Diskussionen um die Zukunft der Tierhaltung oder ein kommendes Glyphosatverbot: Beispiele für brisante Themen in der deutschen Landwirtschaft gibt es zur Genüge. Viele Forderungen, mit denen sich deutsche Landwirte konfrontiert sehen, sind bei ihren Schweizer Kollegen schon umgesetzt. In einem Umfeld von starker Regulierung und hoher Förderung haben viele ihre Nische gefunden. Daher lohnt ein Blick zu unserem Nachbarn im Süden. Ist das Gras an den Hängen der Alpen wirklich so viel grüner?
Kleinere Höfe
Zunächst etwas, das kaum überraschen dürfte: Die Schweiz ist klein und dazu noch bergig. Dementsprechend verfügen die knapp 50.000 Schweizer Betriebe nur über 1,04 Mio. ha (landwirtschaftliche) Nutzfläche. Davon sind 70 % Grünland. Zum Vergleich: Deutschland verfügt über gut 16,5 Mio. ha . Dementsprechend sind die Betriebe mit durchschnittlich 21 ha Fläche aber auch deutlich kleiner als in Deutschland (63 ha).
Auch die Tierzahlen pro Hof sind geringer. Ein durchschnittlicher Milchviehbetrieb hält 15 Kühe. In der Schweinehaltung gibt es sogar eine Obergrenze pro Betrieb von 1.500 Mastschweinen bzw. 200 Sauen. Die Durchschnittszahlen liegen mit 220 Mastschweinen bzw. 50 Sauen deutlich darunter.
Für die Betriebe in der Schweiz gelten dabei auch strengere Tierwohlvorgaben, so müssen Mastschweine mindestens 0,9 m² Fläche zur Verfügung haben und bei Sauen ist das freie Abferkeln Pflicht. Zwar sind die Schlachtschweinepreise für die Schweiz derzeit auch niedrig, mit umgerechnet ca. 3,60 €/kg Schlachtgewicht liegen sie dennoch deutlich über deutschem Niveau.
Auch das Kilogramm Milch wird mit ca. 70 Cent besser bezahlt. Viele Betriebe nehmen dazu an diversen Labels teil und erzielen darüber noch höhere Preise. In der Schweiz gibt es davon über 50. Eines der populärsten Label ist IP-Suisse. Es ist in etwa zwischen ökologisch und konventionell anzuordnen.
Das hohe Preisniveau ist dabei nur möglich, da sich die Schweiz rigoros vom Weltmarkt abschottet. Durch Zölle, sowie ein großzügiges Fördersystem können die Schweizer auch mit kleinen landwirtschaftlichen Strukturen gute Einkommen zu erzielen. Der Durchschnittsbetrieb hatte 2019 ein Einkommen von umgerechnet 72.000 €.
Kleine Strukturen, hohe Standards und trotzdem können Schweizer Landwirte von ihrer Arbeit leben. Stellt sie also ein Idealbild dar? Für nicht wenige Schweizer ist die Landwirtschaft immer noch zu konventionell. Denn die Debatten um Bewirtschaftungsmethoden und Haltungsbedingungen reißen nicht ab. Im vergangenen Jahr gab es Volksentscheide darüber, ob Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft eingeschränkt bzw. komplett verboten werden sollten.
Starker Zusammenhalt
Der Schweizer Bauernverband fuhr eine engagierte Kampagne und an fast jedem Hof fand man Plakate, die die Bevölkerung aufforderten, mit „Nein“ zu stimmen – mit Erfolg. Das Pestizidverbot wurde abgelehnt. Doch in diesem Jahr ist z. B. ein Entscheid über die Tierhaltung möglich. Die „Massentierhaltungsinitiative“ möchte die „großen industriellen Fleischfabriken“ verbieten. Das zeigt, dass der gesellschaftliche Druck auch bei höheren Standards bleibt. Das könnte auch in Deutschland passieren.
Der Blick über die Grenze zeigt: Die Schweizer Landwirtschaft ist nicht mit den deutschen Strukturen zu vergleichen. Deutschland ist Teil des Binnenmarktes in der EU, eine Abschottung ist da nicht möglich. Doch auch wenn sich die Strukturen nicht übertragen lassen, kann ein Detailblick Inspiration für innovative Ideen bieten. Denn die Schweizer beweisen Unternehmergeist. Das zeigen die folgenden Reportagen eindrucksvoll.
----
R E P O R T A G E 1
Aus der Schweiz in die Welt
Rohmilchkäse und Rindfleisch vermarkten: Aus der simplen Idee von zwei Freunden aus dem Schweizer Emmental ist ein Unternehmen mit weltweiter Kundschaft entstanden.
Wer einmal durch das Schweizer Emmental fährt, wird an den löchrigen Käse denken, der hier seinen Ursprung hat. Doch aus der Milch von Schweizer Kühen lässt sich weit mehr machen. Den Beweis dafür liefert die „Jumi“ AG. Landwirt und Gründer Jürg Wyss und sein Mitgründer Mike Glauser, gelernter Käser, verkaufen über 120 Sorten Schweizer Rohmilchkäse und Rindfleisch – ausschließlich von Bauern aus dem Emmental. Wyss und Glauser wollten besonders kleinen, viehhaltenden Betrieben in ihrer Region eine Perspektive bieten. Angefangen hat alles im Jahr 2006 mit dem Verkauf erster selbst kreierter, ausgefallener Käsesorten auf Schweizer Märkten. Heute beliefert die Vermarktungsgesellschaft Kunden weit über die Landesgrenzen hinaus bis in die USA und Tokio.
Jumi kooperiert mit knapp 80 Landwirten. „Die Betriebe halten alle zwischen 15 und 20 Stück Vieh“, so Jürg Wyss. Die Milch bringen die Bauern ein- bis zweimal täglich zur Käserei. Sie erhalten dafür einen vertraglich festgelegten Preis pro Kilogramm Milch, der rund 20 % über dem konventionellen Milchpreis liegt. Umgekehrt stellt die Gesellschaft Anforderungen an die Haltung: Pflicht sind etwa Weidegang im Sommer, Zugang zu einem Laufhof und möglichst nur Futter aus der Schweiz.
Wir wollen kleinen Schweizer Betrieben eine Perspektive bieten."
Neben Käse gehört auch Fleisch zum Angebot von Jumi. „Zusätzlich zum Käse wollten wir möglichst zartes und aromatisches Fleisch vermarkten, und stießen auf das Omoso-Rind“, sagt Jürg Wyss. So brachte der heute 42-Jährige die Rinder aus dem italienischen Piemont ins Emmental, wo seitdem 14 Betriebe die Rinder züchten. Auch ist hier die Abnahme vertraglich geregelt: Jumi zahlt etwa 20 % mehr als den Preis für konventionelles Rindfleisch. Die Haltungsvorgaben sind ähnlich wie beim Milchvieh. Eine regionale Metzgerei übernimmt die Schlachtung von etwa zwei Tieren pro Woche für das Unternehmen. Unter der Marke „Omoso“ verkauft Jumi seine Fleischprodukte, die ausgefallene Namen wie „Heiligä Peschä“ oder „Düre bi rot“ tragen. Die Preise dafür liegen im Onlineshop zwischen 30 und 55 €/kg.
Wenige Jahre nach Unternehmensgründung verabschiedeten sich Wyss und Glauser von Großhändlern und beliefern seitdem vor allem Feinkostläden, Gastronomen, Hotels und Direktvermarkter per Lieferservice. Europaweit zählt das Unternehmen 800 Abnehmer. Jumi beschäftigt rund 50 Angestellte. Gründe für den Erfolg mögen die ausgefallenen Sorten, die Kreativität in der Produktgestaltung und die Ansprüche an die Qualität sein.
---
R E P O R T A G E 2
Regionale Chancen
Agrarstudentin Anik Thaler vermarktet Humus aus Schweizer Kichererbsen. Sie setzt auf eine faire Kooperation mit Landwirten.
Beim Thema Regionalität machen wir keine Kompromisse“, sagt Agrarstudentin Anik Thaler. Die 23-Jährige Schweizerin ist die Gründerin des Start-up „fyn foods“. Sie vermarktet Hummus, ein Püree aus Kichererbsen, schweizweit in Feinkost- und Bioläden. Alle Rohstoffe für ihre Produkte bezieht sie von Schweizer Landwirten. Die unkonventionelle Idee für ihr Start-up kam der Studentin in einer Vorlesung an der Hochschule Zürich. „Auch wenn Kichererbsen hauptsächlich in subtropischen Gebieten vertreten sind, eignen sie sich für den heimischen Anbau.“ In der Schweiz gilt Kichererbsenpüree zudem als beliebte Beilage zu Brot und Vorspeisen.
Ein Prozent des Verkaufspreises fließen in eine Risikoversicherung für die Landwirte."
Für die Gründerin auch eine Sache aus Prinzip: Sie will Landwirten neue Chancen in der Vermarktung bieten und sie ermutigen, unbekannte Kulturen anzubauen. Einer der Partnerlandwirte von fyn foods ist Lukas Weidmann. Der Biolandwirt baut auf seinem Betrieb nahe Zürich auf rund 3,5 ha Kichererbsen für das Start-up an. „Ich bin sehr gespannt auf die diesjährige Ernte. Der Anbau ist generell nicht kompliziert. Aber da die Kichererbsen Feuchtigkeit nicht mögen, muss man den richtigen Erntezeitpunkt wählen, damit die Kultur nicht verfault“, sagt der 32-Jährige.
Die Abnahme der Kichererbsen ist vertraglich geregelt: Landwirt Weidmann erhält etwa 6 €/kg. Die Reinigung und Trocknung des Ernteguts übernimmt er, die Lagerung das Start-up. Der Landwirt plant mit Erntemengen von etwa 1 bis 1,5 t pro ha. Da der Anbau dennoch Risiken birgt, fließen für den Fall eines Totalausfalls 1 % des Verkaufspreises in eine Risikoversicherung für die Landwirte. Insgesamt kooperiert das Start-up mit drei Landwirten und verarbeitet rund 5 t Kichererbsen pro Jahr.
Um alle Zutaten regional beziehen zu können, hat Thaler die Hummus-Rezeptur leicht abgewandelt, quasi „eingeschweizert“. Sie kauft neben den Kichererbsen auch die übrigen Zutaten wie Knoblauch, Chili oder Meerrettich von Schweizer Betrieben. Den Hummus lässt sie von einem lokalen Verarbeiter produzieren.
Seit Gründung vor rund einem Jahr verkauft das junge, dreiköpfige Team monatlich etwa 600 Packungen Hummus. Trotz des erfolgreichen Starts ist die Etablierung auf dem Markt neben vielen großen Unternehmen eine Hürde. Eine Packung Hummus (150 g) kostet umgerechnet zwischen 6,30 und 6,95 €.
Langfristig will das Unternehmen den regionalen Anbau von Nischenkulturen weiter vorantreiben. „Wir könnten uns auch Produkte aus Ackerbohnen vorstellen“, sagt Anik Thaler.