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Antibiotika-frei: Helfen pflanzliche Boli bei Mastitis?

Eine neue Antibiotika-freie Behandlungsmethode soll Bakterien an der Bildung von Biofilmen im Euter hindern. Was steckt dahinter?

Lesezeit: 8 Minuten

Schnell gelesen

Die meisten Mastitiserreger bilden im Euter einen Biofilm aus. Unter diesem verstecken sich die Bakterien. Weder das Immunsystem noch Antibiotika können die geschützten Erreger erreichen.

Pflanzenstoffe in Boli verteilen sich im ganzen Körper der Kuh und sind in der Lage, die Biofilme aufzubrechen.

Die Produkte sind als Ergänzungsfuttermittel zugelassen, nicht als Arzneimittel. Daher fällt auch keine Wartezeit an.

Für eine gesicherte Wirkung braucht es mehr Studien mit größeren Tierzahlen.

Der Name der neuartigen Behandlungsmethode für Euterentzündungen geht einem nicht leicht von der Zunge: Quorum Sensing. Gemeint ist, dass Mastitiserreger häufig zum Schutz ihrer eigenen Population einen Biofilm ausbilden. Unter diesem „verstecken“ sie sich im Euter. Weder das Immunsystem noch Antibiotika erwischen die so geschützten Bakterien. In der nächsten Stresssituation können sie erneut ausbrechen, die Kuh wird krank (siehe Übersicht).

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Eine Studie an der FU Berlin zeigt, dass die meisten Mastitiserreger – Staph. Aureus, Enterokokken, E. Coli und Klebsiellen – einen Biofilm ausbilden. Solche Infektionen verlaufen häufig chronisch. Deutliche Zeichen sind entweder dauerhaft erhöhte oder ständig schwankende Zellzahlen. „Antibiotikatherapien schlagen hier meist nicht an oder sind nicht von Dauer“, berichtet Dr. Andreas Striezel, Tierarzt und Lehrbeauftragter für Tierwissenschaften in der Ökologischen Landwirtschaft an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf sowie Geschäftsführer der Tiergesundheit 5.0 gGmbH aus dem bayerischen Landkreis Forchheim.

Eine Antibiotikatherapie kann zwar in den meisten Fällen die Ausbreitung der Infektion verhindern, indem sie die Bakterien abtötet, die sich aus der Gemeinschaft des Biofilms gelöst haben. Die vollständige Abtötung des reifen Biofilms bleibt mit Antibiotika in den meisten Fällen jedoch aus.

Boli, Pasten und Co.

„Die Phytotherapie, also Behandlung mit pflanzlichen Wirkstoffen, ist eine echte Alternative zur Antibiotikatherapie und tatsächlich in der Lage, das Quorum Sensing zu unterbrechen“, so Striezel. Die Wirkstoffe bekämpfen also nicht die Bakterien selbst, sondern verhindern die biochemische Kommunikation der Bakterien und damit die Bildung eines Biofilms. Dadurch sollen die Kühe selbst wieder in der Lage sein, mit ihrer körpereigenen Abwehr Euterentzündungen zu bekämpfen.

Das Wirkprinzip des Quorum Sensings hat sich der Hersteller AHV auf die Fahnen geschrieben. Auch andere Hersteller haben Produkte mit pflanzlichen Inhaltsstoffen im Programm. Diese werden Kühen mit Euterproblemen zumeist ins Maul eingegeben. Dabei handelt es sich um Ergänzungsfuttermittel in Form von Boli, Pasten oder flüssigen Produkten, daher fällt auch keine Wartezeit auf Milch an. Die Inhaltsstoffe sind pflanzlich und enthalten z. B. Knoblauch, Kurkuma, Zimtrinde, Weidenrinde, Weinrebe oder Ingwerwurzel.

Anwendung kniffelig

„Kombiniert man diese verschiedenen Pflanzenstoffe miteinander, erhält man Rezepturen, die sowohl leicht antimikrobielle, biofilmlösende, entzündungshemmende und antioxidative Eigenschaften haben. Diese Kenntnisse der Phytotherapie werden seit Jahrhunderten in der Kräuterheilkunde angewendet“, weiß Johanna Fink-Gremmels, Professorin für tierärztliche Pharmakologie an der Universität Utrecht (Niederlande). Sie ist davon überzeugt, dass der Antibiotikaverbrauch in der Praxis auf ein Minimum reduziert und die Wirksamkeit von Antibiotika erhalten werden kann, wenn solche biotechnologisch aufbereiteten Naturstoffe in das Tiergesundheitsmanagement auf den Betrieben aufgenommen werden.

Die Anwendung ist jedoch nicht gerade simpel. Man muss sich die Kuh genau ansehen: Hat sie Fieber? Ist das Euter heiß und geschwollen? Wie schauen die Milch bzw. die Flocken aus? Wie ist der Allgemeinzustand der Kuh? Erst dann wird entschieden, von welchem Produkt wie viel und wann gegeben werden muss.

Die Hersteller haben hier teilweise sehr genaue „Fahrpläne“: Zum Beispiel müssen dann schon mal zwei oder drei verschiedene Boli auf einmal und zusätzlich eine Flasche Kuhtrank ins Maul eingegeben werden. Die Prozedur muss u. U. wiederholt werden, bis das Euter locker wird. Andere Hersteller setzen auf nur einen Wirkstoff, von dem der Kuh dann aber zwei Boli eingegeben werden sollen. Um die Kuh nicht unnötig lange zu „bearbeiten“, gibt es inzwischen Eingeber, in denen mehrere Boli Platz finden.

„Der Biofilm im Euter
wird aufgebrochen
und mit den Bakterien
ausgeschieden.“
Susanne Panuschka, AHV

Biofilm wird ausgeschieden

Die Wirkstoffe sollen sich laut Hersteller nun im Körper der Kuh verteilen, auch im Euter. Dort sollen sie eine „Euterreinigung“ durchführen: „Der Biofilm wird aufgebrochen und zusammen mit Leukozyten, also den weißen Blutkörperchen zur Immunabwehr, und abgetöteten Bakterien ausgeschieden. Dann kommt oft ein richtiger Gatsch aus dem Euter, topfenartige Milch, rote Schleimhautfetzen, geschädigtes Gewebe“, erklärt Susanne Panuschka vom Hersteller AHV. „Zuerst glaubt man, das Euter ist kaputt. Aber das Zeug hat sich jahrelang angesammelt, später kommt wieder Milch.“

Zwar fällt bei der Bolus-Behandlung keine Wartezeit auf Milch an und man spart sich die Kosten der antibiotischen Eutertuben. Doch auch die phytotherapeutische Behandlung hat ihren Preis. So kostet bspw. ein „Knoblauch-Bolus“ rund 16 €. Werden mehrere Produkte über einen längeren Zeitraum gegeben, summieren sich die Kosten schnell auf.

Milcherzeugerin Pauline Schrattenecker aus Lohnsburg am Kobernaußerwald (OÖ) setzt schon seit einigen Jahren Boli zur Euterbehandlung ihrer Kühe ein (siehe Reportage), hat die Behandlungskosten jedoch noch nie durchgerechnet. „Ich mag alte Kühe, die im Euter gesund bleiben und lange Milch liefern. Mit den Boli kann ich viele Euterprobleme schon abfangen, bevor ich zu antibiotischen Eutertuben greifen muss“, so die Milchviehhalterin. So wie sie setzen inzwischen schon einige Milcherzeuger auf die pflanzliche Mastitisbehandlung, berichten von sinkenden Zellzahlen, weniger Sperrmilch und fitteren Kühen.

Doch der Einsatz der Pflanzen-Boli hat auch seine Grenzen. „Bei richtig kranken Mastitis-Kühen, die Fieber haben, behandle ich sofort mit antibiotischen Eutertuben. Solchen Kühen nur Boli zu geben, das ist mir zu heiß“, meint Pauline Schrattenecker. Und auch Norbert Stolz (Fa. Futtermittel Fallmann) rät: „Offensichtlich schwer kranke Kühe müssen dem Tierarzt vorgestellt werden. Bei einer Coli-Mastitis sollte man keine Zeit verlieren!“

Erfolgreich oder nicht?

Tierarzt Striezel warnt zudem davor, die Wirkung der pflanzlichen Boli zu überschätzen. „Was auf dem einen Betrieb klappt, muss auf dem nächsten Betrieb nicht funktionieren. Eine Mastitis hat viele Einflussfaktoren.“ Striezel wollte sich selbst ein Bild von der Wirkung der Boli machen und behandelte sechs chronisch kranke Mastitiskühe mit Knoblauch-Boli. „Das war sicherlich keine repräsentative Tierzahl, aber für einen ersten Eindruck hat es gereicht. Leider konnten wir keinen nennenswerten Erfolg mit der Behandlung bei den längerfristig chronisch kranken Tieren erzielen. Selbst wenn die Zellzahl ein wenig runterging, war das nicht von Dauer“, berichtet er.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine litauische Studie. In dieser wurden 62 klinisch und subklinisch erkrankte Kühe mit einem Bolus (Knoblauchextrakt) plus Entzündungshemmer (NSAID) und im Vergleich mit antibiotischen Eutertuben plus NSAID behandelt. 14 Tage nach der Behandlung fanden die Forscher eine niedrigere Leitfähigkeit in der Milch sowie eine höhere Wiederkaudauer in der Bolus-Gruppe. Der Unterschied im Rückgang der Zellzahlen zwischen beiden Gruppen war jedoch nicht signifikant.

Zulassung als Arzneimittel teuer und ­aufwendig

„Ich halte grundsätzlich den Eingriff ins Quorum Sensing der Bakterien mit phytotherapeutischen Wirkstoffen für eine zukunftsweisende Idee. Ob es allerdings mit Boli geht oder ob es direkter am Ort des Geschehens sein muss, ist für mich die entscheidende Frage“, meint Striezel.

Der Tierarzt ist skeptisch, ob die Wirkstoffe eines Bolus, tatsächlich über die Blut-Euter-Schranke in der entsprechend wirksamen Konzentration im Euter ankommen. „Wenn man die pflanzlichen Wirkstoffe direkt im Euter anwenden würde, hätte man eine höhere Wirksamkeit“, ist Striezel überzeugt.

Solche Eutertuben müssten allerdings als Tierarzneimittel zugelassen werden. Das sei deutlich teurer als bei Futtermitteln. Und es eignen sich auch nicht alle Wirkstoffe zur Anwendung im Euter. „Aktuell werden die pflanzlichen Produkte als Futtermittel vertrieben. Es gibt kein Heilungsversprechen“, sagt Striezel.

„Ich halte die Behandlung​

von Biofilmen im Euter für​

eine zukunftsweisende Idee.“​
Tierarzt Dr. Andreas Striezel aus Forchheim (BY)

Prophylaxe wichtig

Das Forschungsinteresse an Quorum Sensing ist weltweit groß, da chronische Infektionen und Antibiotikaresistenzen zunehmen. Doch weder Futtermittel- noch Pharmafirmen investieren derzeit in größere Forschung und Entwicklung neuer Medikamente. „Die Studien und Zulassungen sind teuer, die Hersteller bekommen ihr Geld nicht wieder raus“, meint Striezel. Daher gibt es aktuell kaum unabhängige Studien mit größeren Tierzahlen. Für eine konkrete Empfehlung der pflanzlichen Behandlung fehlen daher solide Daten.

„In die Erforschung von Biofilmen zu investieren, ist aber absolut wichtig und richtig“, unterstreicht Striezel. „Mit einer Antibiotikatherapie erwischen wir nur die Spitze des Eisbergs und sind immer zu spät dran!“ Er rät daher Milchviehhaltern, mit Hygiene, einer optimierten Fütterung und der Stärkung des Immunsystems, die Kühe so fit zu halten, dass sie dauerhaft mit gesunden Eutern Milch produzieren können. „Die Boli sind in einem frühen Stadium der Infektion mit wenig Biofilmbildung eher wirksam als bei chronischen Entzündungen mit Knotenbildungen“, resümiert Tierarzt Striezel.

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Weites Anwendungsgebiet

Nicht nur bei Mastitiden, auch zum Trockenstellen, bei Fruchtbarkeits- und Stoffwechselproblemen oder Kälberdurchfall können die pflanzlichen Präparate eingesetzt werden.

Die Hersteller haben für fast alle Krankheitsbilder Produkte im Sortiment:

  • Beim Trockenstellen werden meist dieselben Wirkstoffe eingesetzt, die auch bei akuten Mastitiden verwendet werden. Sie sind dann in anderer Dosierung enthalten und wirken entsprechend langsamer.
  • Spezielle Boli, z. B. aus Ringelblumen, Nelken und Zimt, sollen helfen, Geburtsverletzungen zu heilen und die Gebärmutter zu säubern.
  • Bei Stress und Spannungen helfen Produkte aus Weidenrinde und Trauben, das Immunsystem zu unterstützen.
  • Durchfallkälber können mit Knoblauch und Mineralstoffen versorgt werden, die auch den Kot eindicken.

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