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topplus Landwirtschaft im Dialog

Wie klimafreundlich ist unsere Landwirtschaft, Herr Osterburg?

Mehr Ressourceneffizienz für ein besseres Klima: Über Wege zu mehr Klimaschutz wollen wir mit Experten am 1. März in Berlin diskutieren. Sichern Sie sich nun noch einen Platz!

Lesezeit: 5 Minuten

Die Landwirtschaft setzt in nahezu allen Bereichen Treibhausgase frei. Gleichzeitig binden die Prozesse aber auch eben diese. Wie lässt sich eine belastbare Treibhausgasbilanz aufstellen? Und wie fällt diese für die Landwirtschaft aus? Diese Fragen stellen wir dem Experten Bernhard Osterburg vom Thünen-Institut.

top agrar: Die Landwirtschaft wird mit hohen Erwartungen zur Emissionsminderung konfrontiert. Auf welchem Bewertungssystem fußen diese Erwartungen?

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Osterburg: Grundlage für die Bewertung und die Reduktionsziele bilden die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen und das Übereinkommen von Paris. Das Übereinkommen ist im November 2016 in Kraft getreten und wurde von 194 Staaten sowie der EU ratifiziert.

Um die internationalen Klimaschutzverpflichtungen zu erfüllen, hat die Bundesregierung im Klimaschutzgesetz festgelegt, dass Deutschland bis zum Jahr 2045 Netto-Treibhausgasneutralität erreichen soll. Danach soll die deutsche Treibhausgasbilanz negativ werden. Der Atmosphäre müssen dann mehr Treibhausgase entzogen werden als dann noch freigesetzt werden.

Um die Fortschritte zu überwachen, müssen die Vertragsstaaten die nationalen Treibhausgasinventare nach Richtlinien des Weltklimarats IPCC ermitteln und berichten. Im IPCC tragen weltweit tausende von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Stand der Forschung zum Klimawandel zusammen und erarbeiten Grundlagen für wissenschaftsbasierte Entscheidungen.

Live-Diskussion am 1. März in Berlin: Über Wege zu mehr Klimaschutz wollen wir in einer neuen Ausgabe unserer Reihe „Landwirtschaft im Dialog“ mit Experten diskutieren; am 1. März 2023 in der Hessischen Landesvertretung in Berlin ab 19:00 Uhr. Kostenlose Tickets unter www.topagrar.com/lid

Herrscht denn mittlerweile in der Fachwelt Einigkeit über dieses System?

Osterburg: Die methodischen Grundlagen für die Erstellung der Treibhausgasinventare wurden vom IPCC bereits in den 1990er Jahren festgelegt und seither weiterentwickelt, im Grundsatz aber nicht verändert. Es besteht also seit vielen Jahren ein breiter wissenschaftlicher und politischer Konsens über die Ermittlung und Bewertung der Treibhausgasemissionen.

Es hat sich aber einiges geändert wie diese Treibhausgasinventare genutzt werden. Das Thema Klimaschutz ist präsent und die politischen Klimaschutzziele werden ambitionierter. Seit 2019 gibt es spezifische Ziele für die deutsche Landwirtschaft, seit 2021 auch für den Bereich Landnutzung. Mit zunehmendem politischem Erwartungsdruck wird auch Kritik am Berechnungs- und Bewertungssystem laut.

Hinterfragt wird zum Beispiel, ob die nationalen Treibhausgasinventare und die Sektorziele zur Emissionsminderung klimapolitische Fortschritte überhaupt angemessen abbilden können. Dafür werden die Treibhausgasinventare kontinuierlich weiterentwickelt, und es stehen immer mehr und bessere Daten zu Verfügung. Im Thünen-Institut arbeitet ein großes Forscherteam daran, um auch internationale und Sektor-übergreifende Auswirkungen zu berücksichtigen - schließlich ist Klimaschutz ein globales Ziel und betrifft alle Wirtschaftsbereiche.

Gibt es weitere Zweifel am Berechnungs- und Bewertungssystem?

Osterburg: Ja, es gibt auch Argumente, die die Regeln der Emissionsberechnung grundsätzlich in Frage stellen. Das Treibhausgas Methan wird im Vergleich zu Kohlendioxid viel schneller in der Atmosphäre abgebaut. Deshalb fordern manche, einen verringerten Umrechnungsfaktor für das globale Erwärmungspotential von Methan zu nutzen. Die Folge wäre, dass eine Verringerung der Methanemissionen dann weniger dringlich wäre.

Diese Argumentation haben sich beispielsweise internationale Verbände der Milch- und Fleischwirtschaft zu eigen gemacht. Allerdings ist Methan klimawirksamer als CO2, seine Reduzierung kann die Erderwärmung daher kurzfristig besonders wirksam bremsen. Deshalb haben sich 2021 mehr als 100 Staaten zusammengeschlossen, um die Methanemissionen schnell und deutlich abzusenken.

In den Kontext der Klimaschutzdebatte gehören auch keine Berechnungen, wieviel Kohlenstoff im Brot- und Futterweizen steckt - selbst dann nicht, wenn sie wissenschaftlich korrekt berechnet sind. Nahrungs- und Futterpflanzen binden Kohlenstoff, der jedoch durch Veratmung schnell wieder freigesetzt wird. Das ist keine Klimaschutzleistung, sondern eine Flussgröße des natürlichen Kohlenstoffkreislaufs. Solche Größen werden in der Emissionsberichterstattung nicht als Treibhausgassenke oder -quelle betrachtet, da sie sich auf Null saldieren.

Nicht zuletzt wird argumentiert, dass es schon lange vor dem klimapolitischen Referenzjahr 1990 landwirtschaftliche Emissionen gab und diese folglich nicht gemindert werden müssten. Geltende klimapolitische Beschlüsse, die Emissionsminderungen in allen Wirtschaftsbereichen verlangen, werden damit in Frage gestellt.

Angesichts dieser Debatten trägt das Thünen-Institut mit Publikationen, Vorträgen und Faktenchecks zur Aufklärung über die wissenschaftlichen Grundlagen der Klimapolitik bei. Ein gemeinsames Problemverständnis ist die Voraussetzung für gesamtgesellschaftliche Lösungen.

Wo steht die Landwirtschaft nach dieser Bewertung bzw. lässt sie sich mit all ihren biologischen Prozessen überhaupt darin abbilden?

Osterburg: In Deutschland sind knapp 14 % der gesamten Treibhausgasemissionen auf die Landwirtschaft zurückführen. Darin enthalten sind die Emissionen aus der Tierhaltung, der Düngung und dem direkten Energieeinsatz sowie aus der Acker- und Grünlandnutzung, hier vor allem aus entwässerten Moorböden.

Nicht berücksichtigt sind dabei Emissionen aus der Herstellung von Vorleistungen wie Dünger und Importfuttermittel und Gutschriften aus der Erzeugung von Bioenergie. Der Weltklimarat schätzt, dass etwa 23 % der weltweiten, vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2007 bis 2016 aus dem Bereich Landwirtschaft und Landnutzung kamen.

Obwohl die Emissionen aus Landwirtschaft und landwirtschaftlicher Landnutzung durch die Abhängigkeit von äußeren Faktoren wie Standort, Klima, Technologie und Management variieren, lassen sie sich in den Emissionsinventaren abbilden. Die statistischen Unsicherheiten werden dort ausgewiesen. Und die Forschung zur Entstehung und Vermeidung von Treibhausgasemissionen trägt dazu bei, die Emissionsbilanzen fortlaufend zu verbessern.

Muss die Landwirtschaft extensiver werden, um klimafreundlicher zu sein?

Osterburg: Für die Entwicklung klimapolitischer Strategien muss die Landwirtschaft zusammen mit der Landnutzung und dem Konsum betrachtet werden.

Auch Veränderungen im Außenhandel sind zu bewerten. Wenn eine verringerte Produktion durch erhöhte Importe ausgeglichen wird, ist für den Klimaschutz global meist nichts gewonnen. Die Landwirtschaft muss ressourceneffizienter werden, so dass je Produkteinheit weniger Treibhausgasemissionen entstehen. Eine Extensivierung reduziert zwar die Emissionen je Flächeneinheit, aber nicht unbedingt je Produkteinheit. Durch Extensivierung wird je Produkteinheit mehr Fläche benötigt.

Dieser Flächenanspruch ist gegenüber anderen Landnutzungsoptionen mit Klimawirkung abzuwägen. Denn auch die Landnutzung wird sich verändern müssen, beispielsweise indem Moorböden vernässt und neue Wälder gepflanzt werden.

Für den Schutz der Biodiversität spielt die Extensivierung der Landwirtschaft eine zentrale Rolle. Angesichts der verschiedenen Ziele gibt es nicht „die eine Lösung“ auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft.

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