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topplus Auf und Ab in der Biogbranche

Flexible Biogasanlagen: Was bleibt vom Krisenjahr 2022?

Auch wenn die Politik die Biogas-Branche stark verunsichert hat: Flexible Biogasanlagen werden künftig noch stärker gebraucht.

Lesezeit: 10 Minuten

Als „krassestes Jahr,“ an das er sich erinnern könne, bezeichnet der Präsident des Fachverbandes Biogas, Horst Seide, das zurückliegende Jahr 2022.

In der Tat gab es außergewöhnliche Hochs und extreme Tiefs für die Biogasbranche. So hat es die Technik wegen der Gasmangellage sehr häufig in die Medien geschafft – bis hin zu wohlwollenden Fernsehbeiträgen zu besten Sendezeiten. „Der Ruf nach verlässlichem, bezahlbarem, regionalem Gas wurde laut – und viele Biogas-­Anlagenbetreiber und Firmen fühlten sich berufen, in der Not zu helfen“, blickt der Fachverband Biogas zurück.

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Gespräche mit den Arabern statt mit den Landwirten

Doch das Bundeswirtschaftsministerium suchte zur Lösung des Problems Gespräche mit Saudi-Arabien und Katar statt mit deutschen Landwirten, die eine spontane Steigerung ihrer Gaserzeugung um 20 % versprachen – ohne zusätzliche bauliche Maßnahmen. Eine Reaktion aus dem Wirtschaftsministerium blieb lange aus; erst spät wurde die Höchstbemessungsleistung über eine Novelle des „Energiesicherungsgesetzes“ ausgesetzt und der Güllebonus flexibilisiert, um kurzfristig mehr Gasproduktion zu ermöglichen.

Und auch im Osterpaket der Ampelkoalition fand Biogas wenig Beachtung – mit dem Verweis auf die bevorstehende Biomasse-Strategie. „Es ist für uns nicht zu verstehen, warum sich das Wirtschaftsministerium in der aktuellen Situation noch immer so schwer mit Biogas tut“, sagt Seide.

Vor allem, da die Biogasanlagen dazu beigetragen haben, dass der Strompreis in der angespannten Lage nicht noch stärker gestiegen ist. „Die Betreiber flexibilisierter Anlagen konnten erstmals ohne EEG-Vergütung ihren Strom an der Börse verkaufen und haben trotzdem noch den Börsenstrompreis gesenkt, der ansonsten von den noch viel teureren Gaskraftwerken bestimmt worden wäre“, erklärt Seide.

Zur Mitte des Jahres wähnte man sich auf einem guten und zukunftsträchtigen Weg, die Bedeutung des Energieträgers schien wahrgenommen zu werden. Viele Betreiber reinvestierten ihre Mehrerlöse in neue Speichertechnik und Motoren, um für die Zukunft gewappnet zu sein.

Hinzu kam das große Interesse an Biogaswärme. „Viele Menschen machten sich Sorgen um ihre Wärmeversorgung und suchten den Kontakt zur benachbarten Biogasanlage, um an das Wärmenetz angeschlossen zu werden“, sagt der Verbandspräsident.

Aufregerthema Erlösabschöpfung

Einen Rückschlag erlebte die Branche dagegen mit der geplanten Erlösabschöpfung, mit der die Bundesregierung die Energiepreisbremse für die Bevölkerung finanzieren will: Lange Zeit sah es so aus, dass die meisten Biogasanlagen ihre Erlöse oberhalb von etwa 25 ct/kWh abgeben müssen. Betroffen waren alle Anlagen mit mehr als 1 MW installierter Leistung. Das hätte vor allem flexible Biogasanlagen stark getroffen.

Mit großer Erleichterung haben die meisten Biogasanlagenbetreiber daher den Beschluss des Bundestages zur Strompreisbremse zur Kenntnis genommen: Die Abschöpfung von Strommarkterlösen erfolgt erst ab 1 MW Bemessungsleistung. Zur Berechnung der Bemessungsleistung wird die erzeugte Strommenge durch die Jahresstunden (8.760) geteilt. Im Maximum können Betreiber also 8.760 Megawattstunden (MWh) erzeugen, ohne abgeschöpft zu werden.

Die Bemessungsleistung wäre in diesem Fall: 8.760 MWh geteilt durch 8.760 h = 1 MW. Das kommt gerade den flexiblen Biogasanlagen zugute. Denn viele Biogasanlagen produzieren nicht mehr rund um die Uhr, sondern nur noch in der Zeit, in der Strom gefragt und teuer ist. Damit haben sie mehr Leistung installiert, produzieren aber nicht mehr rund um die Uhr.

Zudem gibt es einen erhöhten Sicherheitszuschlag von 9 Cent pro Kilowattstunde für Biogasanlagen. Das bedeutet: Bei einer Abschöpfung wird die jeweilige EEG-Vergütung als Basis genommen und 9 ct hinzuaddiert. Erhält eine Anlage beispielsweise nach EEG 20 ct/kWh, werden Erlöse erst oberhalb von 29 ct/kWh abgeschöpft. Damit will die Bundesregierung bei Anlagen mit einer Leistung oberhalb der Bagatellgrenze die jüngste Steigerung der variablen und fixen Betriebskosten kompensieren.

„Über 95 % der Anlagen werden aufgrund der Bagatellregelung von der Abschöpfung ausgenommen“, resümiert Dr. Stefan Rauh, Geschäftsführer im Fachverband Biogas. Laut Deutschem Biomasseforschungszentrum (DBFZ) sind jetzt von der Abschöpfung nur noch 188 Anlagen betroffen.

Erlösabschöpfung mit Fehler

Der Fachverband Biogas sieht aber einen prinzipiellen Fehler in der Regelung, mit möglicherweise erheblichen Auswirkungen auf die Branche und damit auch auf den Strommarkt: Der Gesetzgeber stellt bei der Abschöpfung auf den stundenscharfen Spotmarkterlös ab. Die Branche hatte dagegen gefordert, dass der Monatsmittelwert als Basis genommen wird. „Jetzt werden auch Erlöse abgeschöpft, für die der Betreiber in BHKW-Leistung, Gasspeicher und Wärmepuffer investiert hat. Das sind weder Gewinne, noch sind diese Zusatzerlöse zufällig entstanden“, kritisiert Uwe Welteke-Fabricius, Sprecher des Netzwerks.

Zur Finanzierung der Investitionen in die flexible Leistung gab es zwar in der Vergangenheit die Flexibilitätsprämie. Auch wer diese bereits genutzt hatte, hat für den anspruchsvollen Fahrplanbetrieb mit den höheren Erlösen aus dem Strommarkt kalkuliert – die im Sommer 2022 erstmals eintrafen. Teilweise gab es tageszeitliche Schwankungen des Strompreises von 30 ct/kWh.

Strompreisbremse: Kein Anreiz mehr zum Flexbetrieb von Biogasanlagen

Mit dem Gesetz zur Strompreisbremse fällt bei den betroffenen großen Biogasanlagen der Anreiz weg, Spitzenlaststrom zu liefern. Denn wer bedarfsgerecht einspeist, wie es die Politik jahrelang gefordert hatte, verliert sogar Geld. Aktuell funktionierende flexible Anlagen gehen zurück in den Dauerbetrieb, weil dann die Abschöpfung je kWh erheblich geringer ist als bei Spitzenlasterzeugung. Dazu gehört Christoph Heitmann von Benas Biogas aus Vorwerk (Niedersachsen), der seit 1. Dezember wieder im Dauerbetrieb einspeist, weil er sich Verluste aus dem Flexbetrieb nicht leisten kann.

„Es lässt sich weder politisch noch fachlich erklären, warum das Gesetz nicht auf den Monatsmittelwert abhebt. Das ganze Gesetzgebungsverfahren hinterlässt den fahlen Beigeschmack, dass das Bundeswirtschaftsministerium Biogas nicht zur Deckung der Residuallast will“, meint Martin Lass, Biogasanlagenbetreiber und Entwickler von Speicherkraftwerken aus Schleswig-Holstein. Passend dazu habe die Bundesnetzagentur jetzt die Höchstwerte bei der Ausschreibung von neuen Wind- und Solarparks erhöht, dafür aber nicht für neue Biogasanlagen. „Dabei sind Biogasanlagen wesentlich stärker von der Inflation und den Kostensteigerungen betroffen als die Windenergie oder die Photovoltaik“, kritisiert er.

Energie-Sicherungsgesetz: Drosselung statt Ausweitung der Biogasproduktion

Auch die im Energie-Sicherungsgesetz (EnSiG) im Herbst 2022 angeregte Aussetzung der Höchstbemessungsleistung ist jetzt unwirtschaftlich geworden, wenn man damit über 1 MW mittlere Einspeisung hinauskommt. Betreiber, die knapp darüber liegen, drosseln sogar ihre Fütterung, um der Abschöpfung zu entgehen“, rechnet Welteke-Fabricius vor. Die eigentlich sinnvolle Steigerung würde auf diese Weise bestraft statt belohnt.

Da die höheren Erlöse im Jahr 2022 einiges abfangen konnten, wird sich nach Ansicht von Welteke-Fabricius der Kostenanstieg erst im Jahr 2023 richtig auswirken, wenn die mittleren Stromerlöse nicht wieder die diesjährige Höhe erreichen. Denn viele Betreiber haben 2022 ihre Substrate deutlich teurer bezahlen müssen.

Dazu kommen höhere Betriebskosten. Neben einer massiven Inflation von über 10 % haben Anlagenbetreiber künftig auch mit weiteren Kostensteigerungen wie Pachten usw. zu kämpfen. „Die EEG-Vergütung reicht bei Anlagen ohne Wärmeverkauf oder Fahrplanbetrieb dafür nicht mehr aus. Nur mit Zusatzerlösen aus dem Strom- und Wärmeverkauf oberhalb von 10 ct je kWh (thermisch) können Biogasanlagen diese gestiegenen Kosten decken. Ohne sie werden spätestens ab 2024 viele Anlagen auch ohne Erlösabschöpfung unwirtschaftlich“, warnt er.

Alternative: Umrüstung zur Speicherkraftwerk

„Die Umrüstung auf Biomethanproduktion und Gaseinspeisung ist zwar eine Alternative, kommt aber nur für 25 % der Anlagen infrage“, dämpft er übertriebene Erwartungen in diesem Bereich. Damit es auch genügend Neuanlagen gibt, fordert die Biogasbranche eine Anhebung der Höchstgebotswerte bei den Ausschreibungen – analog zu der Anhebung um 25 % für Wind- und Solarparks.

Für Mehrerlöse als Antwort auf die gestiegenen Kosten raten die Flexperten zur Umrüstung zu einem Speicherkraftwerk. Dafür entscheidend ist die Frage, ob es in bis zu 10 km Umkreis eine Ortschaft gibt, die mit einem Wärmenetz versorgt werden möchte. Wenn ja, ist eine Gasleitung dorthin und der Bau eines Speicherkraftwerks die effizientere Lösung und wird durch das EEG 2023 und die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) attraktiv gefördert.

Bedarf für Biogas bleibt groß

Wie wichtig die Bioenergie für das Gelingen der Energiewende ist, haben einige Tage im Dezember gezeigt, an denen Biogas hinter Kohle und Atom der drittstärkste Energieerzeuger war – „Und dass wir aus Kohle und Atomkraft so schnell wie möglich rauswollen, ist ja unbestritten“, ergänzt Seide.

Das Jahr 2023 habe trotz oder auch gerade wegen der vielen Aufs und Abs für die Branche einen großen Imagegewinn gebracht, was sich in der jährlichen Umfrage der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) widerspiegelt: Die Zahl der Menschen, die eine Biogasanlage in ihrer Nachbarschaft begrüßen würden, ist um 12 Prozentpunkte gestiegen – was sicherlich auch mit der Biogaswärme zu tun hat, vermutet der Fachverbandspräsident.

Und der Strompreis wird hoch bleiben. Da wegen des Kohle- und Atomausstiegs künftig mehr Gaskraftwerke die Versorgung sicherstellen müssen, wird der Gaspreis entscheidend für die Strompreise werden. „Wir rechnen ab 2025 zwar wieder mit Gaspreisen von unter 10 ct/kWh“, sagt Welteke-Fabricius. Aber das ist immer noch das Dreifache der Preise aus der Zeit vor dem Ukrainekrieg.

Allein der Umstieg von Erdgas aus Pipelines auf Flüssigerdgas in Form von LNG wird dauerhaft für höhere Gaspreise sorgen. Denn Gewinnung, Verflüssigung, Transport und Rückumwandlung in Gas macht den Rohstoff mindestens doppelt so teuer wie russisches Erdgas. Der Strompreis lässt sich aus dem Gaspreis heraus überschlägig mit dem Faktor 2,5 errechnen: 10 ct/kWh Gaspreis bedeutet also 25 ct/kWh Strom. „Wenn flexible Biogas-Speicherkraftwerke diese fossilen Gaspreise bekommen, ist der Erlös höher als die EEG-Vergütung“, sagt er.

Strombedarf in Deutschland steigt

Neben dem Gaspreis gibt es weitere Anzeichen, die für steigende Strompreise und einen zunehmenden Bedarf von flexiblen Biogasanlagen als Speicherkraftwerke sprechen:

  • Der angestrebte Umstieg der Wärmeversorgung auf Basis von Wärmepumpen wird den Strombedarf massiv erhöhen – vor allem bei älteren Häusern.
  • Gerade im Süden gibt es zu wenig Windenergie. „Die Länder haben vor allem auf Solarenergie gesetzt, die im Winter beim steigenden Bedarf durch Wärmepumpen zu wenig Strom liefern. Bis hier ausreichend Windenergieanlagen gebaut sind, werden viele Jahre vergehen“, erwartet Prof. Walter Stinner, Biogasexperte vom DBFZ.
  • Für weiteren Strombedarf wird die zunehmende Zahl an Elektroautos sorgen. „Vor allem die Schnellladestationen sind eine große Herausforderung für die Stromnetze. Darum wird der Bedarf an regionaler, bedarfsgerechter Stromerzeugung zunehmen“, sagt er.
  • Die geplante Verdopplung der Windenergieleistung und die Vervierfachung beim Solarstrom wird dafür sorgen, dass es an vielen Stunden im Jahr zu viel, aber auch zu wenig Strom im Netz gibt. Den Bedarf könnten stark flexibilisierte Biogasanlagen decken. „Wir brauchen in Spitzenzeiten 80 GW Strom. Wenn die Biogasanlagen flexibel nur noch an 2.000 Stunden im Jahr produzieren, könnten wir die bestehende Leistung von 34 GW auf etwa 60 GW fast verdoppeln und diesen Bedarf zum großen Teil regenerativ decken“, rechnet Welteke-Fabricius vor.

„Viele Wissenschaftler vernachlässigen in Studien die Bioenergie und gehen stattdessen von Wasserstoff-Gasturbinen mit 30 bis 40 GW Leistung im Jahr 2040 bis 2050 aus. Dazu gehören z.B. die Langfristszenarien des BMWK. Aber unsere Strommarktstudie zeigt, dass wir nur mit der Flexibilität der vorhandenen Bioenergie in der Lage sind, vollständig auf H2-Gasturbinen und deren Infrastruktur zu verzichten“, erklärt Dr. Matthias Stark, der den Fachbereich „Erneuerbare Energiesysteme“ beim Bundesverband Erneuerbare Energie leitet. Seiner Meinung nach besitzt Bioenergie also eine zentrale Rolle im Stromsektor, weil grüner Wasserstoff noch lange nicht in ausreichender Menge und zu mit Biogas vergleichbaren Preisen verfügbar sein wird.

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