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topplus Flächenverbrauch verdoppelt sich

Bis 2030 steigt der Flächenverbrauch für Freiflächen-PV auf 36 ha täglich

Wie hoch könnte sich der Flächenbedarf für Wohnungen und Erneuerbare entwickeln? Das fragten wir Bernhard Osterburg, Leiter der Stabsstelle Klima, Boden, Biodiversität des Thünen-Instituts.

Lesezeit: 6 Minuten

In der Studie „Flächennutzung und Flächennutzungsansprüche in Deutschland“ kommen Sie auf einen zu erwartenden landwirtschaftlichen Flächenverbrauchvon 111 ha/Tag bis 2030. Für welche Nutzungszwecke erwarten sie künftig einen besonders hohen Verbrauch?

Bernhard Osterburg: Die Ziele der Bundesregierung lassen große Veränderungen der Flächennutzung erwarten: Geplant ist, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen, pro Jahr 13 bis 22 Gigawatt neue Photovoltaik-Kapazitäten zu schaffen, Neuwald und Agrargehölze zu etablieren sowie Moore wiederzuvernässen.

Von 2023 bis 2030 können sich über 200.000 ha zusätzliche Fläche für Siedlung und Verkehr und zusätzlich gut 100.000 ha für neue Freiflächen-PV-Anlagen ergeben. Wir haben dabei die politischen Ziele aus dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) und der Nationalen Moorschutzstrategie zugrunde gelegt, hier bestehen noch Unsicherheiten. Unsicher ist auch, ob durch große Solarthermie-Anlagen in Siedlungsnähe zusätzliche Flächenansprüche entstehen.

Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung und der Koalitionsvertrag fordern einen Flächenverbrauch von max. 30 ha täglich bis zum Jahr 2030 und sogar Null ha Flächenverbrauch in 2050. Ist das noch realistisch?

Bernhard Osterburg: Das Ziel, bis 2030 weniger als 30 ha täglich in Siedlungs- und Verkehrsfläche umzuwandeln, lässt sich unter den aktuellen Rahmenbedingungen nicht erreichen. Die Neuinanspruchnahme von Fläche liegt derzeit bei ca. 55 ha pro Tag, im Jahr 2000 waren es noch 129 ha. Künftig wird dieser Wert aber wieder ansteigen. Wir haben aufgrund der Pläne für den Wohnungsbau bis 2030 mit 75 ha Neuinanspruchnahme pro Tag gerechnet.

Der geplante, starke Zubau von Photovoltaik soll etwa zur Hälfte auf Freiflächen stattfinden. Freiflächen-PV zählt zur Gewerbefläche und erhöht damit die Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlung und Verkehr. Wir haben dafür mit einer zusätzlichen Neuinanspruchnahme bis 2030 von 36 ha pro Tag gerechnet. Immerhin führt Freiflächen-PV nicht zu einer starken Bodenversiegelung.

Bis 2050 zu einer nachhaltigen Flächenbewirtschaftung zu kommen, ist aber durchaus möglich.

Wo sehen Sie am ehesten Potential, den Flächenverbrauch zu drosseln?

Bernhard Osterburg: In der Siedlungspolitik könnte man die Neuinanspruchnahme von Flächen durch mehr Innenentwicklung und Flächenrecycling verringern. Hier gibt es zwar noch Flächenpotenziale, die Umsetzung ist aber offenbar schwieriger und oft teurer als die Neuplanung auf bisher unbebauten Flächen.

Eine Ausweitung der Photovoltaik auf Dachflächen, an Gebäuden, auf Parkplätzen und auf Deponien und Abbauland hilft, die Überbauung von Ackerflächen zu reduzieren. Agri-PV, also eine Kombination von PV und landwirtschaftlicher Nutzung, vermeidet die vollständige Umwidmung von Landwirtschaftsflächen und ist z. B. in Dauerkulturen gut umsetzbar.

Eine weitere Idee ist Moor-PV, also Freiflächen-PV auf Moorböden, die vollständig wiedervernässt werden, um die hohen Treibhausgasemissionen aus entwässerten Moorböden zu vermeiden. Wenn der Ausbau von Freiflächen-PV gezielt auf Moorböden gelenkt würde, wären durch die Wiedervernässung kombiniert mit der Produktion erneuerbarer Energie große Synergien für den Klimaschutz möglich, und gleichzeitig würden neue Einkommensalternativen geschaffen.

Was sind Ihre Kritikpunkte am Ausbau der Freiflächenphotovoltaik?

Bernhard Osterburg: Die Ausweitung des privilegierten Bauens von Freiflächen-PV-Anlagen an Autobahnen und Bahntrassen dient der Beschleunigung des Ausbaus. Eine Steuerung zum Schutz wertvoller Landwirtschaftsflächen ist so jedoch nicht möglich. In den letzten Jahren steigt der Anteil der Anlagen außerhalb der Förderung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG).

Die Folge ist: Die mit der EEG-Förderung verbundenen Anforderungen an Lage und maximale Größe von Anlagen laufen zunehmend ins Leere. Hier sind neue politische Ansätze gefragt, um den Prozess im Sinne der genannten Synergien zu lenken, ohne ihn zu bremsen – denn der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien ist wichtig. Ansatzpunkte wären die Flächennutzungsplanung und Regeln für den Anschluss neuer Anlagen ans Stromnetz.

Der Wald ist durch das Bundeswaldgesetz geschützt. Ihre Studie zeigt die Schutzwirkung: Der Flächenzuwachs der Siedlungs- und Verkehrsflächen erklärt sich nur zu 10 % aus der Umwandlung von Waldflächen, aber zu 56 % aus umgewandelten Acker- bzw. zu 34 % aus Grünlandflächen. Wäre ein ähnlicher gesetzlicher Schutz von Ackerflächen geboten?

Bernhard Osterburg: Würde man Acker und Grünland wie Wald schützen, wären neue Siedlungs- und Gewerbeflächen nur noch über Innenentwicklung und Flächenrecycling möglich. Das wäre ein sehr starker Eingriff in die kommunale Planungshoheit und daher politisch wohl kaum durchsetzbar.

„Statt mehr gesetzlichem Schutz ist realistischer, die Bebauung von Landwirtschaftsflächen durch höhere Kompensationsforderungen zu verteuern.“
Bernd Osterburg

Realistischer erscheint es, sich auf den Abbau von Hemmnissen für die Innenentwicklung und das Flächenrecycling zu konzentrieren und gleichzeitig die Bebauung bisheriger Landwirtschaftsflächen durch höhere Kompensationsforderungen für den Bodenverlust zu verteuern. Die so generierten Mittel könnte man dann gezielt in die Förderung von Innenentwicklung und Flächenrecycling investieren.

Kürzlich forderte Bundeskanzler Scholz, wie in den siebziger Jahren mehr Wohnungen auf der grünen Wiese zu bauen. Was halten Sie von dieser Idee?

Bernhard Osterburg: Die Forderung des Bundeskanzlers, den Wohnungsbau verstärkt voranzutreiben und das auch auf Freiflächen, deckt sich mit unseren Annahmen zur Flächenwirkung des Ausbauziels von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr.

Der Kanzler hat betont, dass wahrscheinlich 20 neue Stadtteile in den meist gefragten Städten und Regionen gebraucht werden, also dort, wo die Wohnungsknappheit am höchsten ist. Außerdem ergänzte er, man solle auch dort höhere Bauten zulassen, wo dies verhindert worden sei. Dadurch wird flächensparendes mehrgeschossiges Bauen ermöglicht.

Die im September 2023 beschlossenen Maßnahmen zur Förderung des Wohnungsbaus enthalten verschiedene Elemente, die einen sorgsamen Umgang mit Flächen unterstützen: Z.B. die gezielte Förderung der Umwandlung leerstehender Gewerbeimmobilien in Wohnraum und Vereinfachungen für den Ausbau von Dachwohnungen.

Zur Studie

In der Studie hat sich das Thünen-Institut mit künftigen Flächennutzungsansprüchen für Siedlung und Verkehr, den Ausbau erneuerbarer Energien sowie des Klima- und Naturschutz beschäftigt. Die Studie „Flächennutzung und Flächennutzungsansprüche in Deutschland“ ist als Thünen Working Paper 224 erschienen und als kostenfreier Download erhältlich.

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