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Grasmilch statt Weidemilch

Die Kühe von Paul Costello kommen ganzjährig auf die Weide. Das geht, weil er genügend Flächen zur Verfügung hat. Der gebürtige Ire hat das heimische Weidesystem nach Brandenburg gebracht.

Lesezeit: 10 Minuten

Grasmilch ist für Deutsche ein ­komisches Wort“, gibt Paul ­Costello zu. Trotzdem hat er sich für diesen speziellen Begriff entschieden. Denn ihm ist wichtig, die auf seinem Betrieb erzeugte Milch von dem Begriff Weidemilch abzuheben. Weidemilch bedeutet in Deutschland, dass die Kühe an mindestens 120 Tagen/Jahr für mindestens sechs Stunden täglich Zugang zur Weide haben. „Unsere Kühe dürfen mehr als doppelt so lange nach draußen – nämlich ganz­jährig“, erklärt er und weiß, dass das allein ­aufgrund der Flächenausstattung auf vielen Betrieben gar nicht möglich ist.

Schnell gelesen

Aus einer Insolvenz kauften Paul und Stephen Costello eine ehemalige LPG-Anlage mit 400 Kühen.

Das irische Weidesystem etablierten sie mitten in Brandenburg. Die ehema­ligen Boxenlaufställe dienen heute als Kälberbuchten oder sie stehen leer.

Digitale Managementsysteme helfen im Betriebsalltag. Für die Brunstbeo­bachtung haben die Costellos ein eigenes Farb­system entwickelt – ohne digitale ­Unterstützung.

Eine eigene Molkerei ist die Vision der Betriebsleiter. Noch haben sie aber keine passenden Partner gefunden.

Der Wolf und die Wiedervernässung der Moore sind Herausforderungen.

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Der Ire hatte 2014 die Möglichkeit, eine ehemalige Anlage einer land­wirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) in Kloster Lehnin (Brandenburg) zu kaufen. „Seit ich 17 bin, bin ich in Deutschland“, sagt Paul Costello. Sein Vater übernahm nach der Wende eine Sauen­anlage in der Region. Der heute 38-Jährige und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Stephen ergriffen die Chance, vor Ort zusätzlich in die Milchproduktion einzusteigen.

Heute halten sie 800 Kühe mit einer Flächenausstattung von 1.600 ha. Anfangs waren es 400 Kühe und 100 ha Eigentumsflächen.

Mit dem vorhandenen Bestand begannen sie, eine Herde nach ihren Vorstellungen aufzubauen und den Betrieb umzustrukturieren. Für die Iren stand fest, dass Kühe auf die Weide gehören. Brandenburg eignet sich dafür ideal als Standort: „Wir haben hier Niedermoorflächen und Sandböden“, begründet Paul Castello. Das bedeutet: Im Sommer bleiben die Flächen im Niedermoor feucht, im Frühjahr und im Herbst eignen sich die Sandböden für den Weidegang. Die Kühe kommen täglich auf eine neue Weide und laufen bis zu 3 km von der LPG-Anlage, wo sie gemolken werden, bis zur Weide.

Das Melken übernehmen Mitarbeiter. Das Team besteht aus sieben Festangestellten und bis zu vier studentischen Hilfskräften. Paul und Stephen Costello leben in Irland, pendeln aber regelmäßig zur Farm. Sie sind nicht im Tagesgeschäft involviert, haben aber den Überblick über das Management und die Zahlen.

Holstein x Jersey

Die Brüder legen Wert auf robuste und leistungsfähige Kühe. Deshalb kreuzten sie neuseeländische Genetik in die ehemals reine Holsteinherde ein und halten jetzt die Rasse Holstein x Jersey. „Holstein-Kühe sind wie Ferraris, sie können unglaublich viel leisten, sind aber auch anfällig“, zieht der Betriebsleiter einen Vergleich. Sein Ziel ist, dass die Kühe etwa 530 kg Lebendgewicht haben für eine jährliche Produktion von 500 kg Fett und 500 kg Eiweiß, bei einem Kraftfuttereinsatz von 500 kg je Kuh und Jahr. Die Milchleistung liegt durchschnittlich bei über 7.000 kg energiekorrigierter Milch (ECM) pro Jahr.

Saisonale Abkalbung

„In den letzten drei Wochen haben wir 730 Kälber bekommen“, sagt Paul ­Costello. Bei unserem Besuch Ende April ist es ungewöhnlich kalt für die Jahreszeit. Normalerweise wären die Kälber bereits auf der Weide, bisher sind aber nur die Kühe draußen. Etwa 30 müssen noch kalben, sie stehen aktuell noch im Stall.

In Irland ist die saisonale Abkalbung üblich. Das haben Costellos auch in Brandenburg eingeführt. „Unser Ziel ist, die Laktationstage dem Graswachstum anzupassen“, erklärt er. „Mitte Mai haben unsere Kühe den höchsten Qualitätsbedarf, genau dann ist auch das Graswachstum und der Energiegehalt im Futter am höchsten“, so der Ire. Der Viehbesatz liegt bei etwa 2,5 Kühen/ha.

Wir haben rund 30 km Wasserleitungen zu den Weiden verlegt.

Er überlässt nichts dem Zufall: Zur Aufgabe des Herdenmanagers gehört unter anderem das tägliche Prüfen der Weiden. Dabei untersucht er mit einem Plate Meter, welcher Standort sich als nächstes zur Beweidung eignet. Das Messgerät übermittelt die Daten an eine Weidemanagement-Software. Diese zeigt z. B. den Trockenmassegehalt des Aufwuchses an und sie berechnet anhand der Aufwuchshöhen den Ertrag pro ha und pro Parzelle. Auf der Farm sind konkrete Zielwerte festgelegt: Die Grasnarbe soll nicht kürzer als 4 cm und nicht länger als 15 cm sein. Pro ha sollen die Kühe 1.500 kg Trockenmasse (TM) aufnehmen, was etwa 18 kg TM/Tag entspricht. Kraftfutter gibt es im Melkkarussell als Harnstoffpuffer. Die Menge wird je nach Inhaltsstoffen des Grünlands angepasst. Dafür nimmt der Betrieb mehrmals im Jahr Frischgrasproben und untersucht zusätzlich das Blut der Kühe, um Rückschlüsse auf die Nährstoffversorgung ziehen zu können.

Mineralien über die Tränken

Die Mineralfutterversorgung erfolgt über die Weidetränken. Die Tränkebecken werden vom Hof aus mit Wasser gespeist. Eine Anlage dosiert Mineralien in das Tränkewasser. Rund 30 km Wasserleitungen führen von der Hof­stelle zu den zahlreichen Weidetränken. „Wir haben zwei Herden mit je 400 Kühen, die nach dem Melken alle gleichzeitig Wasser aufnehmen wollen“, so Paul Costello. Wenn sie nicht mehr durstig sind, fangen die Tiere an mit dem Wasser zu spielen, ist seine Erfahrung. Weil die Kühe die Tränken von deutschen Herstellern umwarfen, ließ er sich irische Weidetränken liefern. Die aus Folie von Silageballen recycelten Tränkebecken haben ein Volumen von knapp 600 l Wasser. Die Becken sind so schwer, dass ein Umwerfen nicht mehr möglich ist. Außerdem sind sie frostsicher.

Über eine App können die Mitarbeiter die Mineralfuttergabe steuern. Über die Anwendung lässt sich auch nachvollziehen, wie viel Wasser insgesamt pro Tag und durchschnittlich pro Kuh aufgenommen wurde.

Brunsterkennung mit Farben

Bei der Brunsterkennung verzichtet der Betrieb auf digitale Unterstützung. „Wenn die Kühe mehr als 2 km zur Weide laufen, weiß kein Aktivitätsmesser mehr, was los ist“, sagt Paul Costello. Außerdem beschränkt sich die Besamungsphase auf wenige Wochen im Jahr. Deshalb hat sich der Betrieb ein eigenes Konzept überlegt: Die Güstzeit liegt bei etwa sechs Wochen. Der Schwanzansatz der Kühe wird zu Beginn der Reproduktionsphase orange angemalt. Beim Melken ist extra eine Person abgestellt, die die Kühe im Blick hat. „Verblasst die Farbe, ist das das Zeichen dafür, dass die Kuh bullt“, erklärt Paul Costello. Denn vom Aufspringen der anderen Kühe lässt die Intensität der Farbe nach. Bei der nächsten Melkzeit wird die Kuh besamt und bekommt die Farbe grün. Verblasst auch die Farbe wieder, ist klar, dass sie umgebullt hat. Sechs Wochen nach Beginn der Reproduktionsphase laufen Deckbullen der Rasse Angus für weitere sechs Wochen in der Herde mit. Auf einen Deckbullen kommen 20 Kühe. Die jährliche Trächtigkeitsuntersuchung nach der Reproduktionsphase zeigt, dass 90 % der Kühe nach der ersten Besamung tragend sind. Die Remontierungsrate liegt bei 18-20 %. Durchschnittlich bleiben die Kühe vier Laktationen im Bestand. Männliche sowie alle Anguskälber verkaufen Costellos an Mastbetriebe. Die eigene Nachzucht wechselt mit einem Gewicht von etwa 200 kg zu einem Partnerbetrieb, der die Aufzucht übernimmt.

Betriebsspiegel



• Betrieb Grasmilch Brandenburg, Kloster Lehnin

• Anzahl Kühe: 800 plus weibliche ­Nachzucht

• Flächenausstattung: 1 600 ha; 500 ha Grünland, 1 100 ha Ackerland

• Milchleistung: 7 000 kg ECM/Kuh

• Remontierungsrate: 18 – 20 %

• Anzahl Arbeitskräfte: Sieben Festangestellte, bis zu vier studentische Hilfskräfte

• Kälbersterblichkeitsrate: 1,5 %

Die Kühe bekommen von Dezember bis Januar Grassilage zu fressen. Die restliche Zeit werden sie auf den Weiden satt. Das Futter für die Winterfütterung ernten Costellos von ihren eigenen Flächen. Eine Tafel auf dem Betriebsgelände zeigt an, welche Flächen zur Beweidung und zur Mahd vorgesehen sind und welche unter Naturschutz stehen. Die gestapelten Silageballen dienen den Kühen im Winter zusätzlich als Schutz vor der Witterung. Zweimal täglich melken die Mitarbeiter der Farm die zwei Herden im Melkkarussell. Es bietet Platz für 60 Kühe und ist ein leichtes System, das wenig Energie verbraucht. Die Melktechnik der Marke Waikato stammt aus Neuseeland und ist bisher das einzige in Deutschland verbaute Modell.

Vision Direktvermarktung

Die Milch liefern Costellos an die Molkerei Fude und Serran. Die Vision ist aber, die Milch eines Tages selbst zu verarbeiten und zu vermarkten. Doch noch zögert Paul Costello: „In Deutschland wird verhältnismäßig wenig Milch getrunken. Der Aufwand Käse und Joghurt herzustellen, ist aber deutlich größer“, erklärt er. Aufgrund der Nähe zu Berlin sieht er Potenzial in der Direktvermarktung. Noch fehlen ihm aber die passenden Partner für das Projekt.

Der Standort bietet einen weiteren Vorteil: Studierende der Humboldt-Universität führen häufig Versuche auf seinem Betrieb durch. Einen engen Draht hat er auch zur Politik. So war bereits Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir bei ihm, um über die Wiedervernässung von Mooren zu sprechen. „Sollte das politisch durchgesetzt werden, können wir den Standort hier schließen“, ist Paul Costello überzeugt. Denn dann würde ein Großteil seiner Flächen, von denen inzwischen 800 ha Eigentum sind, unter Wasser stehen. Auch die Anwesenheit des Wolfes macht ihm zu schaffen. Bisher hat es noch keinen Übergriff gegeben. Sollte es aber dazu kommen, befürchtet er, dass Tiere auf die nahe gelegene Autobahn laufen.

Trotz aller Herausforderungen geht Paul Corstello in seiner Aufgabe als Manager auf: „Es macht uns Spaß aus Grünland ein sehr natürliches Produkt herzustellen.“ Das grasbasierte System ist kostengünstig und trägt den Betrieb durch schwierige Marktphasen. Das Pendeln zwischen Irland und Deutschland macht ihm nichts aus: „Unsere Familie treibt gerne Projekte voran. Wir lieben, was wir tun. Und die Kühe draußen auf der Weide zu sehen, macht mich jedes Mal glücklich.“

Kälber in Gruppen und auf die Weide

„Es gibt Tage, da kommen 60 Kälber zur Welt“, beschreibt Paul Costello die arbeitsintensivste Zeit des Betriebs. Die Kalbesaison beginnt im Januar und endet im April. Die Kühe sind in der Zeit in einem alten Stall mit Auslauf auf die Winterweide untergebracht.

Nach der Kalbung und dem ersten Melken geht es für die Kühe raus auf die Weide. Die ­Kälber bleiben in einem umgebauten ­LPG-Stall. „Vom ersten Tag an, ­bringen wir sie in 10er-Gruppen unter“, erklärt Paul Costello.

Dazu hat er die ehemaligen Boxenlaufställe umgebaut. Die Aufstallung ist noch so wie zum Zeitpunkt der Betriebsübernahme. Neu hinzugekommen sind Abtrennungen aus OSB-Platten. Der hintere Bereich der Buchten ist großzügig mit Stroh eingestreut und ­zusätzlich mit Wärmelampen ausgeleuchtet. Vorne sind Holzhackschnitzel verteilt. „Sie halten trocken und ­sauber. Außerdem müssen wir weniger misten“, erklärt Paul ­Costello. Die Hackschnitzel werden nach der ­Stallsaison in die Eingänge der ­Weiden verteilt, wo es aufgrund der Treibwege matschig geworden ist.

Er möchte, dass möglichst niemand seiner Mitarbeiter die ­Buchten betritt. „Wir haben kaum Kälberkrankheiten und wenn dann entstehen sie durch Kontakt zum Mensch“, ist er überzeugt. Eine gute Immunisierung ist ihm wichtig. Deshalb ­werden alle Kolostrumgemelke ­mithilfe eines Refraktometers ge­testet. Hohe Qualität wird nicht nur ­verfüttert, ­sondern auch eingefroren, sodass ein Vorrat vorhanden ist. Nach der Kalbung bekommen die Kälber sieben Tage Vollmilch, anschließend gibt es Milchaustauscher. Je nach Witterung geht es bereits nach einigen ­Tagen auf die Weide. Dort bekommen die Kälber zweimal täglich Milch. Die ­Kälberverlustrate liegt bei 1,5 %.

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