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Der Milchlabel-Dschungel

Regionalität und Tierwohl liegen im Trend. Die Vielzahl an Labels auf Milchpackungen lässt zumindest darauf schließen. Aber stimmt das wirklich? Eine Umfrage zeigt überraschende Ergebnisse.

Lesezeit: 8 Minuten

Weide, Tierwohl und Bio sind Labels, mit denen die meisten Konsumenten vermutlich etwas anfangen können. Neuerdings steht auch QM+ und QM++ zertifizierte Milch im Kühlregal. Dass das eher für Verwirrung sorgt, als dass es Orientierung beim Milchkauf gibt, zeigt eine von top agrar und Lebensmittelpraxis in Auftrag gegebene Studie: Bonial befragte im Mai 2023 rund 1.000 Konsumentinnen und Konsumenten über ihr Einkaufsverhalten von Trinkmilch sowie der Bekanntheit des QMilch-Logos. Heraus kam, dass rund die Hälfte der Teilnehmenden zumindest selten Milch kauft. Von den Milch­käufern gaben mehr als zwei Drittel an, das QMilch-Logo, also QM+ und QM++, auf Milchpackungen nicht zu kennen.

Schnell gelesen

- Auf Milchpackungen finden sich immer mehr Labels, die Konsumenten beim Einkauf schnelle Infos liefern sollen.

- Eine Umfrage hat gezeigt, dass Labels für viele Verbraucher bei der Produktwahl eine untergeordnete Rolle spielen.

- QM+ kennen rund ein Drittel der ­Befragten. Ein Erfolg für die Initiative, wie der Geschäftsführer sagt.

- Der Handel setzt perspektivisch auf Milch in den Haltungsformstufen 3 und 4. QM++ findet sich in Stufe 3 wieder.

- Das BMEL plant ebenfalls eine ­Kennzeichnung der Haltung. Wann das für ­Rinder und Milch kommen soll, ist ­allerdings noch unklar.

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Positive Überraschung

QM-Milch-Geschäftsführer Ludwig Börger zieht daraus positive Rückschlüsse: „Zum Zeitpunkt der Umfrage befanden sich die ersten Produkte mit dem QM+ Label bei wenigen Aldi-Märkten in Nordwestdeutschland im Kühlregal. Deshalb ist es eine positive Überraschung, dass zu diesem Zeitpunkt bereits 26 % der befragten Konsumenten das QMilch-Label, kannten.“ Mittlerweile sei das Logo auf einer stetig wachsenden Zahl an Milchprodukten bei allen größeren Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) zu finden – immer in enger Kombination mit der etablierten Haltungsformkennzeichnung, so Ludwig Börger. Er rechnet damit, dass die Bekanntheit allein aus diesem Grund rasch steigt.

Die Händler wollen Label

Bei Lidl stehen bisher noch keine QM+/QM++ Produkte im Kühlregal. Der Lebensmittelhändler der Schwarz-Gruppe plant aber die Markteinführung und ist Unterzeichner der Branchenvereinbarung QM+. QM+ gruppiert sich in Haltungsformstufe 2 des LEH ein, QM++ in Stufe 3. „Unser Ziel ist, die Haltungsformstufe 2 als Mindeststandard bis spätestens 2025 zu etablieren. Über 65 % unseres Trinkmilchsortiments entsprechen heute schon den Haltungsformstufen 3 und 4“, so eine Unternehmenssprecherin. Auch Aldi erklärt, bereits seit Jahren mit verschiedenen Standardgebern der Haltungsformstufen 3 und 4 zusammenzuarbeiten. Mehr als 45 % der Trinkmilch stammt bei dem Discountriesen aus den „tiergerechteren“ Haltungsformstufen 3 und 4. Bei Rewe und Penny sind jeweils vier Milchartikel von Eigenmarken mit dem Label QM++ gelistet. Pressesprecher Thomas Bonrath weist darauf hin, dass diese noch nicht lange genug im Markt seien, um eine Kundenakzeptanz seriös ableiten zu können.

Mehrwert mit Label

Ludwig Börger spricht Labels eine hohe Bedeutung zu: „Offensichtlich besteht in der Lebensmittelkette, zu der auch Verbraucher gehören, Bereitschaft, Mehrwerte nicht nur zu fordern, sondern auch in Kaufentscheidungen zu berücksichtigen.“ Der Geschäftsführer geht davon aus, dass die Haltungsformkennzeichnung des LEH auch im Milchsektor sehr schnell an Bedeutung gewinnen wird.

Übersicht 2: Welche rolle Spielen Herkunft und Label?

Diese Annahme vertritt offenbar auch Aldi, denn der Handelsriese hat nach eigenen Angaben selbst an der Ausarbeitung des QM++ Standards mitgewirkt, der sich in Haltungsformstufe 3 wieder findet. Erste Artikel der Eigenmarke seien bereits gelabelt. Außerdem beliefern seit April 2023 erste Unternehmen Aldi Nord in einigen Regionen mit QM+ Produkten, um auch Milch in Haltungsformstufe 2 anbieten zu können. Bis 2030 will Aldi ausschließlich Milch in den höheren Haltungsformen 3 und 4 listen.

Wie die Umfrage-Ergebnisse von Bonial zeigen, achten 42 % der befragten Milchkäufer bei ihrem Einkauf allerdings gar nicht auf Label zum Tierwohl. Nur 17 % achten sehr auf die Herkunft, 52 % gaben an, dass sie gar nicht darauf achten, aus welcher Region die Milch stammt. Fatal hierbei: Bei den Befragten unter 30 Jahren sind diese Werte noch deutlich schlechter. Dennoch sieht Florian Reinartz, Chief Commercial Officer von Bonial, keinen Grund für Schwarzmalerei: „Die Ergebnisse verdeutlichen, dass beim Milchkauf sowohl die Herkunft als auch Tierwohl-Labels eine bedeutende Rolle spielen. Dennoch stehen Qualität, Geschmack und Preis als die wichtigsten Kriterien im Vordergrund (siehe Übersicht 3).

Wer versteht die Labelflut?

„Im einzelnen zu verstehen, was sich hinter jedem Label verbirgt, ist für Konsumenten praktisch unmöglich“, räumte Peter Stahl, Vorsitzender des Milchindustrie-Verbands (MIV) beim Berliner Milchforum im Jahr 2022 ein. Das sieht auch Karsten Schmal, Milch- und Vizepräsident vom Deutschen Bauernverband (DBV) so und spricht sich deshalb für die Haltungsformkennzeichnung des LEH aus: „Sie ist ein geeigneter Rahmen, mit dem der mittlerweile geübte Verbraucher bestehende Labels schnell einordnen kann.“

Anne Hamester von der Tierschutzorganisation Provieh sah das beim Berliner Milchforum im vergangenen Jahr anders: „Die Haltung verändern die vielen verschiedenen Label eigentlich nur wenig.“ Der damalige QM-Milch-Sprecher Jan Heusmann, selbst Milcherzeuger in Niedersachsen, konterte, dass Tierwohl schon lange ein Kernthema bei QM-Milch ist und sich in den einzelnen Haltungsformstufen wieder findet. Anne Hamester hielt allerdings an ihrer Kritik fest: „Großzügige Kuhställe finden sich in der gleichen Haltungsformstufe 2 wieder wie eine Anbindungshaltung in Kombination wo die Tiere ‚nur noch‘ 245 Tage im Jahr angebunden sind“, zeigte sie wenig Verständnis. Auch der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) sieht ein Überstülpen eines Label, wie QM es geschaffen hat, kritisch: „Es macht keinen Sinn, wenn die ganze Bandbreite der Milchprodukte gelabelt wird. Damit schafft man nur noch mehr Verwirrung bei Verbrauchern“, erklärt BDM-Sprecher Hans Foldenauer.

Für „noch mehr Verwirrung“ dürfte auch das von der Ampelregierung geplante Tierhaltungskennzeichnungsgesetz führen, dem staatlichen Pendant zur Haltungsformkennzeichnung des LEH. Eine Sprecherin des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft erklärt dazu: „Mit der staatlichen, verpflichtenden Kennzeichnung von Fleisch werden die Leistungen der Landwirtinnen und Landwirte für mehr Tierschutz sichtbar. Konsumentinnen und Konsumenten haben damit beim Einkauf erstmals eine Vergleichbarkeit bei Fleisch und können sich so aktiv für mehr Tierschutz entscheiden.“ Ein genauer Zeitplan, wann die Rinder- bzw. Milchviehhaltung in die Kennzeichnungspflicht aufgenommen werden kann, liege allerdings noch nicht vor.

Labels nehmen an Fahrt auf

Das Thema Labels hat im Milchbereich in den letzten Jahren zugenommen, bestätigt Dr. Björn Börgermann vom MIV. „Auf den Milchverpackungen stehen zunächst einmal die gesetzlich vorgeschriebenen Angaben, darunter die wichtigen Informationen zu den Inhalts- und Nährstoffen inkl. abfüllender Betrieb“, beschreibt der MIV-Geschäftsführer. „Wie viel Platz bleibt auf einer Verpackung für Milchprodukte eigentlich in Zukunft noch für die Marke, bzw. den Hersteller? Die Marke ist schließlich ein eindeutiges Signal, um damit seine Unverwechselbarkeit zu zeigen“, stellt er klar.

Das bestätigt Moritz Collmar, Sprecher von Schwarzwaldmilch: „Für die Orientierung der Verbraucherinnen und Verbraucher ist für uns unsere Marke ‚Schwarzwaldmilch‘ entscheidend. Die Marke muss das Vertrauen genießen – das haben wir uns über viele Jahre erarbeitet. Durch Label kann dies maximal ergänzt werden.“ Schwarzwaldmilch setzt auf wenige Label, wie z. B. Bioland, „ohne Gentechnik“ und Heumilch, die aus Sicht des Süddeutschen Milchverarbeiters nicht in der sonstigen Label-Flut untergehen. Dennoch begann auch Schwarzwaldmilch mit der Haltungsformzertifizierung (QM+/QM++) der konventionellen Erzeuger, um für die Haltungskennzeichnung gewappnet zu sein. Dazu sind einzelbetriebliche Zuschläge geplant.

Übersicht 3: Das zählt beim Milcheinkauf

Deutschlands größte Molkerei, das Deutsche Milchkontor (DMK) hält branchenweite Label für notwendig. Unternehmenssprecher Oliver Bartelt erklärt: „Insbesondere die hinter QM-Milch stehenden Standards helfen uns, auf den landwirtschaftlichen Betrieben bestimmte Produktionsstandards sicherstellen zu können und einheitliche Maßstäbe zu haben.“ Er geht davon aus, dass perspektivisch besonders die jüngeren Konsumenten sehr viel mehr über das Produkt wissen wollen, als ältere Generationen. Um die Logos und den Mehrwert von QM-Milch bekannter werden zu lassen, will der Verband die Kommunikation weiter ausrollen, u. a. über die „Initiative Milch“.

Attraktive Preise

Laut Florian Reinartz von Bonial bestehe die Herausforderung für den Handel darin, den Kundenanforderungen nicht nur durch Qualität gerecht zu werden, sondern auch durch attraktive Preise. Attraktive und vor allem faire Preise wollen und brauchen auch die Bauern. Deshalb hat sich für Karsten Schmal vom DBV gar nicht die Frage gestellt, ob sich der Verband bei der Haltungsformkennzeichnung einbringen soll oder nicht, sondern wie das auf Augenhöhe mit dem LEH gelingen kann. Das Ergebnis sind belastbare und praktikable Standards, so der DBV-Vize- und Milchpräsident, der selbst einen Milchkuhbetrieb in Hessen führt. Er erklärt: „Mir ist es lieber, am Verhandlungstisch mit zu sitzen, anstatt neue Standards aufgedrückt zu bekommen, die ohne Beteiligung der Landwirtschaft definiert wurden.“

KOMMENTAR von Prof. Dr. Achim Spiller

"Milchbranche muss langfristig denken"

Im Milchmarkt gibt es immer mehr ­Labels, viele davon sind allerdings noch unbekannt. Die Verbraucher blicken nicht mehr durch. Es ist daher wenig überraschend, dass 74 % von ihnen das QMilch-Logo nicht kennen. ­Studien von uns und anderen zeigen, dass Milch nicht so stark im Fokus der Nachhaltigkeitsdebatte steht wie Fleisch, weder beim Tierwohl noch beim Klima. Das bedeutet aber nicht, dass die Milchwirtschaft keine Labels braucht. Die Milchbranche sollte langfristig denken. Die Voraussetzungen für ein wirksames Label sind gut erforscht:

Bekanntheitsgrad: ohne den geht nichts. Aber kaum ein Label investiert hier. Ein typisches Trittbrettfahrerproblem, denn keine einzelne Molkerei will Geld in das Marketing für das Zeichen stecken, weil davon die anderen auch ­profitieren würden.

Glaubwürdigkeit: sowohl was den Zeichengeber als auch was das Kontrollverfahren angeht. Hier geht es um Tierwohl auf allen Betrieben, damit das Label nicht in Skandale gerät.

Emotionen: Erst wenn die Voraus­setzungen eins und zwei erfüllt sind, kann man am Image arbeiten. QM hat noch einen weiten Weg vor sich.

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