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Energiewende-Tour 2024

Die Braunkohle, ein verlorenes Dorf und Solartürme

Die Energiewendebotschafter besuchten auf ihrer Radtour nach Brüssel den Tagebau in Garzweiler, das neu gebaute Dorf Otzenrath und den Forschungscampus Jülich.

Lesezeit: 6 Minuten

Für jeden traditionsbewussten Dorfbewohner undenkbar: Man bekommt einen Brief, dass in wenigen Jahren das eigene Haus und die aller Nachbarn vom Erdboden verschwunden sind. Zum Ausgleich kann man sich zehn Kilometer weiter ein neues Grundstück suchen. So geschehen im Ort Otzenrath im Kreis Neuss in Nordrhein-Westfalen, das dem Braunkohletagebau des Konzerns RWE zum Opfer gefallen ist. „Wir mussten unser Haus 2004 verlassen, die gesamte Umsiedlung des Dorfes hat von 2000 bis 2006 gedauert“, berichtete Heinrich Küpper, einer der Betroffenen und heute Vorsitzender der Kolpingsfamilie Otzenrath. Das neue Otzenrath – mittlerweile auch fast wieder 20 Jahre alt – war das erste Ziel am 3. Tag der Tour „Energiewende erFAHREN 2024“.

Die Umsiedlung erfolgte so: Ein Gutachter bewertete das bestehende Haus, dann begannen die Verhandlungen mit dem RWE-Konzern über die Entschädigungszahlung. Mit dem Geld konnte das neue Haus mitfinanziert werden. „Das neue Dorf ist auf einer grünen Wiese entstanden“, erklärte Küpper. Über 80 % der Dorfbewohner sind ins neue Dorf umgesiedelt, vor allem die Jüngeren. Viele ältere Menschen dagegen nutzen die Gelegenheit zum Einzug ins Seniorenheim oder zum Umzug an den Wohnort der Kinder.

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Küpper schilderte, dass er sieben Monate lang nach dem Umzug aus sentimentalen Gründen noch zum alten Haus gefahren ist, das er selbst gebaut hatte. „Wir haben unsere Heimat verloren, unsere Kirche, unsere Schule und vieles mehr. Das ganze Prozedere und die vielen Verhandlungen und Sorgen haben uns rund zehn Jahre unseres Lebens gekostet“, sagte er.

Zumindest einige Stücke der alten Kirche konnten noch gerettet werden: Ein paar Bänke, ein Teil des Bodenbelags, Säulen oder ein Portal, die alle heute in einer 2009 gebauten Kapelle untergebracht sind. „Die Kapelle hat sich in den Jahren als wichtiger Treffpunkt erwiesen, der häufig besucht wird“, schilderte Küpper. Die ganze Geschichte der Umsiedlung ist in Neu-Otzenrath auf einer Gedenktafel unter dem Namen „Spuren der verlorenen Heimat“ dargestellt.

Das große Loch

Da, wo Alt-Otzenrath einmal gestanden hat, gähnt heute ein 400 m tiefes Loch. Das erstreckt sich über eine Fläche von knapp 31 km2. In dem Becken soll nach dem Ende der Kohleförderung ab 2030 ein großer See entstehen. Zu diesem Projekt und vielen weiteren hat sich der Zweckverband Landfolge gegründet. Eine der vielen Ideen ist der Innovationspark Erneuerbare Energien, der im großen Stil Energieerzeugung, Speicherung, Verteilung sowie Nutzung des erzeugten Stroms umfassen soll. Was im Detail geplant ist, schilderte Projektmanager Andreas Bräuer vom Zweckverband in Kuckum, eines von fünf Dörfern, die wegen des früheren Kohleausstiegs vor dem Abriss gerettet werden konnten.

Neben Solarmodulen auf Lärm- und Windschutzwänden entlang der Autobahn sollen auf rekultivierten Flächen auch horizontale und vertikale Agri-PV-Anlagen entstehen. Erste Anlagen sind bereits im Bau. „Dabei sollten Windkraft und Photovoltaik mit landwirtschaftlicher Nutzung so kombiniert werden, dass gleichzeitig ein positiver Effekt für die Biodiversität entsteht“, heißt es auf der Homepage des Zweckverbandes.

Auf 100 ha soll zudem eine Demonstrationsanlage im betrieblichen Maßstab gebaut werden. Die Erfahrungen der beiden bereits vorhandenen Testanlagen für Agri-PV im Rheinischen Revier werden dabei einbezogen.

„Dass der Kohleausstieg kommt, ist sehr gut“, sagte Reiner Priggen, ehemaliger Grünen-Landtagsabgeordneter, ehemaliger Vorsitzender des Landesverbandes Erneuerbare Energien (LEE) in Nordrhein-Westfalen und Mitglied der Kohleausstiegskommission. Er sieht es als politischen Erfolg an, dass junge Leute mit ihrem Protest in Hambach mit für einen früheren Kohleausstieg gesorgt hätten. „17 Jahre lang war ich Parlamentarier und habe in der Zeit immer wieder festgestellt: Nur der Ausbau der erneuerbaren Energien bringt die Energiewende voran. Ein Dach ohne eine PV-Anlage ist ein unanständiges Dach!“

Ideen der Wissenschaftler

Auch das ehemalige Braunkohlerevier soll künftig für die Erzeugung von erneuerbaren Energien genutzt werden. Welche Ideen und Pläne es dafür gibt, stellten in Jülich im Gebäude der Zukunftsagentur Rheinisches Revier verschiedene Wissenschaftler und Projektpartner vor:

  • Gigawattpark: Rund 50 Landkreise, Kommunen, energiewirtschaftliche Unternehmen und Projektträger wollen den Ausbau der erneuerbaren Energien im Rheinischen Revier durch eigene Beiträge beschleunigen. Ziel ist es, die Stromerzeugungskapazitäten aus erneuerbaren Energien bis 2028 auf fünf Gigawatt mehr als zu verdoppeln und gleichzeitig den Ausbau der Erneuerbaren zur Wärmeerzeugung zu forcieren.

  • Brainergy Park: Die drei Gesellschafterkommunen Jülich, Niederzier und Titz sowie der Kreis Düren entwickeln im 52 ha großen interkommunalen Gewerbegebiet Brainergy Park Jülich ein rund 7 ha großes innovatives Spezialgebiet für „Neue Energien“ und „Energiewende“. Geplant ist eine Simulationsfläche und Demonstrationsplattform für das Energiemanagement der Zukunft, dessen Herzstück ein rund 9.700 m² großer Zentralbau – der Brainergy Hub – bildet.

Solarturm und Kavernenspeicher

Eine weitere Idee für die Folgenutzung ist die konzentrierende Solarenergie. Hierzu konzentrieren Spiegel das Sonnenlicht auf einen Punkt in einem Solarturm. Hierbei entstehen Temperaturen von über 1.500 °C, die sich als Prozesswärme nutzen lassen – z.B. für die Treibstoffproduktion. „Hybridkraftwerke lassen sich auch mit Photovoltaik kombinieren“, erklärt Prof. Bernhard Hoffschmidt vom Institut für Solarforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Bei hohem Strombedarf würde das Kraftwerk Strom produzieren, bei wenig Bedarf das Sonnenlicht verwenden, um heißes Wasser zu erzeugen.

Eine weitere Idee präsentierte Michael Hollerbach stellvertretend für Professor Horst Schmidt-Böcking (Institut für Kernphysik an der Goethe-Universität Frankfurt) und Dr. Gerhard Luther (Universität Saarbrücken). In den bis zu 400 m tiefen Garzweiler Loch könnten Kavernenspeicher mit einer Leistung von bis zu 240 GW und einer Speicherkapazität von bis zu 3.000 GWh entstehen. Die Idee des Unterwasserspeichers wurde bereits 2011 von den beiden Wissenschaftlern entwickelt. Sie funktioniert so:

  • Am Boden eines Meeres oder Sees ist ein Betonspeicher installiert.

  • Einströmendes Wasser erzeugt über eine Pumpturbine Strom.

  • Zur Energiespeicherung pumpt die mit Überschussstrom betriebene Turbine das Wasser aus dem Behälter wieder hinaus.

Im Prinzip funktioniert das Kraftwerk wie ein Pumpspeicher. Ein Test im Bodensee hatte bereits 2016 gute Ergebnisse gezeigt. Bei Kosten von 350 Mio. € für ein Speichersegment mit 2,65 GWh Kapazität und 150 bis 200 Zyklen im Jahr (Laden und Entladen) ergeben sich laut Hollerbach Speicherkosten von unter 2 ct/kWh. „Damit man nicht bis 2070 warten muss, bis sich das Loch gefüllt hat, könnte man Wasser von einem künstlichen Obersee am Rand des Braunkohlelochs zu den Kavernenspeichern leiten und sie so bereits kurzfristig nutzen“, schlägt Hollerbach vor. Der große Vorteil der Idee: Die Speicherelemente wären auf dem Seegrund und damit nicht zu sehen. Alle anderen Nutzungen des Gewässers wie Freizeitaktivitäten wären nicht eingeschränkt.

Film zur Tour

Auf Youtube finden Sie einen Film zu dieser Tagesetappe der Tour "Energiewende erFAHREN 2024".

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