Am 20. März 2024 hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSVB) die Anerkennung der Parkinson-Krankheit unter bestimmten Voraussetzungen als Berufskrankheit „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ empfohlen. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt erwartet, dass das Bundesarbeitsministerium dies evt. in der zweiten Jahreshälfte 2024 in die Liste für Berufskrankheiten aufnimmt.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG) begrüßen diesen Schritt sowie die ausführliche Aufarbeitung der aktuellen Literatur und Datenlage durch den ÄSVB.
Sprechen Sie mit ihrem Arzt
Parkinson-Patienten, die eine berufliche Exposition mit Pestiziden haben, sollten ihre behandelnden Ärzte vom Umstand ihrer beruflichen Exposition unterrichten. Gegebenenfalls muss dann eine Anzeige bei der Berufsgenossenschaft erfolgen.
Die aktuellen Kriterien für das Vorliegen einer Berufskrankheit sind: die Erfüllung des Dosismaßes von mindestens 100 trendkorrigierten Anwendungstagen (in eigener Vor- und Nacharbeit der Pestizid-Ausbringung oder in eigener Pestizid-Ausbringung oder in eigener Störungsbeseitigung im Rahmen der Pestizid-Ausbringung) und das gesicherte Vorliegen einer Parkinson-Erkrankung. Alle Menschen, auf die dies zutrifft, haben das Recht, sich an die Berufsgenossenschaft zu wenden.
Weit mehr Einfluss als rein toxische Wirkung
Prof. Dr. Daniela Berg (UKSH, Campus Kiel, Vizepräsidentin der DGN) und Prof. Dr. Joseph Claßen (Universitätsklinikum Leipzig, 1. Vorsitzender der DPG) empfehlen eine genaue Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Substanzen und Substanzgruppen von Herbiziden, Fungiziden oder Insektiziden, die unter dem Sammelbegriff „Pestizide“ als Pflanzenschutzmittel Verwendung finden.
Die Darstellung bisher bekannter Mechanismen, die zur Entstehung von Parkinson beitragen können, veranschaulicht, dass neben einer direkt toxischen (giftigen) Wirkung auf Nervenzellen, insbesondere auf dopaminerge Neurone (d. h. auf die Nervenzellen, die bei der Parkinson-Erkrankung zugrunde gehen), auch Stoffwechselvorgänge verändert und Mechanismen induziert werden, die ebenfalls zur Krankheitsentstehung beitragen.
Dies sind u. a. Störung der mitochondrialen Funktion (d. h. des Energieapparats von Zellen), Bildung sogenannter freier Radikale und damit Zunahme von oxidativem Stress (Zellstress), Störung des Aufbaus des Stützapparats von Zellen und viele mehr.
Entstehung der Parkinson-Krankheit ist sehr komplex
Die bisherigen Erkenntnisse dürfen laut den Fachleuten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass vieles noch unbekannt ist. Bei der Verursachung der Parkinson-Krankheit spielen Umweltfaktoren, wie die Exposition gegen eines oder mehrere der in der wissenschaftlichen Empfehlung behandelten Pestizide, aber auch andere schädigende Umwelteinflüsse wie Feinstäube eine wichtige Rolle. Andere Ursachen liegen in genetischen Veränderungen und Lebensstilfaktoren.
Dennoch konnte auf dem Boden der bereits bekannten Zusammenhänge die nun vorliegende Empfehlung der Sachverständigen erarbeitet werden, die erstmals eine einheitliche und wissenschaftlich fundierte Grundlage zur Prüfung des Vorliegens einer Berufskrankheit gibt.
Anerkennung bringt viel Unterstützung und Schutz mit sich
Prof. Dr. Daniela Berg begrüßt jedenfalls die Entscheidung, dass das Parkinson-Syndrom als Berufskrankheizt anerkannt wird. „Zum einen, weil Betroffenen und ihren Familien medizinisch und finanziell geholfen werden muss. Zum anderen wird hierdurch die Notwendigkeit des Schutzes für exponierte Personen noch klarer“, so die Parkinson-Expertin.
Zum Schutzarsenal der Arbeitsmedizin zählen das Tragen von Schutzkleidung inklusive Ganzkörper-Schutzanzügen, Schutzhandschuhen und festem Schuhwerk sowie die Verwendung von schützenden Kabinenfahrzeugen und Atemmasken.
„Der Zusammenhang zwischen individueller hoher Belastung durch die in der wissenschaftlichen Empfehlung behandelten Pestizide und der Entstehung von Parkinson legt nahe, sich beim Einsatz dieser Pestizide ihrer Gefahren viel stärker bewusst zu werden, ihren Einsatz auch unter dem Aspekt des Schutzes vor neurodegenerativen Erkrankungen auf das Notwendigste zu beschränken und verstärkt nach für Mensch und Natur unschädlichen Ersatzstoffen zu suchen“, so Prof. Dr. Joseph Claßen.
Die beiden Fachgesellschaften betonen darüber hinaus, dass nicht zuletzt noch weitere Forschung nötig ist, um die Zusammenhänge von Pestiziden und Parkinson besser zu verstehen.
Ihre Meinung?
Die neuen Erkenntnisse machen nervös. Haben Sie immer den vollen empfohlenen Schutz getragen oder sind Sie in der Vergangenheit eher locker mit den Mitteln umgegangen? Sind Sie evt. betroffen und könnten die Mittel Ursache Ihrer Beschwerden sein? Hätte die Anerkennung viel früher kommen müssen? Schreiben Sie an deter@topagrar.com. Die interessantesten Leserbriefe veröffentlichen wir immer freitags.