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Kleingewässermonitoring

UBA-Studie: Reaktionen aus Wissenschaft und Praxis

Die Stellungnahme vom Pflanzenschutzdienst aus NRW war für ­top agrar ein Anlass, beim Erstautor der Studie nachzufassen. Abschließende Kommentare ordnen seine Antworten ein.

Lesezeit: 8 Minuten

In Ihrer Stellungnahme vom 13. September spricht Frau Claus-Krupp vom Pflanzenschutzdienst NRW einige Aspekte des Kleingewässermonitorings kritisch an. top agrar hat darauf hin Prof. Liess vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) um Antwort auf offene Fragen gebeten.

Die Stellungnahme und die Antworten von Prof. Liess sowie weitere kritische Stimmen zur UBA-Studie hinterlassen ein recht undurchsichtiges Bild, welches Prof. von Tiedemann von der Universität Göttingen und top agrar Redakteur Daniel Dabbelt versuchen in ihren Kommentaren für Sie einzuordnen.

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Interview mit Prof. Liess (UFZ)

"Unsere Studie stimmt"

Herr Prof. Dr. Liess, in Nordrhein-Westfalen wurden insgesamt 288 verschiedene anthropogene Substanzen gefunden. Laut Frau Claus-Krupp gelten viele davon als Indikator für häusliche Abwässer. Dennoch wurden diese urbanen Stoffe, die teils über externe Einleiter in die Gewässer gelangen, nicht weiter berücksichtigt. Warum nicht?

Liess: Richtig ist, dass in NRW eine Vielzahl von Schadstoffen – wie Arzneimittel – gefunden wurden, die Indikatoren für häusliche Abwässer sind. Es stimmt nicht, dass diese „urbanen“ Stoffe in den Auswertungen nicht ­berücksichtigt wurden. In der ent­spre­chen­den Veröffentlichung und auch im Abschlussbericht an das Umweltbundesamt wurde deutlich gemacht, dass landwirtschaftliche Pestizide im Durchschnitt 91-mal toxischer waren als urbane Schadstoffe. Die fest­gestellte ökologische Wirkung beruht also zum überwiegenden Anteil auf der Toxizität der Pestizide und nicht auf der Toxizität der ebenfalls ge­messenen urbanen Stoffe.

Als Ursache für die RAK-Überschreitungen, also der regulatorisch ­akzeptablen Konzentration, geben Sie in erster Linie Run­off-Ereignisse an, die aufgrund unwirksamer oder nicht vorhandener Randstreifen stattfanden. Der Pflanzenschutzdienst NRW ­berichtet jedoch – bis auf wenige ­Ausnahmen – von bewachsenen ­Strukturen und ­intakten Randstreifen und sieht Runoff nicht als wesentlichen Eintragspfad. Wie erklären Sie die ­unterschiedliche Wahrnehmung?

Liess: Sehr grundsätzlich ist hier zu ­sagen, dass die entsprechenden Konzentrationen nach Regenereignissen gemessen wurden. Darunter waren auch Stoffe, deren Quelle nur Acker­flächen sein können. Das war nicht nur in NRW so, sondern in ganz Deutschland – in anderen Untersuchungen auch in Europa und weltweit. Es handelt sich also nicht um ein ­fehlerhaftes Eintragsmodell, sondern bildet die reale Belastung ab.

Wie in der Veröffentlichung von ­Vormeier et al. 2023 und dem entsprechenden Abschlussbericht an das UBA ­dargestellt, werden auf beiden Seiten des Gewässers etwa 20 m breite Randstreifen benötigt, um den Eintrag von Pestiziden ausreichend zu vermindern. Derartige Randstreifen sind nur selten durchgehend und entlang des ganzen Gewässers vorhanden. Dass vor allem breitere Randstreifen zu geringeren Pestizidkonzentrationen im Gewässer führen, bestätigt, dass die Einträge zu einem wesentlichen Anteil über Oberflächenabfluss in die Gewässer gelangen.

Frau Claus-Krupp kritisiert außerdem die Art und Weise der Ermittlung der RAK-Überschreitungen. Ist es nicht wissenschaftlicher Konsens, die RAK-Werte zu verwenden, die zum Zeitpunkt der Zulassung des jeweiligen Pflanzenschutzmittels gegolten haben und EU-weit abgestimmt wurden?

Liess: Dazu muss man wissen, dass das Zulassungsverfahren für Pflan­zenschutzmittel und die inbegriffene ­Umweltrisikobewertung auf diversen Annahmen zum Verbleib und Ver­halten der jeweiligen Chemikalien in der Umwelt fußen. Neue wissenschaft­liche Erkenntnisse können und sollten umgehend zu einer Anpassung dieser ­Annahmen führen. So auch im Falle der RAK-Werte, wo neues Wissen über die Auswirkungen von Wirkstoffen auf Gewässerorganismen zu einer Anpassung der jeweiligen Grenzwerte führte. Die ehemals zum Zeitpunkt der Zu­lassung abgeleiteten RAK, die von Frau Claus-Krupp herangezogen werden, entsprechen einem veralteten ­Wissensstand und eignen sich daher nicht für eine Bewertung der gemes­senen ­Konzentrationen.

Darüber hinaus standen uns keine Informationen zu den tatsächlich ­verwendeten Mitteln zur Verfügung, sodass unbekannt war, welche Pflanzenschutzmittel für die Überschreitungen infrage kommen könnten. Die von uns herangezogenen Grenzwerte spiegeln hingegen den zum Zeitpunkt des Monitorings vorherrschenden Stand von Wissenschaft und Technik wider und ermöglichen so eine fundierte ­Beurteilung, inwieweit das in der Zulassung in den Jahren 2018 und 2019 angestrebte Schutzniveau in der Realität ­erreicht wird. Demnach wurden in NRW 51 Überschreitungen des RAK-Wertes durch 15 Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe gemessen, was eine deut­liche Gewässerbelastung anzeigt.

In welcher Form haben Sie in Ihren Untersuchungen das Wetter berücksichtigt? Schließlich waren gerade 2018 und 2019 sehr trockene Jahre. Und wie haben Sie den Temperatureinfluss auf die geprüften Organismen in die Untersuchungen integriert? Der Pflanzenschutzdienst NRW berichtete an top agrar, dass Wasserstandssensoren ausgefallen, Pegelmesser defekt waren und zum Teil erst außerhalb des Beprobungszeitraums Daten lieferten.

Liess: Auch hier sind die Antworten in den Veröffentlichungen und den ­Berichten zu finden. So werden in Liess et al. aus 2021 eine Vielzahl von Umweltfaktoren auf ihre Bedeutung für die Reaktion der Organismen untersucht, darunter auch die kontinuierlich gemessene Gewässertemperatur. In der Listung aller als relevant geltenden Umweltfaktoren ist die Temperatur nicht aufgeführt, da in statistischen Modellen für diesen Parameter ein ­vernachlässigbarer Einfluss auf die ­Gewässerorganismen festgestellt wurde. Weiterhin wird in der Veröffentlichung dargestellt, dass einige ­Gewässer ausgetrocknet waren und dass diese dann aus der Analyse ­entfernt wurden. Nicht nur wegen der fehlenden Daten, sondern auch, weil an diesen Gewässern kaum Wasser­organismen überleben können. Da macht eine Auswertung keinen Sinn. -dd-

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Kommentar von Prof. von Tiedemann

Gefährdung für Gewässer ist nicht abzuleiten

Die im Auftrag des UBA am UFZ Leipzig und an der Uni Koblenz-Landau erstellte Studie zu Pflanzenschutzmittelfunden in Kleingewässern weist einen auffällig hohen Anteil von Grenzwertüberschreitungen auf. Bei näherem Hinsehen beruhen diese allerdings auf einer ungewöhnlich niedrigen Festsetzung der RAK-Werte (regulatorisch akzeptable Konzentration).

Wichtig ist: RAK-Werte sind keine amtlich verbindlichen Grenzwerte, wie dies bei den Rückstandshöchstmengen für Pflanzenschutzmittel in Ernteprodukten und Lebensmitteln der Fall ist. RAK-Werte basieren zwar auf toxikologisch ­ermittelten Daten, können aber durch Zuschläge unterschiedlicher Sicherheitsfaktoren individuell festgesetzt werden.

Bei den RAK-Werten des UBA fällt auf, dass sie sowohl im Vergleich zum geltenden amtlichen Trinkwassergrenzwert von 0,1 µg/l als auch im Vergleich zu den RAK-Werten der Schweiz extrem niedrig sind. So liegen sie um einen Faktor von bis zu 100 unter dem Trinkwassergrenzwert und um den Faktor bis zu 1.700 ­unter den Schweizer RAK-Werten. Damit würden für Freilandgewässer strengere Grenzwerte gelten als für das Trinkwasser, welches in Deutschland nachweislich unbedenklich ist.

Der Unterschied zu den Schweizer Grenzwerten ist insofern ­erstaunlich, als die Eidgenossen diese von den gleichen EFSA-Grunddaten ­ableiten, die in der EU gelten. Die RAK-Werte des UBA erscheinen somit will­kürlich in ­einem unrealistischen Bereich ­angesetzt, woraus sich die hohe Anzahl Überschreitungen erklärt.

Hinzu kommt, dass die Überschreitungen im Wesentlichen bei den so­genannten „Ereignisproben“ feststellbar waren, d. h. nach Regenereignissen > 25 mm. Die Studiendaten zeigen aber, dass selbst bei diesen Extremproben und den extrem niedrig angesetzten RAK-Werten die überwiegende Anzahl Datenpunkte für Fungizide, Insektizide und Herbizide unter dem Trinkwassergrenzwert liegt.

Bei den „Schöpfproben“, die den Gewässeralltag darstellen, liegen die Werte alle noch deutlich ­darunter. Insgesamt kann eine Gefährdungslage für Gewässer aus diesen ­Daten nicht abgeleitet werden. Es sei betont, dass die Studie auch keinerlei biologische Wirkungen belegt, die eine solche Gefährdung begründen würden.

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Kommentar top agrar-Redakteur Daniel Dabbelt

Falsche Schlussfolgerungen bringen keinem etwas

Um eins vorwegzunehmen: Es steht ­außer Frage, dass der Schutz unserer Gewässer und des Trinkwassers essenziell ist. Es stimmt auch, dass die Landwirtschaft als Flächennutzer großen ­Einfluss darauf hat.

Nicht zielführend sind aber pauschale Forderungen nach 18 m breiten Randstreifen, die sich offensichtlich wis­senschaftlich nicht begründen lassen. So zeigte sich nach Prüfung der Studie durch Pflanzenschutzexperten mehrerer Bundesländer, dass neben anderen Schwächen vor allem die Schlussfolgerungen der Autoren zu den Eintrags­pfaden der Pflanzenschutzmittel in die Gewässer nicht nachvollziehbar sind. Im Falle des Etzelsbachs in Thüringen war z. B. der geschilderte Eintragsweg überhaupt nicht möglich – was Vor-­Ort-Begehungen offenlegten.

Wenn aus einem umfangreichen ­Datensatz, welcher das Kleingewässermonitoring sicherlich liefert, die falschen Schlüsse gezogen werden, kommen wir in der Sache nicht weiter. Besser wäre es doch allemal, wenn man die tatsächlichen Ursachen für auftretende Einträge findet und diese gezielt behebt. Falsche Forderungen nach breiteren Randstreifen bringen den Gewässerschutz keinen Schritt voran. Sie gefährden dagegen viele Familienbetriebe insbesondere in klein strukturierten Regionen – damit würde man ihnen buchstäblich den ­Boden unter den Füßen wegziehen.

Daher: Lieber Herr Prof. Liess, liebes UBA, stellen Sie sich der konkreten Kritik und versuchen Sie nicht, diese mit allgemeinen Antworten vom Tisch zu wischen. Werfen Sie ideologisches Denken über Bord und arbeiten Sie mit den Landwirten und Beratern zusammen! Bewerten Sie die Einträge neutral und wissenschaftlich fundiert. Nur dann ­gelingen die Gemeinschaftsaufgaben des Gewässer- und Umweltschutzes.

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