelangen?

Thomas: Die Wege des Plastikeintrags in die Umwelt sind sehr diffus. Vereinzelt kann es Punktquellen geben, z. B. industriellen Ursprungs. Neben dem direkten Einsatz kann Plastik auch über unsachgemäße Entsorgung, sogenanntes Littering, eingetragen werden. Auch Verwehung bzw. atmosphärische Deposition, Reifenabrieb und organische Düngung, z. B. mit Kompost und Klärschlamm, tragen Plastik auf die Felder.

In der Umwelt ist Plastik sehr persistent, vor allem unter Lichtausschluss. Daher ist zu vermuten, dass dieses Plastik im Boden verbleibt und sich dort sammelt. Da es aktuell keine Strategien gibt, das Plastik aus Böden im großen Stil abzutrennen, gilt es derzeit, Eintragswege zu identifizieren und zu minimieren, um zumindest weitere Kontaminationen zu vermeiden.

Daran arbeiten Sie u. a. in dem Projekt „Plastik in Agrarböden“, kurz PiA. Worum geht es da genau?

Thomas: Seit ich 2019 eingestiegen bin, haben wir zunächst die aufwendigen analytischen Voraussetzungen für die Mikroplastikforschung geschaffen. Es wurden dafür eigens zwei Laborräume auf den neusten Stand der ­Technik gebracht. Des Weiteren mussten Methoden gefunden und entwickelt werden, damit die Probenahme und -behandlung valide Ergebnisse produzieren. Neben dem Plastikgehalt und dessen Verbleib in Agrarböden sind Eintragsquellen für uns von besonderem Interesse. Derzeit untersuchen wir – und das ist erstmalig in der ­Forschung – ein breites Spektrum an organischen Düngern. Darunter sind z. B. Klärschlammkomposte, Grünschnittkomposte, Gärreste, Hühner­trockenkot, Klärschlamm und Bio­abfallkomposte.

Was haben Sie in den organischen Düngern gefunden?

Thomas: In einer ersten Datenauswertung konnten wir kein visuell erkennbares Plastik in Hühnertrockenkot ­sowie Gärresten, z. B. aus Schweinegülle, nachweisen. Die Analyse auf ­Mikroplastik steht allerdings noch aus. Im Klärschlamm war die Anzahl an Plastikpartikeln viermal höher als im Grünschnitt-Kompost. Die Bildauswertung der größeren Partikel zeigt, dass in allen Proben der Komposte und des Klärschlamms Plastikfolien, z. B. von Tüten, zu finden sind. Darüber hinaus haben wir Zigarettenfilter, Obststicker, Fragmente von Pflanztöpfen, Damenhygieneartikel usw. entdeckt.

Demnach sind Klärschlamm und ­Komposte ein Haupteintragsweg?

Thomas: Die bisherigen Forschungs­ergebnisse aus Einzelstudien bestätigen, dass Komposte und insbesondere ­Klärschlämme Eintragspfade sind. Im Kompost ließ sich z. B. 2,38 bis 180 mg/kg visuell erkennbares Plastik finden. Dies führt bei einer Ausbringmenge von 7 t/ha zu ca. 0,016 bis 1,26 kg/ha Plastik im Boden jährlich. In Klärschlamm ließen sich 1 000 bis 200 000 Plastikpartikel/kg identi­fizieren. Die stark schwankenden ­Zahlen in teils unterschiedlichen Einheiten begründen sich u. a. in den nicht standardisierten Analysemethoden.

Was bedeutet Plastik in der Umwelt für die Produktion von Lebensmitteln?

Thomas: Man geht davon aus, dass tiefe Meeressenken sowie der Boden als Endlager für einen Großteil des Plastiks fungieren. Einige Studien lassen jedoch vermuten, dass ein gewisser Plastikanteil im Boden bis ins Grundwasser sowie auf vielfältige Weise in die Nahrungsketten gelangen könnte. Im terrestrischen Raum legen erste Studien nahe, dass kleinste Plastik­fasern die Poren von Saatgut verstopfen und so die Keimfähigkeit beeinträchtigen können.

Klärschlamm und Komposte tragen Plastik in Ackerböden ein.“
Daniela Thomas

Zudem kann ­Plastik die Bodengesundheit negativ beeinflussen, z. B. da die Bodenstruktur, wie Bodenaggregate, pH-Wert, Wasserhaltekapazität, sowie die Bodenökologie verändert werden. Dies kann meiner Meinung nach perspek­tivisch nicht folgenlos bleiben und wird Auswirkung auf die Erträge und ­Qualität unserer Nahrungsmittel haben. Welches Ausmaß die Plastikverschmutzung auf unsere Umwelt und unsere Ernährung hat und welche ­Auswirkungen sich daraus ergeben, ist aktuell nur zu vermuten.

Wie lässt sich der Plastikeintrag ­vermeiden?

Thomas: Verbraucher müssen im ­Bereich der Abfallentsorgung sensi­bilisiert werden. In der Lebensmittel­industrie ist zudem ein reduzierter Einsatz von Plastik bzw. die Entwicklung neuer Materialien notwendig. Ein kleiner ­Beitrag könnten z. B. alternative ­Kennzeichnungsverfahren anstelle von Obststickern sein. Auch erste gesetz­liche Grundlagen, wie die neue Klärschlammverordnung, werden zur Verringerung des Plastikeintrags beitragen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

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