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Ernährungsexperte: Es gibt keinen Grund, kein Fleisch zu essen!

In der Gesellschaft gibt es viele Vorbehalte gegenüber Fleisch. SUS sprach mit dem Ernährungsexperten Prof. Dr. Stephan Martin, Chefarzt am Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrum.

Lesezeit: 7 Minuten

top agrar:Prof. Martin, der Verzehr von tierischem Protein – vor allem Fleisch – ist ein Dauerbrenner in den Medien. Wie denken Sie über Fleisch als Teil unserer Ernährung?

Prof Martin: Aus gesundheitlicher Sicht gibt es keinen Grund, kein Fleisch zu essen. Als Arzt ist das Thema Fleisch für mich primär eine ethische Frage. Es ist in der Ge­­schichte der Menschheit immer ein fester Be­­standteil der Nahrung gewesen. Aber nicht in dem Ausmaß wie es heute konsumiert wird. Meine Empfehlung lautet: Weniger und besser.

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Rindfleisch gilt als Delikatesse, Geflügelfleisch besticht durch seinen geringen Fettgehalt von nur 0,8 bis 1 g Fett pro 100 g. Womit punktet Schweinefleisch aus ernährungsphysiologischer Sicht?

Prof Martin: Das Problem bei der Bewertung von Fleisch auf wissenschaftlicher Ebene ist, dass wir keine belastbaren Daten zu all diesen Aussagen haben. Die meisten Ernährungsstudien basieren auf der Befragung von freiwilligen Teilnehmern, die dann über viele Jahre nachbeobachtet werden. Im Anschluss wird geprüft, ob in Abhängigkeit von den Vorlieben für bestimmte Lebensmittel einzelne Erkrankungen häufiger auftraten.

Was bei solchen Untersuchungen leider komplett vernachlässigt wird, ist, dass sich Personen mit einem hohen Schweinefleischkonsum oft auch in anderen Lebensstilfragen unterscheiden. Schweinefleisch zum Beispiel ist günstiger als Rindfleisch. Somit spielt hier wahrscheinlich der soziale Faktor ebenfalls eine Rolle. Wer ein höheres Einkommen hat, kann auch mehr Rindfleisch verzehren. Außerdem wissen wir, dass Menschen mit einem gerin­geren Einkommen häu­figer chronische Erkrankungen wie beispielsweise Typ 2-Diabetes oder Bluthochdruck haben. Die Ursache kann zum Beispiel ein ungesunder Lebensstil mit wenig Bewegung usw. sein.

"Mehr Fett im Fleisch - warum nicht!"

Vor zehn Jahren aß jeder Deutsche 40 kg Schweinefleisch pro Jahr. Jetzt sind es ca. 30 kg. Wo sehen Sie Grenzen für einen gesundheitlich unbedenklichen Verzehr?

Prof Martin: Man kann aufgrund der aktuellen wissenschaftlichen Ergebnisse nur vorsichtige Empfehlungen geben. Um die Frage eindeutig zu klären, müsste man randomisierte Studien durchführen. Hier werden freiwillige Versuchsteilnehmer zufällig in zwei Gruppen aufgeteilt. Die einen müssten dann zwei bis drei Jahre lang weniger Schweinefleisch essen, während die andere Gruppe angehalten wird, ihren Schweinefleischkonsum zu steigern. Meines Wissens gibt es bislang keine entsprechenden Studien mit Fleisch.

Anders sieht das bei Olivenöl aus. In Spanien wurden im Rahmen der PREDIMED- und CORDIOPRV-Studien randomisierte Studien erstellt. Dabei wurden Personen mit hohem Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen bzw. mit einem Herzinfarkt zufällig in zwei Gruppen ­aufgeteilt. Die eine Gruppe sollte sich fettarm ernähren, d. h. der Fettgehalt der Nahrung sollte unter 30 % liegen. Eine andere Gruppe aß mediterran und erhielt zusätzlich kostenlos 1 Liter Olivenöl. Da­­von sollten täglich 50 ml konsumiert werden. Ziel war es, den täglichen Fettkonsum auf mehr als 40 % zu steigern. Die Ergebnisse überraschten. Die Personen in der Olivenöl-Gruppe hatten ein signifikant niedrigeres Risiko für Herz­infarkt und Schlaganfall.

Stimmt es, dass der Verzehr von tierischem Protein die Entstehung von Gicht, Schlaganfall, Fettleibigkeit oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördert?

Prof Martin: Auch diese Behauptungen basieren auf der zuvor beschriebenen unsicheren Da­­tenlage. Bei Gicht wissen wir, dass be­­troffene Personen ihren Harnsäurespiegel durch einen reduzierten Fleischkonsum absenken können. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass hier eher die Innereien das Problem sind und diese heute kaum noch verzehrt werden. Und für Personen, die erhöhte Harnsäurespiegel haben und schon einmal einen Gichtanfall hatten, haben wir sehr gute Medikamente. Sie rufen so gut wie keine Nebenwirkungen hervor.

Tierische Fette werden gern als gesundheitsschädigend hingestellt. Ist dem so?

Prof Martin: Die Verteufelung von tierischen Fetten, die vermehrt gesättigte Fette enthalten, gehört aufgrund neuer wissenschaftlicher Ergebnisse der Vergangenheit an. Es kommt auf die Matrix an, in der die Fette enthalten sind. Je höher ein Lebensmittel verarbeitet ist, z. B. Kartoffelchips, um so ungünstiger scheinen sich diese auf die Gesundheit auszuwirken. Fleisch – wenn es nicht in Wurst verarbeitet ist – hat einen niedrigen Verarbeitungsgrad.

Margarine enthält gehärtete Fette, die eher zu Arterienverschluss führen. Wie ist das Schweinefleisch bezüglich seiner Fettqualität einzuordnen?

Prof Martin: Ob tierische Fette ungünstiger sind als pflanzliche, ist wissenschaftlich nicht ge­­klärt. Das American College of Cardiology empfiehlt, tierische Fette nicht zu verteufeln. In dieser Übersichtsarbeit wird auch auf den Verarbeitungsgrad der Lebensmittel hingewiesen.

Gehärtete Fette sind in Deutschland übrigens kaum noch in Lebensmitteln enthalten. Die Nahrungsmittelindustrie hat in den letzten Jahren reagiert und die unter Verdacht stehenden Fette ausgetauscht.

Fett gilt als Dickmacher. Richtig?

Prof Martin: Bei Übergewicht wird schnell der Fett­gehalt von Lebensmitteln als Schuldiger herangezogen. Aber auch hier ist die Datenlage unsicher. In der bereits er­­wähnten spanischen PREDIMED-Studie hatten die Teilnehmer der Olivenöl-Gruppe eine günstigere Gewichtsentwicklung als die Personen, die sich fettarm ernährten. Wer abnehmen will, sollte zuerst Zucker und Stärke meiden. Beim Fleisch habe ich weniger Bedenken, da sich der Verzehr nicht auf die Insulinspiegel auswirkt.

"Kochen Sie so, wie Ihre Oma gekocht hat"

Der Fettanteil im Schweinefleisch wurde züchterisch maximal reduziert. Darunter leidet die Schmackhaftigkeit. Dürfen die Züchter den Fettanteil aus ernährungsphysiologischer Sicht ruhig wieder erhöhen?

Prof Martin: Warum nicht! Fett führt weder zu Übergewicht noch zu Herz-Kreislauferkrankungen! Und da Fett ein natürlicher Geschmacksträger in Lebensmitteln ist, würde ich vor fetterem Schweinefleisch nicht zurückschrecken. Das ernährungsphysiologische viel größere Problem ist der Zucker. Durch die Verteufelung von Fett ernähren sich die Menschen vermehrt auf Basis von Kohlenhydraten. Sättigungsbeilagen wie Kartoffeln, Reis, Nudeln oder auch Brot enthalten aber viel Stärke und die besteht aus langen Traubenzuckerketten. Kaum jemand weiß, dass Kartoffelpüree im Vergleich zum Haushaltszucker einen viel höheren glykämischen Index hat. Der Index bestimmt die Wirkung eines kohlenhydrathaltigen Lebensmittels auf den Blutzuckerspiegel.

Fleischersatzprodukte durchlaufen ­mehrere industrielle Verarbeitungsstufen und sind mit Geschmacksverstärkern und künstlichen Zusätzen angereichert. Wie ist das einzuordnen?

Prof Martin: Insbesondere veganen Ersatzprodukten wird Hydroxyethylmethyl-Cellulose zu­­gemischt. Diese ist gesundheitlich sehr bedenklich. Und was andere Emulgatoren auslösen, wissen wir bislang nicht im Detail. Monoglyceride zum Beispiel, die auch als Emulgatoren genutzt werden, stehen im Verdacht die Insulinproduktion anzuregen. In diesem Fall wird die Fettverbrennung blockiert und die Fettablagerung gefördert.

Meine Empfehlung an Patienten ist: Kochen Sie so, wie Ihre Oma auch schon gekocht hat! Die Betonung liegt aber auf „gekocht“. Und wer auf Fleisch verzichten will, sollte natürliche Produkte nutzen und jegliche Form von Ersatzprodukten meiden.

Die Zahl der Menschen, die sich vege­tarisch oder vegan ernähren, nimmt zu. Welche Probleme sehen Sie, wenn der Mensch komplett auf tierisches Protein verzichtet?

Prof Martin: Fleisch, Eier und Milchprodukte ent­halten viele Vitamine und Spurenelemente. Auch für die Eisenversorgung ist Fleisch wichtig. Daher müssen Personen mit einer langjährigen veganen Ernährung künstliche Supplemente zu sich nehmen. Ob das wirklich gesund ist, kann ich nicht abschätzen.

Wie wichtig ist Fleisch für Kleinkinder und Jugendliche?

Prof Martin: Ich kann diese Frage nicht beantworten, da ich kein Kinderarzt bin. Ich weiß aber, dass der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Nordrhein kürzlich vor einer fleischlosen Ernährung im ­Kinder- und Jugendalter gewarnt hat, da vor allem der kindliche Organismus empfindlich auf einen Nährstoffmangel re­­agiert.

Diesen und weitere spannende Beiträge finden Sie in der kommenden Ausgabe der SUS 6/2023, die Anfang Dezember erscheinen wird.

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