Wer Milchkühe hält, muss das Wohlergehen seiner Tiere erheben und bewerten. So schreibt es das Tierschutzgesetz seit 2014 für alle Nutztiere vor. Doch konkrete Definitionen sowie Vorgaben zum Erheben von Tierwohl für die sogenannte betriebliche Eigenkontrolle gibt es nicht. Mit der neuen Dienstleistung „Q Check“ wollen die Landeskontrollverbände (LKV) diese Lücke schließen. Koordiniert wurde das Projekt vom Deutschen Verband für Leistungs- und Qualitätsprüfungen (DLQ).
Bewährtes bündeln – das war unser Ansatz. - Dr. Hachenberg
Bei der betrieblichen Eigenkontrolle spielen tierbezogene Indikatoren eine zentrale Rolle. Sie sollen das Tierwohl abbilden und sind theoretisch vom Landwirt separat zu erheben.Doch Dr. Sabrina Hachenberg vom DLQ erklärt: „Der Milchviehsektor hat Glück, er verfügt mit der Milchkontrolle, der HIT-Datenbank, der Milchgüteprüfung und dem QM-Milch-System seit vielen Jahren über etablierte Erfassungs- und Analysesysteme, die kontinuierlich und deutschlandweit einheitlich erhobene Daten verarbeiten. Bewährtes bündeln – das war unser Ansatz.“
Wie sich automatisch erfassbare Daten kombinieren und für die betriebliche Eigenkontrolle nutzen lassen, haben Landwirte, Tierärzte sowie Agrar- und Sozialwissenschaftler drei Jahre lang untersucht. Zur Diskussion standen verschiedene bereits vorhandene Indikatoren, wie unter anderem die Eutergesundheitskennzahlen.
Ziel- und Warnwertedefiniert
Schlussendlich stimmten die Experten für 13 Tierwohl-Indikatoren ab, die sowohl für das Herdenmanagement als auch für die betriebliche Eigenkontrolle relevant sind (siehe Übersicht). Zusammen mit den Kontrollverbänden hat die Expertengruppe auch Ziel- und Warnwerte festgelegt. Anhand der Kennzahlen sollen Landwirte mögliche Handlungsfelder erkennen können.
Die Q Check-Indikatoren erhalten Landwirte, die an der Milchleistungsprüfung (MLP) teilnehmen, zum Ende eines Quartals und als Jahresüberblick als gedruckten oder digitalen Report. Das ist bereits von einigen LKV umgesetzt und soll in den kommenden Monaten allen der Milchkontrolle angeschlossenen Landwirten zur Verfügung stehen.
Der Report soll die betriebliche Tierwohlsituation im Zeitverlauf darstellen und somit eine Grundlage für die gesetzlich vorgeschriebenen Eigenkontrolle bilden. Zudem zeigt der Report den Vergleich mit den 25 bzw. 10 % besten Betrieben ähnlicher Struktur (Herdengröße und Rasse), was eine Bewertung der eigenen Indikatoren ermöglicht.
Andere Institutionen sind ebenfalls dabei, Tierwohl-Indikatoren im Sinne des Tierschutzgesetzes zu entwickeln oder haben diese bereits veröffentlicht, wie beispielsweise das Projekt Eigenkontrolle Tiergerechtheit (EiKoTiGer). Diese Informationen laufen nicht aneinander vorbei, sondern sind auch in die Entwicklung des Q Check-Reports eingeflossen. Offen ist allerdings noch, welche Indikatoren vom Gesetzgeber anerkannt werden.
Tierwohlmonitoring kommt
Zusätzlich zu der betrieblichen Eigenkontrolle sieht die Nutztierstrategie des Landwirtschaftsministeriums den Aufbau eines nationalen Tierwohlmonitorings vor. Welche Anforderungen an Milcherzeuger gestellt werden, ist noch offen.
Q Check soll auch dazu eine Lösung bieten: Mit anonymisierten Ergebnissen aus dem Report lässt sich laut DLQ überregional der Status quo beurteilen und die Tierwohlsituation in Deutschland sachlich darstellen. Für das nationale Monitoring müssen Milcherzeuger der anonymisierten Nutzung ihrer Daten zustimmen. Hachenberg macht deutlich: „Nur wenn viele Landwirte mitmachen, kann unser Vorschlag verwirklicht werden.“ Für Hachenberg steht außer Frage, dass die politische Forderung kommen wird: „Die Branche tut gut daran, diese aktiv mitzugestalten."
Reportage: Hilfsmittel gegen Betriebsblindheit
Wiebke Gerdes ist dankbar für zusätzliche Kennzahlen zur Gesundheit ihrer Milchviehherde.
Milcherzeugerin Wiebke Gerdes aus Schmalfeld (Schleswig-Holstein) bewirtschaftet zusammen mit ihrem Mann Lars einen Milchviehbetrieb mit 130 Kühen, die sie im 20er-Swing-Over-Melkstand melken. Die Milcherzeugerin ist hauptverantwortlich im Stall, ihr Mann übernimmt die Außenwirtschaft.
Aktuell liegt der Herdenschnitt bei 10 400 kg Milch (4,21 % Fett und 3,58 % Eiweiß) und 219 000 Zellen/ml. Laut Q Check-Report haben 65 % der Kühe eine Zellzahl von unter 100 000, das Ziel wären 75 %. „Das ist aber nicht mein persönliches Ziel. Ich will im Tank unter 200 000 Zellen haben. Denn dieser Wert gilt für die Milchgeldabrechnung“, macht Gerdes deutlich. Dabei seien die Zahlen der MLP nicht mit denen der Tankmilch vergleichbar, wenn sie hohe Zellzahl-Kühe nicht in den Tank melken.
Um die Eutergesundheit zu verbessern, setzt Gerdes unter anderem auf eine Zwischendesinfektion der Melkzeuge. Nach Kühen mit über 200 000 Zellen und Tieren mit Flocken in der Milch sprüht sie Peressigsäure in die Melkbecher.
Damit die Euter in der Trockenstehzeit ausheilen können, nutzt Gerdes bei allen Tieren einen Zitzenversiegler und in der Regel antibiotische Trockensteller. Nur bei Kühen mit unter 100 000 Zellen zum Trockenstellen schaut sie sich den Schalmtest genau an und setzt viertelindividuell Trockensteller ein.
Ein Blick in die Augen der Kuh zeigt oft am besten, wie es ihr wirklich geht. - Wiebke Gerdes
Die Daten der Milchkontrolle und vom Q Check-Report nutzt die Landwirtin auch für einen Überblick zur Stoffwechselgesundheit. „Bei einem Fett-Eiweiß-Quotient (FEQ) von unter 1,45 und einem Eiweißgehalt unter 3,4 % teste ich die Kühe einzeln nach“, sagt die Milcherzeugerin. Wichtig ist ihr aber auch, sich das Tier anzuschauen: „Ein Blick in die Augen der Kuh zeigt oft am besten, wie es ihr wirklich geht.“
Bei der Ration setzt Gerdes auf wenige Extras und verfüttert eine Voll-TMR an die gesamte Herde (mit 7 kg Mais- und 5 kg Grassilage, ausgelegt für 35 kg Milch). Wöchentlich beurteilt sie die Futteraufnahme, indem sie die vorgelegte Mischung und Restmengen wiegt und miteinander vergleicht. Zudem lässt sie aufschreiben, was tatsächlich im Mischwagen landet: „Nur so kann ich nachvollziehen, wenn die Leistung mal nicht zur Kalkulation passt.“
Blick auf eigene Kennzahlen
Den Q Check-Report erhält die Betriebsleiterin erst seit wenigen Monaten. Doch damit hofft sie auch Betriebsblindheit vorzubeugen. „Beispielsweise bei der ‚Neuinfektionsrate in der Trockenstehzeit‘ standen wir laut dem Bericht schon einmal besser da. Das war mir nicht bewusst und jetzt frage ich mich natürlich, weshalb wir uns verschlechtert haben“, sagt Gerdes.
Allerdings gibt sie auch zu bedenken: „Wenn ich die Ursache für bestimmte Kennzahlen nicht kenne, ist es schwierig darauf zu reagieren. Beispielsweise erscheint mir Zahl der Totgeburten bzw. Kälberverluste im Report unverhältnismäßig hoch.“ Sie will diese Zahlen mit dem Tierarzt besprechen.
Die Milcherzeugerin nutzt den Benchmark-Vergleich aus Q Check weniger: „Für mich ist nicht entscheidend, welche Kennzahlen andere Betriebe erreichen, sondern wie sich die Leistungen meiner Herde über die Zeit verändern.“ Das will sie auch weiterhin mit den Daten der Milchkontrolle und ab jetzt auch mit dem Q Check-Report überprüfen.
Reportage: Nachweisen, was gut läuft
Max Hartmann hat die Eutergesundheit im Griff, findet Indikatoren dazu aber trotzdem hilfreich.
Die Tierwohl-Indikatoren führen mir vor Augen, wenn mal etwas nicht läuft. Aber sie sind auch ein Beweis dafür, wenn alles läuft“, meint Max Hartmann zum neuen Q Check-Report. Der Milcherzeuger aus Aichstetten (Baden-Württemberg) bewirtschaftet einen Betrieb mit 85 Fleckviehkühen. Die Herde hatte er zuvor aufgestockt und ist 2020 vom Anbindestall in einen Liegeboxenlaufstall mit einem Melkroboter umgezogen. Der Betrieb liegt in einer Grünlandregion mit hohen Erträgen und verfüttert rund 80 % Grassilage in der Ration, plus Maissilage und Körnermais.
Zellzahl im grünen Bereich
Die Herde hat aktuell eine Leistung von 9.500 kg Milch (4,0 % Fett, 3,6 % Eiweiß) bei rund 60.000 Zellen/ml. „Nach dem Umstallen gingen die Zellzahlen hoch auf 300.000. Ich habe einzelne Kühe aussortieren müssen und mit der Zeit sind die Werte wieder auf ein gutes Niveau gesunken“, sagt Hartmann. Laut Q Check-Report liegt er bei den Eutergesundheitskennzahlen überall im „grünen Bereich“. Trotzdem findet er es hilfreich, dass z. B. die Heilungs- oder Neuinfektionsrate im Zeitverlauf sowie im Vergleich zu anderen Betrieben dargestellt wird.
Wenig aussagekräftig für die Stoffwechselgesundheit findet Hartmann den Zielwert vom Fett-Eiweiß-Quotient (FEQ; weniger als 5 % der Kühe < 1,0). Denn der Landwirt ist züchterisch engagiert, setzt gesextes Sperma ein und vermarktet auch Färsen über Auktionen. „Wir haben zeitweise viele Färsen zum Einmelken. Bei denen schwankt der FEQ und kann ohne gesundheitliche Probleme auch mal unter 1,0 liegen. Wenn dann gerade eine Milchkontrolle stattfindet und bei der nächsten MLP diese Färsen wieder verkauft sind, ist der Wert nicht repräsentativ“, so Hartmann. Er schaut daher auf die Ketomir-Daten, die der LKV BW ausweist.
Ziel: einer der 25% Besten sein
Die MLP-Daten analysiert der Milcherzeuger am PC und bespricht sie mit einem LKV-Berater, um die Ration anzupassen oder Tieren mit Ketoserisiko Propylenglykol zu verabreichen. Denn der hohe Anteil von Grassilage kann eine Herausforderung sein. Besonders wichtig ist Hartmann der Harnstoffwert. Sein Ziel sind 230 bis 260 mg/l Milch, um keine Über- bzw. Unterversorgung mit Protein zu riskieren.
Wenn man zukünftig noch Geld mit der Milchproduktion verdienen will, muss man zu den 25 % Besten zählen. Da muss ich wissen, wo ich stehe. - Max Hartmann
Den überbetrieblichen Vergleich im Q Check findet Hartmann hilfreich. „Wenn man zukünftig noch Geld mit der Milchproduktion verdienen will, muss man zu den 25 % Besten zählen. Da muss ich wissen, wo ich stehe“, so der Milcherzeuger. Sein Rezept dafür ist kein Geld bei Maßnahmen zur Prophylaxe zu sparen und ein konsequentes Arbeiten in allen Bereichen. Auch deshalb begrüßt der Landwirt den Q Check-Report: „Damit habe ich die Chance zu zeigen, was ich alles gut mache – ohne zusätzliche Daten erfassen zu müssen!“