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Pflanzenschutz: So funktionieren Mittel am Wirkort

Pflanzenschutzmittel setzen sehr präzise an unterschiedlichen Wirkorten an. Wer die Details kennt, kann die Effekte besser einschätzen.

Lesezeit: 8 Minuten

Unser Autor: Prof. (i. R.) Dr. Klaus Schlüter, vormals FH Kiel/FB Agrarwirtschaft

Im Gegensatz zu früher bringt man heute mit einer Pflanzenschutzmaßnahme nur noch geringe Mengen Wirkstoff auf den Acker. Denn seit den 1960er-Jahren haben sich nicht nur die Zulassungsbedingungen geändert. Auch die Forschung hat sich vor allem in Bezug auf die Wirkweise in Schadorganismen und Kulturpflanzen weiterentwickelt und ist präziser geworden.

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Da die Wirkstoffe direkt an spezifischen Wirkorten in den Schadorganismen wirken, „zeichnen“ diese auch später als damals. Die heutigen Mittel sind statt „hochgiftig“ einfach „hochspezifisch“. Dieser kleine, aber gravierende Unterschied hilft auch bei der Argumentation mit Außenstehenden.

Wie „giftig“ Pflanzenschutzmittel sind und welche drei Wirkorte infrage kommen, zeigt der folgende Beitrag. Dabei gilt es zunächst, die Arbeit einiger Zellorganellen zu verstehen. Beispiele für konkrete Wirkorte in bestimmten Schadorganismen (pilzliche Erreger, Ungräser und Insekten) finden Sie im nächsten Beitrag der Serie Fachwissen Pflanzenbau in der top agrar-Ausgabe 8/2023. Alle Beitrag sammeln wir nach Erscheinen online.

Schnell gelesen



Von den zugelassenen Wirkstoffen ­gehören heute ca. 97 % keiner Giftklasse mehr an.

Moderne Wirkstoffe schützen Nichtzielorganismen, da die Wirkorte wie Enzyme, Membranproteine oder Rezeptoren dort nicht oder verändert vorkommen.

Veränderte Enzyme produzieren nicht mehr die für den Schadorganismus lebensnotwendigen Stoffwechselprodukte.

Gestörte Membranproteine trans­portieren zu viele oder gar keine Ionen durch die Zellen hindurch.

Funktionieren Rezeptoren nicht mehr wie gewohnt, sind die Organismen ­einem ständigen Reiz ausgesetzt und ­verkrampfen beispielsweise.

Wirkstoffe: Hochspezifisch statt hochgiftig

Bei der Einführung von Pflanzenschutzmitteln vor vielen Jahrzehnten war es üblich, hohe Aufwandmengen pro Hektar auszubringen: Es gab Herbizide, die teilweise mit bis zu 20 kg/ha eingesetzt wurden und Fungizide, die leicht die 1 kg-Grenze überschritten.

Die Aufwandmengen moderner Pflanzenschutzmittel sind hingegen gering, die Wirkstoffmengen liegen oft nur noch im Grammbereich. Von besorgten Laien wird daraus schnell die Schlussfolgerung gezogen, dass „Pestizide hochgiftig“ seien. Aber genau wie Arzneimittel haben Pflanzenschutzwirkstoffe eine sehr spezifische biologische Wirkung. So lassen sich niedrige Wirkstoffmengen pro Hektar und ein trotzdem gutes Ergebnis realisieren.

Wie giftig sind Pflanzenschutzmittel?

Pflanzenschutzwirkstoffe stören in den Schadorganismen den Stoffwechsel erheblich, sodass diese absterben. Eine Wirkung auf Nutzpflanzen, Menschen, Tiere und alle anderen sogenannten Nichtzielorganismen dürfen sie nicht haben. Bei den praxisüblichen, niedrigen Konzentrationen in der Spritzbrühe ist deshalb das Gefahrenpotenzial der unter strengsten Kriterien in Europa zugelassenen Wirkstoffe auch extrem gering.

Handelspräparate bewertet die EU hingegen anders, da in den Gebinden eine hohe Wirkstoffkonzentration vorliegt. Dennoch gehören ca. 97 % der aktuell zugelassenen Wirkstoffe gar keiner Giftklasse mehr an. Lediglich einige wenige – heute noch verfügbare und vergleichsweise alte – Insektizide können bei unsachgemäßer Anwendung eine Nebenwirkung auf andere Organismen entwickeln.

Welche Organismen sind geschützt?

Bei der Applikation von Pflanzenschutzmitteln müssen Pflanzenteile gut benetzt werden. Damit wird sichergestellt, dass sich ein gleichmäßiger Wirkstoffbelag entwickelt und die wirksame Substanz schnell in das Gewebe eindringt oder sich auf der Oberfläche ablagert. Unter diesen Voraussetzungen geraten die Zielorganismen (Schadpilze, -insekten und -milben, Unkräuter, Ungräser) mit dem Wirkstoff in Kontakt.

Erst nachdem sie den Wirkstoff aufgenommen haben, kann er sich im Schadorganismus verteilen und gelangt dort zum eigentlichen Wirkort (Target). Dazu ist eine ausreichende Stoffwechselaktivität der Organismen erforderlich, es darf also nicht zu kalt sein.

Wirkorte sind dabei fast immer hochspezifische Proteine wie Enzyme, Membranproteine oder Rezeptoren. Wenn diese Kontakt zu einem Wirkstoff bekommen, kann eine erhebliche Funktionsstörung einsetzen.

„Nichtzielorganismen“ dagegen sind vor modernen Wirkstoffen in den praxisüblichen Konzentrationen meist gut geschützt: Entweder haben sie diesen Wirkort in ihren Körperzellen gar nicht oder der Wirkort hat eine komplett andere Struktur und bietet dem Pflanzenschutzwirkstoff bei vorschriftsgemäßer Anwendung und Konzentration keine Angriffsstelle.

Enzyme: Herbizide ­blockieren den Zellstoffwechsel

In den Zellen aller Lebewesen sind unzählige Enzyme aktiv und für die Lebensvorgänge unverzichtbar. Ein Enzym ist ein komplexes, räumlich strukturiertes Protein und wirkt als Katalysator chemischer Reaktionen im Stoffwechsel von Lebewesen. Von besonderer Bedeutung ist das sogenannte aktive Zentrum, da dort die Reaktionen ablaufen (siehe Übersicht 1). Enzyme arbeiten auf vielfältige Weise, denn die Proteine

  • spalten große Moleküle wie z. B. bei der Getreidekeimung. Die Amylasen bauen Stärke ab zu Malzzucker, die Lipasen zerlegen Fette in ihre einzelnen Bestandteile und die Proteasen zerlegen Speicherproteine in Aminosäuren.
  • bilden lange Ketten aus kleinen Molekülen. Dies erfolgt z. B. in den Chloroplasten bei der Synthese von Fettsäuren.

Wie wirkt ein Pflanzenschutz-Wirkstoff auf ein Enzym?

Enzyme aller Lebewesen können durch chemische Stoffe (Gifte) schon in sehr geringer Konzentration gehemmt und an ihrer Funktion gehindert werden. Diese Giftstoffe müssen nicht ausschließlich synthetischen Ursprungs sein. Sie sind auch in der Natur weit verbreitet und werden von Bakterien, Pilzen, Pflanzen oder auch von Tieren produziert. Gut bekannt ist ihre Wirkung bei bakteriellen Krankheiten wie z. B. Tetanus, Botulismus oder Milzbrand. Aber auch viele Schlangen oder südamerikanische Pfeilgiftfrösche produzieren Gifte, die in geringster Dosis extrem schnell Enzyme hemmen – und die vor allem bei Warmblütern meist tödlich wirken.

Gelangt also ein Gift in einen Organismus, dann kann grundsätzlich eine Wechselwirkung mit einem Enzymprotein auftreten. Dadurch kommt es zu Veränderungen am Enzym, das seine eigentliche Aufgabe danach nicht mehr ausüben kann (siehe Übersicht 2).

Das gilt auch für Pflanzenschutzwirkstoffe. Sehr viele Mittel haben hier ihr Wirkungsprinzip: Sie verändern die Struktur von Enzymen und verhindern ihre Aktivität. Deshalb wirken die Enzyme nicht mehr als Katalysatoren und der Zellstoffwechsel wird blockiert. Die Folgen sind für den Schadorganismus in der Regel so gravierend, dass er abstirbt.

Die wichtigsten Effekte an Enzymen sind:

  • die Blockade des aktiven Zentrums
  • und die Veränderung der räumlichen Gestalt des Enzyms.
  • Membranproteine
  • Angriffspunkt vor allem für Insektizide

In den Zellen der Lebewesen bilden Zellkern, Mitochondrien und andere Zellorganellen hochspezifische chemische Reaktionsräume. Entscheidend für die einwandfreie Funktion einer Zelle ist deren räumliche Trennung, weil dort völlig unterschiedliche chemische Be-Bedingungen herrschen. Deshalb sind solche Zellorganellen von Biomembranen umgeben.

Kanalproteine – Wächter für den Molekülaustausch

Eine Biomembran besteht aus einer doppelten Schicht von Lipiden (Fetten). Diese wasserunlöslichen Moleküle besitzen einen speziellen Aufbau: Ein kugeliger Molekülteil trägt Ladungen und bindet sich an Wasser, zwei lange Ketten aus Fettsäuremolekülen sind ungeladen und Wasser abweisend.

Die Übersicht 3 zeigt, dass sich diese unpolaren Ketten zueinander ausrichten. So entsteht eine Lipid-Doppelschicht. Durch diese können nur geringe Mengen Wasser und gelöste Gase durchtreten. Alle anderen Stoffe sind zu groß, um die Biomembran zu durchdringen. Somit ist ein unkontrollierter Stoffaustausch nicht möglich.

Damit dennoch ein Transport durch Biomembranen von einem Reaktionsraum in den anderen erfolgen kann, gibt es eine Vielzahl von Durchlass- und Kanalproteinen sowie verschiedene Transportproteine (Carrier) in den Membranen. Durch diese gelangen große Moleküle und geladene Teilchen (Ionen) von einer Seite der Membran auf die andere.

Pflanzenschutzmittel ­verändern ­Membranproteine

Als Wirkorte spielen Membranproteine bei Insektiziden eine besondere Rolle. Dort haben Natrium-Ionen eine wichtige Aufgabe: Sie müssen kurzzeitig von einer Seite der Membran einer Nervenzelle auf die andere wechseln und sind dabei auf Kanalproteine angewiesen. Wenn sich bestimmte insektizide Wirkstoffe an Membranproteine anlagern, verändert sich deren Form. Dadurch wird entweder der Kanal verschlossen oder dauerhaft geöffnet.

Vor allem Pyrethroide können eine intensive Öffnung der Kanäle auslösen. Dadurch wird der geregelte Durchlass von Natrium-Ionen gestört und das Nervensystem gerät völlig außer Kontrolle. Als Folge setzen massive Funktionsstörungen aller Organe ein, die über Nerven gesteuert werden.

Rezeptoren: Weitere Andockstelle für Wirkstoffe

Rezeptoren sind in allen Lebewesen in unterschiedlichster Form vorhanden und liegen als komplexe Proteine vor. Sie befinden sich oft an der Oberfläche der Zellmembranen oder auch im Zellplasma und reagieren hochspezifisch auf spezielle Botenstoffe, Proteine oder Hormone.

Diese Signalstoffe lagern sich nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip an ihren spezifischen Rezeptor. Dadurch entstehen meist sekundäre Botenstoffe. Die Botenstoffe lösen in der Zelle neue Reaktionen aus und können z. B. Enzyme aktivieren. So werden bestimmte Stoffwechselvorgänge eingeleitet (siehe Übersicht 4).

Ein gut bekannter Rezeptor in Pflanzen ist der Fotorezeptor Phytochrom. Darüber nehmen die Pflanzen Lichtreize wahr. Das Phytochrom steuert somit z. B. dass Samen keimen, welche Pflanzenteile ergrünen oder dass Pflanzen in Richtung des Lichts wachsen.

Auch tierische Organismen verfügen über eine Vielzahl unterschiedlichster Rezeptoren. Viele von denen sind für die Sinnesorgane und das Nervensystem von Bedeutung.

So wirken Pflanzenschutzwirkstoffe an Rezeptoren

Dockt ein Pflanzenschutzwirkstoff anstelle eines Signalstoffes an einen Rezeptor an, kommt es zu einer elementaren Funktionsstörung eines Lebewesens. Dabei kann der Rezeptor blockiert werden, sodass der passende Signalstoff nicht mehr andocken kann.

Manche Wirkstoffe verursachen dagegen den gleichen Effekt wie die „passenden“ Signalstoffe und aktivieren so den Stoffwechsel dauerhaft und ohne Pause. Insektizide aus der Gruppe der Neoni­kotinoide sind ein typisches Beispiel dafür: Sie aktivieren einen wichtigen Rezeptor in den Nervenzellen der Insekten. Diese erleiden eine dauerhafte Muskelverkrampfung, die zum Absterben führt.

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