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Talkrunde

Özdemir: „Deutschland hat in Brüssel die Seite gewechselt!“

Wer zahlt den Umbau der Tierhaltung, wie viel wird abgestockt und wann geht es los? "2022!", sagt Minister Özdemir und berichtet, dass sich Deutschland in Brüssel dem Reformlager angeschlossen hat.

Lesezeit: 6 Minuten

Die Empfehlungen der Borchert-Kommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) liegen auf dem Tisch – und das schon länger. Nur wann geht es los? Was wird umgesetzt und wie werden z.B. die Stallumbauten finanziert? Das fragen sich die Bauern und wollen loslegen. Antworten hat die neue Bundesregierung allerdings noch nicht geliefert. Zeit also, hier mal gezielt nachzufragen.

Getan hat das am Mittwochabend die Heinrich Böll Stiftung bei ihrer Gesprächsrunde „Politischer Aufbruch“, die von top agrar-Redakteurin Stefanie Awater-Esper moderiert wurde.

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Eine Jahreszahl, und was ist mit den Details?

Bundesagrarminister Cem Özdemir versprach, dass es bei dem Zeitplan aus dem Koalitionsvertrag bleibt: 2022 soll die Tierhaltungskennzeichnung inklusive der Finanzierung - die damit untrennbar verbunden ist - kommen. Verschiedene Modelle wie eine Mehrwertsteuererhöhung oder eine nutzerorientierte Abgabe lägen auf dem Tisch. „Wir schauen uns das an“, so seine vage Aussage dazu.

Stattdessen wich er in allgemeine Floskeln aus. So müssten die guten Erkenntnisse aus den Arbeitsgruppen nun Schritt für Schritt in die Umsetzung, sagte der Grünen-Politiker etwa. Wie genau das aussehen soll, werde bald besprochen, vertröstete er Myriam Rapior von der BUND-Jugend, der die Fortschritte nicht schnell genug gehen und die auf die ablaufende Zeit beim Klimaschutz hinwies.

Özedemir erklärte weiter, den „Spirit, der erarbeitet wurde“ mitnehmen zu wollen. Alle müssten nun raus aus ihren Schützengräben, ohne Kampfbegriffe von früher sollten sie an einem Strang ziehen. Er habe bei dem Thema volle Rückendeckung und zeigte sich fast schon überrascht, dass DBV-Präsident Joachim Rukwied am Dienstag die volle Unterstützung vom Verband und den Bauern zusicherte. „Die Zustimmung ist viel höher als erwartet.“

Klar sei auch, dass die Tierbestände reduziert werden müssen. Und weniger Tiere bedeuten einen Einnahmeverlust, der kompensiert werden muss, schilderte Özdemir die bekannten Feststellungen weiter. Ihm sei auch klar, dass es Gruppen im Agrarsektor gebe, die sich im Status Quo eingerichtet hätten und keine Veränderung wollen. „Aber ein System, wo von 1 € im Laden gerade einmal 22 ct beim Hersteller ankommen, ist nicht gerecht und nicht nachhaltig“, sagte Özedemir.

In Brüssel neue Verbündete suchen

Der Politiker setzt auch große Hoffnungen auf Brüssel. So gehe es bei der Mittelverschiebung von der 1. in die 2. Säule um Milliardensummen. Dies sei ein riesiger Hebel. Bei Gesprächen im Agrarrat habe er auch von den anderen Mitgliedsländern gehört, dass es ebenso bei ihnen große Probleme gebe, wie 85 % Brustbeinbrüche bei Hühnern. Die frühere Agrarpolitik habe die Landwirtschaft durch die Erzeugung schneller, höher, weiter in ein System gezwungen, dass nun an seine Grenze gestoßen ist.

„Deutschland hat nun die Seite gewechselt, wir sind jetzt im Reformlager auf europäischer Ebene.“ Man werde sich dort nun gleichgesinnte Partner suchen und gemeinsam initiativ werden. „Wir sind nicht mehr die Bremser“, stellte Özedemir klar. Er werde aber auch nicht auf die EU warten, sondern die Herkunftskennzeichnung selbst umsetzen.

Grethe: „Politik braucht jetzt Mut, hinterherzukommen“

Auch Prof. Dr. Harald Grethe von der Humboldt Universität Berlin ließ an dem dringenden Handlungsbedarf auf politischer Seite keinen Zweifel. Er erinnerte daran, dass die Finanzierungspläne lange bekannt sind. „Wir wissen ganz genau, was es kostet, da kann man noch drei bis vier Monate drüber reden, wenn das in einem halben Jahr nicht geklärt ist, verliert man die Glaubwürdigkeit bei den Bauern.“ Klar sei doch, dass faire Preise für mehr Tierwohl nicht über den freien, offenen Marktpreis generierbar sind.

Laut Grethe sind die Marktbeteiligten viel weiter als die Politik. Es sei dort längst begriffen, dass die Tierzahlen sinken werden. Es mache nur keinen Sinn, weniger Tiere zu halten und gleichzeitig wie bisher weiter zu konsumieren. „Jeder weiß, dass die Bestände zurückgehen. Die Frage ist, wie stark und in welcher Geschwindigkeit. Die Zeit ist jetzt reif. Die Politik braucht jetzt den Mut hinterherzukommen.“

Seiner Einschätzung nach hat Deutschland gute Chancen, in Brüssel Allianzen zu bilden. „Wenn wir das rechtzeitig tun und selbst anfangen, können wir viel bewirken, auch in Europa.“ Grethe fand es übrigens „wohltuend“ zu sehen, dass das Bundesagrar- und das Umweltministerium nun an einem Strang ziehen.

Naturschutz-Jugend ist ungeduldig und verliert Verständnis

Für Umweltschützerin Myriam Rapior von der BUND Jugend ist das Thema Tierhaltung eng verbunden mit der Ernährung. So müssten die Deutschen grundsätzlich ihre Gewohnheiten grundlegend verändern. Neben einer Bestandsreduzierung müsse man sich auch genau anschauen, wie Tiere gehalten werden. Die jungen Leute wollten den Umbau der Ställe und beim Klimaschutz schnelle Ergebnisse aufgrund der drängenden Umweltprobleme, die sie sehen.

Rapior ließ in ihren Wortmeldungen klar durchblicken, dass ihre Generation einen unheimlichen Zeitdruck spürt. So müsse sich die Menschheit besser heute als morgen umstellen, um einen nicht mehr umkehrbaren Kollaps des Klimas zu verhindern. Daher zeigt sie wenig Verständnis für die zögerliche Umsetzung der Fachempfehlungen. „Die Aufbruchstimmung ist da, jetzt dürfen Sie sich nicht darauf ausruhen“, sagte sie Richtung Minister Özdemir. Die Zeit der Leuchtturmprojekte sei vorbei. Ihr fehle aber der Plan von der Regierung, wann wie welche Maßnahmen dauerhaft umgesetzt werden.

Kathrin Muus: Alle Bauern mitnehmen

Kathrin Muus vom Bund der Deutschen Landjugend hat dagegen alle Landwirte im Blick. So sprach sie an, dass zwar ein Teil der Betriebe mitgehen und umbauen kann und möchte, anderen sei es dagegen schlicht aus betrieblichen Gründen nicht möglich. Auch an sie müsse man denken und diese mitnehmen, um sie nicht in die Aufgabe zu drängen.

Özdemir: „Nicht immer auf den Lautesten hören“

Im weiteren Gespräch der Runde schilderte Cem Özdemir seinen Eindruck, dass bisher alles, was mit Klima-, Tier- und Umweltschutz zu tun hatte, als Kostenfaktor gesehen wurde. Da müsse man nun raus. Das Agrarministerium werde künftig aktiv Klimaschutzziele angehen, Artenschutz betreiben, aber auch für die Bauern arbeiten, denn ihnen sei wichtig, wie sich das alles im Geldbeutel bemerkbar macht. Daher stellte Özedemir erneut klar: „Tier- und Umweltschutz müssen eine Einnahmequelle werden.“

Leider spielten die Verbraucher noch nicht so mit, anders als ihr „sensationelles Bewusstsein für Tier- und Umweltschutz“ zeige sich das eben noch nicht im Konsumverhalten. Aufklärungskampagnen müssten diese Lücke schließen.

Dass man nicht immer auf den Lautesten hören sollte, ist dem Minister auch schon klar geworden. So stehen die Bauern z.B. beim Thema Pflanzenschutz fast immer am Pranger. Aus Gesprächen wisse er aber, dass die Landwirte etwa aus dem Einsatz von Glyphosat raus wollen und selbst schon deutlich weniger Pflanzenschutzmittel einsetzen. Fest stehe aber auch, dass Kosten künftig nicht ständig externalisiert werden dürfen, etwa ins Ausland.

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