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Mittag: Agrarpolitisch ist viel liegengeblieben

Laut SPD-Agrarsprecherin Susanne Mittag ist der Tierwohlumbau immer noch auf Kurs. Sie will das Vertrauen der Landwirte mit „guten Ergebnissen“ zurückgewinnen. Das top agrar-Interview.

Lesezeit: 8 Minuten

Frau Mittag, die SPD gilt unter Landwirten mitunter als „agrarfern“ oder nicht allzu sehr an der Landwirtschaft interessiert. Stimmt das?

Susanne Mittag: In der Landwirtschaft wird oft sehr konservativ gedacht, da fühlen sich Landwirte eher im konservativen Bereich vertreten. Sie haben sich lange darauf verlassen, dass ihre Verbände und die Konservativen ihre Interessen vertreten und jetzt wird deutlich, dass das gar nicht so ist.

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Der Sozialdemokratie können sie schlecht vorwerfen, dass wir am Zustand der CDU-dominierten Agrarpolitik der vergangene 16 Jahre Schuld sind. Es ist auch viel liegengeblieben, manches wurde nur auf höchstrichterlichen Druck umgesetzt wie etwa beim Kastenstand-Urteil. Oder die Debatte um die roten Gebiete: Da ist zehn Jahre lang in 16 Ländern debattiert worden, mit 16 Varianten und 16 Klageverfahren. Nun ist auf Seiten des Berufsstands viel Enttäuschung zu spüren, was die Rolle der Politik angeht. Ich kann das rückwirkend nicht ändern, wir können nur mit guten Ergebnissen versuchen, das Vertrauen der Landwirte wiederzuerlangen.

Die Landwirtschaft steht jetzt vor einem Riesenberg an akuten und auch alten Problemen, die alle gleichzeitig gelöst werden müssen. Wie muss sich der Agrarsektor aufstellen um vorwärts zu kommen?

Susanne Mittag: Die Zukunftskommission Landwirtschaft und die Borchert-Kommission haben hier gute Grundlagen geschaffen. In beiden Fällen saßen Landwirte und alle anderen Akteure an einem Tisch und haben sich auf langfristig tragfähige Rahmenbedingungen verständigt. Das müssen wir jetzt umsetzen, auch politisch, denn der Markt allein wird es nicht schaffen. Wir stehen aber nicht nur hier in der Verantwortung. Auch die Rolle der Frau in der Landwirtschaft ist ein drängendes Thema, denn hier hat sich in der Vergangenheit einfach zu wenig getan.

Hat sich die Situation der Frauen auf den Höfen tatsächlich nicht verbessert? Man sieht doch immer wieder gute Beispiele, in denen Frauen den Betrieb erfolgreich führen.

Susanne Mittag: Man könnte schon erheblich weiter sein. Allein beim Landeigentum gibt es ein drastisches Ungleichgewicht. Rund 90 % der Flächen gehören Männern. Frauen werden oft genug emotional dazu gedrängt, ihr Eigentum an den Mann abzugeben, weil der Hof sonst nicht mehr weitergeführt werden kann.

Wenn ein Mann einheiratet, dann bekommt er den halben Hof. Wenn eine Frau einheiratet, dann bekommt sie nichts.

Wenn ein Mann einheiratet, bekommt er den halben Hof. Wenn eine Frau einheiratet, dann bekommt sie nichts. Aber bei Investitionen ist sie dann gern mal die Gesamtschuldnerin ohne eigene Sicherheiten. Das kann so nicht weitergehen. Auch die Absicherung bei Rente, Krankheit und Geburt ist mangelhaft.

Der Bauernverband hat mit Frau Schulze Bockeloh jetzt immerhin eine Vizepräsidentin. Ist das für Sie nicht ausreichend?

Susanne Mittag: Nein, das ist zwar schön und ich freue mich auch für Frau Schulze Bockeloh. Das hätte der Bauernverband aber schon vor zehn Jahren machen können. Wieso muss man das erst machen, wenn der männliche Nachwuchs auf den Höfen ausbleibt? Frauen sind schon lange genauso gut ausgebildet, fit und breit aufgestellt in ihren Möglichkeiten. Dennoch haben sie es bisher schwer – gerade in Führungspositionen. Das gilt auch für Genossenschaften. Die sind von ein paar Ausnahmen abgesehen immer noch eine ausgeprägte Jungs-Truppe.

Das kann sich ja noch ändern.

Susanne Mittag: Wir wollen aber nicht bis zum Jahr 3.000 warten! Anderen Ländern wird erzählt, wie weit man da sein müsste und hier sieht es auch nicht so gut aus. Das Potenzial ist doch da. Es wird gejammert, wie schlecht es in der Landwirtschaft aussieht, und man lässt trotzdem mit den Frauen eine Hälfte im ländlichen Raum außer Acht und nutzt das Potenzial nicht.

Ein anderes Thema: Viele Landwirte haben aktuell das Gefühl, mit Verordnungen und Bürokratie überschüttet zu werden. Gibt es dafür überhaupt eine Lösung?

Susanne Mittag: Es ist im Agrarsektor wie in anderen Bereichen auch, denken Sie an den Zuzug von Flüchtlingen oder die Corona-Pandemie. Es gibt so viele verschiedene, miteinander inkompatible und nicht vernetzte Systeme der Datenerfassung und -verarbeitung. Einiges hat sich hier im Agrarsektor schon verbessert, aber es ist oft immer noch zu kompliziert, zu zeitaufwendig und zu wenig praxisnah.

Der Umgang mit Agrardaten ist immer noch zu kompliziert, zu zeitaufwendig und zu wenig praxisnah.

Wir hatten deshalb bereits in der vergangenen Legislatur eine Plattform für die Landwirtschaft, bei der alle agrarnahen Daten zusammenlaufen, vorgeschlagen und bringen diesen Vorschlag wieder ein. Da gibt es nachvollziehbare Vorbehalte bei Landwirten. Sie wissen, dass ihre Daten wertvoll sind und wollen die Kontrolle darüber behalten. Das soll auch so bleiben.

Wir wollen aber, dass die Daten, die heute ohnehin schon an verschiedene Stellen gemeldet werden, zusammenlaufen. Das kann Dokumentation und Antragswesen im Interesse der Landwirte deutlich vereinfachen. Es würde aber auch die Arbeit der Behörden erleichtern, die dann beispielsweise über die Tiergesundheitsdaten schneller erkennen könnten, wenn es den Tieren auf einem Hof nicht gut geht.

Zugegeben, eine solche umfassende Agrardatenbank ist ein Riesenpaket. Die Vorteile für alle liegen aber auf der Hand und wir haben im Bundeshaushalt Geld dafür reserviert. Nun warten wir auf einen praktikablen Vorschlag des Bundeslandwirtschaftsministeriums und die Zustimmung der Länder – dort sind ebenfalls viele Daten angelegt

Wie bewerten Sie die Arbeit des Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir?

Susanne Mittag: Wir haben viele Projekte begonnen – viel davon muss aber auch noch zum Abschluss gebracht werden. Auch, weil in diesem Ressort in den Vorjahren eine Menge liegengeblieben ist, muss viel aufgeholt werden.

Eines dieser Projekte ist der Umbau der Nutztierhaltung. Wo stehen wir aktuell mit der Umsetzung der Tierhaltungskennzeichnung?

Susanne Mittag: Wir sind auf jeden Fall weiter als in der letzten Legislatur und auch immer noch im Zeitrahmen. Es holpert hin und wieder, aber ich bin weiter optimistisch. Kritikern sage ich: Wir halten uns an den Rahmen, den die Borchert-Kommission vorgegeben hat. Dieser wurde von Fachleuten und Praktikern entwickelt.

Wir setzen politisch um, was in der Kommission erarbeitet wurde.

Wir setzen politisch um, was in der Kommission erarbeitet wurde. Ich denke, basisorientierter geht es kaum.

Auf der politischen Seite haben wir einen Vorschlag für die Finanzierung gemacht, das Baurecht angepasst und auf Länderebene wird es ebenfalls Änderungen beim Immissionsrecht geben. Und wir hoffen, dass wir noch vor der Sommerpause die Tierhaltungskennzeichnung in einem ersten Schritt verabschieden. Weitere Schritte folgen.

Was die Tierarten angeht, starten wir bekanntermaßen mit Mastschweinen. In der zweiten Jahreshälfte folgen Sauen, Ferkel und Eber. Danach werden Rinder, Milch, Eier, Transport und Schlachtung integriert. Unser Ziel ist, dass bis Ende nächsten Jahres die gesamten rechtlichen Rahmenbedingungen für alle Nutztierarten und auch für verarbeitete Produkte stehen.

Das Projekt steht und fällt aber mit der Finanzierung. Da herrscht für Außenstehende immer noch keine Klarheit, obwohl es zwischenzeitlich danach aussah. In welche Richtung geht es da?

Susanne Mittag: Wir haben uns auf eine Tierwohlabgabe geeinigt und das Bundeslandwirtschaftsministerium beauftragt, ein entsprechendes Konzept auszuarbeiten, mit dem am Ende alle Koalitionspartner einverstanden sein müssen Auf das Ergebnis warten wir jetzt. Wenn alles klappt, wird das noch vor der Sommerpause kommen.

Viele Tierhalter treibt die Sorge um, dass höhere Standards einer deutschen Tierhaltungskennzeichnung am Ende durch preiswerte ausländische Ware unterlaufen werden. Wie kann man einen wirksamen Außenschutz realisieren?

Susanne Mittag: Wir fördern nicht nur den Tierwohlumbau, sondern finanzieren auch den Mehraufwand für höhere Haltungsstandards. Das sollte den Wettbewerb mit ausländischer Ware abfedern. Es gibt durchaus auch Interesse anderer EU-Mitgliedstaaten, sich an der deutschen Tierhaltungskennzeichnung zu beteiligen. Außerdem führen wir parallel eine Herkunftskennzeichnung ein, die für Verbraucherinnen und Verbraucher Transparenz und Wahlmöglichkeit schafft.

In anderen EU-Ländern geht man bei der Tierhaltung noch ganz andere Wege. Die Niederlande wollen beispielsweise bis zu 3.000 Agrarbetriebe aus der Produktion herauskaufen, um das eigene Stickstoff- und Phosphatproblem zu lösen. Wäre das auch für Sie ein gangbarer Weg in Deutschland?

Susanne Mittag: Ein klares Nein. Wir wollen unsere Landwirtschaft erhalten - aber breiter aufgestellt, was Produktionsrichtungen und -methoden angeht!

Wir wollen unsere Landwirtschaft erhalten - aber breiter aufgestellt, was Produktionsrichtungen und -methoden angeht!

Es kann nicht das Ziel von Politik sein, den Sektor wie in den Niederlanden runterzufahren. Außerdem sind die deutschen Betriebe innovativ. Sie werden auch in intensiven Veredlungsregionen Möglichkeiten finden, mit Nährstoffüberschüssen umzugehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Anmerkung

Da es zwischenzeitlich bei einigen Lesern Irritationen über Susanne Mittags Aussage "Wenn ein Mann einheiratet, bekommt er den halben Hof" gab, hat die Abgeordnete folgendes klargestellt: "Ich sage ausdrücklich nicht, dass dies immer und überall so ist - sondern weise darauf hin, dass Männer bei Heirat viel zu häufig automatisch in die Führungsposition mit Zugriff auf das Betriebseigentum rutschen. 90 % der landwirtschaftlichen Betriebe werden von Männern geführt (diese Zahl ist seit 30 Jahren nahezu unverändert!), während Frauen häufig nicht gut genug abgesichert sind. Das belegt auch die aktuelle deutschlandweite Studie "Die Lebenssituation von Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben in ländlichen Regionen Deutschlands". Darum geht es und dieses Problem müssen wir lösen."

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