Noch ist der 7 ha große Acker recht karg. Doch wenn alles nach Plan läuft, wachsen hier bald Sonnenblumen. Einige der umliegenden Felder sind für Hanf und Buchweizen eingeplant. Was erst mal unspektakulär klingt, hat einen besonderen Grund: Landwirt Christian Pülsch-Janßen baut im zweiten Jahr auf seinen Flächen im niedersächsischen Stinstedt Futter für Wildvögel an. Während der 37-Jährige auf seinem Betrieb im Landkreis Cuxhaven bisher auf Milchviehhaltung und Futterbau setzte, nutzt er mittlerweile 20 % seiner Flächen für den Wildvogelfutteranbau sowie für Naturschutzprojekte. Darauf deuten schon die Nistkästen, Steinbiotope, Blühstreifen und Infoschilder hin, die am Feldrand zu sehen sind.
Die Idee dafür hatte nicht er selbst, sondern Schüler aus ganz Deutschland. „Eine Schüler-Start-up-AG hat das Projekt Ende 2020 ins Leben gerufen und suchte nach einem Landwirt, der das Futter für sie anbaut“, sagt er. Initiiert hat das Projekt die Unternehmerin Elke Freimuth aus Cuxhaven, die früher als Lehrerin gearbeitet hat. Sie ist Gründerin der Naturschutzorganisation „Wilde Natur“. Um Schülern während Corona das Unternehmertum näher zu bringen, rief sie eine virtuelle, ehrenamtliche Start-up-AG ins Leben, an der Schüler aus ganz Deutschland beteiligt waren. Seit einem halben Jahr führt der Landwirt das Projekt nun eigenständig weiter. Insgesamt gehören außerdem rund 190 Milchkühe und 145 ha bewirtschaftete Fläche zum Betrieb.
Die Anfangsphase
Mit ihrer Firma wollten die Schüler dem Landwirt einen profitablen Anbau von Saaten wie Sonnenblumen und Buchweizen ermöglichen und gleichzeitig einen Beitrag zum Naturschutz leisten. Mit Gründung der Schülerfirma im November 2020 war der Milchviehhalter zunächst als Rohstofflieferant in das Projekt involviert. Auf seinen Flächen baute er im ersten Jahr zunächst auf 11 ha Hanf, Sonnenblumen, Mohn, Buchweizen und Lein an. „Ich habe alles auf eine Karte gesetzt“, sagt er. Es war offenbar die richtige Karte, denn in diesem Jahr wird die Anbaufläche auf 32 ha wachsen. In Kooperation mit Experten entwickelte das Team Wildvogelfuttermischungen, die zum Standort passen und alle heimischen Vogelarten ansprechen soll. Der Anbau mehrerer neuer Kulturen brachte allerdings Herausforderungen mit sich.
Der Anbau: kein Selbstläufer
In diesem Jahr kooperiert Pülsch-Janßen mit einem Partnerlandwirt, der auf 10 ha für ihn Sonnenblumen anbaut und die gesamte Sonnenblumenernte über die Trocknung seiner Biogasanlage trocknet. Der 37-Jährige hofft auf ein erfolgreiches Erntejahr bei allen Kulturen. „Das ist natürlich ein Risikogeschäft. Aber wenn man neue Wege gehen will, dann gehört das dazu.“ Im ersten Anbaujahr machte der Milchviehhalter allerdings nicht nur gute Erfahrungen. Nachdem er sich ambitioniert dem Anbau von Lein und Mohn widmete, stellten sich diese im Anbau als anspruchsvoller als gedacht dar. „Es war schwierig, den Lein bei wenig Sonnenstunden erntereif zu kriegen. Auch die Säuberung und Weiterverarbeitung hat uns Nerven gekostet.“ Der Mohnanbau war wegen des hohen Unkrautdrucks auf den konventionellen Flächen zu problematisch. So ist das Anbauspektrum in diesem Jahr auf drei Kulturen geschrumpft.
Von Einkauf über Produktmanagement, Finanzen und dem Aufbau eines Onlineshops trugen die Schüler die meisten Aufgaben selbst. Der Onlineshop „wildvogel-futter.de“ ging im November 2020 an den Start – zunächst mit zugekauftem Futter. Seit der Ernte 2021 gehören auch regionale Futtermischungen aus Stinstedt zum Angebot. Die Produkte erinnern an ein Restaurant: Bestellen kann man dort unter anderem „das kleine Frühstück“ oder das „saisonale Buffet.“ Der von der Schülerfirma geplante Umsatz von 30.000 € wurde im ersten Jahr mit 130.000 € deutlich übertroffen. Den größten Teil davon machte der Umsatz beim Zukauffutter mit 40 t aus. Landwirt Pülsch-Janßen erntete rund 14 t Futter. Das Team setzte dabei auf den Direktvertrieb ohne Zwischenhändler. Neben den Futtermischungen ist auch Zubehör wie Futterstationen, Vogelhäuschen und -tränken erhältlich.
Start-up von Schülern übernommen
Im März 2021 hat sich Christian Pülsch-Janßen gemeinsam mit seiner Frau in das Unternehmen eingekauft und teilte sich die Aufgaben mit den Schülern. Seit Oktober 2021 führt die Familie das Unternehmen komplett eigenständig. Der Milchviehhalter hofft, dass der Umsatz mit steigender Anbaufläche in diesem Jahr wächst. Unterstützung bei den Aufgaben erhält er auch von seiner Auszubildenden Antonia von Hassel.
„Wir übernehmen das Mischen, Reinigen, Verpacken und den Versand der Ware“, sagt Pülsch-Janßen, als er die Tür des Lagercontainers auf dem Hof öffnet. Hier lagern fertige Futtermischungen, Knödel, Nistkästen und Zubehör. Die Reinigung erfolgt in einer alten Getreidereinigung am Hof, das Mischen der Komponenten über eine mobile Mahl- und Mischanlage. So will er Transportkosten sparen. Familie Pülsch Janßen übernimmt auch Verpackung und Versand selbst, weil die Zusammenarbeit mit einem Versanddienstleister zuvor nicht sehr zuverlässig lief . Pro Woche verschickt sie rund 60 Bestellungen, vorwiegend an Privat- und Firmenkunden. Marketingmaßnahmen gibt es bisher kaum – viele Kunden sind Stammkäufer oder nehmen von vornherein größere Mengen ab. Langfristig soll aber der Verkauf im regionalen Handel ausgebaut werden.
Neben Online- und Ab-Hof-Käufern gehören auch Raiffeisenmärkte im Elbe-Weser-Gebiet sowie Hofläden zu den Abnehmern. „Die meisten beziehen allerdings nur unsere eigene Mischung und nicht das zugekaufte Futter.“ Das Vogelfutter ist zum Preis von rund 2 bis 3 € pro kg erhältlich, wobei überwiegend 5-, 10- oder 25-kg-Säcke verkauft werden. „Wir sind am Markt die teuersten, aber unsere Mischungen gibt es sonst bisher nicht.“ Verkaufsrenner sind die Meisenknödel. „Davon haben wir im ersten Jahr 160.000 Stück verkauft.“ Die in Ostfriesland produzierten Knödel bestehen ausschließlich aus zugekauftem und nicht aus eigenem Futter.
Dauerhaft sollen aber mehr Komponenten aus eigenem Anbau stammen – auch, um die Wertschöpfung gegenüber dem zugekauften Futter zu erhöhen. So experimentiert Pülsch-Janßen hin und wieder mit neuen Kulturen, zuletzt etwa Ackerbohnen. „Die Kultur war im Anbau kein Problem, wurde aber von den Vögeln kaum angenommen.“ Alternativ wäre es denkbar, Komponenten wie die Erdnüsse im Futter durch regional angebautes Soja zu ersetzen. Während die Mischungen „saisonaler Mittagstisch“ und „saisonales Buffet“ vollständig aus eigens angebauten Komponenten bestehen, stammt ein nicht unwesentlicher Teil des Futters aus dem In- und Ausland. „Ich möchte die ganze Bandbreite von dem anbieten können, was die Kunden nachfragen“, so der Landwirt.
Landwirtschaft und Naturschutz: Hand in Hand
Das Vogelfutterprojekt hat sich laut Pülsch-Janßen zu einem Naturschutzprojekt entwickelt. Der Landwirt kooperiert mit der Naturschutzorganisation „Nachhaltiger Norden“ und berät sich regelmäßig mit den Mitgliedern über neue Biotopmöglichkeiten, Blühflächen oder Wiesenbrüterschutzprojekte. „Bei uns arbeiten Landwirtschaft und Naturschutz Hand in Hand. Das sollte selbstverständlich sein.“ Neben den Futterprodukten bietet er etwa auch Nistkästen an, die eine Förderschule in der Region aus heimischem Holz herstellt. Die Schüler planen derweil auch den Bau von Vogelfutterstationen.
Ganzjährige Fütterung von Wildvögeln?
Es überrascht nicht, dass aus ökonomischen Gründen ein ganzjähriges Zufüttern der Vögel empfohlen wird. Immerhin verkaufen sich Futterhäuser und Futter so das ganze Jahr über. Aber ist die ganzjährige Fütterung wilder Vögel tatsächlich nötig?
Eine sachgemäße Zufütterung der Vögel in Zeiten mit knappem Nahrungsangebot – also im Winter – kann Experten zufolge hilfreich sein. Dadurch haben Kleinvögel im Siedlungsbereich erhöhte Chancen zu überleben, wenn sie selbst nicht genügend Nahrung finden. Lebensraum und Nahrung für Vögel werden knapper, sie brauchen jedoch das ganze Jahr über Energie. Einige Wildvogelexperten, darunter Peter Berthold, raten deshalb dazu, Vögel das ganze Jahr über zu füttern – nicht nur im Winter. Die ganzjährige Fütterung helfe jedoch dem Artenschutz nicht, weshalb Naturschutzorganisationen wie der NABU von der ganzjährigen Fütterung abraten.