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Von Scheunenpartys und Osterfeuern

Zusammenhalt und Menschlichkeit sind auf dem Land Normalität

Stadt- und Landbewohner beäugen sich oft noch mit Vorurteilen. Aber die Unterschiede schwinden, wie die kurzweilige und amüsante Talkrunde mit Promis am Donnerstag im Landwirtschaftsverlag zeigte.

Lesezeit: 8 Minuten

„An jedem Küchentisch ist Platz, egal wo man hinkommt. Und wenn es Probleme gibt, packen alle mit an.“ Das kann jeder bestätigen, der auf dem Dorf groß geworden ist oder lebt. Und der Schlüssel steckt in der Haustür.

Für Andrea Franken war das zunächst ungewohnt. Die Moderatorin ist der Liebe wegen zu einem Landwirt auf den Hof nach Keppeln (NRW) gezogen und will das Leben auf dem Land nicht mehr missen, wie sie am Donnerstagabend beim „top-TALK“ im Landwirtschaftsverlag Münster-Hiltrup berichtete.

Auf dem Land passt man sehr auf seinen Führerschein auf - Franken

WDR2-Moderatorin Steffi Neu kitzelte aus den Gästen nicht nur die Besonderheiten des Landlebens heraus, sondern auch höchstunterhaltsame Anekdoten aus der Vergangenheit. TV-Comedian Simon Gosejohann – kurz vor Sendebeginn noch mit dem Deutz beim Mistfahren auf dem elterlichen Hof in Gütersloh-Niehorst – brachte es auf den Punkt: „In der Familie lernt man Integrität und Anpassungsfähigkeit.“ Gosejohann lebte lange in Köln und wohnt heute in Berlin.

Dort würden Banalitäten zu langen Diskussionen und Verstimmungen führen, mit einem schnellen Abbruch der Beziehung. Auf dem Land dagegen finde man Kompromisse, schließlich muss man ja mit den Nachbarn weiter gut auskommen, bestätigt auch Katharina Kock.

Die Darstellerin aus der RTL2-Serie „Berlin Tag und Nacht“ kommt vom Land und kennt beide Seiten und sämtliche Vorurteile. Mitgenommen aus ihrer Herkunft habe sie Menschlichkeit und Mitgefühl, über Probleme werde gesprochen, man ist nett zueinander. „Die Stadt ist viel schnelllebiger.“

In Berlin kann man sonntags einkaufen, auf dem Land muss man zum Nachbarn - Kock

Das Land erdet: Das schätzt Christoph Gröblinghoff an seinem elterlichen Hof im Kreis Soest. Der Vorsitzende der AGCO/Fendt-Geschäftsführung war beruflich weltweit unterwegs und wohnt heute werksnah im Allgäu.

Seinen Hof in Westfalen betreibt er zusammen mit seinem Cousin in einer Betriebsgemeinschaft. „Der Hof ist Ruhepool. Es ist gut zu wissen, dass er mich ernähren kann, das ist meins. Er bringt sehr viel Stabilität in allen Lebensphasen“, schildert der Manager. Trotz der vielen Abwesenheit hätten die Freundschaften auf dem Land gehalten, er sei u.a. im örtlichen Hegering aktiv.

Ehrenamt ist der Kit der Gesellschaft, losgelöst von der Herkunft werden Hürden überwunden und Brücken geschlagen – Gröblinghoff

„Die Attraktivität des Landlebens hat aber deutlich zugenommen, es gibt Kitas, Kinos und Gastronomie“, betont Gröblinghoff. Seiner Meinung nach sind die Reize der Stadt auch teilweise überbewertet, weil wir sie ja gar nicht alle nutzen können. „Das Land hat aufgeholt, man muss nur mutig sein und sich darauf einlassen.“

Städter entscheiden über die Köpfe der Landbewohner hinweg

Auf gar keinen Fall vom Land weg bekommt man Dietmar Wischmeyer. Der Autor, Kolumnist und Satiriker ist u.a. bekannt von der Radiocomedy „Günther der Treckerfahrer“ oder aus der ZDF heute-Show. „Wenn die Städter wüssten, in welchem Luxus wir auf dem Land leben, dann würden sie Steuern drauf erheben“, frotzelt er und meint die frische Luft, den Platz und die Ruhe.

Aber auch das Landleben hat sich verändert. Stadt bedeutete für ihn früher, dass es dort Essen aus der Dose oder dem Supermarkt gibt, während auf dem heimischen Hof in Melle alles aus Garten und Ort kam. Heute gebe es auch dort nur noch sehr wenige Landwirte.

Verärgert zeigt sich der überzeugte Dorfbewohner über das Gebaren der Städter, das Land zu „kolonisieren“. „Die Städte wachsen ins Land rein und graben den Regionen das Grundwasser ab“, so Wischmeyer. Felder würden mit Photovoltaik zugebaut, die Stromleitung Suedlink oder neue Bahnstrecken würden durch das Land gefräst, beklagt er sich. Vom Bau des Kanals hätten damals alle Anlieger profitiert; heutige Bauprojekte gingen dagegen an der Landbevölkerung vorbei und dienten nur den Ballungsräumen.

Ist die Stadt inspirierend oder Sammelbecken aller Probleme?

Simon Gosejohann will das Stadtleben dagegen nicht so verteufeln. „Man lebt in einer Großstadt am Puls der Zeit, das ist sehr inspirierend, ich genieße das sehr“, schilderte er. Seine Kinder hätten ein riesiges Angebot an Vereinen und zum Spielen sei schnell eine Mannschaft zusammen, was auf dem Land so nicht geht. „Und wenn mich die Stadt nervt, fahre ich eine Woche nach Niehorst.“

Nein, das kann Wischmeyer nicht nachvollziehen: „Berlin ist offener Vollzug“, so sein Urteil. Freiwillig würde er nie in die Stadt ziehen. Da seien alle Probleme fokussiert an einem Ort, auf dem Dorf gebe es vielleicht nur eins. „Da ist haufenweise Kram, den keiner lösen kann“, steht sein Urteil fest. Beispiel Bürgeramt: Da geht er hin, kommt direkt dran und kann noch zwei weitere Sachen besprechen. In der Stadt müsse er sich einen Termin monatelang im Voraus holen, nur um einen Führerschein oder eine Kfz-Zulassung zu beantragen.

„Die Städter müssen mal raus aus ihrer Blase. Da treffen sich immer nur die gleichen Leute aus derselben Blase, auf dem Land treffen sich alle“, so seine Beobachtung. Erneut widerspricht da Gosejohann: „Die Städter entwickeln Lebensformen, die für sie sinnvoll sind.“ „Aber es gibt massenweise Singles“, wirft Wischmeyer als Fehlentwicklung ein.

Ich bin mir meiner privilegierten Situation bewusst. Was für andere begehrtes Bauland ist, bleibt bei mir Garten – Wischmeyer

Ohnehin regt den Niedersachsen die Regelwut und Bürokratie im Land auf. Osterfeuer seien fast nicht mehr möglich, hier werde Brauchtum getötet. „Wir machen uns da einen fertig“, schimpft er und erinnert an den Streit um Scheunenfeste, wo Niedersachsen eine Bauantragspflicht einführen wollte. Die war durch den großen Widerstand der Landjugend dann doch fallengelassen worden. Wischmeyer hält die Partys für sehr wichtig und sieht auch Erntefeste in einer Renaissance.

Steffi Neu: Ich bin ein typisches Landkind

Nie eine Option war der Wegzug für Moderatorin Steffi Neu. Im Gespräch mit top agrar-Chefredakteur Guido Höner schilderte sie das „Werteregal“, das sie komplett vom Elternhaus mitbekommen habe und von dem sie bis heute profitiert. „Für mich ist es selbstverständlich, Menschen zu grüßen. In der Stadt werde ich dafür komisch angeschaut“, so die Rheinländerin.

Sie berichtete auch von der schweren Zeit damals als Moderatorin beim Jugendradio 1Live. Sie kam als Landei uncool rüber und hörte manches Vorurteil. Dass sie mal Kuchen für Kollegen mitbrachte, stieß dort auf Verwunderung.

„Ich bin ein typisches Landkind: Ich kann keinen Öffentlichen Nahverkehr, verstehe die Ticketautomaten nicht – das hab ich nie gelernt - , ich fahre sehr gerne Auto und scheue keine langen Strecken, ich kann Getreidearten unterscheiden, Vögel erkennen, Treckerfahren, einen Rumtopf ansetzen und backen.“

Da ist dieses Urvertrauen, ein Platz, wo man sicher ist - Neu

Neu pflichtet ihren Vorrednern jedoch bei, dass sich die Unterschiede zur Stadt abschleifen. Die Dorfbewohner seien heute fit, wüssten viel. Es gebe Versandhandel, Internet und Netflix. Und da keiner wegkommt, sind viele Landbewohner in Vereinen und Communities aktiv. Im Gegensatz dazu sind Städter viel schneller persönlich angefasst und unentspannter.

„Ich werde immer stolzer auf das, wo ich herkomme. Ohne Kinder in jungen Jahren kann man in der Stadt leben und die Erfahrung ist auch wichtig“, erklärt sie. Aber auf Dauer sei das nichts für sie. Die Städter würden sich auch sehr schnell eine Meinung über das Land machen, ohne da gewesen zu sein, ist eine ihrer Erfahrungen.

Landjugend hat enorme Bedeutung für Zusammenhalt

Einen großen Anteil an dem harmonischen und aufmerksamen Leben der Menschen auf dem Dorf hat die Landjugend. Da waren sich alle Gäste einig. Anne-Kathrin Meister berichtete als stellvertretende Vorsitzende des Bundes der Deutschen Landjugend, dass die Gemeinschaft allein in ihrem Ort in den zwei Coronajahren 52 neue Mitglieder aufgenommen habe, auch aus Nachbarorten. Nur noch 20 % hätten einen landwirtschaftlichen Hintergrund.

Die Landjugend ist Wegbegleiter für viele Entwicklungsschritte der Jugend - Wischmeyer

Die Gemeinschaft sei wichtiger Treffpunkt, gestalte Freizeitaktivitäten, man passe bei Feiern aufeinander auf und letztlich sei es ein Generationenvertrag – schon die Eltern seien in der Landjugend gewesen und hätten tiefes Vertrauen. Fest steht laut der Oberfränkin aus Schwarzenbach an der Saale, dass sich auch die Landjugend verändert habe.

Das stellen am Ende alle Redner fest: Stadt und Land nähern sich an, es gibt immer weniger Unterschiede. Per Homeoffice können Mitarbeiter vom Land aus arbeiten, Influencer senden ihre Videos aus Dorfkellern, es bieten sich ganz neue Chancen, die es früher nicht gab, und eine ganz neue Lebensqualität ist entstanden. Stadtmenschen seien halt bunter, da fehle vielen Landbewohnern manchmal das Verständnis.

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