Erheblichen Nachbesserungsbedarf an verschiedenen Stellen haben Gutachter bei einer Anhörung zum Gesetzentwurf zur Tierhaltungskennzeichnung im Bundestag am Montag angemahnt. Es müsse noch entscheidende Nachbesserungen geben, damit die Tierhaltungskennzeichnung keinen „Fehlstart“ hinlege, sagte der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Bernhard Krüsken in der Anhörung vor den Abgeordneten des Agrarausschusses.
„Eine verbindliche Kennzeichnung ist in Verbindung mit der Kennzeichnung Herkunft dringend und nötig, wir unterstützen die Zielrichtung des Gesetzentwurfes, diese Vorlage wird dem Ziel aber nicht gerecht“, sagte Krüsken am Montag im Bundestag.
Anschlusslösung für ITW, Neuland und Tierschutzbund-Label
Breit diskutiert wurde in der Anhörung, dass mit der neuen verpflichtenden staatlichen Kennzeichnung Betriebe, die bereits über die Initiative Tierwohl (ITW), über den Tierschutzbund oder das Neuland-Programm in höhere Haltung Standards investiert haben, nicht zu den Verlieren gehören dürften. „Wenn das Gesetz, so wie es vorliegt beschlossen wird, gefährdet es das Tierwohl in den 13.000 Betrieben, die in der Initiative Tierwohl (ITW) mitmachen“, sagte Dr. Alexander Hinrichs, der bis 2021 Geschäftsführer der ITW war und mittlerweile diese Position bei der Qualität und Sicherheit GmbH inne hat.
Mehrere Sachverständige forderten eine bessere Verzahnung der neuen staatlichen Tierhaltungskennzeichnung mit den bestehenden Programmen aus der Wirtschaft. Dies könne auch dadurch gelingen, wenn der Staat die bestehenden Audit- und Kontrollsysteme der Wirtschaft für die Durchsetzung seiner Haltungsform Anforderungen nutze. Damit hätten die ITW, das Tierschutzbund-Siegel und das Neulandprogramm weiter eine Chance.
Tierwohlindikatoren in Förderung berücksichtigen
Für Kritik sorgt das Detail, dass die Kennzeichnung lediglich die Haltungsform der Tiere, nicht aber das tatsächliche Tierwohl und die Tiergesundheit berücksichtige. Laut Prof. Lars Schrader, Leiter des Instituts für Tierschutz und Tierhaltung am Friedrich-Loeffler-Institut (FLI), lässt sich dies im laufenden Gesetzgebungsverfahren noch ändern. Dafür müssten in den Förderprogrammen, die nun parallel zur Kennzeichnung aufgesetzt würden, Tierwohlindikatoren eine größere Rolle spielen, empfahl Schrader.
In ihrem Vorschlag zur Förderung der laufenden Mehrkosten für Schweinehalter hat das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) bereits den Erhalt der Ringelschwänze als Voraussetzung eingefügt. Dies könne auch für weitere Tierwohlindikatoren geschehen, so Schrader.
Anpassungen bei den Haltungsformen gefordert
Bei der Ausgestaltung der Haltungsformen empfahl Schrader zudem eine Zusammenlegung der bisher getrennten Haltungsformen Frischluftstall mit der Haltungsform Auslauf/Freiland. Ein guter Frischluftstall sei aus Sicht des Tierwohls vergleichbar mit dem Auslauf- oder der Freilandhaltung, argumentierte er.
Es sei „ein großer Fehler“, die Ferkelerzeugung zunächst nicht in die Haltungskennzeichnung mit einzubeziehen, sagte Martin Schulz, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e. V. (AbL). Dies führe auf den Betrieben mit Sauenhaltung „zur Verzweiflung“ und diese hätten das Gefühl „nicht gewollt zu sein“, so Schulz weiter. Zudem empfahl Schulz in den höheren Haltungsstufen eingestreute Liegeflächen innen wie außen zur Pflicht zu machen. Damit begegne man dem Tierwohl und könne Emissionen mindern, so Schulz.
Von Verbrauchertäuschung im Tierhaltungskennzeichengesetz hingegen sprach die Vertreterin des Tierschutzverbandes Provieh, Anne Hamester. Ihr missfällt die zweite Haltungsform Stall + Platz. Die Vorgaben würden Verbraucher nicht überzeugen, argumentierte sie. Stattdessen forderte sie eine eigenständige Haltungsform für die Freilandhaltung.
Biobranche will trotzdem weiter selbst kennzeichnen
Weitestgehend zufrieden zeigte sich in der Anhörung lediglich der Vertreter der Biolandwirtschaft. Diese ist im Tierhaltungskennzeichengesetz über eine abgegrenzte Haltungsform Bio extra berücksichtigt ist. Es sei „gut, dass das Gesetz die Perspektive der über 17.000 Bio-Tierhalter in Deutschland berücksichtigt, die vorbildhaft den Umbau der Tierhaltung gestalten und darüber hinaus umfassende Umweltleistungen erbringen“, sagte der Geschäftsführende Vorstand beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Peter Röhrig.
Es sei aber auch klar, dass der vorgelegte Gesetzentwurf nur einen ersten Schritt hin zu einer umfassenden verpflichtenden Kennzeichnung darstelle. Wie bei der Eierkennzeichnung sei auch bei der Tierhaltungskennzeichnung zu erwarten, dass über die staatlichen Kennzeichnungsstufen hinaus weitere Qualitäten angeboten würden, so Röhrig.
Bundestag berät jetzt über Kabinettsvorlage
Das Bundeskabinett hatte im Oktober dem Gesetz zur Einführung einer staatlichen Tierhaltungskennzeichnung zugestimmt, das jetzt im Bundestag zur Beratung ansteht. Danach soll ab Herbst 2023 verpflichtend auf inländischem Schweinefleisch die Haltungsform gekennzeichnet werden. Vorgesehen sind die fünf Haltungsformen:
- Stall: Die Haltung während der Mast erfolgt entsprechend der gesetzlichen Mindestanforderungen.
- Stall + Platz: Den Schweinen steht mindestens 20 % mehr Platz im Vergleich zum gesetzlichen Mindeststandard zur Verfügung. Die Buchten sind durch verschiedene Maßnahmen strukturiert. Dies können z. B. Trennwände, unterschiedliche Ebenen, verschiedene Temperatur- oder Lichtbereiche sein.
- Frischluftstall: Den Schweinen wird innerhalb des Stalls ein dauerhafter Kontakt zum Außenklima ermöglicht. Dies wird erreicht, indem mindestens eine Seite des Stalls offen ist, so dass die Tiere Umwelteindrücke wie Sonne, Wind und Regen wahrnehmen können. Zudem steht ihnen mindestens 46 % mehr Platz im Vergleich zum gesetzlichen Mindeststandard zur Verfügung.
- Auslauf/Freiland: Den Schweinen steht ganztägig, mindestens jedoch acht Stunden pro Tag, ein Auslauf zur Verfügung bzw. sie werden in diesem Zeitraum im Freien ohne festes Stallgebäude gehalten. Zudem steht ihnen mindestens 86 % mehr Platz im Vergleich zum gesetzlichen Mindeststandard zur Verfügung.
- Bio: Die Lebensmittel wurden nach den Anforderungen der EU-Ökoverordnung (EU) 2018/848 erzeugt. Das bedeutet für die Tiere eine noch größere Auslauffläche und noch mehr Platz im Stall gegenüber den anderen Haltungsformen.
Förderung kommt aus einem Bundesprogramm
Die Landwirtschaft soll beim Umbau der Tierhaltung zunächst mit einem Förderprogramm des Bundes von 1 Mrd. € unterstützt werden, dass sich sowohl auf Investitionskosten sowie auf laufenden Mehrkosten erstrecken soll. Eckpunkte dafür hatte das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) Ende Dezember vorgelegt.