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Rechtsgutachten

Thüringer Agrarstrukturgesetz in weiten Teilen verfassungswidrig

„Was in Thüringen verfassungswidrig ist, ist es überall in Deutschland“, zeigen sich die Kritiker des Thüringer Agrarstrukturgesetz erleichtert. Ein Rechtsgutachten bestätigt die Sorge der Bauern.

Lesezeit: 7 Minuten

Das von der Thüringer Landesregierung vorgelegte Agrar- und Forstflächenstrukturgesetz (ThürAFSG) ist in weiten Teilen verfassungswidrig, so das Ergebnis eines umfassenden und unabhängigen Rechtsgutachtens, das der Thüringer Bauernverband e.V., der Verband der Familienbetriebe Land und Forst Sachsen und Thüringen e.V. sowie der Genossenschaftsverband – Verband der Regionen e.V. heute im Thüringer Landtag der Öffentlichkeit vorgestellt haben.

Mit dem Gesetz überschreite der Freistaat Thüringen seine Gesetzgebungskompetenz, insbesondere im Hinblick auf die Regelung der Genehmigungspflicht für den Erwerb von Unternehmensanteilen, sogenannten „share deals“, so die Gutachterin Prof. Dr. Anna Leisner-Egensperger, Lehrstuhlinhaberin für Öffentliches Recht und Steuerrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

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Die mit dem Gesetz eingeführte Genehmigungsbedürftigkeit sei ein erheblicher Eingriff in die Eigentumsfreiheit, der weder erforderlich noch angemessen sei. In dem Gutachten werden zudem mehrere verfassungswidrige Punkte identifiziert, darunter die Definition des Begriffs „Landwirt“, die Anhebung der Genehmigungsgrenze auf 1 Hektar, die Regelung zu genehmigungsfreien Geschäften zugunsten von Gemeinden und Gemeindeverbänden sowie die Verordnungsermächtigungen.

Außerdem enthalte das Gesetz zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe, was zu Rechtsunsicherheit führen werde. Dies gelte insbesondere für den Rechtsbegriff „beherrschender Einfluss auf den landwirtschaftlichen Betrieb“, dem im Gesetz eine zentrale Bedeutung zukommt.

Stimmen: Unsicherheit und Schwächung der Betriebe

Der Präsident des Thüringer Bauernverbandes, Dr. Klaus Wagner, fordert die Landesregierung deshalb auf, das Agrar- und Forststrukturgesetz zu stoppen: „Statt die Thüringer Landwirte zu stärken, schafft das geplante Gesetz neue rechtliche Unsicherheiten für die heimischen Agrarbetriebe. Dadurch erreicht das Gesetz das Gegenteil dessen, was es will. Es schwächt die ökonomische Handlungs- und Widerstandsfähigkeit unserer Betriebe. Ich fordere die Landesregierung deshalb auf, das Gesetz umgehend zu stoppen!“

Dr. Hartwig Kübler, Vorstandsvorsitzender der Familienbetriebe Land und Forst Sachsen und Thüringen e.V., betont die Bedeutung des Eigentums für Familienbetriebe: „Eigentum ist die Grundlage unserer Familienbetriebe. Wenn wir darüber nicht mehr frei verfügen können, verliert es an Wert. Statt Familienbetriebe zu stärken, werden sie so in ihrer Existenz bedroht. Schon heute ist der Grundstücksmarkt stark reguliert. Wer in Thüringen ein Stück Land verkaufen oder kaufen will, muss heute bis zu acht staatliche Stellen beteiligen. Die Bürokratie stranguliert unsere Betriebe. Wir müssen bürokratische Verfahren abbauen, nicht neue einführen.“

Dr. Andreas Eisen, Bereichsleiter Beratung und Betreuung Genossenschaften des Genossenschaftsverbandes – Verband der Regionen e.V., weist darauf hin, dass das Gutachten die Position der Agrargenossenschaften bestätige, dass es grundsätzlich der falsche Ansatz ist, die Agrarstruktur durch weitergehende ordnungsrechtliche Eingriffe gestalten zu wollen.

„Die vorhandenen in Thüringen strukturprägenden Landwirtschaftsbetriebe zu stärken, ist die beste Agrarstrukturpolitik. Die auch in anderen Bundesländern bisher vorgelegten Gesetzesentwürfe erweisen sich als kontraproduktiv für eine nachhaltige Agrarstruktur.“ Er hofft, dass das vorgelegte Gutachten auch Auswirkungen auf vergleichbare Gesetzgebungsbestrebungen in anderen Bundesländern haben wird: „Was in Thüringen verfassungswidrig ist, ist es überall in Deutschland.“

Hauptkritikpunkte des Gutachtens

1. Fehlende Gesetzgebungskompetenz des Freistaates Thüringen

Das Gutachten stellt fest, dass der Freistaat Thüringen nur in begrenztem Umfang die Befugnis zur Regelung der Genehmigungsbedürftigkeit gesellschaftlicher Anteilserwerbe hat. Diese Befugnis erstreckt sich nur auf Fälle, in denen der Erwerber eine Verfügungsbefugnis erlangt, die der eines dinglich Berechtigten entspricht. In anderen Worten, die Regelungen des Gesetzes überschreiten die Zuständigkeit des Freistaates Thüringen in Bezug auf die Übernahme eines beherrschenden Einflusses auf Unternehmen oder die Erweiterung des Anwendungsbereichs des Gesetzes auf gemeinwohlorientierte Formen der Landwirtschaft.

2. Verfassungswidrige Punkte im Gesetz

Das Gutachten identifiziert mehrere verfassungswidrige Punkte im ThürAFSG:

  • Die Definition des Begriffs „Landwirt“ unter Bezugnahme auf eine EU-Verordnung zur Bestimmung des Begriffs „landwirtschaftlicher Betrieb“.
  • Die Anhebung der Genehmigungsgrenze auf 1 ha.
  • Die Regelung zu genehmigungsfreien Geschäften zugunsten von Gemeinden, Gemeindeverbänden oder ihren Erschließungsträgern, wenn ein Flächennutzungsplan oder Aufstellungsbeschluss vorliegt.
  • Die unklare und nicht transparente Verordnungsermächtigung, einschließlich der fehlenden Klarheit bezüglich der Bedingungen und des möglichen Inhalts von Rechtsverordnungen.

3. Unbestimmte Rechtsbegriffe

Das Gesetz enthält zudem viele vage Rechtsbegriffe, die nicht klar und sicher ausgelegt werden können, was zu Rechtsunsicherheit führt. Dies gilt insbesondere für den zentralen Rechtsbegriff „beherrschender Einfluss auf den landwirtschaftlichen Betrieb“. Dies ist nicht auslegbar und entzieht sich einer Konkretisierung. Der Begriff „agrar- und forststrukturell nachteilige Verteilung der Bodennutzung“ kann demgegenüber zwar interpretiert werden, jedoch nicht unter Verwendung des Agrarstrukturberichts des Freistaats Thüringen, da dieser hierfür rechtlich keine Grundlage sein kann.

4. Genehmigungsbedürftigkeit von „share deals“ und deren Auswirkungen

Die Genehmigungsbedürftigkeit des Erwerbs von Gesellschaftsanteilen, sogenannten „share deals“, wird als erheblicher Eingriff in die Eigentumsfreiheit betrachtet. Das Gutachten stellt fest, dass dieser Eingriff in der vorgeschlagenen Form weder erforderlich noch angemessen ist. Die Ausgestaltung der Genehmigungsbedürftigkeit wird als verfassungs- und unionswidrig erachtet, da sie nicht sachgemäß an das Grunderwerbsteuergesetz anknüpfe und somit gegen das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung verstoße.

In der fehlenden Normierung der Kriterien für die Genehmigungsfähigkeit von „share deals“ wird ein Verstoß gegen das Prinzip der Rechtsklarheit gesehen. Die einheitliche Regelung der Genehmigungsbedürftigkeit von „share deals“ für alle Gesellschaftsformen sei unvereinbar mit dem Gleichheitssatz. Schließlich wird festgestellt, dass das Genehmigungsregime für „share deals“ nicht mit der Eigentumsfreiheit und der Familiengestaltungsfreiheit vereinbar ist.

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AbL: Gutachten auf tönernen Füßen

In einigen Aspekten benennt das Gutachten sehr treffend die Schwachstellen des Entwurfes, meint die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Dies betreffe etwa die Feststellung, dass das Gesetz klare Kriterien braucht, anhand derer Anteilskäufe an landwirtschaftlichen Unternehmen genehmigt oder versagt werden können. Auch sollen der Verwaltung künftig Entscheidungen übertragen werden, die eindeutig vom Landtag getroffen werden müssen.





Auf sehr dünnes Eis begebe sich die Gutachterin aber, wenn sie eine Regelung zur Dämpfung des Preisanstiegs beim Verkauf landwirtschaftlicher Grundstücke als verfassungswidrig bezeichnet, meint Dr. Jan Brunner, Geschäftsführer der AbL-Mitteldeutschland. „In Baden-Württemberg ist das seit 2009 gelebte Rechtspraxis. Gleiches gilt für ihre Ausführungen zur Genehmigungsgrenze bei Verkäufen landwirtschaftlicher Grundstücke, die so bereits seit 1962 im Grundstückverkehrsgesetz geregelt ist.“



Die Gutachterin Prof. Dr. Anna Leisner-Egensperger, Lehrstuhlinhaberin für Öffentliches Recht und Steuerrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, habe bisher nicht zu agrarrechtlichen Themen publiziert. In der Frage, ob der Freistaat die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung von Anteilskäufen hat oder ob diese beim Bund liegt, vertritt die Gutachterin die juristische Mindermeinung, nach der der Bund dafür zuständig sei, kritisiert Brunner.

Gutachten spiegelt Willen der Auftraggeber wider

„Sie widerspricht damit der Auffassung einer eigens für die Klärung solcher Fragen eingesetzten Arbeitsgruppe von Bundesagrarministerium und den betroffenen Bundesländern. Die Arbeitsgruppe sieht die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern. Abschließend wird sich diese Frage erst vor dem Bundesverfassungsgericht klären lassen. Das wird aber erst nach Verabschiedung des Gesetzes durch den Landtag möglich sein.“



Dr. Brunner meint, das Gutachten spiegele den Willen der Auftraggeber wider, eine gesetzliche Regelung zum Schutz der Thüringer Landwirtschaft vor dem Ausverkauf an außerlandwirtschaftliche Investoren zu verhindern. „Die Auftraggeber handeln damit gegen die Interessen des Berufsstandes. Denn keiner der heute bestehenden Betriebe in Thüringen hat auf Dauer eine Chance, gegen internationalen Großinvestoren zu bestehen – egal ob groß oder klein! Diesen Schutz schafft nur ein starkes Agrarstrukturgesetz."

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