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topplus Marktmacht im LEH

UTP-Richtlinie: „Ich sehe keine deutliche Verbesserung für Lieferanten“

Im top agrar-Interview zieht Prof. Lademann eine ernüchternde Bilanz zum AgrarOLKG gegen unlautere Handelspraktiken. Um die LEH-Macht zu brechen, schlägt er einen Strategiewechsel vor.

Lesezeit: 5 Minuten

Die Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) ist seit Jahren Spezialgebiet für den Wettbewerbs- und Kartellrechtsexperten Prof. Rainer Lademann. Im exklusiven top agrar-Interview nimmt er Stellung zu dem Evaluierungsbericht der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) zwei Jahre nach Einführung des Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetzes (AgrarOLKG). Das soll Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich stärken.

Können Sie kurz erläutern, wie das AgrarOLKG unlautere Handelspraktiken innerhalb der Lebensmittellieferkette zu bekämpfen versucht?

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Prof. Rainer Lademann: Gerne. Das AgrarOLkG legt Regeln für den Umgang in der Lebensmittellieferkette fest. Es verbietet bestimmte Verhaltensweisen, die entweder generell gelten (schwarze Liste) oder nur dann erlaubt sind, wenn sie zuvor zwischen Lieferanten und Supermärkten vereinbart wurden (graue Liste). Diese Verbote gelten nur für bestimmte Größenordnungen von Unternehmen in der Lieferkette. Das Gesetz funktioniert wie eine Treppe: Es greift nur, wenn der Umsatz des Lieferanten niedriger ist als der seines Abnehmers. Grundsätzlich gilt das Gesetz nur für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 350 Mio. €. Allerdings gibt es eine Übergangsregelung, die bis zum 1. Mai 2025 auch für größere Unternehmen in der Milch-, Fleisch-, Obst-, Gemüse- und Gartenbaubranche gilt, nämlich solche mit einem Umsatz von bis zu 4 Mrd. €.

Hat das AgrarOLKG Ihrer Meinung nach die Position kleiner und mittelständischer Erzeuger gegenüber großer Handelsketten gestärkt?

Lademann: Der Evaluierungsbericht der BLE zeigt, dass das AgrarOLkG gut zwei Jahre nach Inkrafttreten das Verhältnis zwischen Lebensmittel-Lieferanten und Handelsketten nur leicht verbessert hat. Es gibt weiterhin Verstöße gegen das Gesetz, vor allem wenn große Händler versuchen, die Zahlungsfristen über die gesetzlichen Grenzen auszuweiten. Ich sehe bisher keine deutliche Verbesserung für Lieferanten. Die Bilanz wird zudem dadurch geschmälert, dass die Supermärkte neue Praktiken einsetzen, die bisher nicht bestraft werden, wie zum Beispiel hohe Strafen in einseitigen Verträgen, z. B. pauschale Abzüge bei verspäteter Anlieferung von wenigen Minuten – und das sogar, wenn der LEH dem Lieferanten die Inanspruchnahme bestimmter Spediteure vorschreibt.

Größere Unternehmen sind sogar stärker auf die Platzierung in Supermärkten angewiesen.

Der Raiffeisenverband (DRV) fordert die Umsatzschwellen im AgrarOLKG abzuschaffen? Was halten Sie davon?

Lademann: Das ist sinnvoll, denn im EU-Vergleich steht Deutschland mit den Umsatzschwellen ziemlich allein da. Die Annahme, dass größere Unternehmen sich grundsätzlich vor unfairen Handelspraktiken schützen können, ist falsch. Das mag in manchen Fällen zutreffen, aber nicht generell. Die Beziehungen zwischen Lieferanten und Abnehmern hängen von vielen Faktoren ab. Unsere Untersuchungen zeigen sogar: Größere Industrieunternehmen sind stärker auf die Platzierung ihrer Produkte in Supermärkten angewiesen und deshalb häufiger von unfairen Handelspraktiken betroffen als kleinere Unternehmen. Aus wirtschaftlicher Sicht sind Beschränkungen der Unternehmensgröße kein sinnvolles Kriterium für ein Ungleichgewicht oder eine Abhängigkeit.

Branchenkenner vermuten, dass viele Verstöße erst gar nicht angezeigt werden, weil die Lieferanten befürchten vom Abnehmer sanktioniert zu werden. Wie lässt sich das lösen?

Lademann: Das ist in der Tat eine Schwäche des Gesetzes. Wir könnten uns das österreichische Modell gut vorstellen. Dabei steht vor dem förmlichen Verfahren eine vermittelnde Beratung durch ein unabhängiges Fairnessbüro. Das könnte dazu beitragen, das Gesicht für beide Seiten zu wahren und mögliche Strafen später zu verhindern oder zumindest zu reduzieren.

Einige Lieferanten kalkulieren die Rücknahme von Produkten bewusst ein. Da sollte man dann nicht verbieten.

Welche Änderungen im Verbotskatalog des AgrarOLKG sind notwendig, um unlautere Praktiken effektiver zu unterbinden?

Lademann: Es macht wenig Sinn, weitere Verbote auszusprechen. Die Abnehmer würden vermutlich neue Praktiken entwickeln, um Sanktionen zu umgehen und es käme zu ständigen Gesetzesänderungen. Stattdessen könnte man über eine Generalnorm nachdenken. Sie hätte den Vorteil, dass auch wettbewerbsfördernde Praktiken erkannt werden. Die pauschale Untersagung von wettbewerbsfördernden Praktiken kann manchmal auch den Erzeugerschutz untergraben. So gibt es durchaus einige Lieferanten, die die Rücknahme ihrer Produkte einkalkuliert haben und bei Anwendung des AgrarOLKG einen Wettbewerbsvorteil verlieren, weil es eine schwarze Klausel ist. Die Effektivität des Gesetzes könnte nach kurzer Zeit steigen und ein praktikabler Rahmen für die Vertragsparteien entstehen. Am Ende stünden dann Verbote, die den Lieferanten zugutekommen nicht mehr auf der schwarzen, sondern auf der grauen Liste und wären erlaubt, wenn sie von beiden Seiten vor Beginn des Lieferverhältnisses ausdrücklich vereinbart wurden. Dazu gehört etwa das eben genannte Verhalten, was der Lieferant derzeit nicht mehr nutzen darf, selbst wenn er es wollte und betriebswirtschaftlich tragen könnte.

In anderen EU-Mitgliedstaaten ist auch das Verbot von Einstandspreisen unter den Produktionskosten ein Thema. Wäre das auch etwas für Deutschland?

Lademann: Es stimmt, das ist bisher nicht vom AgrarOLkG abgedeckt, wird aber geprüft. Erfahrungen in Frankreich, Italien und Spanien zeigen jedoch, dass solche Regelungen zu erheblichem Verwaltungsaufwand und praktischen Problemen für die Erzeuger führen. Die Feststellung der Produktionskosten wäre beispielsweise nur für jeden einzelnen Lieferanten möglich, nicht jedoch branchenweit. Dies führt dazu, dass ineffiziente Betriebe geschützt werden. Zusätzlich gibt es Bedenken hinsichtlich EU-Rechtsvorschriften, daher ist eine Einführung im Rahmen einer Aktualisierung des AgrarOLkG eher unwahrscheinlich. 

Über die UTP-Richtlinie

Die UTP-Richtlinie (Unfair Trading Practices) ist eine EU-Richtlinie und verfolgt das Ziel, faire Vertrags- und Lieferbeziehungen in der gesamten EU zu fördern. Danach wird unterschieden zwischen generellen Verboten („Schwarze Liste“) und solchen Handelspraktiken, die nur noch zulässig sind, wenn sie vorab ausdrücklich und eindeutig vereinbart wurden („Graue Liste“).

Zu den generell verbotenen Handelspraktiken gehören z.B.:

  • Kurzfristige Stornierung verderblicher Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse durch den Käufer

  • Fristen für Zahlung an den Lieferanten: Verderbliche Agrar- oder Lebensmittelerzeugnisse innerhalb 30 Tage nach der Lieferung, andere Agrar- oder Lebensmittelerzeugnisse innerhalb von 60 Tagen nach der Lieferung

  • Beteiligung des Lieferanten an Kosten der Lagerung der Agrar- oder Lebensmittelerzeugnisse

  • Zahlungsverlangen des Käufers für Qualitätsminderung oder Verlust von Erzeugnissen nachdem Lieferung an Käufer übergeben worden ist

Für die Überwachung und Umsetzung der Richtlinie ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) zuständig. Es können Geldbußen bzw. Sanktionen veranlasst werden.

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