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Pflanzenschutz und NGOs - Das sind die großen Missverständnisse

Umwelt-NGOs wie Greenpeace oder Global 2000 lassen medial in der Regel kein gutes Haar am Pflanzenschutz. Dass es sich bei den Aussagen aber oft um Missverständnisse handelt, darüber berichtete Timo Küntzle auf den Pflanzenschutztagen in Wels.

Lesezeit: 9 Minuten

Unser Autor: Timo Küntzle, Agrarjournalist und Buchautor

Schnell gelesen

Zwischen Pflanzenschutz und NGOs gibt es viele Missverständnisse. Sieben davon zeigte Agrarjournalist Timo Küntzle bei den Pflanzenschutztagen in Wels auf.

Unter anderem kritisiert Küntzle die Aussage Gift ist Gift. Vielmehr mache die Dosis das Gift.

Warum Pflanzenschutzmittel wichtig sind und Biolandwirtschaft nicht grundsätzlich besser für Klima und Biodiversität ist, erläuterte Küntzle mit Beispielen.

Aus den von ihm dargestellten Missverständnissen kommt er zu dem Schluss, dass der aktuelle Green Deal mit drei ­Fragezeichen zu versehen ist.

Pflanzenschutz und Umwelt NGOs, das große Missverständnis – ich möchte hier sieben Beispiele aufzeigen, bei denen Aussagen der Umwelt-NGOs in Diskrepanz stehen zu den wissenschaftlichen bzw. objektiven Sichtweisen.

1. Kleinbauern spritzen nicht

Das erste Missverständnis lautet „Kleinbauern spritzen nicht“. Das ist immer so eine Vorstellung, dass die kleinen Bauern vor allem in Afrika und Asien das so machen wie zur guten alten Zeit. Also ohne Pflanzenschutzmittel und in Einklang mit der Natur.

Ich habe 2018 in Bangladesch mit eigenen Augen gesehen, wie die Bauern auf kleinsten Feldern barfuß und ohne jede Schutzkleidung mit einer Rückenspritze Pflanzenschutzmittel ausbringen. Gerade wenn man wenig Land bewirtschaftet, hat man unter Umständen ein großes Interesse, dort möglichst viel aus der Fläche herauszuholen.

2. Gift ist Gift

Wir sehen und hören solche Botschaften jeden Tag, wie z. B. auf einem Plakat von Global 2000 „Kein Gift auf unsere Felder.“ Nach dieser Vorstellung muss eine giftfreie Landwirtschaft möglich sein. Auch die EU mit ihrem Null-Schadstoff-Ziel schlägt da ein bissl in die gleiche Kerbe.

Auf einem Plakat der Grünen hieß es so viel wie, du kannst dich biologisch ernähren oder du kannst dich vergiften. Bei diesen Botschaften wird natürlich eine zentrale Wahrheit ständig ausgeblendet. Und zwar diejenige, die der Schweizer Arzt Paracelsus schon vor 500 Jahren beschrieben hat: Es kann einfach alles giftig sein. Es hängt vor allem von der Dosis ab, ob etwas giftig ist oder nicht und für welchen Organismus es giftig ist.

Wenn man sagt, in der Biolandwirtschaft ist quasi kein Gift vorhanden, dann muss man auch sagen: Im Jahr 2022 waren in Österreich 49 % der verkauften Wirkstoffmengen an Pflanzenschutzmittel biokonform. Das heißt, diese Mittel können auch in der Biolandwirtschaft eingesetzt werden, weil sie schlussendlich für zum Beispiel Insekten oder Pilze giftig sind.

In der Übersicht sind die LD 50-Werte verschiedener Stoffe aufgeführt, also die Dosierungen, bei der in Versuchen 50 % der Versuchstiere sterben. Bei Kochsalz z. B. braucht man 3.000 mg/kg Körpergewicht, bei Koffein 370 mg, bei Pyrethrum, einem natürlichen Wirkstoff, der in der Biolandwirtschaft auch zugelassen ist, 200 mg.

Von Botolinium-Toxin, auch bekannt als Botox, braucht man sehr viel weniger. Dagegen braucht man von Glyphosat fast 5.000 mg pro Körpergewicht, um 50 % der Versuchstiere absterben zu lassen.

Unterm Strich heißt das, jede Substanz kann giftig wirken, das gilt selbst für Wasser. So ist 2015 ein Sportler beim Ironman in Frankfurt gestorben. An diesem Tag war es sehr heiß, und er hat so viel Wasser getrunken, dass das zu einem Natriummangel im Blut geführt hat. Beim Sportler führte das zum Tod. Man nennt dies Hyponatriämie, auch als Wasservergiftung bekannt.

Das bedeutet letztlich: Die Dosis macht das Gift. Wenn also jemand sagt, das ist Gift und deswegen will ich das nicht haben, dann ist es immer eine Nullaussage, solange ich nicht weiß, für wen oder was das giftig ist und ab welcher Dosis.

3. Pestizide sind eine Erfindung der Konzerne

Laut einer 1990 in einem etablierten Wissenschaftsjournal publizierten Studie waren 99,99 % der Pestizidmenge, die ein Mensch in den USA mit seiner Ernährung aufnahm, von Natur aus in den aufgenommenen Pflanzen enthalten. Das sind also chemische Verbindungen, die die Pflanze selbst produziert, um sich damit gegen Schädlinge zu verteidigen. Und von diesen gefundenen Substanzen hatte man damals 52 darauf getestet, ob sie möglicherweise krebserregend sind. Über die Hälfte von ihnen war im Versuch bei Nagetieren krebserregend.

4. Wir brauchen keine ­Pflanzenschutzmittel

Wir brauchen keine Pflanzenschutzmittel, weil man das ja mit Fruchtfolgen lösen kann. Und wenn ich einen gesunden Boden habe, dann bleiben die Schäden ja quasi weg. Ich zeige dann immer gerne das Video von einem Drahtwurm. Denn gerade bei diesem Schädling ist es so, dass man mit Fruchtfolgen und Bodengesundheit nicht das probate Mittel hat, um den Befall der Kartoffel zu verhindern. Natürlich spielen Fruchtfolgen und Bodengesundheit eine wichtige Rolle. Aber sind eben kein Garant dafür, dass ich keinen Schädlingsbefall habe.

5. Pestizide braucht nur die Landwirtschaft

Das große Missverständnis, was hinter der Diskussion Pestizide oder Pflanzenschutzmittel steckt, ist eine Art Übersetzungsfehler. Der Begriff Pestizide ist nämlich eine Entlehnung aus dem Englischen. Hier heißt das Wort Pest eben nicht das, was es bei uns bedeutet. Sondern das Wort Pest bedeutet übersetzt Schädling.

Deswegen bedeutet das Wort Pestizide auch Schädlingsbekämpfungsmittel und ist ein Überbegriff für zwei Unterkategorien, die Pflanzenschutzmittel und die Biozide. Das sind Pestizide, die die Gesundheit des Menschen schützen sollen. Dazu gehören z. B. Desinfektionsmittel. Gerade in der Corona-Pandemie sind Desinfektionsmittelspender vor jedem Eingang herumgestanden.

Man hat sich dann die Pestizide in der Hand verrieben und ich habe den Eindruck gehabt, manche hätten am liebsten darin gebadet. Hier stand der persönliche Nutzen im Vordergrund. Pestizide in Form von Desinfektionsmitteln sind allgemein akzeptiert.

Wer mit der Landwirtschaft nichts zu tun hat, für den ist es schnell ein Problem, wenn auf dem Feld Insekten bekämpft werden. Wenn die gleiche Person aber in einem Campingurlaub Insekten in die Haut stechen, dann ist es ein Ungeziefer, das weggehört. Und jeder, der sich schon einmal so ein Nobite ins Gesicht gesprüht hat und fühlt, dass die Lippen dann schon halb taub werden, der merkt, dass dies auch nicht unbedingt ein von Grund auf harmloses Mittel ist.

6. Pflanzenschutzmittel sind Grund für Artenverlust

Ein weiteres Missverständnis ist, dass Pflanzenschutzmittel der wichtigste Grund für Artenverluste sind. Man muss zwar anerkennen, dass es diese Probleme gibt. Es ist nachgewiesen, dass es einen Rückgang an Artenvielfalt gibt. Die Frage ist nur: Ist es gerechtfertigt, dass in den öffentlichen Debatten zuallererst und fast ausschließlich über Pflanzenschutzmittel als Ursache gesprochen wird?

Und das ist nicht ganz berechtigt, wie Daten der Europäischen Umweltagentur zeigen. Hier sieht man die acht wichtigsten Gründe oder Schadfaktoren, durch die die Landwirtschaft zum Artenverlust beiträgt. Und freilich sind da die Pflanzenschutzmittel auch dabei. Das ist auch kein Wunder. Denn der einzige Zweck dieser Mittel ist ja sozusagen die Eindämmung von Artenvielfalt im Kulturbestand. Jeder Biobauer freut sich, wenn er wenig andere Arten hat, sondern möglichst viel von seinem Weizen ernten kann.

Weniger Landwirtschaft, ­weniger Artenvielfalt

Aber es sind ja auch ganz andere Faktoren noch dabei. Dazu gehören die Umwandlung von Agrarland, Trockenlegung von Feuchtgebieten, generell Umwandlung von einer Nutzung in die andere, also zum Beispiel Grünlandumbruch etc. Und der wichtigste Faktor ist hier die Aufgabe der Grünlandnutzung. Das betrifft vor allem extensives Grünland, das ein sehr wichtiger Lebensraum für Insekten und andere Arten ist.

Man kann also sagen, dass Pflanzenschutzmittel nicht der wichtigste Grund sind, warum die Landwirtschaft zum Verlust von Artenvielfalt beiträgt. Sondern es ist vielmehr das Einstellen von Landwirtschaft, sprich dort den Wald wachsen zu lassen. Man muss diese Gründe in ihrer Gesamtheit sehen. Mit der Fokussierung allein auf Pflanzenschutzmittel lassen wir die anderen Aspekte quasi außer Acht und können dann auch keine guten Lösungen finden. Hierzu gibt es eine Studie vom Departement für Agrarökologie der Uni Göttingen.

Die Forscher verglichen entlang der ehemaligen DDR-Grenze den Zusammenhang zwischen Feldergröße, Form der Bewirtschaftung und Artenvielfalt. Auf der westlichen Seite herrscht die kleinstrukturierte Landwirtschaft vor, auf der östlichen durch die Zwangskollektivierung sehr große Felder. Auf beiden Seiten gab es biologische und konventionelle Bewirtschaftung.

Man hat festgestellt, dass es bei der biologischen Wirtschaft auf beiden Seiten eine höhere Artenvielfalt gibt, aber gleichzeitig beim Getreide ungefähr die halben Erträge. Außerdem hat man festgestellt, dass die kleinräumige konventionelle Bewirtschaftung im Westen eine größere biologische Vielfalt gefördert hat als die großräumige ökologische Bewirtschaftung im Osten.

In punkto Artenvielfalt ist also klein und konventionell besser als groß und bio. Es ist also nicht so, dass eine ertragreiche Landwirtschaft, die auch Pflanzenschutzmittel einsetzt, generell in einem Widerspruch zum Erhalt oder zur Förderung von Artenvielfalt stehen muss. Sondern es ist auch beides parallel möglich, wenn man die Struktur und das Aussehen der Landschaft mehr in diese Erwägungen mit einbezieht.

7. Bio ist besser für Klima und Biodiversität

Die Biolandwirtschaft ist grundsätzlich besser für Klima und Biodiversität. Das lesen wir ja fast jeden Tag in den Medien. Das wird meistens als fast gottgegeben hingenommen, ohne hinterfragt zu werden. Das liegt auch daran, dass die Biolandwirtschaft tatsächlich viele Vorteile mit sich bringt. Auf Bioflächen habe ich oft eine größere Artenvielfalt. Ich habe dort meist einen geringeren Ausstoß von Treibhausgasen, ich habe weniger Stickstoffauswaschungen.

Die Vorteile der Biolandwirtschaft sind also absolut unbestritten. Aber es gibt halt auch Nachteile, dazu gehören die Erträge. Bei Getreide in Österreich liegt der Ertrag bei Bio um durchschnittlich 35 % unter dem im konventionellen Anbau. Das heißt umgerechnet: Für die gleiche Menge Lebensmittel wird 54 % mehr Fläche gebraucht. Das ist einer der entscheidenden Nachteile, den man mitbedenken muss.

Dies ist auch im Zusammenhang mit dem Klimaschutz wichtig, wie der 6. Sachstandsbericht des Weltklimarates zeigt. Danach sind der mit Abstand größte Faktor bei den Emissionen die Landnutzungsänderungen, sprich, dass ich für die Ausweitung von Agrarflächen Wälder rode oder Moore trockenlege oder Grünland umbreche und Ähnliches. Das ist der mit Abstand entscheidende Faktor, wie die Landwirtschaft zum Klimawandel beiträgt.

Der Weltklimarat fasst zusammen, dass es durch eine großflächige Ausweitung der Biolandwirtschaft global zu mehr Emissionen kommen kann, wenn dies ohne sonstige Konsequenzen passiere. Darunter versteht er u. a. eine radikale Umstellung der Ernährung. Hinzu kommt: Geringere Erträge führen bei steigender Nachfrage zu höheren Preisen. Steigende Preise für Lebensmittel hat der Weltklimarat als stärkste Antriebskraft zur Beschleunigung der globalen Entwaldung identifiziert.

Fazit

All das zusammengenommen macht den Ansatz des Green Deal zweifelhaft. Dessen Ziele sind absolut richtig. Wir sollten die negativen Umweltwirkungen der Landwirtschaft erheblich reduzieren. Die Frage ist nur wie. Eine EU-Studie zeigt: Wenn wir alles so machen wie im Green Deal vorgesehen, dann gehen die Erntemengen nach unten und die Preise nach oben. Dies führt zu mehr Entwaldung, diese zu mehr Treibhausgasen und diese wiederum zu einem beschleunigten Klimawandel. Deswegen stehen hinter der Art, wie der Green Deal vorangetrieben wird, drei große Fragezeichen.

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