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Heumilch: Nicht nur im Süden erfolgreich

Die Produktionskosten von Heumilch sind höher als bei der Fütterung mit herkömmlicher Silage. Wir haben uns umgehört, warum Milchviehhalter und Molkereien trotzdem auf die Nische setzen.

Lesezeit: 10 Minuten

Weidende Kühe auf saftigen, artenreichen Wiesen umgeben von Bergpanorama. Wer bei der Google-Suche den Begriff „Heumilch“ eingibt, findet solche Motive zuhauf. Kein Wunder, denn die Produktion von Heumilch ist vorwiegend im Süden verortet und findet dort auch ihren Ursprung. Doch auch in anderen Regionen Deutschlands wollen Molkereien und Landwirte in der Nische Fuß fassen, wie unsere Reportage weiter unten zeigt.

Aktuell liegt der Heumilchanteil in der Bundesrepublik bei 0,2% der Gesamtmilchmenge. Europaweit sind es etwa 3%. Markus Fischer, 1. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Heumilch Deutschland, erklärt: „Wir befinden uns in einer absoluten Nische.“ Er sieht großes Absatzpotenzial.

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„Leicht verständliche Botschaften wie Weidemilch oder Biomilch schlagen sich in steigenden Absatzzahlen im Lebensmitteleinzelhandel nieder. Die Wachstumsraten sind durchaus vielversprechend, entgegen der Absatzentwicklung am Gesamtmarkt von Trinkmilch. Ähnlich positiv ist es daher auch für Heumilch denkbar“, prognostiziert auch Dr. Björn Börgermann, Sprecher des Milchindustrie-Verbands. Anders als beispielsweise in Österreich, wo der Großteil der Milch verkäst wird, geht in Deutschland rund die Hälfte der Heumilchmenge in den Frischebereich.

Auch Steven Brechelmacher von Groth for Knowledge (GfK) bescheinigt der Heumilch gute Zukunftsaussichten: „Im Zwölfmonatszeitraum Oktober 2018 bis September 2019 kauften 3,4% aller Haushalte Heumilch. Im Zeitraum Oktober 2020 bis September 2021 sind es 4,5% Käuferreichweite. Das entspricht rund 1,8 Mio. Haushalten.“ Die Nachfrage steigt also. Laut GfK kostet Heumilch durchschnittlich 1,44 € pro Liter. Vor zwei Jahren lag der Durchschnittspreis bei 1,35 €/l.

Ursprünglichste Milch

Aber was ist eigentlich Heumilch? Die ARGE Heumilch ist ein Zusammenschluss aus Heumilchbauern, -verarbeitern und -vermarktern. Der Verband bezeichnet sich selbst als Nummer 1 der Erzeugung und Vermarktung in Europa.

Auf der Homepage heißt es: „Bei der Heuwirtschaft handelt es sich um die ursprünglichste Form der Milcherzeugung. Heumilchkühe bekommen frische Gräser und Kräuter im Sommer sowie Heu im Winter. Das Heumilch-Gütesiegel garantiert die Herstellung von Produkten aus bester Milch, die gänzlich ohne vergorene Futtermittel wie Silage erzeugt werden.“

„Die Österreicher waren die ersten, die ein Zertifizierungsmodell entwickelt haben“, erklärt Fischer. Nach dem Start der Kooperation mit den deutschen Heumilchbauern im Jahr 2017 können sich auch die hiesigen Heumilcherzeuger zertifizieren lassen.

Es gibt zwei unterschiedliche Verfahren: Das EU-Gütesiegel g.t.S. besagt, dass „eine garantiert traditionelle Spezialität noch mehr Qualität und Unverfälschtheit gewährleistet und einen besonderen Schutz bietet, der die traditionelle Herstellungsmethode sichert“. Zusätzlich gibt es das grüne Heumilch-Logo, das ausschließlich Betriebe nutzen dürfen, die Mitglied in der ARGE Heumilch sind. Dazu müssen sich die Milcherzeuger an das sogenannte Heumilchregulativ halten, das es extra für deutsche und für österreichische Produktionsbedingungen gibt.

Das „Regulativ“ besagt u.a., dass

  • die Lieferanten keine genveränderten Futtermittel einsetzen dürfen,
  • keine Herstellung und Verfütterung von Silofutter auf allen Betriebsstätten eines Heumilcherzeugers zulässig ist. Auch der Verkauf direkt vom Feld ist nicht erlaubt.
  • der Raufutteranteil in der Jahresration mindestens 75 % der Trockenmasse betragen muss.

„Mit den Vorgaben wollen wir Vergleichbarkeit schaffen“, erklärt der Vorsitzende. „Wir haben eine andere Strategie als die breite Masse und wollen immer einen Schritt voraus sein.“

Heumilch ist Artenvielfalt

Das kommt an, wie der Konsumforscher Brechelmacher bestätigt: „Wir gehen davon aus, dass sich der Absatz von Heumilch weiterhin positiv entwickelt. Verbrauchern in Deutschland sind diese Themen aktuell wichtig. Sie sind bereit, dafür höhere Preise zu zahlen im Vergleich zur ‚normalen‘ Milch.“

Heumilch steht auch für Artenvielfalt und Naturschutz. In Bayern und Baden-Württemberg sind derzeit rund 30.000 ha Grünland in der Nutzung für die Heumilchproduktion. Für die extensive Heuwirtschaftsweise bekommen bayerische Milcherzeuger eine Prämie in Höhe von 100 €/ha. 80 €/ha sind es in Baden-Württemberg. „Ein großer Teil des Grünlands schafft es in die Blüte. Damit tragen wir in hohem Maße zu mehr Artenvielfalt bei“, ist Fischer überzeugt, der selbst einen Heumilchbetrieb im Allgäu führt.

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R E P O R T A G E

Heumilch aus dem Osten

Die Gläserne Molkerei setzt auf Bio-Heumilch. Die Kohrener Landmolkerei auf Konventionelle.

Wir sehen großes Potenzial in der Heumilchnische“, sind sich Frank Wetterich und Maximilian Scherres von der Gläsernen Molkerei in Münchehofe (Brandenburg) einig. Die Biomolkerei verarbeitet jährlich rund 100 Mio. kg Milch von 120 Mitgliedsbetrieben in Nord- und Ostdeutschland. „5 bis 10% davon ist Bio-Heumilch“, erklärt Wetterich, der den Rohstoffeinkauf und den Industrieverkauf leitet. In das Segment stieg die Molkerei 2009 ein und war damit eine der ersten deutschen Heumilch-Molkereien.

Auch Jörg Rögner, Geschäftsführer der Kohrener Landmolkerei (KLM) in Penig (Sachsen), setzt auf das Segment. Allerdings im konventionellen Bereich. Nach der Insolvenz der 2014 von heimischen Erzeugern gegründeten Molkerei ist Rögner Mitgesellschafter und krempelt den Standort seitdem mächtig um. Seine Vision: „Wir wollen regionale Spezialitäten herstellen.“

Die KLM investierte 3,3 Mio. € und probiert drei Segmente aus: Konventionelle Milch, Biomilch und Heumilch. „Wir entscheiden abhängig von den Zahlen, was wir langfristig als Hauptstandbein etablieren“, erklärt Rögner die Strategie. Die KLM ist kein Mitglied der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Heumilch, die Milch ist aber mit dem EU-Heumilch-Gütesiegel „Garantiert traditionelle Spezialität“ (g.t.S.) gekennzeichnet. Auch die Bio-Heumilch der Gläsernen Molkerei ist seit 2016 mit dem g.t.S. EU-Heumilch-Gütesiegel geschützt.

Anders als bei der Kohrener Landmolkerei, bei der es vordergründig um das Abheben am Markt geht, nennen Wetterich und Scherres einen anderen Grund für den Einstieg in das Heumilchgeschäft: „Um das Risiko von Clostridien in der Rohmilch zu vermeiden, wollten wir Milch von Kühen verarbeiten, die keine Silage fressen“, erklärt Scherres, der als Erzeugerberater das Heumilchprogramm betreut.

Clostridien sind anaerobe und hitzestabile Bakterien, die sich unter günstigen Bedingungen stark vermehren können. Sie sind für Mensch und Tier zwar völlig unbedenklich. Es besteht aber das Risiko, dass während der Käsereifung Sporen auskeimen. Das kann zu Spätblähungen führen und die Qualität des Käses beeinträchtigen. Auch der Geschmack war ein Grund in das Segment einzusteigen. Die Gläserne Molkerei bietet Heumilch als frische und als länger haltbare Milch an. Hinzu kommen ein Heumilchkäse, ein Heumilchraclettekäse sowie ein Heumilchjoghurt.

Die Kohrener Landmolkerei bietet Heumilch ebenfalls als frische und als haltbare Milch an. Zusätzlich können Kunden Heumilchbutter und verschiedene Käsesorten kaufen. Im Handel kostet ein Liter Milch 1,49 €.

Heuhalle ist Voraussetzung

Während bei der Kohrener Landmolkerei bisher nur ein Landwirt Heumilch anliefert, zählt die Gläserne Molkerei inzwischen acht Heumilcherzeuger. „Für eine gleichbleibende Futter- und damit Milchqualität setzen wir die Heutrocknung in einer Heutrocknungsanlage voraus“, sagt Scherres. Dazu gewährt die Molkerei eine Übergangsfrist und bietet dem Landwirt ggf. Unterstützung bei der Investition an. Die Kohrener Landmolkerei macht eine technische Heutrocknung nicht zur Bedingung.

Lucas Lütke Schwienhorst aus Vetschau/ Spreewald (Brandenburg) liefert seine Milch an die Gläserne Molkerei. Der 34-Jährige bewirtschaftet mit seinem Team den Gutsbetrieb Ogrosen mit 450 ha Außenwirtschaft, 120 Milchkühen, einer eigenen Käserei und Schlachterei, Direktvermarktung und Ferienwohnungen. „Nach der Übernahme im Jahr 1990 begann mein Vater den Betrieb biologisch zu führen.“ Seitdem gehört es zum Konzept, regionale Wertschöpfungsketten zu etablieren. Rund 20% der Milch verarbeitet Lütke Schwienhorst in der eigenen Käserei.

2018 investierte der Landwirt in eine „Heuscheune“. Seitdem füttert er keine Silage mehr. Der Grund für die Investition war die eigene Käseproduktion. „Wir wollen etwas anderes machen für mehr Wertschöpfung“, beschreibt der Unternehmer seinen Antrieb. Ein weiterer wichtiger Punkt war auch für ihn das Clostridien-Thema. Den letzten Anstoß für die Entscheidung gab aber die Tatsache, dass ohnehin eine Investition in neue Siloanlagen fällig gewesen wäre. „Dafür hätte ich locker 200.000 € investieren müssen“, sagt der Betriebsleiter.

Für die Heutrocknungshalle belief sich die Investitionssumme am Ende auf insgesamt 500.000 €. Davon konnte er 100.000 € mithilfe von Fördergeldern finanzieren. Für die Heuernte kann er alte Technik nutzen, die auf dem Betrieb vorhanden war.

Lütke Schwienhorst sieht sich nun besser für die Zukunft aufgestellt: „Den Schritt wären wir wahrscheinlich auch ohne die Gläserne Molkerei gegangen“, gesteht er. Dennoch ist er froh, dass der Milchverarbeiter ihm die Sicherheit gibt, dass die Milch nicht nur abgeholt, sondern auch entsprechend entlohnt wird. „Wir zahlen unseren Heumilchlieferanten aktuell einen Zuschlag in Höhe von 6 ct/kg auf den ‚normalen‘ Biopreis“, erklärt Scherres. Dass der Betrieb einen Teil der Heumilchmenge direkt vermarktet, ist für die Vertreter der Gläsernen Molkerei kein Problem.

Enge Margen, gesunde Kühe

Aus Sicht von Lucas Lütke Schwienhorst ist Milch aufgrund der engen Margen mit das schwierigste Geschäft auf dem Betrieb. Dennoch kommt für ihn nicht infrage, die Kühe abzuschaffen: „Ökolandbau ohne Tiere funktioniert für mich nicht.“ Er hält die alte Zweinutzungsrasse Deutsches Schwarzbuntes Niederungsrind.

Das Herdenmanagement hat Klara Lang inne. Sie ist seit vier Jahren auf dem Betrieb angestellt und erklärt: „Ich behaupte, dass unsere Kühe gesünder sind, seitdem wir ausschließlich Heu füttern.“ Die durchschnittliche somatische Zellzahl der Herde liegt seitdem bei unter 150.000 Zellen/ml Milch. In puncto Milchleistung liegt der Herdenschnitt bei 5.000 kg pro Kuh und Jahr. „Unsere älteste Kuh ist 17 Jahre alt“, erklärt sie.

Ich hätte auch ohne den Zuschlag der Molkerei in eine Heuhalle investiert.

Ihr Anspruch ist, die gesamte Milchmenge aus dem Grundfutter zu melken – ohne Kraftfutter. Das wiederum erfordert eine hohe Grobfutterqualität. Der Betrieb erntet etwa 12000 m³ Heu pro Jahr, das in mehreren Boxen in der Heutrocknungshalle lagert. Für die Trocknung nutzen sie ein 22 kW-Heuluftgebläse, das mit der Luft der Unterdachabsaugung versorgt wird. Zusätzlich kann Lütke Schwienhorst auch warme Luft aus einem Scheitholzofen zuführen. „Dieses Jahr hatten wir eine gute Ernte. Da wir aufgrund der Witterung aber erst spät im Mai ernten konnten und dann am besten alles gleichzeitig vom Feld musste, hatten wir in der Heuhalle ein paar Probleme“, gesteht er und resümiert: „Man muss sich langsam an das System herantasten.“

Das Interesse steigt

Scherres und Wetterich sind überzeugt, dass sich der Aufwand lohnt. Denn der Heumilchabsatz stieg in den vergangenen Jahren. Fast jährlich kam ein neuer Erzeuger hinzu. In fünf bis zehn Jahren will die Molkerei 10 bis 15 Mio. kg Heumilch unter der Marke „Gläserne Molkerei“ vertreiben. „Wir wollen das Bewusstsein der Verbraucher für traditionelle Bio-Heumilch stärken“, erklärt Scherres.

Rögner sieht in der Verbraucherkommunikation eine der größten Herausforderungen. Sein Heumilchlieferant bekommt 10 ct/kg Zuschlag. Damit erhält er aktuell 48 ct/kg Milchgeld.

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H E U T R O C K N U N G

Funktionsweise und Kosten

Heumilchbauern haben höhere Kosten als solche, die herkömmliche Silage füttern. Zumindest wenn sie mit einer Heutrocknungshalle arbeiten. „Die höheren Kosten entstehen durch die Anfangsinvestition durch Hallenbau und Technik“, erklärt Christoph Bodenmüller. Dabei machen zwei Drittel der Kosten den Hallenbau aus, ein Drittel die Technik.

Bodenmüller stammt von einem Heumilchbetrieb und vertreibt Heutrocknungsanlagen. Er beobachtet eine steigende Nachfrage und führt das auf die damit verbundenen Vor-teile zurück: „Die Betriebe brauchen weniger Maschinen und berichten von einer höheren Grundfutteraufnahme.“

Auch die entzerrte Ernte schätzen Heumilchbauern: „Die Heuernte findet in zwei bis drei Chargen statt“, erklärt Bodenmüller. Das Futter sollte bei der Einfuhr 60 bis 70 % Trockensubstanzgehalt haben. Ein Kran schichtet das Heu in die Boxen. Dann beginnt die Trocknung: Ein Ventilator bläst Luft durch den Heustock. Zusätzlich ist Wärme nötig. Entweder mithilfe von Sonnenenergie über eine Dachabsaugung, über einen Ofen oder einen Luftentfeuchter. Die Ventilatoren laufen zwei bis drei Tage durch. Anschließend folgt die Nachtrocknung für ein bis zwei Stunden am Tag. Stromkosten: 10 bis 20 €/t Heu.

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