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Wie die Zucht auf robuste Schweine gelingt

Kann die Künstliche Intelligenz (KI) bei der Zucht von weniger krankheitsanfälligen Schweinen helfen? Antworten von Dr. Jenelle Dunkelberger, Genetikerin aus den USA.

Lesezeit: 8 Minuten

Dieses Interview erschien zuerst im Fachmagazin Schweinezucht und Schweinemast (SUS).

Topigs Norsvin züchtet seit vielen Jahren auf Robustheit und Sozialverhalten. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?

Dunkelberger: Die wichtigste Erkenntnis ist, dass es erhebliche, natürlich vorkommende ge­­netische Variationen in Bezug auf Ge­­sundheit, Robustheit und Verhaltensmerkmale gibt. Obwohl diese Merkmale komplex und tendenziell nur wenig vererbbar sind, können wir also danach selektieren. Und das mithilfe traditio­neller Züchtungsstrategien, die wir auch bei allen anderen wirtschaftlich wichtigen Merkmalen nutzen.

Was ist dabei die größte Herausforderung?

Dunkelberger:Unsere größte Herausforderung bei der Verbesserung dieser Merkmale ist die Phänotypisierung – also das Sammeln von Daten, die repräsentativ für die Ge­­sundheit, Robustheit oder das Verhalten eines einzelnen Schweins sind. Es ist einfach, beispielsweise dem Körpergewicht oder dem Rückenfett einen Zahlenwert zuzuordnen. Es ist jedoch viel schwieriger, die Gesundheit oder das Verhalten eines Tieres zu quantifizieren.

Wie schaffen Sie es trotzdem?

Dunkelberger:Beispielsweise laufen bei uns mehrere Projekte, in denen wir mithilfe von ­Vi­­deoaufzeichnungen viele Daten zum Verhalten sammeln. Inzwischen können wir dank KI jedes Tier individuell iden­tifizieren und verfolgen. Das ist natürlich eine große Errungenschaft, reicht aber allein nicht aus, um eine genetische Verbesserung zu ermöglichen.

Sondern?

Dunkelberger:Der entscheidende Schritt besteht darin, stundenlanges Videomaterial in einen oder mehrere Parameter zu übersetzen oder die Komplexität so zu reduzieren, dass man ein messbares Verhaltens­merkmal eines Schweins erhält. Dies sind letztlich die Daten, die wir brauchen, um in unserem Zuchtprogramm auf ein sozial verträglicheres Verhalten, bessere Gesundheit o. Ä. zu selektieren.

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Welche Ansätze gibt es hier?

Dunkelberger:Unter dem Projektnamen „Findet Nemo“ haben wir eine sogenannte Krankheitsprovokationsstudie durchgeführt. Dafür haben wir Nachkommen unseres End­stufenebers TN Tempo und Nachkommen eines Konkurrenz-Ebers mit einem hochpathogenen Stamm des PRRS-Virus infiziert. Anschließend haben sich die Schweine – wie es für PRRS-Infektionen im Feld typisch ist – auf natürliche Weise mit anderen sekundären Krankheitserregern koinfiziert.

So konnten wir in das Modell sowohl virale als auch bakterielle Krankheits­erreger einbeziehen. Das wichtigste wissenschaftliche Ziel der Studie bestand darin, Unterschiede in der Reaktion auf die Krankheitsbelastung zu quantifizieren und zu bestimmen, wie viel dieser Variation genetisch bedingt ist.

Was haben Sie herausgefunden?

Dunkelberger:Die Ergebnisse dieses Projekts lieferten Hinweise auf Variationen sowohl zwischen den beiden Ebergenetiken als auch innerhalb der Eberlinien. Die TN Tempo-Nachkommen hatten im Vergleich zur Konkurrenzgruppe 53 g mehr Tageszunahmen und eine um 0,06 kg bessere Futterverwertung. Zudem konnten trotz der massiven Erkrankung 10,4 % mehr Tiere geschlachtet werden.

Wir waren und sind von diesen Er­­gebnissen begeistert. Denn sie bestätigen, dass es möglich ist, krankheitsrobustere Schweine zu züchten. Und das mit traditionellen Zuchtstrategien, also ohne den Einsatz von Gentechnik, -Editing oder Ähnlichem.

Wie geht es nun weiter?

Dunkelberger:An unsere erste Studie schließen sich nun weitere Untersuchungen an. Beim Folgeprojekt „Findet Dorie“ arbeiten wir mit unserer Mutterlinie TN70. Denn unser langfristiges Ziel ist es, sowohl in unseren Vater- als auch in unseren Mutterlinien auf eine verbesserte, natürliche Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten zu selektieren.

Auf US-Sauenbetrieben sind Becken­organvorfälle ein großes Problem. Wie bearbeiten Sie das Thema züchterisch?

Dunkelberger:Beckenorganvorfälle, zu denen Gebärmuttervorfälle gehören, zählen zu den drei häufigsten Abgangsursachen auf ­US-Sauenbetrieben. Um die genetische Komponente daran zu klären, analysierten wir in einem Forschungsprojekt die Aufzeichnungen von mehr als 16.000 abgehenden reinrassigen Sauen aus ei­­nem kommerziellen Vermehrungsbetrieb in den USA.

Mithilfe der Stammbaumdaten haben wir genetische Analysen durchgeführt und anschließend die Erblichkeit auf 22 % geschätzt. Im Januar 2021 nahmen wir die Anfälligkeit für Organvorfälle dann als neues Merkmal in unseren Selektionsindex auf. Das bedeutet, dass wir seit zweieinhalb Jahren aktiv gegen dieses Krankheitsbild selektieren.

Was hat sich seitdem getan?

Dunkelberger:In Zusammenarbeit mit der Iowa State University und dem Iowa Pork Industry Center haben wir diesen Datensatz letzten Sommer erneut analysiert. Diesmal verwendeten wir statt der Stammbaumdaten genomische Informationen. Mit diesem Ansatz wurde die Erblichkeit auf 35 % geschätzt. Das deutet also darauf hin, dass die Anfälligkeit für Becken­organvorfälle sogar noch stärker vererbbar ist als bisher angenommen.

Nichtsdestotrotz bedeutet eine Erb­lichkeit von 35 % natürlich, dass der Großteil der Beckenorganvorfälle immer noch auf Umweltfaktoren zurückzuführen ist. Daher ist es für die Lösung dieses Problems von entscheidender Bedeutung, sich auch auf die Identifizierung und Beseitigung anderer Ursachen zu konzentrieren. Das muss den Betrieben immer bewusst sein.

Hierzulande ist der Kupierverzicht ein großes Thema. Was kann die Zucht beitragen?

Dunkelberger:Warum ein Schwein zum Beißer wird, ist nicht immer klar – Schwanzbeißen kann auf aggressives Verhalten, Reizbarkeit oder einfach nur Neugier zurückzuführen sein. Obwohl wir nicht auf die Motivation eines Beißers schließen können, können wir den Schaden erkennen, den die Opfer erlitten haben.

Die Schwanzverletzungen können wir analysieren, indem wir sie als binäres Merkmal (Schwanzschädigung vorhanden oder nicht) oder als kategoriale Variable behandeln. Letzteres bedeutet, dass wir die Verletzung mithilfe eines Leitfadens kategorisieren. Einen solchen Leitfaden haben wir bereits auf einigen unserer Nukleusbetriebe implementiert und sammeln dort bereits Daten zu Schwanzverletzungen.

Wie nutzen Sie die Daten?

Dunkelberger:Wir analysieren sie mithilfe des sogenannten sozialen Interaktionsmodells. Das ist ein spezieller Modelltyp, der es uns ermöglicht, den Einfluss der Gene eines Schweins auf seine eigene Leistung sowie auf die Leistung seiner Buchtengenossen abzuschätzen. Wir haben großes Vertrauen in dieses Modell und nutzen es beispielsweise, um Tiere auszuwählen, die einen positiven Einfluss auf die Wachstumsrate ihrer gesamten Gruppe haben.

Wie hilft das Modell bei Schwanzbeißern?

Dunkelberger:Wir können damit die Schweine in einer Bucht identifizieren, die genetisch be­­trachtet am wahrscheinlichsten Schwanzverletzungen bei ihren Buchtengenossen verursachen. Diese Tiere können wir dann ausselektieren.

Schwanzbeißen und das Entzündungs- und Nekrosesyndrom SINS sollen ebenfalls zusammenhängen. Wie sehen Sie das?

Dunkelberger:Das ist richtig. Vermutlich juckt das nekrotische Gewebe so stark, dass die betroffenen Schweine einen Biss tolerieren oder sogar begrüßen. So haben wir viele SINS-Bonituren kurz nach der Geburt vorgenommen und konnten herausfinden, dass Ferkel, die in den ersten 48 Stunden nach der Geburt SINS aufweisen, in der späteren Mast mit größerer Wahrscheinlichkeit zum Opfertier werden. Es gibt also einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Nekrosen und Schwanzverletzungen durch Beißereien.

Spielt dabei die Genetik eine Rolle?

Dunkelberger:Wir haben tatsächlich beobachtet, dass SINS ein vererbbares Merkmal ist. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Tiere, die eine höhere genetische Veranlagung für SINS haben, auch eine höhere ge­­netische Veranlagung für Hautschäden haben. Aus diesem Grund wollen wir gegen die Anfälligkeit für SINS selektieren, um das Auftreten von Schwanz-, Ohren- oder anderen Hautverletzungen im späteren Leben zu verringern.

Das Thema Nachhaltigkeit wird immer wichtiger für die Schweinehalter. Was unternehmen Sie in diesem Bereich?

Dunkelberger:Zu den häufigen Themen in puncto Nachhaltigkeit gehören die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks, die Förderung des Tierschutzes und die Verringerung des Antibiotikaverbrauchs. Mit unserer Zuchtausrichtung auf Robustheit achten wir auf diese Themen. Beispielsweise selektieren wir auf langlebige Sauen und vitale Ferkel. Das kommt dem Tierschutz zugute.

Eine bessere Widerstandsfähigkeit ge­­genüber Krankheiten führt zu weniger Antibiotikabehandlungen. Und wir sind überzeugt, dass robuste Schweine eine höhere Futtereffizienz und damit einen geringeren CO2-Fußabdruck haben.

Vor Kurzem wurden die ersten Sauen in den Nukleusbetrieb Innova Canada eingestallt. Was versprechen Sie sich dort?

Dunkelberger:Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal von Innova Canada ist die Aus­stattung mit freien Abferkelbuchten. Das bietet uns die Möglichkeit, Daten zu ­sammeln, die in herkömmlichen Hal­tungssystemen nicht erfasst werden können. So können wir beispielsweise Un­­terschiede zwischen den Sauen beim Nestbau oder Abliegen besser beobachten.

Fazit

- Schweine zeigen große genetische Variationen in Bezug auf Gesundheit, Robustheit und Verhalten.

- Mit traditionellen Züchtungsstrategien kann man auf robustere und sozialere Tiere selektieren.

- Zuchtmodelle können Schweine identifizieren, die genetisch betrachtet zum Beißer werden.

- Eine Selektion auf Tiere, die weniger anfällig für das Entzündungs- und Nekrosesyndrom sind, ist möglich.

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