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Debatte

Verzicht auf Biokraftstoffe ist eine Sackgasse

Der Krieg in der Ukraine hat eine neue Teller-oder-Tank-Debatte um Rohstoffe für Biokraftstoffe ausgelöst. Das Bundesumweltministerium will ganz auf diese Option verzichten.

Lesezeit: 9 Minuten

Bis 2045 soll Deutschland „klimaneutral“ sein. Das bedeutet: Netto keine CO2-Emissionen mehr.

Im Strombereich will die Bundesregierung dazu die Kohlekraftwerke ab 2030 abschalten, bei der Wärme soll es keine neuen Öl- und Gasheizungen mehr geben. Und im Verkehr? Hier diskutieren die Bundesministerien für Umwelt und Landwirtschaft auch über den Ausstieg – allerdings von Biokraftstoffen.

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„Pflanzen gehören auf den Teller, nicht in den Tank. Deshalb sind Agrokraftstoffe aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen keine zukunftsfähige Option“, sagte Bundesumweltministerin Steffi Lemke auf dem Agrarkongress ihres Ministeriums im Januar 2023. Ihr Plan: Der Anteil von Biokraftstoffen am Kraftstoffmix soll schrittweise bis 2030 von der heutigen Höchstgrenze von 4,4 % am Endenergieverbrauch im Straßen- und Schienenverkehr auf 0 % abgesenkt werden.

„In der Tat ist es skurril, dass wir nicht darüber sprechen, wie wir im Kraftstoffmix 93 % Benzin oder Diesel ersetzen, sondern allen Ernstes nur über den Ausstieg aus der heute bedeutendsten Alternative“, sagt Elmar Baumann, Geschäftsführer des Verbandes der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB).

Das Sorgenkind Verkehr

Der Verkehr bleibt das klimapolitische Sorgenkind der Bundesregierung: Zum zweiten Mal in Folge hat der Sektor 2022 die im Bundeskli­maschutzgesetz festgesetzten Ziele verfehlt. Die Emissionen lagen um knapp 9 Mio. t CO2 über der gesetzlich erlaubten Emissionshöchstmenge.

Grund: Der Anteil der fossilen Kraftstoffe liegt seit Jahren bei über 90 %. Vom Gesamtverbrauch von 653 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2022 deckten Biokraftstoffe wie Biodiesel, Bioethanol und Biomethan nur 40 TWh (6 %) ab. Strom für Elektrofahrzeuge kam mit 2,5 TWh gerade einmal auf einen Anteil von 0,3 %.

DUH: „Nur Scheinlösungen“

„Eine Verkehrswende, wie wir sie uns vorstellen, hat noch gar nicht begonnen. Im Jahr 2022 waren in Deutschland mehr Autos als je zuvor zugelassen“, erklärt Dr. Johanna Büchler, ­Expertin für Klimaschutz im Verkehr bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Zwar waren fast 18 % aller 2022 neu zugelassenen Pkw in Deutschland ­batterieelektrisch (471.000). „Aber die werden meist als Zweitwagen genutzt und verdrängen daher keine Verbrennungsmotoren. Wir haben zudem mehr übermotorisierte Geländewagen als je zuvor“, bemängelt sie.

Was die DUH kritisiert: „Scheinlösungen wie Agrokraftstoff oder auch E-Fuels sind hochgefährlich, denn sie lenken den öffentlichen Diskurs weg von wirksamen Klimaschutzmaßnahmen. Sie suggerieren, dass der Verbrennungsmotor klimaverträglich werden könnte, ohne dass sich wirklich etwas ändern muss. Das sind reine Illusionen.“

Umstrittene These

Bei der Bewertung der Klimawirkung von Biokraftstoffen stützt sich die DUH – genauso wie das Bundesumweltministerium – auf die These, dass zum Anbau der Rohstoffe für Bio­kraftstoffe Nahrungsmittelflächen belegt werden. „Weltweit werden auf 9,6 Mio. ha Soja, Raps, Getreide und Co. angebaut, um daraus Agrokraftstoff für die EU zu produzieren“, heißt es in einer Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung (ifeu).

Der zusätzliche Anbau für Biokraftstoffe verdränge bisherige Pflanzen auf noch nicht bewirtschafteten Flächen. Die dadurch entstehenden Emissionen sollen Biokraftstoffen angerechnet werden, so die Theorie von den indirekten Landnutzungsänderungen (iLUC). Doch die These ist seit Jahren umstritten. Inzwischen schreibt selbst das ­Umweltbundesamt in der „Emissionsbilanz Erneuerbarer Energieträger 2021“: „Die Effekte indirekter Landnutzungsänderungen können bei der Berechnung der Treibhausgasemissionen nicht berücksichtigt werden, da es derzeit keine einheitlich anerkannte Methode dafür gibt.“ Ähnlich sieht es der Weltklimarat (IPCC).

Dazu kommt: Die Kritik an Biokraftstoffen steht in keinem Verhältnis zu der Fläche, die weltweit für den Rohstoffanbau genutzt wird. So wurden im Jahr 2021 nach Angaben der Union zur Förderung von Öl- und Proteinpflanzen (UFOP) weltweit auf ca. 1,4 Mrd. ha Kulturpflanzen wie Getreide, Ölsaaten, Eiweiß-, Zucker- und Faserpflanzen, Obst, Gemüse, Nüsse u. a. angebaut. Davon wurde das meiste direkt oder indirekt über die Verfütterung an Nutztiere zur Ernährung eingesetzt. Nur rund 8 % der Anbaufläche dienten weltweit der Lieferung von Rohstoffen für die Biokraftstoffproduktion.

Zudem müssen Rohstoffe für Biokraftstoffe – im Gegensatz zu allen anderen Agrarprodukten – strenge Nachhaltigkeitskriterien erfüllen.

Nachweisbarer Klimaschutz

Anders als die DUH behauptet, tragen Biokraftstoffe sehr wohl zur Treibhausgaseinsparung bei: Jedes Jahr reduzieren sie – vom Umweltbundesamt bestätigt – die CO2-Emissionen im Verkehr um über 10 Mio. t, davon allein 7,5 Mio. t durch Biokraftstoffe, die auf Anbau­biomasse basieren.

„Ein Verzicht auf Biokraftstoffe würde das Ziel vereiteln, schnell den Verbrauch fossiler Energie im Straßenverkehr herunterzufahren“, argumentiert Baumann. Denn derzeit fahren auf deutschen Straßen rund 48,5 Mio. Pkw mit einem konventionellen Antrieb. Folglich werde es auch 2030 noch über 30 Mio. Autos mit Verbrennungsmotor geben, selbst wenn die Bundesregierung die Ziele für E-Mobilität erreicht. Hinzu kommen schwere Nutzfahrzeuge wie Lkw, Busse und landwirtschaftliche Fahrzeuge, die auf absehbare Zeit Verbrennungsmotoren nutzen werden.

„Selbst mit optimistischen Annahmen von 15 Mio. batterieelektrischen Fahrzeugen und 80 % erneuerbaren Energien im Strommix kann die Elek­tromobilität im Jahr 2030 nur knapp die Hälfte der nötigen Treibhausgaseinsparung schaffen“, sagt der Geschäftsführer. Und das auch nur mit künstlicher Mehrfachanrechnung: Jede durch Elektrofahrzeuge eingesparte Tonne CO2 zählt dreifach – eine industrie­politische Fördermaßnahme, die jedoch dem Klimaschutz nichts bringt.

Würden nur 1 Mio. weniger E-Fahrzeuge auf deutschen Straßen fahren, wären nach VDB-Berechnung 500.000 t Biokraftstoffe oder strombasierte Kraftstoffe zusätzlich nötig, um diese Lücke zu decken. Ähnliches gilt, wenn der Anteil der erneuerbaren Energien im Strommix 2030 nur 70 statt 80 % beträgt. Nach Berechnungen des Deutschen Biomasseforschungszentrums (DBFZ) würde ein Ausstieg aus konventionellen Biokraftstoffen bei gleichzeitiger Mehrfachanrechnung von Elektrofahrzeugen nur zu einem Anteil von 15 % erneu­erbaren Energien im Verkehrssektor führen. Das Klimaschutzziel im Verkehr würde in Summe um mindestens 118 Mio. t CO2 verfehlt.

„Rein auf ­wissenschaftlicher Basis kommt man schnell zu dem Schluss, dass wir in Deutschland erhebliche Mengen an erneuerbaren Kraftstoffen brauchen und dass die konventionellen Biokraftstoffe dafür unverzichtbar sind“, resümiert Dr. Franziska Müller-Langer, Biokraftstoffexpertin beim DBFZ.

Milliardenzahlungen drohen

Wenn Deutschland seine Klimaschutzziele verfehlt, verstößt es nicht nur gegen das Klimaschutzgesetz, sondern auch gegen die Lastenteilungsverordnung der EU (Effort Sharing Regulation, ESR). Das bedeutet: Deutschland müsste dann CO2-Zertifikate kaufen, um zumindest rechnerisch seine Klimaschutzbilanz einhalten zu können. „Bei Kosten von 50 bis 100 €/t CO2 wird das unserer Schätzung nach Kosten von 1,6 bis 3,2 Mrd. € jährlich verursachen“, warnt Baumann.

Übersicht 2: Energieverbrauch im Verkehr

Das könnte zu einer absurden Situation führen: Rapsverarbeitung und Biodieselherstellung könnten weiter in Deutschland stattfinden (auch wegen des Bedarfs an Rapsextraktionsschrot). Allerdings würden die produzierten Biodieselmengen und damit auch das CO2-Einsparpotenzial exportiert. „Es könnte passieren, dass Deutschland seinen Raps-Biodiesel nach Ungarn verkauft, sein Klimaziel aber nicht erfüllen kann und dann Emissionsrechte von Ungarn zukauft“, erklärt UFOP-Geschäftsführer Stephan Arens.

Für Versorgungssicherheit

Biokraftstoffe bieten auch Versorgungssicherheit. „Mit jeder Tonne Bioethanol beispielsweise wird gleichzeitig rund eine Tonne hochwertiges, eiweißreiches Futtermittel produziert“, betont ­Norbert Schindler, Vorsitzender des Bundesverbandes der deutschen Bioethanolwirtschaft (BDBe). Dadurch verringere Deutschland seine Importabhängigkeit von Futtermitteln aus Übersee und stärke gleichzeitig seine Er­nährungssicherheit.

Die heimische bzw. europäische Rapsproduktion für die Kraftstoffherstellung sichert zugleich die Versorgung mit gentechnisch unverändertem Rapsprotein für die Milchproduktion. Praktisch jedes Milchprodukt mit dem Siegel „Ohne Gentechnik“ signalisiert nach Aussage der UFOP, dass die Kühe mit nachhaltig zertifiziertem Rapsschrot aus der Biodieselproduktion gefüttert wurden.

Zudem werden Biokraftstoffe heute in der Regel in Multiproduktanlagen hergestellt. „Da fallen Koppelprodukte wie Futtermittel oder Glycerin für die Industrie an. Daher wäre es fahrlässig, nur das Endprodukt Biodiesel oder Bioethanol zu betrachten“, betont Müller-Langer.

Ersatz im Offroad-Bereich

Biodiesel & Co. können auch fossile Kraftstoffe ersetzen in den Bereichen, in denen der Elektroantrieb nicht möglich ist. „Das ist zum Beispiel beim See- und Luftverkehr der Fall, der aufgrund der Entfernungen, aber auch wegen des hohen Leistungsbedarfs auf flüssige Kraftstoffe angewiesen ist“, sagt Johannes Daum von der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW). Darüber hinaus gäbe es weiteren Bedarf wie die Land- oder Bauwirtschaft, die zumindest übergangsweise auf Flüssigkraftstoffe angewiesen sind. „Dazu kommt der Güterverkehr, der grenzüberschreitend angelegt ist. Daher darf Deutschland hier keinen Alleingang vollziehen, damit die Fahrer überall tanken können“, sagt Daum.

„Synthetische Kraftstoffe werden für die Landwirtschaft bis 2030 nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehen“, betont Prof. Peter Pickel, Leiter der Intelligent Solutions Group von John Deere in Kaiserslautern. Er sieht den Elektroantrieb nur im kleineren Leistungsbereich für Hoflader oder -schlepper, Methanantrieb für mittlere Leistungen bis 200 PS und das mittlerweile genormte und praxiserprobte Pflanzenöl für größere Maschinen als Lösung für Landmaschinen. „Der Energieinhalt im Kraftstoff ist wichtig, besonders bei Großmaschinen, damit man möglichst lange ohne Nachtanken arbeiten kann“, erklärt er.

Übersicht 3: Treibhausgas-Vermeidung

Auch andere Hersteller arbeiten an alternativen Kraftstoffen: Der Traktor T6.180 von New Holland mit Gas­motor und CNG-Behältern steht mittlerweile im Praxiseinsatz und es gibt erste unabhängige Testergebnisse. Daneben entwickeln Motoren- oder Landmaschinenhersteller Lösungen, um ­alternative Kraftstoffe wie Ethanol, ­Methanol, aufbereitetes Biogas oder Wasserstoff einsetzen zu können.

Für den Ackerbau wichtig

Auch aus ackerbaulicher Sicht sind ­Biokraftstoffe essenziell, wie ein Posi­tionspapier zur geplanten Absenkung der Kappungsgrenze für Biokraftstoffe zeigt, das zehn Bioenergieverbände ­einschließlich des Deutschen Bauernverbandes (DBV) unterzeichnet haben: „Das im Boden sehr tief gehende und verzweigte Wurzelsystem des Winterrapses verbessert die Nährstoffeffizienz und deren Verfügbarkeit für die Folgefrüchte, in der Regel Winterweizen.“ Der Anbau von Raps vermindere den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Herbiziden im Getreide. Er sei darüber hinaus essenziell für viele deutsche Imker und biete zugleich vielen anderen Insekten eine hervorragende Nahrungsgrundlage.

Der Weg zu mehr Biosprit

Deutschland exportierte im Jahr 2022 etwa 2,3 Mio. t Biodiesel, ein Potenzial, das hierzulande eingesetzt und auf die Klimaschutzziele angerechnet werden sollte, betont die UFOP. Mit der Zulassung von B10 (also bis zu 10 % Bei­mischung von Biodiesel zum fossilen Diesel) statt B7, der Festlegung von E10 (bis zu 10 % Ethanol im Benzin) anstelle von E5 als Schutzsorte und der Einführung von E20 könnte sofort klimaschutzwirksam mehr Biokraftstoff beigemischt werden.

Inzwischen ist die massive Kritik auch in der Bundesregierung angekommen. Die Absenkung der Kappungsgrenze war bei den Gesprächen im ­Koalitionsausschuss Ende März kein Thema. Ob sich das Bundesumwelt­ministerium davon beeindrucken lässt, ist aber unsicher. Daher schwebt das Damoklesschwert der Kappungsgrenze weiter über der Branche.

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