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Biogas statt Erdgas: Großes Potenzial, viele Hürden

Über die Rolle von Biogas im künftigen Energiesystem diskutierten während der Tarmstedter Ausstellung Biogasexperten aus Politik, Verbänden und Praxis.

Lesezeit: 9 Minuten

Die Gasversorgungslage in Deutschland ist seit Monaten angespannt. Um die Abhängigkeit von russischem Erdgas weiter zu reduzieren, greift die Bundesregierung nach jedem Strohhalm. So sind neben dem Import von Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas, kurz: LNG) auf Laufzeitverlängerungen von Kohle- und Atomkraftwerken oder Erdgasbohrungen in der Nordsee im Gespräch. Monatelang ignorierte das Bundeswirtschaftsministerium dagegen das Potenzial von heimischem Biogas, das sich zum Erdgasersatz „Biomethan“ aufbereiten lässt.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat Ende Juli angekündigt, dass neben weiteren Maßnahmen auch eine kurzfristige Ausweitung der Biogasproduktion zu den Plänen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz gehört, um den Bedarf an russischem Erdgas kurzfristig zu reduzieren. Zur Sicherung der Gasversorgung im kommenden Winter sollen nach Aussagen des Wirtschaftsministers per Verordnung Begrenzungen der jährlichen Maximalproduktion ausgesetzt werden.

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Doch wie sehen Praktiker das Thema? Wie schnell kann die Biomethanproduktion ausgeweitet werden und welche Rohstoffe sind in Zukunft gefragt? Mit diesen Fragen beschäftigte sich eine Diskussionsrunde des niedersächsischen Landesverbandes Erneuerbare Energien während der Tarmstedter Ausstellung.

Großes Potenzial

Viele bestehende Bioenergieanlagen haben nach Ansicht des Fachverbandes Biogas die Möglichkeit, kurzfristig ihre Gas-, Strom- und Wärmeproduktion zu erhöhen und so die Nutzung von Erdgas zu reduzieren. Das kurzfristig mobilisierbare technische Potenzial allein des bestehenden Biogasanlagenparks schätzt der Verband auf eine Steigerung von im Schnitt 20 %, insgesamt also 19 Terawattstunden (TWh) Gas bzw. 7 TWh Strom, was knapp 4 % der russischen Erdgasimporte vor Ausbruch des Kriegs in der Ukraine entspricht. „Wenn allein in Niedersachsen alle Biogasanlagen umrüsten auf Biomethanproduktion und Einspeisung ins Erdgasnetz, könnten sie 20 % der russischen Erdgasimporte nach Niedersachsen ersetzen“, erklärt Joost Kuhlenkamp, Referent für Bioenergie beim LEE. „Theoretisch könnten wir innerhalb weniger Tage 10 % mehr Gas produzieren, mit einem Vorlauf von 14 Tagen auch 20 %“, bestätigt Sven Plorin, einer der drei Geschäftsführer der Bioenergie Geest GmbH & Co. KG. Die Gesellschaft betreibt in Apensen bei Buxtehude seit 2011 eine Biogasanlage, in der das Rohgas zu Biomethan aufbereitet und ins Erdgasnetz eingespeist wird. Von diesem Typ Anlagen gibt es in Deutschland etwa 200 im Vergleich zu über 9000 Anlagen, die mit dem Gas ein Blockheizkraftwerk zur Strom- und Wärmeproduktion betreiben.

Bislang gab es viele rechtlichen Hürden, die eine Ausweitung der Gasproduktion verhindert haben. So darf nach dem Baugesetzbuch bei baurechtlich privilegierten Anlagen eine Gaserzeugung von 2,3 Million Normkubikmeter Biogas pro Jahr nicht überschritten werden. Zudem ist nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) die vergütungsfähige Strommenge (Höchstbemessungsleistung) bei jeder Anlage auf einen bestimmten Wert begrenzt. Das soll sich jetzt kurzfristig ändern: Bundeswirtschaftsminister Habeck will die Obergrenzen befristet aussetzen. „Vom Rohstoff her wäre eine Ausweitung kein Problem. Viele Anlagen haben wie wir wegen der guten Ernte 2021 noch Material zur Verfügung“, sagt Plorin.

Im Falle der Bioenergie Geest handelt es dabei um Energiemais – für Plorin eine sehr effiziente Energiepflanze. „Wir produzieren damit rund 1200 m3 Rohbiogas pro Stunde. Mit Mais könnten wir im Jahr ca. 5000 t CO₂ aus der Atmosphäre nehmen und nutzbar machen. Das entspricht der Menge CO₂, das die Pflanzen während der Vegetation speichern“, sagt der Geschäftsführer. Künftig wollen die Betreiber der Biogasanlage das CO₂, das vom dem Rohbiogas mittels Aminwäsche abgetrennt wird, auffangen, verflüssigen und u.a. an die Düngerindustrie vermarkten. „Damit wäre die CO₂-Einsparung noch höher. Aber Mais ist leider Opfer einer ideologischen Diskussion geworden“, bedauert er.

Das kann der Diplom-Agraringenieur und CDU-Landtagsabgeordnete Dr. Marco Mohrmann bestätigen: „Es gibt nur wenige Politiker, die sich mit dem komplizierten Thema Biogas beschäftigen. Wenn ich das Thema in politischen Diskussionen anspreche, ist meist bei dem Thema Mais Ende der Debatte“, sagt er.

Gülle und Mist als Alternative

Auch wenn Mais unter Experten unbestritten viele Vorteile hat, ist er aus Sicht der Branche in der Politik immer schwerer zu vermitteln. Opportun sind dagegen Rest- und Abfallstoffe wie Gülle oder Mist – zumal längst nicht jede Gülle in Biogasanlagen eingesetzt wird. „Es wäre der Idealfall, wenn jede Gülle und jeder Mist in einer Biogasanlage behandelt wird“, verdeutlicht Mohrmann.

Das Thema bekommt auch starken Auftrieb, weil bei der Vergärung von Gülle und Mist hohe Treibhausgaseinsparungen (THG-Einsparung) möglich sind. Diese ermöglichen eine zusätzliche Einnahmequelle für Biogasanlagenbetreiber: Wenn das daraus hergestellte Biomethan als Kraftstoff verkauft wird, kann der Biomethanerzeuger diese Minderung in Form einer THG-Quote an den Inverkehrbringer, also meist ein Mineralölkonzern, verkaufen. Dieser kann sich dann die THG-Minderung gutschreiben lassen. Bis zum Jahr 2030 müssen die Mineralölkonzerne ihren CO₂-Fußabdruck um 25 % senken. Heute liegt die Verpflichtung bei gerade einmal 7 %. Die Steigerung löst eine hohe Nachfrage nach Biokraftstoffen mit hohem THG-Minderungspotenzial aus. „Und wegen der hohen Nachfrage ist auch die Nachfrage nach Gülle und Mist stark gestiegen. Während früher Tierhalter aus Veredelungsregionen über Güllebörsen hohe Entsorgungserlöse gezahlt haben, damit Wirtschaftsdünger in Ackerbauregionen transportiert wird, kommt heute dort kaum noch Gülle an“, sagt Oliver Bade, Vertriebsleiter beim Unternehmen BST Innova aus Westertimke bei Tarmstedt. BST ist in der Beratung, Projektierung und Modernisierung von Biogasanlagen tätig.

Dabei wäre Gülle aktuell als Dünger in Ackerbauregionen stark gefragt. Während Tierhalter also früher wegen der Nährstoffüberschüsse eher die Bittsteller waren, sind es jetzt die Ackerbauern. „Auch mit Gärrest in Form von Dünger bieten sich jetzt neue Erlöschancen für die Anlagenbetreiber“, erklärt Bade.

Bio-LNG für den Schwerlastverkehr

Grund für die ausbleibende Lieferung von Gülle ist die große Zahl an Biogasanlagen im Landkreis Rotenburg/Wümme, die aktuell Gülle und Mist einsetzt. Auch die Bioenergie Geest will jetzt von 100 % Mais auf die Vergärung von Wirtschaftsdünger umsteigen. Dazu müssen die vorhandenen sechs Gärbehälter um weitere vier mit 40 m Durchmesser und 10 m Höhe erweitert werden. Dazu wird je eine Anlage zur Verflüssigung von CO₂ und zur Verflüssigung von Biomethan ergänzt. „Wir wollen damit Bio-LNG für den Schwerlastverkehr erzeugen“, erklärt Geschäftsführer Plorin.

Der Kraftstoff Bio-LNG ist bei Speditionen und anderen Flotten im Moment sehr beliebt. Denn es ermöglicht einen klimaschonenden Transport der Güter – für viele Kunden ein immer wichtigeres Argument. „Es wird noch eine Zeit dauern, bis Lkw mit Elektroantrieb oder Wasserstoff Stand der Technik sind. Bio-LNG lässt sich dagegen schon heute einsetzen“, erklärt LEE-Bioenergiespezialist Kuhlenkamp. Ein weiterer Vorteil aus seiner Sicht: Da es aktuell nur wenig Bio-LNG auf dem Markt gibt, können Spedition trotzdem schon Fahrzeuge anschaffen, die sich mit fossilem LNG betanken lassen. Nach und nach können sie dann auf den „grünen“ Kraftstoff Bio-LNG umsteigen. „Das senkt die Einstiegshürde“, sagt er.

Umrüstung für bestehende Anlagen

Die Biomethanproduktion ist nicht nur etwas für Neuanlagen. Oliver Bade sieht auch Potenzial für bestehende Anlagen. „Das geht schon ab 250 m3 Rohgas pro Stunde“; sagt er. Umgerechnet wäre das eine Anlage mit 500 kW elektrisch, also eine typische landwirtschaftliche Biogasanlage. „Wir haben aber auch schon mehrere Anfragen von Landwirten, die eine privilegierte neue Anlage zur Biomethaneinspeisung bauen wollen“, berichtet er. Sinnvoll ist das für Landwirte, die selbst Gülle und Mist zur Verfügung oder zumindest entsprechende Mengen in der Nachbarschaft haben.

Sven Plorin warnt dagegen vor zu viel Euphorie: „Das Thema Biomethan ist nicht ohne, allein wegen der gaswirtschaftlichen Auflagen.“ Neben der Aufbereitungsanlage für das Biomethan wird oftmals eine Einspeiseanlage benötigt, die dafür sorgt, dass das Biomethan in das Gasnetz aufgenommen werden kann. Allein für diese Einspeiseanlage, um das Gas ins Netz zu bekommen, sind 4 bis 5 Mio. € Kosten zu rechnen. Davon muss der Biogasanlagenbetreiber etwa 25 % tragen, den Rest übernimmt der Gasnetzbetreibe.“

Auch sollte für die Einspeisung ein Gasnetz in der Nähe liegen. „Die Regulatorik allein für den Gasnetzzugang ist in Deutschland momentan unglaublich teuer und kompliziert. Hier setzen wir uns dafür ein, dass der Einstieg für Landwirte einfacher wird. Ebenso muss es möglich sein, flexibel Strom und Gas in nur einer Anlage erzeugen zu können – je nach Anforderung“, sagt Mohrmann.

Obwohl die Energiepolitik meist von der Bundesregierung vorgegeben wird, haben auch die Landesregierungen großen Einfluss auf die Energiewende. Kuhlenkamp nennt hier als wichtiges Beispiel die Lagerung von Gärrest in vorhandenen Güllelagerbehältern. Das war de facto bislang kaum möglich in Niedersachsen. Ein aktueller Erlass des Umweltministeriums soll hier nun Möglichkeiten aufzeigen, ist aber aus Sicht der Praxis sehr kompliziert ausgefallen, wie auch Mohrmann bemängelt. „Ohne ausreichend Lagermöglichkeiten ist der Umstieg auf Wirtschaftsdünger für viele Biogasanlagen nahezu unmöglich“, sagt Kuhlenkamp.

Biomethan auch als Brennstoff gefragt

Wie Mohrmann weiter berichtet, gibt es viele Molkereien, Schlachtereien und andere Gewerbebetriebe, die auf Erdgas dringend angewiesen sind. Wegen ihrer Nähe zur Landwirtschaft denken einige Betriebe bereits darüber nach, Biomethan als Erdgasersatz zu beziehen. „Das ist zwar für den nächsten Winter nicht schnell umsetzbar, aber mittelfristig auf jeden Fall eine Lösung“; erklärt der Landtagsabgeordnete. Hier sieht er Chancen für mehrere Biogasanlagenbetreiber in einer Region, sind zusammenzuschließen und gemeinsam Biomethan an den vor- oder nachgelagerten Bereich zu vermarkten. „Eine gemeinsame Gasaufbereitung ist in der Tat eine interessante Option, weil größere Anlagen spezifisch günstiger werden“, ergänzt Oliver Bade.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die angespannte Lage hat die Nachfrage nach Biomethan sehr interessant gemacht. Das betrifft nicht nur den Gaspreis, der im Vergleich zum extrem teuer gewordenen Erdgas auf einmal wirtschaftlich geworden ist, sondern auch die politische Akzeptanz von Biogas insgesamt. Für viele Biogasanlagen tut sich hier ein neuer, interessanter Markt auf: Entweder die Strom- und Wärmeproduktion mit einer hochflexiblen Biogasanlage, die nur noch in Zeiten hoher Strompreise einspeist. Oder die Bioemethanproduktion für den Kraftstoffmarkt mit dreifachen Erlösmöglichkeiten:

  • Verkauf von Biomethan,
  • Verkauf von Treibhausgasminderungsquoten,
  • Verkauf von flüssigem CO₂, das bei der Biomethanproduktion anfällt.

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