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Marktmacht

Bundesregierung beschließt Verbote gegen unfaire Handelspraktiken

Das Bundeskabinett hat heute eine Gesetzesänderung verabschiedet, die zu faireren Handelsbeziehungen in der Lebensmittelkette führen soll. Wieviel sie Landwirten helfen wird, ist umstritten.

Lesezeit: 6 Minuten

Als „Fairplay für Bauern“ bewirbt das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) seine neuste Gesetzesvorlage, die Änderung des Agrarstrukturgesetzes. Dem hat heute das Bundeskabinett zugestimmt. Es geht ordnungsrechtlich gegen unfaire Handelsbeziehungen vor und soll die Marktposition kleinerer Lieferanten und landwirtschaftlicher Betriebe in der Lebensmittelkette stärken.

„Die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel ist so enorm groß, dass es notwendig geworden ist, die Bauern und Lieferanten wieder auf Augenhöhe zu bringen“, sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) im Anschluss der Kabinettssitzung vor der Presse. Sie begründete den Schritt mit der großen Markmacht von 85%, die die vier großen Handelskonzerne im Lebensmittelhandel haben.

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Das Gesetz enthält folgende Verbote:

  • dass der Käufer Bestellungen von verderblichen Lebensmitteln kurzfristig beim Lieferanten storniert;



  • dass Händler einseitig die Lieferbedingungen, Qualitätsstandards, Zahlungsbedingungen, Bedingungen für Listung, Lagerung und Vermarktung ändern;



  • dass für verderbliche Lebensmittel später als 30 Tage und für nicht-verderbliche Lebensmittel später als 60 Tage nach Lieferung gezahlt wird;



  • dass der Käufer geschlossene Liefervereinbarungen trotz Verlangen des Lieferanten nicht schriftlich bestätigt;



  • dass die Käufer Geschäftsgeheimnisse von Lieferanten rechtswidrig erwerben und nutzen;



  • dass der Käufer mit Vergeltungsmaßnahmen kommerzieller Art droht, wenn der Lieferant von seinen vertraglichen oder gesetzlichen Rechten Gebrauch macht;



  • dass Käufer Entschädigungen vom Lieferanten für die Bearbeitung von Kundenbeschwerden verlangen, ohne dass ein Verschulden des Lieferanten vorliegt;



  • dass Käufer vom Lieferanten verlangen, Kosten zu tragen, die in keinem spezifischen Zusammenhang mit den verkauften Erzeugnissen stehen.



  • dass die Rückgabe nicht verkaufter Erzeugnisse an den Lieferanten ohne Zahlung des Kaufpreises erfolgt;



  • dass der Käufer vom Lieferanten eine Zahlung für die Lagerung der Erzeugnisse verlangt.



  • dass der Lieferant Kosten zu tragen hat, die dem Käufer ohne ein Verschulden des Lieferanten entstehen, nachdem die Lieferung dem Käufer übergeben wurde.

Andere Handelspraktiken seien nur erlaubt, wenn sie vorher ausdrücklich und eindeutig zwischen den Vertragsparteien vereinbart werden, teilt das BMEL zum Gesetzentwurf mit. Das gilt für den Fall, wenn der Lieferant die Kosten für Preisnachlässe im Rahmen von Verkaufsaktionen übernimmt, wenn der Lieferant Listungsgebühren zahlt oder wenn ein Lieferant sich an Werbekosten des Händlers beteiligt.

Deutschland geht weiter als die EU

Klöckners Ministerium setzt mit dem Gesetz die EU-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken (UTP) um und geht in zwei Punkten noch über die EU-Vorgaben hinaus. Dazu zählt, dass die Kosten für Fehlkalkulationen eines Händlers bei unverkaufter Ware nicht zu Lasten der Erzeuger gehen dürfen sowie dass ein Händler die Kosten für Lagerhaltung von vorbestellter Ware selber tragen soll, erläuterte Klöckner.

Klöckner setzt sich mit der Kontrollbehörde BLE durch

Durchsetzen, Kontrollieren und Beschwerdestelle für die Neuerungen wird die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), eine nachgeordnete Behörde des BMEL. „Die BLE wird Entscheidungen über Verstöße im Einvernehmen mit dem Bundeskartellamt treffen“, sagte Klöckner. Damit hat sich das Ministerium von Klöckner die Entscheidungshoheit gegenüber dem Wirtschaftsministerium, dem das Kartellamt untersteht, gesichert. Darüber hatte es im Vorfeld der Kabinettsentscheidung Unstimmigkeiten zwischen Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium gegeben.

Regeln sollen ab April 2021 gelten

Über die Höhe der Bußgelder soll die BLE, unter Einbeziehung einer Stellungnahme des Bundeskartellamts, eigenverantwortlich entscheiden. Es drohen bei Verstoß Geldbußen in Höhe von bis zu 500.000 €, berichtete Klöckner. Das Oberlandesgericht Düsseldorf wird dann über Beschwerden gegen Entscheidungen urteilen. Das Gesetz geht nun in den Bundestag zu den weiteren Beratungen. Auch der Bundesrat muss dem Gesetz noch zustimmen. Klöckner äußerte am Mittwoch die Erwartung, dass die Regeln dann spätestens im April 2021 in Kraft treten werden.

FDP kritisiert Doppelstrukturen

Dennoch sind zu dem Gesetz noch umfangreiche Diskussionen zu erwarten. Die FDP kritisiert, dass Klöckner mit dem Gesetz weiter als die EU-Vorgabe geht. „Sie begeht damit Wortbruch und leistet einer Entwicklung hin zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Europäischen Union Vorschub“, sagte der landwirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Dr. Gero Hocker. Abgesehen davon sei die UTP-Richtlinie und deren deutsche Umsetzung „vor allen Dingen Symptombekämpfung, die nichts an der Verteilung der Marktmacht verändert“, sagte Hocker. Stattdessen forderte Hocker eine Stärkung der Kompetenzen des Bundeskartellamtes. Bei der BLE würden nun „Doppelstrukturen“ aufgebaut, so Hocker.

AfD fürchtet härtere Preisforderungen der Händler

Auch die AfD erwartet von dem Gesetz keine Besserung. „Im Gegenteil wird der Preisdruck auf die Landwirtschaft wahrscheinlich sogar verschärft, weil der Handel die neuen Verbote durch härtere Preisforderungen kompensieren wird“, sagte der agrarpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Stephan Protschka.

Grüne wollen auch an Genossenschaften ran

Die Grünen wollen hingegen weiter als Klöckner gehen. „Die Maßnahmen reichen längst nicht aus, um die Position der Bäuerinnen und Bauern in der Lebensmittellieferkette wirksam zu stärken“, sagte Friedrich Ostendorff, Grüner Sprecher für Agrarpolitik. Direkte Geschäftsbeziehungen zwischen Handel Landwirtschaft gebe es meist nur bei Obst und Gemüse. Unfaire Beziehungen müssten mit Molkereien, Schlachthöfen und Mühlen angegangen werden, forderte er. Klöckner solle auch die unfairen Handelspraktiken der Verarbeitungsindustrie verbieten – allen voran die Praktik der Molkereien, den Milchlieferpreis erst nachträglich festzuschreiben, so Ostendorff. Außerdem forderte er die Privilegierung der Genossenschaften „äußerst kritisch“ zu überprüfen.

Auch CDU/CSU will nachsteuern

Die CDU/CSU-Fraktion begrüßte den Gesetzentwurf ihrer Ministerin. Aber auch sie deutete Änderungen im Bundestag an. „Wir werden die anstehenden parlamentarischen Beratungen dafür nutzen, dort wo es nötig ist, nachzusteuern, aber zugleich dafür Sorge tragen, dass die neuen Bestimmungen zügig in Kraft treten können“, sagte CDU-Agrarsprecher Albert Stegemann. Ähnlich äußerte sich die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Gitta Connemann. Der Gesetzentwurf des BMEL sei „der erste wichtige Schritt“ auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit in der Lebensmittelkette.

Bauernverband fordert Schutz unabhängig von Größe

Der Deutsche Bauernverband (DBV) begrüßte die Gesetzesinitiative grundsätzlich hat aber auch noch Kritikpunkte. Ein Punkt sie, dass das Gesetz den Schutzbereich auf Lieferanten mit einer maximalen Umsatzgröße von 350 Mio. Euro begrenzt. Die Vertragspartner in der Lieferkette sollten laut DBV jedoch über diesen begrenzten Anwendungsbereich hinaus und grundsätzlich unlautere Handelspraktiken in ihren vertraglichen Lieferbeziehungen ausschließen. „Der Schutz vor unlauteren Handelspraktiken muss unabhängig von der Größe der jeweiligen Akteure für alle gelten“, sagte DBV-Präsident Joachim Rukwied. Außerdem sind dem DBV die im Gesetzentwurf vorgesehenen Geldbußen zu niedrig.

Ernährungsindustrie will alle Nahrungsmittelhersteller einbeziehen

Auch die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) reagierte grundsätzlich positiv. Sie forderte aber wie der DBV eine Ausweitung des gesetzlichen Schutzbereiches auf alle Nahrungsmittelhersteller.

Handel erwartet keine Verbesserung für Erzeuger

Dagegen warnte der Handelsverband Deutschland (HDE) vor einer Überregulierung. „Die Bundesregierung begibt sich mit den strengen Einschränkungen für die Verhandlungen zwischen dem Einzelhandel und seinen Lieferanten auf einen wettbewerbsökonomischen Irrweg“, so HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Der Eingriff führe zu weiteren Effizienzverlusten in der Lieferkette, verstärke Konzentrationstendenzen bei der Industrie und berge die Gefahr steigender Verbraucherpreise, warnte er weiter. „Die Ertragssituation der Landwirte wird sich durch die verschärfte Regulierung nicht verbessern. Industrieunternehmen haben nämlich kein Interesse, verbesserte Margen an vorgelagerte Stufen der Lieferkette durchzureichen“, sagte Genth.

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