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Vorsteuerschock für Landwirte: Das könnte jetzt im Bundestag passieren

Der Pauschalierungssatz soll auf 8,4 % sinken. Der Bauernverband hält die Berechnungsmethode für die Vorsteuerpauschale für falsch. Wir haben die Bundestagsparteien um Stellungnahmen gebeten. ​ ​

Lesezeit: 10 Minuten

Die Bundesregierung will den Pauschalierungssatz zu Beginn des neuen Jahres auf 8,4 % drücken. Aktuell laufen die Verhandlungen dazu im Bundestag. Wir haben das Bundesfinanzministerium und die Bundestagsparteien gefragt, warum der Satz erneut gesenkt werden soll, welche Berechnungen dem zugrunde liegen und wie sich die Parteien in den anstehenden Bundestagsdebatten positionieren. Spannend ist dabei vor allem die Position der Opposition mit Blick auf das Ampelprojekt.

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- Der Pauschalierungssatz von 9 % soll Anfang 2024 auf 8,4 % gesenkt werden. Derzeit wird diese Frage im Bundestag diskutiert.

- Der Deutsche Bauernverband (DBV) kritisiert vor allem die Berechnungsmethode. Diese berücksichtige Betriebe bei der Berechnung der Vorsteuerpauschale, die eigentlich nicht pauschalieren dürften.

-Susanne Mittag von der SPD betont, dass die Berechnung dieselbe Grundlage wie die für die Anpassung des Durchschnittssatzes in den Jahren 2021 und 2022 habe. Diese erfülle die Vorgaben des Bundesrechnungshofs und die der EU-Kommission.

- Renate Künast von Bündnis 90/Die Grünen erinnert an den Streit mit der EU in der Vergangenheit. Deutschland habe mittlerweile keine andere Wahl, als den Satz regelmäßig anzupassen.

-Dr. Gero Hocker von der FDP mahnt: Bevor der Satz erneut gesenkt werde, solle man die Erkenntnisse der letzten Jahre berücksichtigen.

- Hans-Jürgen Thies von CDU/CSU hält das Berechnungsverfahren, ähnlich wie der DBV,für ungerecht. Man werde sich dafür einsetzen, das Verfahren zu korrigieren oder auszusetzen.

- Stephan Protschka von der AFD verweist darauf, dass die Datengrundlage erst 2026 um die der regelbesteuerten Landwirte bereinigt sein werde. Bis dahin solle man von weiteren Anpassungen absehen und den Satz bei 9 % belassen.

- Ina Latendorf von Die Linke sieht die Berechnungsgrundlage ebenfalls kritisch. Die Befürchtung, dass die Vorsteuer höher ausfalle als der Durchschnittssatz, sei nicht unbegründet.

Worum geht es?

Um für kleinere Betriebe den bürokratischen Aufwand klein zu halten, dürfen Landwirte pauschalieren, das heißt: Sie erhalten von ihren Abnehmern aktuell 9 % Umsatzsteuer auf ihre Verkaufserlöse, dürfen diesen Betrag behalten bzw. müssen ihn nicht ans Finanzamt abführen. Deshalb sind Pauschalierer auch nicht verpflichtet, eine Umsatzsteuererklärung zu erstellen. Im Gegenzug erstattet das Finanzamt ihnen aber nicht die selbst gezahlte Umsatzsteuer für den Kauf von Futtermitteln, Dünger, Pflanzenschutzmitteln, Maschinen usw. Das Ganze soll für Staat und Bauer als Nullsummenspiel ausgehen.

Jahrelang lag der Pauschalierungssatz bei 10,7 %. Die EU-Kommission hatte Deutschland allerdings verklagt, weil sie Deutschland unterstellte, dass zu viele Betriebe pauschalieren dürften. Die Regelung sei nur für kleine Betriebe gedacht. Und in einem zweiten Verfahren ging es um den Vorwurf, dass der Pauschalierungssatz zu hoch angesetzt sei. Daher musste Deutschland die Vorgaben anpassen: Seitdem dürfen nur Betriebe mit einem Nettoumsatz von maximal 600.000 €/Kalenderjahr pauschalieren. Außerdem prüft die Regierung jedes Jahr aufs Neue den Pauschalierungssatz und passt diesen ggf. an die aktuellen Bedingungen an.

Was ist aktuell geplant?

Die Bundesregierung schlägt vor, den Pauschalierungssatz auf 8,4 % zu senken. Das geht aus dem Wachstumschancengesetz hervor, über das aktuell im Bundestag und -rat abgestimmt wird.

Wie wird der Satz berechnet?

Zuständig für die Berechnungen sind das Bundeslandwirtschafts- und Bundesfinanzministerium. Das Bundesfinanzministerium schreibt dazu sinngemäß in einer Stellungnahme gegenüber top agrar: Die aktuelle Berechnungsmethode beruht auf den Empfehlungen des Bundesrechnungshofes und den Vorgaben der Europäischen Kommission. In die Berechnung fließen die Daten der vergangenen drei Jahre ein.

Für die Berechnung habe man sämtliche Umsätze und die Vorsteuer der Landwirtschaft aus der Landwirtschaftliche Gesamtrechnung herangezogen. Darin enthalten seien die Umsätze der regelbesteuernden Landwirte, der Pauschallandwirte und der gewerblichen Lohnunternehmer, die landwirtschaftliche Dienstleistungen anbieten. Von diesen Beträgen würden dann in einem ersten Schritt die Umsätze und die Vorsteuer der regelbesteuernden Landwirte und der gewerblichen Lohnunternehmer abgezogen. Unterm Strich blieben die Umsätze bzw. die Vorsteuer der Pauschallandwirte stehen. In einem letzten Schritt teilt das BMF die Vorsteuer durch die Umsätze. Das Ergebnis entspricht dann der Vorsteuerpauschale in Prozent.

Warum soll der Wert sinken?

Aus Sicht des Bundesfinanzministeriums liegt dies vor allem an dem vergleichsweise hohen Wert aus dem Jahr 2018, der nicht mehr im aktuellen Dreijahresdurchschnitt zum Tragen kommt. Obwohl der rein rechnerische Wert für 2021 mit 9,3 % gegenüber 2020 und 2019 angestiegen ist, führt dies zu einem Rückgang des Dreijahresdurchschnitts (Übersicht).

Gibt es an dem Verfahren Kritik?

Der Deutsche Bauernverband kritisiert die Berechnungsmethode. Der Satz von 8,4 % leite sich aus einer historischen Datengrundlage ab, die entgegen der EU-Systemrichtlinie, nicht den Kreis derjenigen Betriebe abbilde, die Zugang zur Pauschalierungsregelung hätten. Damit spielt der DBV auf die Tatsache an, dass seit 2022 nur Betriebe pauschalieren dürfen, deren Nettoumsatz die 600.000-Euro-Marke pro Kalenderjahr nicht überschreitet. In den Berechnungen sind hingegen die Daten aus den drei zurückliegenden Jahren enthalten, also sind immer noch rund 10.000 Betriebe enthalten, die früher pauschalieren durften, jetzt aber ausgeschlossen sind. Dies führt laut DBV zu Ergebnissen, die dem eigentlichen Anspruch an das Berechnungsverfahren nicht gerecht werden. Aus Sicht des DBV liegt sogar ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Besteuerung vor. Der DBV fordert zudem: Da mit dem geplanten Gesetz die Grenze für die Berechnung der Umsatzsteuer nach vereinbarten Entgelten aus Gründen der Bürokratieerleichterung von 600.000 auf 800.000 € angehoben werden soll, müsse auch der Grenzwert für die Pauschalierung bei 800.000 € liegen.

Wie positionieren sich die Bundestagsparteien dazu?

Wir haben die Bundestagsparteien um eine schriftliche Stellungnahme gebeten. Hier eine Zusammenfassung der Antworten:

Bündnis 90/Die Grüne:Renate Künast von Bündnis 90/Die Grüne verweist auf das Vertragsverletzungs- und Beihilfeverfahren der EU, weshalb Deutschland keine andere Wahl habe, als den Satz regelmäßig anzupassen. Zudem habe der Bundesrechnungshof bereits beim Bundesfinanzministerium die notwendige Absenkung des Durchschnittssatzes von 8,4 % angemahnt. „Um in Einklang mit den EU-Vorgaben zu handeln und die Vereinfachungsregelung umzusetzen, erscheint mir die vorgeschlagene Anpassung sinnvoll. Insbesondere, um viel weitreichendere negative Folgen z.B. im Falle einer Wiederaufnahme des Beihilfeverfahrens für die Landwirt*innen abzuwenden“, so Künast gegenüber top agrar.Sie kann die Kritik an den Plänen der Ampelkoalition nicht teilen. „Die vorgesehene jährliche Anpassung der Vorsteuerpauschale wird entsprechend der europäischen Vorgaben ermittelt“, schreibt sie in ihrer Stellungnahme. Daran habe es bislang von Seiten der EU-Kommission als auch vom Bundesrechnungshofes keine Kritik gegeben.Die Pauschalierung sei vor allem für kleinere Betriebe gedacht, um diesen den Aufwand durch die Umsatzsteuererklärung zu ersparen. „Insbesondere vor dem Hintergrund des EU-Beihilfeverfahrens und der drohenden Gefahr, dass dieses bei Änderungen an der Pauschalversteuerung wieder aufgegriffen werden kann, erscheint es uns nicht sinnvoll, hier gegenwärtig eine Anhebung der Grenzwerte umzusetzen. Zumal die Schwellenwerte in anderen Ländern kleiner sind“, so Künast weiter.

CDU/CSU:Hans-Jürgen Thies von CDU/CSU kritisiert, dass nicht nur pausschlierende Landwirte in den Berechnungen berücksichtigt wurden. „Die errechnete Vorsteuerpauschale von 8,4 % unterstützen wir daher nicht und fordern eine Anpassung bzw. Aussetzung“, schreibt Thies. Grundsätzlich verstehe und unterstütze man als CDU/CSU-Bundestagsfraktion jegliche Kritikpunkte des DBV. Man werde sich im parlamentarischen Verfahren entsprechend positionieren. „Hier sind uns als Oppositionsfraktion jedoch Grenzen gesetzt“, fügt Thies hinzu. „Gleichzeitig erkennen wir aber die weiteren geplanten steuerlichen Vorteile und Investitionsprämien des Wachstumschancengesetztes, die auch für die Landwirtschaft von Bedeutung sein werden.“ Thies teilt auch die Forderung des DBV, mit der Erhöhung der Buchführungsgrenzen, die Schwelle für die Pauschalierung auf 800.000 € Umsatz anzuheben.

SPD:Susanne Mittag von der SPD vertritt folgende Position: „Die Berechnungen haben dieselbe Grundlage wie bei den Anpassungen des Durchschnittssatzes in den Jahren 2021 und 2022 und erfüllen die Vorgaben, die der Bundesrechnungshof und die EU-Kommission an die Bundesregierung gestellt haben. Kritik an der Berechnungsmethode sei auch in der Vergangenheit geäußert worden und konnte von den Ministerien in den Gesetzesberatungen jeweils entkräftet werden. Sie weist zudem darauf hin: Nach der unionsrechtlichen Grundlage in der sogenannten Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie können die EU-Mitgliedstaaten den Pauschalsatz auf einen halben Punkt auf- oder abrunden, es bestehe jedoch keine Verpflichtung dazu. Das deutsche Umsatzsteuergesetz sieht einen Durchschnittssatz vor, der auf eine Nachkommastelle gerundet wird. „Daran halten wir fest“, schreibt Mittag. Sie gibt zu bedenken, dass die jährliche Anpassung des Durchschnittssatzes und die Umsatzgrenze von 600.000 € darauf zurückgehen, dass die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren und ein Beihilfeverfahren gegen Deutschland wegen der alten Rechtslage eingeleitet hatte. „Diese Verfahren waren mit immensen finanziellen Risiken für die betroffenen Landwirte verbunden, sodass keine vernünftigen Alternativen zu dem Vorgehen bestehen.“

AFD: Für Stephan Protschka von der AFD ist die geplante Absenkung des Pauschalierungssatzes "nicht vermittelbar". Der agrarpolitische Sprecher seiner Partei betont, dass die Landwirte sich steuerpolitisch benachteiligt fühlen und das nicht ohne Grund. Selbst wenn der Pauschalierungssatz zu hoch sei, müssten die betroffenen Landwirte schließlich die ggf. zu hohen Einnahmen als Ertrag versteuern. Die AFD teilt daher im Großen und Ganzen die Kritik an der erneuten Absenkung des Vorsteuersatzes. Leider werde diese „Unschärfe“ erst 2026 aus den Berechnungen verschwinden. Denn die Berechnungen orientieren sich immer an drei zurückliegenden Jahren. In den aktuellen Berechnungen sind das 2019, 2020 und 2021. Damit seien Landwirte berücksichtigt worden, die gar nicht mehr pauschalieren würden, merkt Protschka an. Er weist zudem darauf hin, dass die Vorschriften es durchaus erlauben würden, ausschließlich Datensätze zur Bestimmung des Pauschalsatzes zu verwenden, die exklusiv von Pauschallandwirten stammen. „Insoweit würden wir auf jeden Fall an dieser Stelle nachbessern oder sogar bis zum 1.1.2026 komplett auf eine Anpassung verzichten. „Bis dahin könnte der Satz bei 9 % bleiben. Es ist nicht davon auszugehen, dass die EU in diesem kurzen Intervall ein neues Vertragsverletzungsverfahren anstrengt“, schreibt Protschka. Er wünscht sich zudem, dass steuerpolitische Entscheidungen generell, soweit sie von Berechnungen abhängen, von Externen noch einmal kontrolliert werden. Ob die Pauschalierungsgrenze von 600.000 auf 800.000 € angehoben werden könne, bezweifelt Protschka. Europarecht und nationales Recht dürften dieser Forderung entgegenstehen. Wenn es hingegen tatsächlich zu einer Erhöhung der Buchführungsgrenzen auf 800.000 € komme, dann wäre eine Anpassung in dieser Hinsicht gegebenenfalls zu rechtfertigen.

Die Linke:Ina Latendorf von "Die Linke": „Wir zweifeln ebenfalls an der Berechnungsgrundlage des BMF, da diese die vom Bauernverband angeführten Problematiken nicht zu würdigen scheint.“ Ihre Partei habe bereits in der Vergangenheit im Finanzausschuss kritisiert, dass die Berechnungsmethode nach wie vor Betriebe berücksichtigt, die nicht mehr pauschalieren dürfen. „Im Rahmen der Steuergerechtigkeit muss sichergestellt sein, dass nur die Vorsteuerbelastung der pauschalierenden Landwirte berücksichtigt wird, die diese anwenden können“, so Latendorf. Insofern unterstütze man die errechnete Vorsteuerpauschale nicht. Die Befürchtung, dass die Vorsteuer höher als der Durchschnittssatz ausfalle, sei nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Unabhängig davon werfe eine Umstellung des Pauschalierungssatzes im laufenden Wirtschaftsjahr erhebliche buchführungstechnische Probleme und Komplikationen auf. Eine Änderung des Pauschalierungssatzes solle daher wenn überhaupt zum Beginn des üblichen Wirtschaftsjahres, d.h. zum 1. Juli erfolgen.

FDP:Dr. Gero Hocker von der FDP teilt die Kritik an der erneuten Herabsetzung des Pauschalierungssatzes. In seiner Stellungnahme heißt es: „Wegen des angedrohten Vertragsverletzungsverfahrens seitens der EU-Kommission mussten in den vergangenen Jahren Anpassungen an der pauschalierten Besteuerung vorgenommen werden. Viele Betriebe sind seitdem bereits in die Regelbesteuerung übergegangen. Bevor weitere Absenkungen erfolgen, sollten Erkenntnisse der letzten Absenkung des Steuersatzes berücksichtigt werden.“ Hocker verweist aber auch auf den Zwang in einer Koalition mit mehreren Parteien, Kompromisse einzugehen. „Die Beratungen des Wachstumschancengesetzes im Bundestag haben gerade begonnen. Wir werden unsere Kritik an der erneuten Herabsetzung des Pauschalierungssatzes im parlamentarischen Verfahren einbringen“, fügt Hocker hinzu.

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