Die Frage ist für Pflanzenzüchter, aber auch für Landwirte und Gärtner essenziell: Ist mein Saatgut noch keimfähig oder nicht? Die Gründer von „Seedalive“ haben einen Schnelltest entwickelt, der die Keimfähigkeit innerhalb von vier Stunden ermittelt. Was das Ganze mit Genbanken zu tun hat und wo Künstliche Intelligenz (KI) das Verfahren unterstützt, erzählen Jens Varnskühler und Professor Dr. Klaus Mummenhoff im Interview.
Wie kam es zur Gründung von Seedalive?
Professor Dr. Kaus Mummenhoff: Die Grundidee zu unserem Keimfähigkeits-Schnelltest entstand eigentlich in einem anderen Forschungsprojekt. Darin mussten wir herausfinden, ob bestimmte Samen lebendig bzw. vorrübergehend ruhend oder tot sind. Dazu haben wir eine grundlegende Idee aus der Mikrobiolologie optimiert. Als das gut funktioniert hat, haben wir versucht, das Verfahren auch auf andere Pflanzenfamilien anzuwenden – und es hat geklappt. Dann ist Jens Varnskühler, ein Student aus ganz alten Tagen, an mich herangetreten.
Jens Varnskühler:Genau, diese grundlegende Idee des Tests wurde in einem renommierten Magazin publiziert. In einem Facebook-Post der Universität Osnabrück bin ich darauf gestoßen und hab sofort Klaus angerufen und ihm gesagt, dass das Verfahren auf jeden Fall etwas für kommerzielle Anwendungen bei Landwirten, Gärtnern und Pflanzenzüchtern ist. Darauf folgten viele Absprachen, die Patentanmeldung der Uni und der weitere Gründungsweg. Inzwischen haben wir vier feste Mitarbeiter, sind in eigene Räume umgezogen und bringen gerade die ersten Testkits auf den Markt.
Und wie funktioniert das besagte Verfahren?
Varnskühler:Wir nehmen eine Probe mit Pflanzensamen und verteilen diese auf einer Multiwellplatte. Darauf geben wir eine dunkelblaue Indikatorlösung und inkubieren die Probe für vier Stunden. Anschließend messen wir, wie viel von der Farbe noch da ist. Wenn der Samen gesund ist, bleibt die Farbe ähnlich. Bei alternden oder kranken Samen wird Farbe abgebaut. So sehen wir, was keimfähig ist und was nicht. In der Praxis messen wir den Farbumschlag mit einem mobilen Fotometer, die gesamte Prozedur wird durch unsere vielsprachige APP gesteuert. Am Ende interpretiert unsere KI („Künstliche Intelligenz“) die Messwerte und das Ergebnis kommt minutenschnell per mail.
Warum ist das Verfahren von „Seedalive“ so unverzichtbar?
Varnskühler: Der Standard ist ein Keimfähigkeitstest nach ISTA. Dabei legt man die Samen ja nach Pflanzenart für bis zu vier Wochen oder sogar noch länger unter bestimmten Bedingungen aus und zählt dann zweimal zwischendrin, wie viele Samen gesund sind. Dafür braucht man Platz, Strom für klimatisierte Räume und „men/women-power“. Auch andere Keimfähigkeitstests sind recht aufwendig. Da liegt unser Vorteil: Wir können mit viel weniger Ressourcen und deutlich schneller ein ähnliches, von der Person unabhängiges Ergebnis vorhersagen. Das Saatgut aus unserem Test kann man bei einigen Arten sogar weiterverwenden.
Wir können mit viel weniger Ressourcen und deutlich schneller ein ähnliches, von der Person unabhängiges Ergebnis vorhersagen
Prof. Mummenhoff: Eine weitere Besonderheit ist, dass wir mit genug Daten zusätzlich zum Status quo auch das zukünftige Altern einer Probe voraussagen können. Und ein weiteres ganz wichtiges Alleinstellungsmerkmal: Nach unseren bisherigen Erkenntnissen in der Familie der Brassicaceen kann man das Saatgut nach dem Seedalive-Test weiterverwenden.
Varnskühler:Somit ist die Anwendung auch weltweit für Saatgutbanken bzw. Genbanken sehr interessant. Dort lagern z.B. im ewigen Eis von Svalbard weit nördlich vom Polarkreis sehr viele Samenproben von Kulturpflanzen und wilden Verwandten, um diese für zukünftige Züchtungsprogramme zu verwahren. Bisher werden dort regelmäßig Proben auf ihre Keimfähigkeit getestet, damit die Wissenschaftler dort wissen, wann es an der Zeit ist, neues Saatgut nachzuproduzieren. Mit unserem Test ginge das viel einfacher und mit weniger Schaden.
Damit sind Sie ja offenbar auf einem vielversprechen Weg. Wo liegen noch Hürden bei der Weiterentwicklung von Seedalive?
Varnskühler: Wir müssen für jede Art die Versuche mit großen Stückzahlen aufbauen und die KI entwickeln. Die Masse an Daten ist nicht unbedingt das Problem, aber die Masse an Arten. Da kommt noch viel Arbeit auf uns zu. Inzwischen wissen wir, dass ein Testkit, welches für eine Gattung funktioniert, auch die meisten Sorten aus dieser Gattung abdeckt.“