Für den Wirtschaftethiker Prof. Dr. Nick Lin-Hi von der Universität Vechta ist ein Schwenk hin zu Laborfleisch bei der zukünftigen Ernährung unausweichlich. "Wenn wir so weitermachen, dann werden meine Kinder vermutlich schon ein Problem haben, hier noch eine lebenswerte Erde vorzufinden", sagte Lin-Hi im Interview mit dem WDR.
Das Verteidigen des Rechts auf Fleischgenuss ist für ihn typisch deutsch: Wolle man dem Bürger den Dienstwagen oder das Schnitzel wegnehmen, komme es zu massiven Reaktionen, man schalte in den Angriffsmodus.
„Die emotional aufgeladene Stimmung führt dann dazu, dass wir nicht den rational geführten Diskurs in der Öffentlichkeit hinbekommen, den wir bräuchten, um einen nachhaltigen Weg einzuschlagen. Wir verhaken uns im Klein-Klein“, so der Forscher, der sich intensiv mit der Ernährung in der Zukunft beschäftigt.
Automatische Abwehrreaktion
Begründet sei dies in der mentalen Veränderungsbereitschaft. Viele Menschen würden sich sehr schwer damit tun, sich auf neue Dinge einzulassen. „Denken Sie nur an die Einführung der Gurtpflicht in den 70ern. Eine Katastrophe für viele: Beschneidung der Freiheit, das ist das Ende des Glücks, die ganze Welt geht unter. Das ist ein ganz typischer Mechanismus. Die älteren Generationen vertreten oftmals auch die Position: Das, was wir haben, haben wir uns erarbeitet - und das lassen wir uns nicht wegnehmen“, so der Professor.
Seit Corona seien nun auch noch sehr krude Weltbilder hinzugekommen. So gebe es Menschen, die zwar die Fakten betrachten, ihr Bauchgefühl aber gleichberechtigt hinzuwerten würden. Das habe nichts mit einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft zu tun.
Nahrungsmittelproduktion für ein Drittel der Treibhausgase verantwortlich
Laut Lin-Hi macht die Ernährung knapp ein Drittel der menschengemachten Treibhausgase aus. Davon wiederum seien tierische Produkte für knapp 60 % verantwortlich. Gleichzeitig deckten sie aber nicht einmal 20 % des Kalorienbedarfs. Da sei also ein Missverhältnis drin.
Der Fachmann hält es daher für unausweichlich, dass der Fleischkonsum massiv reduziert werden muss. Dazu seien nur die meisten Menschen nicht bereit. Und auf der globalen Ebene passiere genau das Gegenteil. „Wir rechnen damit, dass die Fleisch-Nachfrage 2050 nochmals 60 % höher sein wird als heute. Mindestens. Und das ist nicht mehr verkraftbar.“
Neue Produkte statt Verbote
Erfolg könnten dagegen radikale Innovationen haben. Das könnten Produkte mit einem drastisch reduzierten ökologischen Fußabdruck sein. Ein Beispiel dafür ist laut Lin-Hi das In-Vitro-Fleisch, also kultiviertes Fleisch aus dem Labor. Hierbei handelt es sich um echtes Fleisch, das genauso schmeckt und aussieht wie das, was wir heute essen.
„Optimistische Studien prognostizieren im besten Fall ein Einsparpotential von 90 %: 90 % weniger Flächenverbrauch, 90 % weniger Wasserverbrauch, 90 % weniger Emissionen. Und In-Vitro-Fleisch könnte auch dabei helfen, kognitive Dissonanz aufzulösen“, ist sich der Experte sicher.
In-Vitro-Fleisch ist Wachstumsmarkt
Für den Ethiker ist In-Vitro-Fleisch ein Wachstumsmarkt. „Allerdings sehen wir, dass wir uns in Deutschland eher schwer mit solchen Innovationen und neuen Technologien tun. Wir stehen mit einem Fuß auf der Bremse. Unser Zeitfenster, um als Standort Deutschland eine Rolle in diesem Markt zu spielen, wird immer kleiner. Bis die Musik irgendwann in anderen Ländern spielt.“
Lin-Hi vergleicht dies mit der E-Mobilität, wo das Autoland Deutschland seine Führungsrolle verloren habe und Ländern wie den USA oder China hinterherhechele. „Wir sind nicht innovativ genug. Und das wird uns langfristig unseren Wohlstand kosten. Und in der Landwirtschaft droht uns ein zweiter Tesla-Moment.“
Konventionelles Tierfleisch bald nicht mehr konkurrenzfähig
Als Länder, die es besser machen, nennt er beispielsweise Singapur, wo kultiviertes Fleisch seit 2020 zugelassen ist. Auch für die USA prognostiziert er, dass es nicht mehr allzu lange dauert – vielleicht schon bis Ende 2024. In Europa werde es am längsten dauern, er rechnet mit der Zeit nach 2030.
Nur werde die Einführung auf anderen Märkten Auswirkungen auf die Weltmarktpreise haben. „Konventionelles Tierfleisch, selbst mit unseren massiven Subventionen, ist irgendwann nicht mehr konkurrenzfähig. Die Herstellung im Labor ist wesentlich effizienter. Rechnen wir dann noch die ökologischen Kosten drauf, ist das Thema sowieso gegessen. Diese Entwicklung können wir nicht stoppen. Die Zukunft lässt sich nicht aufhalten“, sagte er im WDR.