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„Die Herkunftskennzeichnung ist auch der Schlüssel für die Tierwohl-Finanzierung“

Die Geflügelwirtschaft will, dass die Gastronomie die Herkunft von Fleisch angibt. ZDG-Präsident Ripke über Herkunftskennzeichnung, die Finanzierung von Tierwohl und die Reduktion von Antibiotika.

Lesezeit: 9 Minuten

top agrar: In einer groß angelegten PR-Kampagne fordert die Geflügelwirtschaft eine verbindliche Herkunftskennzeichnung von Fleisch in der Gastronomie in Deutschland. Warum?

Ripke: Wir fordern die Herkunftskennzeichnung schon jahrelang. Die Zeit ist reif dafür. Frau Klöckner hat sie immer mit dem Verweis auf EU-Recht abgewehrt. Wir haben jetzt für unsere Öffentlichkeitskampagne 12.000 Verbraucherinnen und Verbraucher gefragt. Davon sprechen sich 78 % für eine Herkunftskennzeichnung und 74 % für eine Tierwohlkennzeichnung aus. Wir setzen mit unserer Forderung also auch den Wunsch der Verbraucher um. Die Herkunftskennzeichnung ist entscheidend, weil sie auch der Schlüssel für eine Lösung bei der Finanzierung von mehr Tierwohl ist.

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Frankreich flaggt die französische Herkunft bei frischem und gefrorenem Fleisch in der Außer-Haus-Verpflegung aus. Wie schaffen es unsere Nachbarn, dass das EU-rechtlich geht?

Ripke: Die Franzosen machen das im Rahmen eines Projektes. Sie unterlaufen praktisch in Form eines Feldversuches bei der Herkunftskennzeichnung die EU-Einschränkungen. Das ist geschicktes und national entschlossenes Handeln. Das sollte für Deutschland ein nachahmenswertes Vorbild sein. Das haben wir Frau Klöckner schon vor Jahren so vorgeschlagen. Jetzt sollte Minister Özdemir hier mutig voran gehen.

Ich erwarte von Herrn Özdemir, dass er da jetzt aktiv voran geht.

Agrarminister Cem Özdemir verweist nun bei der Herkunftskennzeichnung auf die EU-Kommission. Diese will bis Ende des Jahres Vorschläge für eine EU-weite Herkunftskennzeichnung vorlegen. Warum reicht Ihnen das nicht?

Ripke: Wir haben schon zu lange gewartet. Wir brauchen die Herkunftskennzeichnung für den Tierwohlfortschritt, den wir wollen. Ich erwarte von Herrn Özdemir, dass er nicht sagt, ich warte auf Brüssel. Sondern dass er sagt, wir haben das jetzt auf der Agenda und gehen aktiv voran.

Österreich macht die Herkunftskennzeichnung auf freiwilliger Ebene und nicht für die Gastronomie. Wie sehen Sie diesen Weg?

Ripke: Freiwillig ist für mich nicht die Lösung. Ich möchte die Verpflichtung haben, dass am Ende alle EU-Partner die Herkunftskennzeichnung machen müssen. Dann werden die großen Einzelhändler auch beim Einkauf und den Kontraktverhandlungen mit uns anders umgehen müssen, als es jetzt der Fall ist. Wir müssen die Zeit jetzt nutzen, damit es nicht wieder vier Jahre dauert.

Wenn alle Mitgliedstaaten auf ihre eigene Herkunft setzen. Muss die EU dann das Prinzip des gemeinsamen Binnenmarktes über Bord werfen?

Ripke: Nein, das geht natürlich nicht und wird auch nicht so kommen. Wenn wir die Herkunftskennzeichnung in Deutschland noch in diesem Jahr machen wollen, müssen wir es als Projekt machen, so wie die Franzosen. Deutschland muss der Treiber sein, das EU-Recht zu ändern für die nationale Herkunftskennzeichnung. Jedes EU-Mitglied wird die besonderen Vorteile seiner Lebensmittel heraus stellen. Grenzübergreifender Warenverkehr wird wie bisher möglich bleiben. Gegenwärtig sind die Initiative Tierwohl -ITW - bei Fleisch oder die KAT Zertifizierung bei Eiern gute Beispiele dafür.

Unter dem geplanten staatlichen Tierhaltungskennzeichnen müssen prominent auch die 5 Ds stehen.

Welche Informationen sollte die Herkunftskennzeichnung liefern?

Ripke: Die Information sollte nicht zu pauschal, sondern differenziert sein. Vor allem möchte der ZDG die Tierhaltungskennzeichnung mit der Herkunftskennzeichnung verbinden. Unter dem geplanten staatlichen Tierhaltungskennzeichnen müssen prominent auch die 5 Ds - in Deutschland geboren, aufgezogen, gemästet, geschlachtet und verarbeitet - stehen. Das ist bei uns im Geflügelbereich vom Brutei bis zur Verarbeitung bereits so. Ich möchte dem Verbraucher sagen: Das ist Tierwohlfleisch, das ist ein deutsches Lebensmittel. Es hat eine hohe Verbrauchersicherheit und einen überzeugendem CO²-Footprint. Dann bekommen wir eine gesicherte Nachfrage und damit die Grundlage für eine solide Finanzierung der Mehrkosten für mehr Tierwohl in Deutschland.

Warum greifen Sie bei der Herkunftskennzeichnung die Gastronomie heraus?

Ripke: Rund die Hälfte des Geflügelfleisches geht in die Gastronomie und den Großverbrauch in Mensen und Kantinen. Wenn Menschen essen gehen, sollen sie auch dort erkennen können, woher das Fleisch stammt. Wir möchten unsere heimischen Lebensmittel in möglichst vielen Kanälen sicher absetzen und vor Billigimporten aus Südamerika und Osteuropa schützen. Dort liegen die Kosten unter der Hälfte unserer Kosten für Lohn, Energie und teilweise auch Futter. Allein der Ausstieg aus dem Kükentöten kostet uns jedes Jahr mehr als 100 Mio. € und damit mehr als der Ausstieg aus der Käfighaltung. Ich möchte deshalb auch den Lebensmitteleinzelhandel mehr dazu bringen, uns auskömmliche Preise zu bezahlen. Die Herkunftskennzeichnung wird den LEH zwingen, mit uns intensiver zu sprechen, weil Lebensmittel von hier sich nicht austauschen lassen.

Ich neige zum Wirtschaftsmodell mit einer Tierwohlumlage nach dem Muster der EEG-Umlage.

Die neue Regierung hat sich noch auf kein konkretes Finanzierungskonzept für mehr Tierwohl geeinigt. Welche Variante favorisieren Sie?

Ripke: Bei den Finanzierungsformen gibt es keine einfache Lösung. Die Verbrauchssteuer ist verbunden mit bürokratischen Hürden, aber die könnte man durch klare Vorgaben und Bagatellgrenzen auch vereinfachen. Deshalb bin ich nach wie vor ein Anhänger der Verbrauchssteuer, so wie wir sie einstimmig in der Borchert-Kommission vorgeschlagen hatten. Die Mehrwertsteuererhöhung für Fleisch wäre meiner Ansicht nach nur die drittbeste Lösung. Ich neige persönlich zum Wirtschaftsmodell mit einer Tierwohlumlage nach dem Muster der EEG-Umlage. Da würde sich der Staat nur einmischen in Form der Festsetzung des Aufpreises für die jeweilige Stufe des staatlichen Tierwohlkennzeichens.

Sie setzen also darauf, dass die Organisation in der Hand der Wirtschaft bleibt?

Ripke: Für die organisatorische Umsetzung könnten wir einen Fonds wie bei der ITW nutzen. Die Kontrolle bliebe auch wirtschaftsgetragen bei QS. Damit wäre verbunden, dass auch ausländische Ware über die Tierwohlumlage finanziert würde, wenn sie den hier gültigen Standards entspricht. Das halte ich nach EU-Recht sowieso für unumgänglich. Die für uns und unsere Verbraucherinnen und Verbraucher wichtige Differenzierung bei der Kaufentscheidung kann dann die Herkunftskennzeichnung leisten.

Herr Borchert und die Firma Tönnies sprechen von einem Subventionsabbau, sollte die Mehrwertsteuer auf tierische Produkte erhöht werden. Wie sehen Sie das?

Ripke: Alles was wir in der Tierhaltung aktuell machen, hat mit Subventionen nichts zu tun. Wir alle, auch und vor allem die Politiker, haben die Aufgabe, die Tierhaltung am Standort Deutschland zu sichern. Die Zahl der Betriebsaufgaben ist erschreckend. Wir müssen als Erzeuger Bedingungen erfüllen beim Tierwohl, bei der Lebensmittelsicherheit und der Hygiene. Das ist etwas wofür der Staat auch Geld in die Hand nehmen muss. Wenn wir das nicht tun, landen wir bei Importware. Das zeigen unsere sinkenden Selbstversorgungsgrade im Geflügelbereich.

Ich glaube, dass sich die Verbrauchsgewohnheiten bei Fleisch maßvoll und kurzfristig nicht drastisch verringern werden.

Wenn wir beim Selbstversorgungsgrad sind: Die Borchert-Kommission ist noch von einem relativ gleichbleibenden Fleischkonsum ausgegangen. Ist das noch zeitgemäß?

Ripke: Es gibt einen gewissen Trend hin zu Alternativprodukten, der aber noch längst nicht tragend ist. In den nächsten 20 Jahren werden wir deshalb nur geringe Mengen an Alternativprodukten im Markt haben. Erstens weil sie noch zu teuer sind. Und zweitens weil es auch bei Laborfleisch ethische Probleme geben kann. Vegetarische Lebensmittel haben inzwischen einen bemerkenswerten Marktanteil erreicht. Ich glaube, dass sich die Verbrauchsgewohnheiten bei Fleisch maßvoll und kurzfristig nicht drastisch verringern werden. Erfahrungsgemäß entscheiden das die Verbraucherinnen und Verbraucher selbst und lassen sich hier durch die Politik nichts verordnen. Durch die neuen Haltungsformen wird sich das Fleischangebot in Deutschland reduzieren. Wenn wir als Tierhalter zukünftig weniger Tiere im Stall halten und unser Einkommen für die Familien langfristig vertraglich durch eine aus der Tierwohlabgabe finanzierte Tierwohlprämie über 20 Jahre gesichert wird, dann ist es eine win-win-Situation, die auch in eine veränderte Trendnachfrage passt.

Wenn der Staat in Tierhaltung investiert, will er auch mitbestimmen, wie sie aussieht. Die Geflügelwirtschaft ist besonders im Visier, wenn es um die Reduktion von Antibiotika geht. Worauf stellen Sie sich unter dem neuen grünen Agrarminister Özdemir ein?

Ripke: Grundsätzlich hat die Reduzierung der Antibiotika-Mengen in den letzten Jahren bei allen Tierarten gut funktioniert. Wir haben im Geflügelbereich schon 2012 und damit mehrere Jahre vor Inkrafttreten der 16. Arzneimittelgesetz-Novelle damit begonnen. Dadurch sind wir auch früher auf einer Mengen-Talsohle angekommen , d.h. auf einem Mindestwert, den wir brauchen, um unsere Tiere gesund zu halten. Dazu sind wir und unsere Tierärzte nach Tierschutzgesetz verpflichtet.

Wir bieten an, auf Reserveantibiotika zu verzichten, wenn wir CE- Keime und Bakteriophagen wenigstens schon in Feldstudien anwenden dürfen.

Die Geflügelwirtschaft ist vor allem wegen des hohen Anteils an Reserveantibiotika bei Masthühnern und Mastputen in der Kritik. Wie wollen Sie das reduzieren?

Ripke: Im Geflügelbereich dreht es sich besonders um das Reserveantibiotika Colistin. Wir müssen wegen der Resistenzprobleme in der Humanmedizin bei Colistin zurückhaltend sein und wollen das auch. Wir könnten das schneller, wenn wir Alternativen hätten. Die gibt es und die sind in der EU außerhalb Deutschlands ohne Wartezeiten zugelassen. Hier brauchen wir kurzfristig die Hilfe der Politik in Richtung EU-weit gleicher Zulassungen. Wir können und wollen die Reserveantibiotika aber auch ersetzen durch die guten CE-Keime und durch Bakteriophagen. Beide werden in der EU schon angewendet, etwa in Dänemark. Aber in Deutschland geht das Zulassungsverfahren nicht voran. Wir bieten an, auf Reserveantibiotika zu verzichten, wenn wir CE- Keime und Bakteriophagen wenigstens schon in Feldstudien anwenden dürfen. Ein entsprechendes wissenschaftliches Begleitprojekt haben wir zusammen mit der TIHO Hannover gerade auf den Weg gebracht.

Wenn sich über den Umbau der Tierhaltung die Besatzdichten bei Geflügel verringern. Werden sich damit auch die Antibiotikamengen reduzieren?

Ripke: Die große Hoffnung der Politik, dass man damit die Antibiotikaverbräuche völlig negieren kann, ist ein Irrtum. Dagegen sprechen die Veterinärfakten. Natürlich wird die therapeutisch eingesetzte Antibiotikamenge bei weniger Tieren und geringeren Besatzdichten sinken. Aber es gibt zum Beispiel bei Kannibalismus und Federpicken sogar wieder zunehmende Probleme bei geringen Besatzdichten. Nur über die Besatzdichte geht es also nicht. Wir müssen über das Gesamtmanagement mit Beschäftigungsmaterial, gutem Stallklima und optimaler Tierbetreuung sprechen. Und das tun wir ja auch und genau dafür brauchen wir höhere Erzeugerpreise und die verbindliche Herkunftskennzeichnung.

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