Auf dem Bildschirm wimmelt es von Bienen. Einige laufen aus dem Bienenstock heraus, andere wollen hinein. Viele tragen Pollensäckchen an den Beinen. Die Aufnahme stammt vom Eingang einer sogenannten Beute. Eine Kamera filmt die in den Bienenstock ein- und ausfliegenden Bestäuber. Ihr entgeht nichts.
Diese Bewegungsdaten sammelt das Karlsruher Jungunternehmen apic.ai. Auf Basis der Daten kann das Start-up präzise Aussagen über Einflussfaktoren auf das Bienenvolk treffen. Ändert sich etwas im Ökosystem der Bienen, ändert sich auch das Verhalten der Bestäuber. Tragen die Bienen plötzlich weniger Pollen ein? Verändert sich die Flugaktivität der Sammlerinnen? Oder kehren gar weniger Bienen in den Stock zurück? Wer den Überblick über rund 25 000 Bienen pro Volk behalten will, kann digitale Hilfe wohl gut gebrauchen.
Pflanzenschutzmittel als Einflussfaktor
Verschiedene Parteien aus dem Agrarsektor haben an dem System Interesse. „Im Bereich Pflanzenschutz wollen die Unternehmen wissen, wie sich eine Substanz auf die Bestäuber auswirkt“, sagt Gründerin Katharina Schmidt. „Im Bereich Saatgut geht es eher darum, ob man Erträge erhöhen kann, indem man Pflanzen attraktiver für Bestäuber macht.“
Das digitale Bienenzählen ist eine erst in den vergangenen Jahren zuverlässiger gewordene Methode, das Bestäuberverhalten zu erfassen. Dies wird beispielsweise nötig, wenn Pflanzenschutzmittel (PSM) zugelassen werden. Dann müssen Hersteller in aufwendigen Studien nachweisen, dass es für Bienen ungefährlich ist. Bislang wird hier auf lang etablierte, meist nicht-digitale Methoden im Labor, im Tunnel und im Freiland zurückgegriffen. Die Regularien sind äußerst streng und maximal standardisiert. Die Zulassung eines PSM dauert über zehn Jahre.
Hummel, Mauer- oder Honigbiene?
Die Honigbiene (Apis mellifera) ist eine von rund 560 Bienenarten in Deutschland. Trotzdem wird ein Großteil der Studien zur Risikobewertung mit dieser Spezies durchgeführt. Kritiker bemängeln, dass Studienergebnisse nicht per se von der Honigbiene auf andere Arten übertragbar seien. Obwohl es mittlerweile auch Studien mit Hummeln und Mauerbienen gibt, verbleibt der Hauptaugenmerk u. a. aus folgenden Gründen doch auf der Honigbiene als Stellvertreterart: Sie kann vom Menschen gehalten werden, was für eine gute Reproduzierbarkeit von Studienergebnissen wichtig ist. Das Verhalten der einzelnen Biene und eines Volkes kann unter Labor- wie auch unter Freilandbedingungen untersucht werden. Die Biologie der Honigbiene ist gut beschrieben, was die Interpretation von Testergebnissen erleichtert. Und ökotoxikologische Daten weisen darauf hin, dass die Honigbiene vergleichsweise sensibel auf PSM reagiert, so dass sie ein guter Indikator für die Toxizität eines PSM ist. Katharina Schmidt arbeitet daran mit, dass sich die digitale Technik neben den bewährten Methoden etabliert. Sie glaubt, dass durch genauere Messmethoden mehr Transparenz über das Bienenverhalten entsteht. Effekte würden sichtbar, die zwar nicht sofort zum Tod der Biene führen, die Überlebenschancen eines Volkes aber langfristig senken. In Bezug auf PSM soll so vermieden werden, dass eine Substanz auf den Markt kommt, bei der sich erst später herausstellt, dass sie schädlich ist. Am Ende ist also ein größeres Maß an Sicherheit für die Bienen das Ziel. Dennoch findet die Methode erst langsam Einzug in die Auftragsforschung wie PSM-Studien.
Das bestätigt Dr. Richard Odemer vom Institut für Bienenschutz am Julius Kühn-Institut (JKI). Das JKI ist unter anderem dafür zuständig, von Unternehmen vorgelegte Studien zu sichten und die Risiken für Bienen bei der Zulassung von PSM zu bewerten. Er sagt: „Aus unserer Sicht sind umfassende digitale und vor allem automatisierte Monitoringsysteme in der Bienenforschung unausweichlich. Über kurz oder lang werden Bienenzähler imstande sein, den täglichen Bienenverlust präzise zu erfassen.“ Das habe eine enorme Arbeitserleichterung in der Studiendurchführung zufolge, so der Bienenexperte. Derzeit werde hier noch auf die sogenannte Totenfalle zurückgegriffen. Das JKI entwickelt im Förderprojekt VIBEE selbst einen Bienenzähler, arbeitet aber parallel mit apic.ai zusammen.
Daten sehen, was dem Auge verborgen bleibt
Was also verraten die Daten? „Wir messen bei apic.ai drei Indikatoren“, erklärt Gründerin Katharina Schmidt, die selbst Imkerin ist. „Wir erfassen die Aktivität der Bienen, den Anteil der Pollensammlerinnen und den Polleneintrag in den Bienenstock insgesamt.“ Die Erfassung der „Mortalität“ ist derzeit noch nicht verlässlich genug möglich. Aber allein die drei genannten Indikatoren liefern bereits interessante Einsichten in das Bestäuberverhalten, die dem bloßen Auge wahrscheinlich verborgen geblieben wären.
Katharina nennt ein Szenario aus der Forschung – und verweist darauf, dass es sich noch im absoluten Entwicklungsstadium befindet: „Bei einer sogenannten Repellency Studie wird gemeinsam mit dem PSM eine Substanz im Feld ausgebracht, die dafür sorgen soll, dass die Bienen sich in den Stock zurückziehen und für zwei bis drei Stunden nicht aus dem Stock herauskommen.“ Repellence heißt Abwehr. Rein theoretisch wäre es also denkbar, sogar ein PSM mit potenziell bienengefährdenden Eigenschaften auszubringen, weil die zusätzliche Substanz die Honigbienen in der kritischen Zeit fernhält und dafür sorgt, dass sie erst gar nicht mit dem PSM in Berührung kommen. Ein Mensch hätte nicht sicher sagen können, dass keine Biene den Stock in der „gefährlichen Zeit“ verlassen hat – die Kamera schon. Und nur bei unfälschbar sicherem Nachweis wäre die spätere Zulassung eines solchen Produktes überhaupt denkbar. „Bislang reine Theorie“, erinnert Katharina. „Aber es zeigt, was mit besseren Daten alles entwickelt werden könnte, um Erträge zu sichern und die Bienen trotzdem zu schützen.“
Daten verlässlich gestalten
Auch Richard Odemer vom JKI weiß die Daten zu schätzen, wenn sie valide und verlässlich erfasst werden. Dann könne die Technik in der Tat sogenannte subletale, also nicht tödliche Effekte auf Bienenvölker sichtbar machen. „Sowohl beim natürlichen Verhalten als auch über den Einfluss auf die Hintergrundmortalität. Das meint den Anteil an Bienen, der eines natürlichen Todes stirbt.“ Außerdem könnte die künstliche Intelligenz künftig Stressfaktoren oder deren Kombinationen identifizieren, die man aktuell noch nicht auf dem Radar hat.
Es zeigt, was mit besseren Daten alles entwickelt werden könnte, um Erträge zu sichern und die Bienen trotzdem zu schützen.“
Schon jetzt können digitale Bienenzähler aus Sicht des Bienenfachmanns dabei helfen, bisher methodisch schwer darstellbare Effekte sichtbar zu machen. „Werden Flugbienen z.B. durch kontaminierten Nektar oder Pollen beeinträchtigt, kann dies durch die Flug-aktivtät sichtbar gemacht werden.“
Auch interessant: Im Rahmen eines Forschungsprojekts erfasst die Kamera die Farbe der Pollen, die eine Sammlerin an den Beinen heftend mit in den Bienenstock einträgt. Diese Farbe lässt Rückschlüsse auf die gesammelte Blütenart zu, da Bienen pro Flug immer nur zu einer Pflanzenart fliegen. Mit diesem Wissen werden Rückschlüsse auf die jeweilige Nahrungsquelle im Flugradius der Bienen möglich.
Hebel für den Bienenschutz
Für Gründerin Katharina Schmidt hat die Technologie das Potenzial, den Bienenschutz voranzutreiben. Auch, weil sie den Unternehmen neue Vehikel an die Hand gibt, bessere Produkte zu entwickeln. Denn es sei ungerecht, wenn Kritiker Pflanzenschutzunternehmen und Landwirte per se als „böse Agrarlobby“ abstempeln und sie allein für das Bienensterben verantwortlich machen. Katharina sagt: „Die Vorlagen sind streng und ihre Einhaltung wird genau überwacht. Aber wir müssen die Methoden verbessern“, sagt Katharina Schmidt. „Und die Regularien hinter uns herziehen.“
Die hinken derzeit auch nach Ansicht des Europäischen Rechnungshofes hinter den technischen Möglichkeiten hinterher, wie in einem Sonderbericht aus dem Jahr 2020 ausführlich nachzulesen ist. Doch langsam kommt Bewegung in die Sache. Die 2022 überarbeiteten Richtlinien der verantwortlichen Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), das sogenannte Bee Guidance Document, enthält nun Passagen, in denen der Einsatz von geeigneten automatisierten Messinstrumenten erwähnt wird.
Das automatisierte Bestäubermonitoring kann mehr Details für mehr Transparenz liefern. Für die Sicherheit der Honigbiene ist das erstmal eine gute Nachricht.