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Geflügelhalter Wöste und die Künstliche Intelligenz im Hähnchenstall

Geflügelhalter Claus Wöste nutzt ein intelligentes Kamerasystem im Stall zur Beobachtung der Hähnchen. Die Resultate: bessere Leistungen, mehr Tierwohl, mehr Entlastung und Energieeinsparung.

Lesezeit: 9 Minuten

Die Tür zum Geflügelstall öffnet sich. Hunderte der 1 Tag-alten Küken laufen piepsend vor den eintretenden Besuchern weg. Ein Blick über die 40.000 Tiere im 100 m langen Stall zeigt dem Geflügelhalter Claus Wöste auch ohne intelligente Kameratechnik: Noch ist die Tierverteilung nicht optimal. Die Küken sammeln sich an den kühleren Außenwänden. „Zum Einstallen achten wir darauf, dass es erstmal schön warm ist. Jetzt können wir die Temperatur wohl ein halbes Grad runterdrehen“, vermutet der Landwirt. Wenn die Tiere morgen jedoch „richtig angekommen“ sind, müssen sie sich gleichmäßig über den Stall verteilt haben. Dann gibt sich Wöste nicht mehr mit Vermutungen zufrieden, sondern will auch dann genau wissen, was sich im Stall tut, wenn er es selbst nicht beobachten kann. Dabei hilft eine Künstliche Intelligenz (KI).

Der 40-jährige Geflügelhalter aus Börger in Niedersachsen hat sich technische Unterstützung beim Jungunternehmen VetVise aus Hannover geholt. Das Team um Tierarzt und Mitgründer Johannes Schmidt-Mosig hängt in Geflügel- und Schweineställen handelsübliche Überwachungskamerasauf, die die Herde und ihr Verhalten kontinuierlich filmen. Die Bilder wertet das 2020 gegründete Start-up mithilfe von KI aus. Auf Basis dessen trifft VetVise Aussagen über das Wohlbefinden der Tiere – und gibt den Landwirten konkrete Empfehlungen, was sie an der Stalltechnik verändern müssen, damit diese optimal eingestellt ist. Im Fachjargon nennt sich diese Art der Tierhaltung „precision livestock farming“ (zu dt. Präzisions-Viehzucht).

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„Die Tiere zeigen uns mit ihrem Verhalten, ob es ihnen gut geht“, sagt Landwirt Wöste. „Nur kann ich ja nicht 24/7 auf die Tiere schauen.“ Die Kameras können das schon.

Was die Bilder erfassen

Insgesamt 41 Kameras an der Stalldecke erfassen folgende Parameter:

  • generelle Tierverteilung im Stall,
  • Tierverteilung an den Tränke- und Futterlinien (inkl. Besuchshäufigkeit),
  • Aktivität der Tiere in der gesamten Herde,
  • Aktivität der Tiere in bestimmten Bereichen, z. B. an den Tränke- und Futterlinien,
  • Lokalisierung toter Tiere,
  • Tonaufnahmen.

Jeden Morgen zwischen sechs und sieben Uhr erhält Geflügelhalter Wöste einen Bericht vom Start-up. Darin enthalten: eine ausgewertete Tierverteilungskarte und – nur bei Auffälligkeiten – konkrete Handlungsanweisungen. „Gerade im Herbst, wenn die Temperaturwechsel von 25 Grad am Tag und 4 bis 5 Grad in der Nacht groß sind, zeigt die Tierverteilung genau, wo es im Stall zieht“, sagt Wöste. „VetVise schreibt uns je nach Tierverteilung, dass wir den Unterdruck erhöhen, die Lüftungsklappen umstellen oder die Temperatur um z. B. 0,5 Grad erhöhen sollen.“ Je nach Datenlage sind auch andere Hinweise möglich: etwa, dass die Sprühkühlung an einer Stelle tropfen könnte, dass sechs Nippel der Tränke zu hoch hängen oder dass der Tierarzt kontaktiert werden muss, weil Trink- und Aktivitätsverhalten auf eine sich anbahnende Durchfallaktivität hinweisen.

Anlagensteuerung auf den Punkt genau

Gemeinsam mit drei festangestellten Mitarbeitern und fünf 520-€-Kräften betreibt Claus Wöste Acker- und Kartoffelanbau auf 350 ha. Außerdem kommen zwei bei Rothkötter integrierte Geflügelfarmen mit je vier Ställen à 40.000 bzw. 50.000 Tieren dazu. Insgesamt ist er damit für 360.000 Tiere verantwortlich.

„Einen gut laufenden Stall noch besser zu machen, ist schwer – hat bei uns aber geklappt“, so Wöste, der selbstbewusst auf die Leistungszahlen seines Betriebes blickt. „Unsere Futterverwertung liegt zwischen 1,50 und 1,53 und wir können tägliche Zunahmen oberhalb von 70 g bei generell höheren Endgewichten vorweisen.“ Diese Kennzahlen zeugen von einem sehr guten Team, einem Management auf höchstem Niveau und von Tieren an der oberen Leistungsgrenze. „Trotz dieser hohen Leistung blicken wir jedoch auf sehr geringe Verluste zwischen 1 und 2 %.“ Auf diesem Level komme es auf die Details im Management an, versichert der Tierhalter und hört sich selbst die altbekannte Floskel bewahrheiten: „Geht es den Hühnchen gut, geht es dem Halter gut.“

Den Satz meint Wöste allerdings auch mit Blick auf die für Außenstehende immens wirkende Tierzahl in seinem Betrieb ernst. Wöste ist überzeugt: „Durch die permanente Überwachung der Tiere kann schon eine Person auch große Anlagen auf den Punkt und mit Gewissheit steuern.“ Zwar muss trotz Kameras noch zweimal täglich ein Mitarbeiter durch den Stall gehen. Aber der Betriebsleiter will sich nicht nur auf Erfahrung und Bauchgefühl verlassen, sondern sich sicher sein, dass es den Tieren gut geht. Gerade in den kritischen Phasen zwischen dem 23. und 28. Tag, wenn die Hähnchen häufig Impfreaktionen zeigen und einen Futterwechsel wegstecken müssen, könne er durch die KI-basierten Werkzeuge noch besser aufpassen. „Die Technik macht für mich den Unterschied zwischen glauben und wissen“, so Wöste. „Dadurch erreichen wir top Tierwohl.“

Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Nebeneffekt der punktgenauen Klimaeinstellungen im Stall sind Wöste zufolge „deutliche Einsparpotentiale bei den Energiekosten“. Der Betriebsleiter sagt: „Bevor wir mit VetVise zusammengearbeitet haben, wurden auch mal etwas höhere Temperaturen gefahren. Dabei brauchen die neuen Genetiken das eigentlich nicht.“

Blackbox Stall

„Was uns die Tiere durch ihr Verhalten alles zeigen, grenzt an Magie“, sagt VetVise-Mitgründer Johannes Schmidt-Mosig. „Das Problem des Menschen ist nur, dass wir Beobachter sind. Und wenn wir in den Stall kommen, reagieren die Tiere, die Situation verändert sich.“ Obwohl Landwirte viele Daten rund um den Stall kennen, wie Anzahl der eingestallten Tiere, Temperatur, Lüftung, Luftdruck usw., wisse man dennoch nicht, was die Tiere im Stall machen, wenn wir nicht da sind. Eine wahre „Blackbox“ also – so nennen IT-Experten das. In der Kombination mit den Daten aus dem Stall will Schmidt-Mosig diese Blackbox entschlüsseln. Ohne Interpretation geht es allerdings nicht.

Geringfügige Abweichungen von der Norm erkennen

Co-Gründer Schmidt-Mosig könnte vermutlich einen ganzen Tag darüber reden, wie die Kameraüberwachung beim Stallmanagement hilft. Ein paar Beispiele, die die Funktionsweise der Technik verdeutlichen sollen:

„Eine Warnung herauszugeben, wenn mir ein Sensor im Stall eine falsche Temperatur meldet, ist einfach“, sagt Johannes Schmidt-Mosig. „Das Problem ist nur, dass die Klimasensoren ihre Daten gemittelt abgeben. Also kann es sein, dass es vorne im Stall zu warm und hinten zu kalt ist und der Sensor trotzdem ‚alles super‘ anzeigt.“

Erst der Blick auf die Tierverteilung zeige dann, dass sich im vorderen Bereich gar keine Tiere aufhalten. „Wenn ich als Landwirt aber in den Hähnchenstall komme, bin ich es sowieso gewöhnt, im vorderen Bereich kaum Tiere zu sehen, weil ich die als Welle vor mir hertreibe“, erklärt Schmidt-Mosig. Also helfen die Kamerabilder, weil diese die Tiere filmen, wenn sie sich unbeobachtet fühlen.

KI ist wie ein sehr dummer HiWi."
Johannes Schmidt-Mosig

Anspruchsvoller wird die Fehlersuche, wenn eine Auffälligkeit so geringfügig ist, dass sie der Mensch kaum wahrnimmt. Wenn beispielweise 5 % weniger Tiere als normal zur Tränke- und Futterlinie kommen, ist das selbst auf der Tierverteilungskarte kaum zu sehen, sagt Schmidt-Mosig, weil auch hier Mittelwerte über den Tag verteilt erzeugt werden. „Aber“, so der Gründer, „5 % weniger Tiere an der Futterlinie sind für die Futteraufnahme erheblich.“ Der Mensch wird diese Veränderung erst Tage später bemerken, wenn die Zunahmen nicht mehr stimmen. VetVise hat eine KI so trainiert, dass sie die Abweichung von der Norm schon eher registriert und eine Warnung ausgibt.

Das Besondere: VetVise kann dem Landwirt sogar sagen, dass die Hähnchen wahrscheinlich aufgrund gesundheitlicher Probleme weniger fressen und trinken – und nicht etwa, weil die Temperatur nicht stimmt oder eine Tränke kaputt ist. Der Grund liegt im Wissen um das sonstige Verhalten der Tiere: Wenn die Verteilung der Gesamtgruppe im Stall gut ist, heißt das, es gibt keine Probleme mit der Temperatur. Aber wenn parallel auch die Gesamtaktivität der Herde minimal abnimmt und es gleichzeitig marginal mehr Tierverluste als normal gibt, lässt diese Kombination der Auffälligkeiten auf gesundheitliche Probleme schließen. Ohne die technologische Früherkennung hätte der Tierhalter erst ein paar Tage später einen Tierarzt zur Kontrolle rufen können.

So trainiert man eine KI

Wie stellt die KI diese Auffälligkeiten fest? „KI ist wie ein sehr dummer HiWi“, sagt Johannes Schmidt-Mosig. „Sie kann eine einzige Sache lernen, aber das dauert lange.“ Wenn eine KI also trainiert wird, lernt sie in Bezug auf eine einzige Fragestellung, was das gewünschte Endergebnis dieses Vorgangs ist. Sie lernt z. B., wie die Tieraktivität der Herde oder die Tieraktivität im Bereich der Futterlinie im Optimalzustand aussieht. „Wir zeigen ihr im Vorfeld die Aktivität im Stall von, sagen wir, 1.000 einzelnen Tagen. Für jeden Tag müssen wir ihr sagen: An diesem Tag war alles ok. An jenem gab es eine bestimmte Abweichung.“ Nach hunderten oder gar tausenden Stunden Training kann die KI auch kleine Abweichung von der antrainierten Norm erkennen.

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Bei vielen der Detailbeobachtungen geht es nicht um Leben und Tod, sagt Schmidt-Mosig. „Die Tiere sterben wegen kleiner Abweichungen ja nicht gleich. Aber sie bringen eben auch nicht die Leistung, die sie normalerweise hätten.“

Und dort schließt sich der Kreis zu Landwirt Claus Wöste, dem es ebenfalls um die Nuancen im Management geht. Dafür ist er auch bereit, die Hardware im Wert zwischen 10.000 und 15.000 € einmalig anzuschaffen. Zusätzlich berechnet VetVise je nach Auftragsart und je nachdem, ob Geflügel oder Schweine überwacht werden, eine Betreuungspauschale. Diese liegt für Geflügel zwischen 0,5 und 2,5 Cent pro Tierplatz und Monat.

Die Investition bewertet Betriebsleiter Wöste neben den reinen Managementzahlen auch noch auf Basis eines anderen Faktors. Er sagt: „Vor allem am Wochenende ist mir schon allein der Blick auf die Auswertung viel wert, wenn ich sofort weiß, dass alles ok ist.“

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