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Interview

Werner Schwarz: Vertrauensverlust der Landwirte in Politik droht

Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Werner Schwarz warnt davor, das Vertrauen der Landwirte in die Handlungsfähigkeit der Politik zu verspielen.

Lesezeit: 11 Minuten

Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Werner Schwarz sieht in einer Zusammenarbeit von CDU und Grünen nach wie vor eine Chance für die Landwirtschaft. „Schwarz-Grün ist kein Auslaufmodell“, sagt der Minister im Interview mit Agra Europe. Voraussetzung sei allerdings die gemeinsame Einsicht, „dass die Weiterentwicklung der Landwirtschaft nur mit den Landwirtinnen und Landwirten und nicht gegen sie gehen kann“.

AgE: Herr Minister Schwarz, am 18. Dezember haben mehrere tausend Bauern in Berlin gegen die Sparpläne der Bundesregierung demonstriert. Hätten Sie dem altehrwürdigen Bauernverband zugetraut, in dem Maße zu mobilisieren und binnen weniger Tage so eine Kundgebung auf die Beine zu stellen?

Schwarz: Ich finde es großartig, dass der Bauernverband es gemeinsam mit anderen Verbänden geschafft hat, kurzfristig eine solche Demonstration zu organisieren und klar zu machen, wie gravierend die Sparbeschlüsse der Bundesregierung sind. Ich hoffe, dass die Koalition dies zum Anlass nimmt, über andere Lösungen nachzudenken.

Waren Sie überrascht, dass die Reaktion auf die Sparpläne der Ampel beim Agrardiesel und der Kfz-Steuer in der Branche so heftig ausfiel?

Schwarz: Nein! Ich war eher überrascht, dass die vorgesehenen Kürzungen so unangekündigt und ohne eine vorhergehende Diskussion gekommen sind.

Sind Sie überrascht, dass die Ampel von den Protesten überrascht war?

Schwarz: Ich wundere mich, dass man offenbar nicht damit gerechnet hat. Ich nehme wahr, dass die geplanten Einschnitte inzwischen auch innerhalb der Ampelkoalition kritisch gesehen werden. Und ich stelle fest, dass meine Länderkolleginnen und -kollegen quer durch die Parteienlandschaft eine Korrektur der Kürzungspläne fordern.

Ich hatte bislang keine Gelegenheit, mit Bundesminister Cem Özdemir darüber zu sprechen.

Sie kennen Ihren Vorvorgänger Dr. Robert Habeck aus seiner Zeit als Landwirtschaftsminister. Hätte der nicht wissen müssen, welche Folgen derart massive Kürzungen haben würden?

Schwarz: Ich weiß nicht, wie die Diskussion im Vorfeld gelaufen ist und ob es Alternativen gegeben hätte. Deswegen kann ich das nicht beurteilen.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Schwarz: Eine einseitige Belastung eines einzelnen Wirtschaftszweiges ist so nicht hinnehmbar. Die wenigsten Landwirte verweigern sich gegenüber generellen Einsparungen im Bundeshaushalt. Das sollte die Bundesregierung aufgreifen und einen Kompromissvorschlag erarbeiten, mit dem alle leben können.

Länder waren nicht eingebunden

Sie gelten als Brückenbauer, früher von der Landwirtschaft in die Politik, heute innerhalb der Politik und von der in die Landwirtschaft. Nachdem sich der Ton bereits seit längerem verschärft hat und jetzt die Auseinandersetzung um den Agrardiesel eskaliert - fürchten Sie um die Brücken?

Schwarz: Mich besorgt, dass die Sparbeschlüsse gefasst wurden, ohne die Länder einzubinden und ohne zuvor über die Auswirkungen zu diskutieren. Brücken können nur gebaut werden, wenn man miteinander spricht. Allein deswegen ist die derzeitige Situation äußerst unerfreulich.

Es gibt Kritik auch aus Ihrer Partei an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, er sei sehr wohl eingebunden gewesen und gehe jetzt auf Distanz. Was sagen Sie?

Schwarz: Ich hatte bislang weder Gelegenheit, mit Bundesminister Cem Özdemir darüber zu sprechen noch mit jemand anderem aus der Bundesregierung. Bekannt ist aber, dass der Bundesminister schon im Vorfeld vor derartigen Maßnahmen gewarnt hat.

Arbeitsgruppen sinnvoll, Empfehlungen müssen aber auch umgesetzt werden

Konsensrunden wie die Borchert-Kommission oder die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) machen nur dann Sinn, wenn politisch umgesetzt wird, was man dort verabredet hat. Fürchten Sie, dass dies bei Umsetzung der Sparvorgaben künftig noch schwieriger werden könnte?

Schwarz: Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass solche Kommissionen richtig und wichtig sind, um Politik zu begleiten und Entscheidungshilfen zu geben. Das Ganze funktioniert aber nur, wenn Empfehlungen aufgegriffen und umgesetzt werden. Konsensrunden nur zu loben, aber daraus kein politisches Handeln abzuleiten, ist zu wenig. Das Vertrauen in die Politik, Empfehlungen anzunehmen und zu realisieren, darf nicht verspielt werden. Die Steuerpläne sind da alles andere als hilfreich.

Die Sparzwänge der öffentlichen Hand werden fortbestehen. Was bedeutet das für kostenträchtige Empfehlungen, wie sie die Borchert-Kommission und die ZKL gegeben haben?

Schwarz: Die Borchert-Kommission ist auch am fehlenden Geld, aber noch mehr am fehlenden politischen Mut gescheitert. Der Abschlussbericht der ZKL hat keine unmittelbaren finanziellen Folgen. Er richtet den Blick in die Zukunft des Agrar- und Ernährungssystems. Aber Sie haben Recht, wir werden weiter in den Haushalten von Bund und Ländern sparen müssen. In Schleswig-Holstein haben alle Ressorts auf Anweisung der Finanzministerin den Gürtel enger schnallen müssen. Das geht und hilft manchmal sogar, politische Handlungsfelder stärker zu priorisieren.

Wo sehen Sie Spielräume für Einsparungen im Haushalt des Bundeslandwirtschaftsministeriums?

Schwarz: Dort gibt es seit geraumer Zeit eine Tendenz, neue und kostenträchtige Bundesprogramme aufzulegen. Gleichzeitig werden erprobte Maßnahmen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur gekürzt. Da würde ich mir ein abgestimmteres Vorgehen und ein wenig Zurückhaltung bei den Bundesprogrammen wünschen. Dort sehe ich Möglichkeiten für Einsparungen.

Den großen Wurf beim Tierwohlumbau wird es nicht geben

Geht Transformation auch mit weniger Geld?

Schwarz: Ja, wenn alle in die gleiche Richtung ziehen.

Ist der geplante Umbau der Tierhaltung gescheitert?

Schwarz: Den großen Wurf wird es jedenfalls bis auf weiteres nicht geben. Mit der zur Verfügung gestellten „Tierwohlmilliarde“ werden wir nicht weit kommen. Es gibt aber noch andere Möglichkeiten. Nehmen Sie die Initiative der Zentralen Koordination Handel-Landwirtschaft für ein Herkunftszeichen „Gutes aus Deutschland“. Da könnte etwas draus werden. Das nehmen auch die Landwirte wahr.

Der Rückgang der Schweinehaltung hat sich zuletzt ein wenig abgebremst. Das könnte ein Indikator sein, dass sich etwas bewegt. Wenn die Nachfrage nach heimischen Erzeugnissen anzieht, werden die Unternehmerinnen und Unternehmer darauf regieren und wieder investieren.

Kompromisse für Schleswig-Holstein finden

Aus der Berliner Warte arbeiten Sie in Schleswig-Holstein vergleichsweise geräuschlos mit den Grünen zusammen. In Hessen hat sich die CDU gegen die Grünen entschieden, und in der Landwirtschaft sind die Vorbehalte gegenüber den Grünen weiter gestiegen. Was bedeutet das für Ihre Politik in Schleswig-Holstein?

Schwarz: Wir konzentrieren uns hier oben auf unsere Arbeit. Wir orientieren uns am Koalitionsvertrag und arbeiten die dortigen Vorhaben ab. Klar ist aber: Es gibt auch bei uns Konfliktfelder. Hierfür versuchen wir, Kompromisse zu finden. Eine große Herausforderung für die Koalition stellt der Prüfauftrag für einen Nationalpark Ostsee dar. Darüber gehen die Meinungen zwischen CDU und Grünen auseinander.

Schwarz-Grün galt einmal als ein Projekt, um die Polarisierung im Agrarbereich ein stückweit zu überwinden. Ist Schwarz-Grün ein Auslaufmodell?

Schwarz: Nein! Schwarz-Grün ist kein Auslaufmodell. Zumindest solange klar ist, dass die Weiterentwicklung der Landwirtschaft nur mit den Landwirtinnen und Landwirten und nicht gegen sie gehen kann.

Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass diejenigen an Zulauf gewinnen, die einfache Lösungen für die Landwirtschaft propagieren nach dem Motto „Zurück in die guten alten Zeiten“?

Schwarz: Diese Entwicklung halte ich für sehr dramatisch. Ich denke dabei an die anstehenden Landtagswahlen, aber mehr noch an die Europawahl. Wir wissen, dass viele meinen, diese Wahl sei nicht so wichtig, da könne man Denkzettel verpassen. Ich kann davor nur warnen, auch und gerade aus Sicht der Landwirtschaft. In Brüssel werden viele Weichen gestellt. Dafür brauchen wir vernünftige Lösungen und keine Rezepte von vorgestern.

War die AMK erfolgreich?

Sie hatten in diesem Jahr den Vorsitz in der Agrarministerkonferenz (AMK) inne. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Schwarz: Insgesamt positiv. Vorangekommen sind wir bei der Fischerei und beim Thema „Wolf“. Da haben wir uns auf die Forderung nach einem europarechtskonformen und regionalspezifischen Bestandsmanagement verständigt, ein wichtiger Fortschritt. Nicht zufrieden bin ich mit den Beschlüssen zur Tierhaltung. Nach wie vor hakt es beim Bau- und Immissionsschutzrecht, auch weil das in die Zuständigkeit der Umwelt- und Bauministerien fällt.

Auch nicht sehr weit sind Sie bei der GAP gekommen…

Schwarz: Ich glaube schon, dass wir etwa bei den Öko-Regelungen einige Verbesserungen erreicht haben, die sich nächstes Jahr in einer höheren Inanspruchnahme niederschlagen werden.

Keine Fortschritte gibt es hinsichtlich einer Öko-Regelung „Weidehaltung“. Das bedauere ich sehr, da hatte ich mir mehr erhofft. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist noch im Gespräch. Ich muss aber zur Kenntnis nehmen, dass die Widerstände in anderen Regionen Deutschlands zu stark sind, um mal eben eine neue Öko-Regelung Grünland oder Weidehaltung einzuführen. Wir werden aber dranbleiben.

Die Länder verfolgen vor allem eigene Ziele. Sind Sie enttäuscht, wie kleinteilig und interessengeleitet die Diskussion läuft, wenn es ums Geld geht?

Schwarz: Das Hemd ist jedem näher ist als die Jacke. Es gibt nun mal Unterschiede in der Finanzkraft der Länder. Bayern und Baden-Württemberg verfügen über großzügig ausgestattete Zweite-Säule-Maßnahmen und fürchten, dass diese durch eine Öko-Regelung ausgehebelt werden könnten. Das kann ich nachvollziehen, hilft mir aber in der Sache nicht weiter. Dass man sich als Vorsitzender letztlich nicht immer durchsetzt, ist klar. Schließlich gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Aber ich werde auch im kommenden Jahr weiterhin entschieden für Schleswig-Holsteins Position eintreten.

Ist das Einstimmigkeitsprinzip in der AMK noch zeitgemäß?

Schwarz: Ja! Die AMK ist ein Gremium, das Empfehlungen an das Bundeslandwirtschaftsministerium gibt. Insofern ist es gut, wenn wir als Länder Position zu agrarpolitischen Themen beziehen und uns zu einem Kompromiss zusammenraufen. Schwierig wird es nur bei Anträgen, die von vornherein keine Aussicht auf Zustimmung haben und der Verwirklichung einzelner Länderinteressen dienen.

Sie seien „nicht so blauäugig zu glauben, dass wir in dieser Agrarministerkonferenz bereits entscheidende Schritte Richtung GAP-Reform gehen können“, lautete Ihre Aussage vor knapp einem Jahr. Kann das ein Gremium überhaupt, dessen Mitglieder auf die Durchsetzung eigener Länderinteressen aus sind?

Schwarz: Die AMK hat bei der nationalen Umsetzung gezeigt, dass sie kompromissfähig ist. Für die nächste Reform ist es wichtig, frühzeitig in die Diskussion einzusteigen. Das haben wir getan. Ich hatte nicht erwartet, dass wir bereits den Stein der Weisen finden, zumal wir auf Bundesländerebene diskutieren, wie ein bundesdeutscher Vorschlag für die Verhandlungen auf europäischer Ebene aussehen könnte.

Ich bin nicht so vermessen zu glauben, die AMK könnte maßgeblich Einfluss auf die Richtung für die künftig GAP nehmen. Aber es ist trotzdem wichtig, dass wir auch die Vorstellungen der Länder in den Prozess einbringen. Erste Anstöße sind gemacht. Es geht darum, eine wie auch immer geartete Gemeinwohlprämie zu installieren, ohne dass dies mit noch mehr Bürokratie verbunden ist.

Bauernverband will weg von den Direktzahlungen

Der Deutsche Bauernverband verabschiedet sich von den flächengebundenen Direktzahlungen. Fühlen Sie sich bestätigt?

Schwarz: Ich finde es sehr gut, dass der Deutsche Bauernverband die Linie hält, die ich in der Zukunftskommission Landwirtschaft mitunterschreiben durfte. Der Bauernverband will weg von den Direktzahlungen, hin zu ergebnisorientierten Zahlungen. Das ist gut und wichtig.

Die ZKL schlägt einen Ausstieg bis 2034 vor, aus der Wissenschaft gibt es Vorschläge für einen Übergang bis 2041. Das sind Zeiträume, in denen der Umstieg vollzogen werden kann. Je mehr Zeit wir haben, umso besser.

Wir können der Landwirtschaft eine gewisse Verlässlichkeit signalisieren und legen zugleich einen Endpunkt fest. Wir sind aktuell dabei, eine schleswig-holsteinische Position zu erarbeiten, die von Nutzer- und Schützerverbänden getragen wird und mit der ich in die Diskussion auf Bundesebene gehen werde. Dazu haben wir ein wie ich finde sehr fruchtbares Gesprächsformat entwickelt. Wir sind auf einem guten Weg.

Pauschale Direktzahlungen sollen in ein Instrument zur Honorierung von konkreten Leistungen im Umwelt- und Naturschutz sowie Klimaschutz überführt werden. Wie geht das mit weniger Bürokratie?

Schwarz: Das muss gehen. Wenn das nicht funktioniert, fahren wir uns irgendwann fest. Die Möglichkeiten dazu liefert die Digitalisierung. In Schleswig-Holstein haben wir beispielsweise in diesem Jahr eine App, die sogenannte Profil SH-App, eingeführt, die es den Landwirten beispielsweise erlaubt, Fotos mit Ortsbezug zu erstellen, um Antragsangaben zu belegen und zu korrigieren. Auch für die Dokumentation des Einsatzes von Stickstoff in der Landwirtschaft wird es bald digitale Lösungen geben. Das gilt für weitere Bereiche. Die Digitalisierung wird uns helfen, die GAP einfacher und besser zu machen. Da bin ich ganz sicher.

Sollten knapper werdende Mittel in der GAP auf die Landwirtschaft konzentriert und die ländliche Entwicklung aus anderen Töpfen finanziert werden?

Schwarz: Ich halte es für richtig und wichtig, die ländliche Entwicklung auch in Zukunft über die GAP zu fördern. Landwirtschaft und ländlicher Raum gehören untrennbar zueinander.

Vielen Dank für das Gespräch!

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