Deutschland braucht nach Ansicht von Bundesumweltministerin Steffi Lemke angesichts des Ukrainekriegs Agrarflächen dringend für die Ernährung. „„Ich will jetzt den nächsten Schritt gehen und auch den Einsatz von Agrokraftstoffen aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen weiter reduzieren“, kündigte sie in der „Augsburger Allgemeine“ an.
„Wir brauchen Agrarflächen dringend für die Ernährung: Ab 2023 gibt es ein Aus für Palmöl im Tank. Ich will jetzt den nächsten Schritt gehen und den Einsatz von Agrokraftstoffen aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen weiter reduzieren.“ @SteffiLemke https://t.co/BrYJersPvR
— Bundesumweltministerium (@BMUV) April 29, 2022
Die Initiative stößt auf massive Kritik der Union zur Förderung von Öl- und Proteinpflanzen (UFOP). Die Union lehnt eine Änderung der bestehenden Regelung mit Nachdruck ab. Hinter der Verwertung von Rapsöl zu Biodiesel stehe eine über Jahrzehnte gewachsene und heute eng mit anderen Industriezweigen, einschließlich der Ernährungswirtschaft, vernetzte Produktions- und Verarbeitungsstruktur.
Rapsschrot als gentechnikfreies Futter
Die Förderunion unterstreicht die Bedeutung des bei der Rapsverarbeitung anfallenden Rapsschrots. Hierzulande werden jährlich ca. 9 Mio. t Rapssaat zu ca. 4 Mio. t Rapsöl verarbeitet, davon werden etwa 0,85 Mio. t zu Speisezwecken verwendet. Das bei der Verarbeitung anfallende Rapsschrot entspricht einer vermiedenen Anbaufläche von ca. 2 Mio. ha Soja in anderen Regionen der Erde. Rapsschrot ersetzt Sojaschrot in der Milchviehfütterung und ist Grundlage für die Kennzeichnung „ohne Gentechnik“. Bundesumweltministerin Lemke müsse erklären, wie dieser Mengenbedarf an gentechnikfreiem Soja in Zukunft gedeckt werden soll. Für diesen Anbau seien zusätzliche Anbauflächen erforderlich. Die Änderung der Kappungsgrenze löst somit Verlagerungseffekte in Drittstaaten aus.
Anbaubiomasse ist ohnehin begrenzt
Für die UFOP ist eine Änderung der Kappungsgrenze für Anbaubiomasse auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil die nationale Grenze von 4,4 % am Endenergieverbrauch ohnehin unter der nach EU-Recht möglichen Kappungsgrenze von maximal 7 % festgelegt wurde. An diesem im Rahmen der Änderung des THG-Quotengesetzes erzielten Kompromiss dürfe nicht gerüttelt werden, fordert die UFOP. Der Verband verweist zudem auf die über die gesamte Produktionskette strengen und stetig verschärften Anforderungen an den Nachweis der Nachhaltigkeit und Treibhausgasminderung, die Vorbild für den Bereich der Lebensmittelproduktion sein könne.
Spürbarer Beitrag im Klimaschutz
Die UFOP betont die Bedeutung der Biokraftstoffe aus Anbaubiomasse im Gesamtangebot erneuerbarer Kraftstoffe aus Rest- und Abfallstoffen. Diese seien bisher der einzig spürbare Beitrag zum Klimaschutz im Verkehr. Die UFOP stellt fest, dass die E-Mobilität bisher durch den nach wie vor fossil geprägten Energiemix nur einen überschaubaren Beitrag zum Klimaschutz leiste. Dennoch werde die Anschaffung von Fahrzeugen in einer Höhe gefördert, die dem Dreifachen des Pro-Kopf-Einkommens in Pakistan entspreche. Dennoch sei der Beitrag der E-Mobilität aktuell wichtig, um die Abhängigkeit von fossilen Importen aus Russland zu reduzieren.
Heute Regelungen ausreichend
Die UFOP empfiehlt Bundesministerin Steffi Lemke einen genaueren Blick in das Treibhausgas (THG)-Quotengesetz. Das vom Bundesumweltministerium verantwortete und international beachtete Gesetz habe einen Effizienzwettbewerb ausgelöst. Denn die zur THG-Minderung verpflichteten Unternehmen sind an einem möglichst optimierten Preis-Leistungsverhältnis bzgl. der THG-Minderung interessiert. Dieser in der Klimapolitik einmalige Effizienzwettbewerb hat den Mengenbedarf für die Quotenerfüllung reduziert. So habe sich der Anteil von Biodiesel aus Rapsöl seit 2014 gegenüber dem Jahr 2020 im Biokraftstoffmix praktisch halbiert. Die im Falle der Nichterfüllung der Quote zu entrichtende Zahlung (Pönale) wird vorzugsweise dann bezahlt, wenn der Biokraftstoff daran gemessen teurer ist. Dies sei aktuell infolge des Preisanstiegs an den Agrarrohstoffmärkten der Fall. Die UFOP stellt fest, dass ein gesetzlicher Eingriff daher nicht nötig ist, weil die bestehenden gesetzlichen Regelungen den Marktausgleich herstellten.
Schulze und Özdemir unterstützen Lemke
Unterstützung erhält Lemke von ihrer Kabinettskollegin Svenja Schulze (SPD). Sie nannte es "eine sehr gute Initiative". Jeder Schritt in diese Richtung helfe der globalen Ernährungssicherheit, schrieb sie auf Twitter. "Wir müssen alles dafür tun, dass es in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu keiner Hungersnot kommt", so Schulze.
Eine sehr gute Initiative von @SteffiLemke und dem @BMUV. Jeder Schritt in diese Richtung hilft der globalen #Ernährungssicherheit. Wir müssen alles dafür tun, dass es in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu keiner Hungersnot kommt. https://t.co/Tpq7Zr5kYb
— Svenja Schulze (@SvenjaSchulze68) April 29, 2022
Auch Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) hatte zuvor den Umgang mit Biosprit kritisiert: "Es ist nicht nachhaltig, Weizen und Mais in den Tank zu schütten", hatte er Ende März gesagt und betont, er sei dazu im Gespräch mit Lemke und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Mit den Flächen, die weltweit dafür verwendet werden, könnte man hungernde Menschen ernähren, so Özdemir.