In den vergangenen Wochen machten Meldungen die Runde, wonach der in diesem Jahr eingesetzte Bürgerrat für Ernährung doch nicht so neutral geführt werde wie im Vorfeld von den Verantwortlichen beteuert worden war. Ein Mitglied des zufällig ausgewählten Bürger-Gremiums hatte den Rat deshalb im Zorn verlassen und dabei nicht mit Kritik gespart.
Für den Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbandes, Christoph Minhoff, bestätigen die nun bekannt gewordenen mutmaßlichen Vorfälle seine früheren Befürchtungen, was die Konzeption und die erwartbaren Ergebnisse des Bürgerrates angeht. Für top agrar hat er seine Kritik in einem Gastkommentar zusammengefasst:
Hexenküche zivilgesellschaftlicher Machtphantasien
Es wäre etwas weniger ärgerlich, wenn es nicht so erwartbar gewesen wäre! Der sogenannte „Bürgerrat“, ein verkopftes Produkt aus der ideologischen Hexenküche zivilgesellschaftlicher Machtphantasien, entlarvt sich gerade selbst als plumpes Manipulationsinstrument. Die Illusion, dass 160 Menschen, die „zufällig“ ausgesucht wurden, unter der Obhut befangener „Experten“ repräsentative Entscheidungen zu Fachthemen treffen können, fliegt nämlich gerade auf.
Ein Bürger hat sich aus dem Bürgerrat zurückgezogen und begründete den Schritt mit wenig demokratischen Prozessen, einseitigen Themensetzungen und ideologischen Experten. Da firmieren etwa grüne Parteigänger als „neutrale“ Instanzen, da kommen Experten aus dem Umfeld der „Letzten Generation“, da werden gezielt öko-bourgeoise Themen vorgegeben und biodynamische Esoteriklösungen angeboten. Kritische Stimmen dagegen – Fehlanzeige.
Politische und gesellschaftliche Fehleinschätzungen
Eine ganze Latte von politischen und gesellschaftlichen Fehleinschätzungen liegt dem Konstrukt Bürgerrat zugrunde. Nein, 160 Auserwählte sind nicht schlauer als 60 Millionen Wahlberechtigte!
Nein, 160 Auserwählte sind nicht schlauer als 60 Millionen Wahlberechtigte!
Fachpolitiker sind nicht dümmer als Otto-Normalverbraucher. Repräsentative Demokratie ist nicht uneffektiv, dafür Manipulationsresistenter! Politikverdrossenheit entsteht nicht durch unnahbare Politiker, sondern durch Elfenbeinturmpolitik. Es setzt sich auch nicht das bessere Argument durch, wenn vorherbestimmt wird, was richtig und falsch ist. Und: aktivistische Wissenschaft ersetzt nicht Wunsch und Wirklichkeit der Verbraucher.
Es drohen „Wünsch-dir-was-Entscheidungen“
Komplexe Themen wie Sicherheit, Verfügbarkeit, Ausgewogenheit, Klimarelevanz, Geschmack, Preissetzung und Vielfalt von Ernährung benötigen breite Fach- und Sachkenntnisse, kritische Diskussionen sowie Erfahrungen und Lösungskompetenzen gerade aus den Bereichen der Land- und Lebensmittelwirtschaft. Fehlt die Fachkompetenz bei der Diskussion zu den oben genannten Themen, führt dies unweigerlich zu Wünsch-dir-was-Entscheidungen mit Empfehlungen ohne jeden Wert für Verbraucher und Lebensmittelproduzenten.
Schon immer habe ich mich gefragt, warum all die ernährungspolitischen Besserwisser nicht selbst Produktentwickler werden, Lebensmittel herstellen und auf den Markt bringen, wenn doch der Wille der Verbraucher so klar, so eindeutig, so unerschütterlich ist. Den Verbraucher, den sich meist ökologisch-anthroposophische Aktivsten wünschen, gibt es nur als verschwindend kleine Minderheit. Die Lebensmittelwirtschaft muss aber auch für den Massenmarkt produzieren, um alle Bedürfnisse zu bedienen, etwa für Menschen, die Ernährung auch als Genuss begreifen, als höchst private Entscheidung über Geschmack und Vielfalt.
Bürgerräte verengen und erweitern nicht politische Prozesse.
Bürgerräte verengen und erweitern nicht politische Prozesse. Sie sollen denen, die sie moralisch überhöht ins Leben gerufen haben, lediglich als Alibi zur Durchsetzung ihrer ernährungspolitischen Ziele dienen und mit der unwahren Behauptung garniert werden, dass hier Volkes Wille manifest worden sei. Manifestiert hat sich aber lediglich: Die Ergebnisse der Bürgerrates Ernährung kann man getrost in der „Ablage P“ entsorgen."
Auch der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann, hat die Vorwürfe gegen den Bürgerrat registriert und zeigt sich gegenüber top agrar „alarmiert“. Er selbst hatte zwar durchaus den Eindruck, dass es im Bürgerrat konstruktiv und ausgewogen zugehen kann. Dennoch sieht Stegemann die Ampel-Fraktionen, die den Bürgerrat mit ihrer Mehrheit eingesetzt haben, jetzt in der Pflicht, den Beschwerden ernsthaft und sorgfältig nachzugehen. „Es darf nicht einmal der Anschein von Parteilichkeit bei den Moderatoren und Assistenten entstehen. Denn dann wäre das Vertrauen in den Diskussionsprozess und die Ergebnisse dahin“, warnt der CDU-Politiker.
(Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.)