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topplus Management im top agrar-Interview

Butterpreissenkung: Aldi wertet Bauern-Blockade als Tatbestand der Nötigung

Aldi sieht sich als Blitzableiter für den Frust der Bauern und verweist auf strukturelle Probleme. Der Discounter bietet einen vorübergehenden Hilfsfonds an.

Lesezeit: 11 Minuten

Die Lage für viele Landwirte ist katastrophal. Corona, ASP, schlechte Preise und unsichere Zukunftsaussichten treiben sie auf die Barrikaden. Zuletzt wurden auch Zentrallager von Aldi blockiert, als eine enorme Butterpreissenkung die Runde machte. top agrar hat die Geschäftsführer für Kommunikation der Unternehmen Aldi Nord und Aldi Süd, die auch die Verhandlungen mit den Landwirten leiteten, interviewt.

Im vergangenen Jahr ist der Absatz im LEH aufgrund von Corona deutlich gestiegen. Auch Aldi hat gutes Geld verdient. Bei den Bauern spitzt sich die wirtschaftliche Lage dagegen weiter zu. Überrascht Sie die Welle der Entrüstung, die Ihnen gerade entgegenschlägt wirklich?

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Scholbeck:Wir sind offensichtlich gerade der Blitzableiter. Wir haben eben den großen Namen. Das Grundproblem ist aber ein strukturelles. Es ist auch das Ergebnis von zwanzig Jahren Agrarpolitik. Alle haben davon profitiert. Bauern, Verarbeiter, Handel und Kunden. Aber irgendwann ist dieses System an seine Grenzen gestoßen. Corona wirkt dabei wie ein Brennglas, genau wie die Afrikanische Schweinepest (ASP). Was sich zudem zu früheren Krisen geändert hat: 2013 hat sich noch kein Bauer über WhatsApp-Gruppen organisiert.

Die kolportierten 56 Cent Preissenkung treffen auf ALDI nicht zu.

Die Mitteilung, dass der Butterpreis jetzt doch deutlich gesenkt wurde, hat viele überrascht. Erst hieß es ja, dass Aldi den Landwirten entgegenkommen wollte.

Wübben:Die kolportierten 56 Cent Preissenkung treffen auf ALDI nicht zu. Trotzdem: die Butterpreise schwanken immer in dieser Jahreszeit. Vor Weihnachten geht der Preis hoch und danach wieder runter. Das war immer so und gilt für alle Händler. Und wir diktieren nicht, wir schreiben aus, die Molkereien reichen Angebote ein. Wer am günstigsten ist, kriegt den höchsten Zuschlag.

Wenn es die 56 Cent nicht sind, wie hoch fällt denn die Butterpreissenkung aus?

Scholbeck:Wir sprechen im Detail nicht über Einkaufspreise.

Wübben:Dass eine Preissenkung in der aktuellen Situation wie eine Provokationen wirken mag, ist verständlich, aber nochmal: Es handelt sich um einen komplett normalen Prozess. Im Übrigen bewegt sich die diesjährige Preisveränderung zum Jahreswechsel im Rahmen der vergangenen Jahre.

Scholbeck:Wir haben keine Vertragsbeziehungen zu Landwirten, wir kaufen bei Molkereien, Wursthersteller und anderen Verarbeitern. Das heißt, wenn die Bauern einen höheren Preis wollen, müssen Sie de facto und de jure zu Ihren Vertragspartnern gehen.

Es gibt den Bauernverband, aber der ist in den aktuellen Gesprächen de facto nicht existent.

Mit wem haben Sie bei den Blockaden eigentlich bisher verhandelt?

Scholbeck:Das ist eine gute Frage. Wir haben da tatsächlich ein Problem. Im Moment ist nicht klar, wer die Ansprechpartner unter den Landwirten sind. Es gibt den Bauernverband, aber der ist in den aktuellen Gesprächen de facto nicht existent. Bei Land schafft Verbindung gibt es unterschiedliche Strömungen. Dann gibt es noch andere Gruppen. Wir sprechen grundsätzlich mit allen. Aber es ist wahnsinnig schwierig, verbindliche Partner auf Seiten der Landwirtschaft zu finden und sich mit ihren Forderungen am blockierten Tor auseinanderzusetzen.

Wie werden Sie in Zukunft mit Blockaden umgehen?

Scholbeck:Die Blockade eines zentralen Lagers trifft den Tatbestand der Nötigung. Punkt. Demonstrationen gehören zum Grundrecht in Deutschland und ist freie Meinungsäußerung, Blockaden sind es nicht. Was einige Bauern da machen, ist die Vernichtung von Werten Dritter, mit denen es keine vertragliche Beziehung gibt. Wir wollen auch nicht in einer teils aggressiv aufgeladenen Stimmung am Tor verhandeln, sondern konstruktiv und sachlich auf Augenhöhe zum Beispiel in Arbeitsgruppen.

Wübben: Wir sind inzwischen übrigens auch mehr als irritiert, dass einige Politiker die Blockaden offensichtlich gutheißen und mit wenig hilfreichen Äußerungen immer wieder Öl ins Feuer gießen. Das ist schon sehr durchsichtig, wenig konstruktiv und schon gar nicht lösungsorientiert, wie der LEH einseitig an den Pranger gestellt werden soll. So einfach ist die Sache nämlich nicht – darüber sind sich alle Beteiligten im Klaren.

Wenn Sie sich selbst als „Dritten“ bezeichnen. Macht es sich Aldi bei all seiner Marktmacht nicht ein bisschen zu leicht?

Scholbeck:Ich weiß nicht, ob wir wirklich Marktmacht haben. Ein Beispiel: in Deutschland werden jedes Jahr über 33 Milliarden Liter Rohmilch produziert. Die Hälfte geht in den Export. Von der gesamten Rohmilchmenge landen bei ALDI Nord und ALDI Süd weniger als 3 Prozent als Trinkmilch im Regal. Das wird kein Ökonom als Marktmacht bezeichnen können. Wenn Aldi morgen zumacht, dürfte das den Markt überhaupt nicht stören. Die Bauern sagen zwar: Ihre habt eine Leitfunktion. Das haben wir im Frühjahr gesehen. Wir haben freiwillig 5 Cent über Marktpreis für Trinkmilch gezahlt, damit die Molkereien den Preis an die Bauern weitergeben. Aber nichts ist bei denen angekommen. Und welcher unserer Mitbewerber ist unserem Beispiel gefolgt? Keinen einziger. Das zum Thema Leitfunktion von Aldi.

Also würden Sie sagen, dass Aldi keine große Verantwortung trägt?

Scholbeck:Natürlich haben wir eine Verantwortung, aber nicht für die marktpolitische Entwicklung einer ganzen Branche, die eine hohe Exportorientierung hat und unter Corona und ASP leiden.

Für uns wird das eher ein normales Jahr werden.

Der LEH gilt als einer der Corona-Gewinner, auch weil die Gastronomie schließen musste. Was ist da bei Aldi Süd und bei Aldi Nord am Ende an Umsatz und Ertrag mehr in der Kasse gelandet?

Scholbeck: Natürlich hat der Handel profitiert. Aber es gibt Unterschiede. Wir haben durch Corona einen noch stärkeren Trend zum One-Stop-Shopping als ohnehin. Da gehen die Menschen eher zum Vollsortimenter und nicht zu uns. Deren Zuwachsraten sind größer als die vom Discounter. Auch online hat einen ordentlichen Schub erfahren. Wir haben zwar ein Umsatzplus durch Corona. Auch bei uns wurde Klopapier gekauft. Aber wir hatten auch erhebliche Kosten für die Sicherstellung von Logistikketten, für Hygienemaßnahmen, für Türwächter. Für uns wird das eher ein normales Jahr werden.

Wübben:Uns ist sehr wohl bewusst, dass es Branchen gibt, denen es extrem viel schlechter geht als uns und hoffen, dass diese sich alsbald wieder erholen. Wir haben keinen Grund zur Beschwerde, das steht außer Frage, wir sind garantiert keine Corona-Verlierer. Aber im LEH gibt es relativ betrachtet größere Gewinner.

Das Landvolk Niedersachsen hat kürzlich vorgerechnet, dass allein im Schweinesektor rund 100 Millionen Euro pro Woche im Zwischenhandel hängen blieben. Bei der Milch wären es nochmal ungefähr 50 Millionen. Was ist da dran?

Wübben:Zu den Zahlen konkret kann ich nichts sagen. Aber bei so einer Rechnung sind auch die Kontraktlaufzeiten wichtig. Im vergangenen Jahr hatten wir zum Beispiel laufende Kontrakte bei der Wurst, die Preise waren fixiert, und der Kurs fiel. Das heißt, der Arbitragegewinn ist nicht bei uns gelandet. Auch nicht beim Landwirt, sondern irgendwo dazwischen. Genauso verhält es sich mit den noch laufenden Schweinefleisch-Kontrakten, die wir vor Ausbruch der ASP abgeschlossen haben. Die Schweinefleischpreise für die Bauern sind seither deutlich gefallen, wir zahlen aber noch auf dem alten Niveau. Also: wegen Schweinefleischpreisen muss uns derzeit zumindest niemand kommen.

Lidl hat vor Weihnachten einen medialen Coup gelandet, als sie den Schweinehaltern 50 Mio. € über die Initiative Tierwohl versprochen haben. Kann man ähnliche Versprechen von Ihnen erwarten?

Wübben: Ich will nicht schlecht reden, was unsere Wettbewerber machen, alles was hilft, ist gut. Aber zum einen ist das keine schnelle Hilfe für die Bauern. Zum anderen ist es nur ein Tropfen auf den heißen Stein, auch wenn es sehr medienwirksam war. Zumal die aktuelle Lage einiger Landwirte ja mit Tierwohl überhaupt nichts zu tun hat.

Wir haben von unserer Seite andere Themen auf den Tisch gebracht. Dazu zählt einerseits das Thema Hilfsfonds.

Die Grundidee ist, dass alle Beteiligten, vom Landwirt bis zum Verbraucher und explizit auch die Politik, für einen begrenzten Zeitraum etwas in einen Hilfsfonds geben, über den notleidenden Landwirten geholfen werden kann. Wir haben auch beschlossen, dass wir Frischmilch ab August ausschließlich aus deutscher Produktion beziehen. Und wir prüfen gerade, längerfristige Verträge abzuschließen, um starke Preisschwankungen rauszunehmen. Zudem wollen wir künftig regionale Agrarprodukte punktuell stärker fördern, wenn dazu die Möglichkeiten bestehen.

Kurzfristig bräuchten wir mindestens hohe dreistellige Millionenbeträge, langfristig und zur grundsätzlichen Lösung der strukturellen Probleme geht das sicherlich in die Milliarden. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe.

Um was für Summen reden wir beim Hilfsfonds?

Wübben:Nageln Sie mich bitte nicht fest; aber ich denke, kurzfristig bräuchten wir mindestens hohe dreistellige Millionenbeträge, langfristig und zur grundsätzlichen Lösung der strukturellen Probleme geht das sicherlich in die Milliarden. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe.

Und zur Frischmilch: Wie viel kommt da denn bisher aus Deutschland?

Wübben:Unsere Vertragspartner sind große deutsche Genossenschaften und Privatmolkereien, deren Lieferanten in der Regel Landwirte aus den Regionen sind, weshalb der Großteil der Frischmilch bereits aus Deutschland stammt. Es ist aber auch EU-Milch aus dem benachbarten Ausland im Umlauf. Aber wir arbeiten mit den Molkereien jetzt daran, dass wir in der Eigenmarken-Frischmilch nur noch deutsche Produktion haben.

Was bietet Aldi sonst noch an?

Scholbeck:Natürlich werden wir jedes offizielle Gespräch über die Verbände und die Politik weiterhin führen. Außerdem haben wir uns vergangenes Jahr auf dem Gipfel bei Frau Merkel dazu bereit erklärt, uns Gedanken über eine umfassende Wertschöpfungskampagne für die deutsche Landwirtschaft zu machen. Die ist übrigens von Vertretern von LsV zunächst abgelehnt worden. Wir könnten uns dennoch weiterhin etwas in diese Richtung vorstellen. Das löst nicht die Strukturprobleme. Denn wenn die Preise marktwirtschaftlich auf einem Niveau sind, von dem Landwirte nicht leben können, muss nicht Aldi sondern die Politik aktiv werden, z.B. mit einer Art Sondersteuer wie beim EEG oder der GEMA.

Ist das jetzt ein Plädoyer für die Borchert Vorschläge?

Wübben:Ich bin kein Agrarfachmann, aber die Vorschläge der Kommission sind für mich fachlich kompetent, faktenbasiert und damit durchaus nachvollziehbar. Wenn die Landwirte nicht von Ihren Einkommen leben können, muss die Politik eingreifen.

Auch der Handel hat großen Einfluss. Die Auslistung der Käfigeier hat der LEH umgesetzt, nicht die Politik. Ist das nicht ein Beispiel, mit dem der Handel eindrucksvoll gezeigt hat, dass er am Ende dann doch bestimmen kann?

Wübben:Bei einem so wesentlichen Artikel wie Fleisch wird das schwierig, das kann kein Händler einseitig machen, das wäre ruinös. Bei den Käfigeiern gab es damals eine breite Akzeptanz bei den Verbrauchern – und letztlich den Druck von der Politik. Außerdem reden wir hier von ganz anderen Preisniveaus. Das sieht beim Fleisch anders aus: wir haben hier nach wie vor immer noch den bei weiten höchsten Anteil am Verkauf bei den Haltungsstufen 1 und 2. D.h., die Kunden gehen in erster Linie nach dem Preis und der wird maßgeblich durch die Angebotskapazitäten geprägt. Wenn sich am Preis und damit an den Nachfrageverhältnissen wesentlich etwas ändern soll, brauchen wir hier vor allem eine Regulierung durch die Politik.

Landwirtschaftsministerin Klöckner fordert jetzt konkrete Maßnahmen vom Handel für einen Verhaltenskodex. Welche Maßnahmen könnten das aus Sicht von Aldi sein?

Scholbeck: Wir von Aldi haben mehrmals öffentlich schon gesagt: UTP, schwarze oder graue Liste, das ist uns egal. Unsere internen Richtlinien gehen weit über Frau Klöckners Forderungen hinaus. Sie fordert beispielsweise die Herabsetzung des Zahlungsziels von 120 auf 60 Tage. Aldi zahlt prinzipiellnach rund 30 Tagen, bei einigen Agrarprodukten sind es sogar deutlich weniger

Frau Klöckner erwartet Aussagen zur gerechten Verteilung der Erlöse, zu Handelspraktiken, zur angemessenen Honorierung von höheren Standards, zur Stärkung regionaler Lieferkette, die Kennzeichnung der nationalen Herkunft. Geht Aldi da mit?

Scholbeck: Wo es kartell- und EU-rechtlich möglich ist, ja. Aber wir dürfen zum Beispiel den Molkereien nicht sagen, wie sie mit den Bauern abrechnen. Eine Kernforderung von uns ist, dass die Hersteller in den Verhaltenskodex involviert werden. Ohne die gesamte Wertschöpfungskette funktioniert das sonst nicht.

Und wie steht Aldi zu einer verpflichtenden nationalen Herkunftsbezeichnung?

Scholbeck: Spitz genommen widerspricht das ein wenig dem europäischen Gedanken, nichtdeutsche Bauern auszuschließen. Aber wir wollen die heimischen Erzeuger durchaus weiter stärken. Das machen wir in weiten Teilen bereits, aber auch hier müssen alle mit ins Boot.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führten top agrar Chefredakteur Matthias Schulze Steinmann und Redaktionsmitglied Frederic Storkamp.

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