Die EU-Kommission steht offenbar zwischen Baum und Borke. Anders ist kaum zu erklären, warum Brüssel sich selbst wenige Stunden vor Auslaufen des EU-Importbanns auf ukrainische Agrarprodukte noch nicht auf eine Anschlusslösung festlegen kann. In Deutschland wird das mit Sorge gesehen. Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) warnt vor nationalen Alleingängen; die sind aber wohl kaum noch zu vermeiden.
Eigentlich sind die Alternativen klar: Entweder endet das Importmoratorium und ab morgen darf die Ukraine wieder ungeregelt Waren in die EU-Länder schicken. Oder das Verbot wird in irgendeiner Form verlängert.
Keine gute Lösung möglich
Beide Lösungen sind allerdings mit Haken und Ösen versehen: Geht die Kommission auf die Forderung der EU-Ostländer ein und setzt den Importbann fort, hat Kiew bereits mit Gegenreaktionen gedroht. Die Rede ist von Anrufung eines internationalen Schiedsgerichts und „Spiegelmaßnahmen“ gegen EU-Exporte.
Einer Rückkehr zum weitegehend freien Agrarhandel steht jedoch der Widerstand der fünf EU-Osteuropäer entgegen, die drastische Folgen für ihre Märkte fürchten, sollte die Ukraine wieder mit Unmengen an Agrarprodukten in ihre Länder drängen.
Hinzu kommt, dass Polen sich bereits darauf festgelegt hat, die Grenze ab morgen selbst zu schließen, sollte Brüssel nicht bis dahin neue Restriktionen gegen die Warenströme aus der Ukraine ausgesprochen haben.
EU-Agrarkommissar: Argumente für Verlängerung nicht zu ignorieren
Vor diesem Hintergrund scheint die EU-Kommission in Schockstarre verfallen zu sein. Zwischenzeitlich in Polen aufkommende Gerüchte, wonach EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis, einen Antrag auf Verlängerung des Importverbots für ukrainisches Getreide gestellt habe, wies eine Kommissions-Sprecherin gestern jedenfalls scharf zurück.
Äußerungen des polnischen EU-Agrarkommissars Janusz Wojciechowski weisen wiederum in eine andere Richtung: Er sagte heute gegenüber polnischen Medien, dass es nach dem 15. September „wahrscheinlich“ eine Verlängerung der Importrestriktionen geben werde, denn die Argumente dafür seien zu stark, um sie zu ignorieren.
Wojciechowski wies darauf hin, dass der Importbann Transits im Rahmen der Solidaritätskorridore – also zu den Seehäfen für Drittlandsexporte – nicht betreffe. Diese seien tatsächlich mit durchschnittlich rund 3 Mio. t pro Monat nicht gesunken, sondern hätten tendenziell sogar zugelegt. Gleichzeitig habe man die osteuropäischen Agrarmärkte effektiv geschützt. Nach Auffassung des Agrarkommissars sollte der Importbann deshalb verlängert werden, denn ansonsten drohe eine „Rückkehr ins Chaos“.
Ehlers: Statt Importverbot besser Alternativrouten stärken
Weitere Handelsrestriktionen sieht der Raiffeisenverband allerdings kritisch. DRV-Hauptgeschäftsführer Dr. Henning Ehlers warnt jedenfalls deutlich vor nationalen Alleingängen, sollte das EU-Importverbot morgen doch auslaufen. Das ukrainische Getreide ist ihm zufolge zu wichtig für den globalen Getreidemarkt. „Daher muss es im Interesse aller sein, dass das Getreide unbeschadet und sicher an den vorgesehenen Zielen ankommt“, betont Ehlers.
Er erinnert zudem daran, dass die alternativen Exportrouten der Ukraine per Binnenschiff, Bahn und Lkw ohne den Getreidedeal im Schwarzen Meer von essenzieller Bedeutung sind. Sie müssten gestärkt und weiter ausgebaut werden. „Die Lösung liegt nicht in Handelsrestriktionen, sondern in einer leistungsfähigen Logistik“, so der DRV-Hauptgeschäftsführer. Durch sie werde die Versorgung gesichert und der europäische Markt vor zusätzlichem Mengendruck bewahrt.