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Grünen-Politiker Bär hält Totalausstieg aus chemisch-synthetischem Pflanzenschutz für machbar

Der Bundestagspolitiker Karl Bär warnt vor einem agrarpolitischen "Weiter so", da die Landwirtschaft sonst vor die Wand fahre. An einer weiteren Ökologisierung der Anbausysteme führt für ihn kein Weg vorbei.

Lesezeit: 12 Minuten

Karl Bär ist seit 2021 für die Grünen im Bundestag. Hier arbeitet er unter anderem als Ordentliches Mitglied im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft sowie als Stellvertretendes Mitglied in den Ausschüssen für Digitales und Umwelt. Wir haben mit ihm über Pflanzenschutz, die EU-Agrarpolitik, Ökolandbau und die Neuen Züchtungstechnologien gesprochen.

Herr Bär, das Europaparlament hat der geplanten Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) eine Abfuhr erteilt. Ist die SUR mitsamt ihren Pauschalverboten für chemischen Pflanzenschutz jetzt erledigt?

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Karl Bär: Theoretisch gäbe es die Möglichkeit, dass der Rat der Mitgliedstaaten mit der Kommission ohne Parlamentsbericht verhandelt. Das ist aber kein gangbarer Weg, da es auch im Rat Widerstand gibt und das Parlament am Ende ohnehin zustimmen muss. Insofern gehe ich momentan davon aus, dass die SUR komplett vom Tisch ist.

Wie müsste aus Ihrer Perspektive der chemische Pflanzenschutz reguliert werden, um sowohl dem Schutz von Umwelt und Natur als auch Ernährungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit Genüge zu tun?

Karl Bär: Wenn ich ganz allein entscheiden dürfte, dann würde ich sagen, wir legen mit einer langen Übergangsfrist in der Zukunft einen Zeitpunkt fest, ab dem der chemisch-synthetische Pestizideinsatz komplett verboten ist. Dann wäre die Richtung klar und die Landwirtschaft hätte einen langen Zeitraum, sich darauf einzustellen.

Nach Ihrer Überzeugung ist es also tatsächlich möglich, ganz auf chemischen Pflanzenschutz zu verzichten?

Karl Bär: Ja. Wir können in Europa unter bestimmten Voraussetzungen komplett auf Bio umstellen und 10 % der Fläche aus der Produktion nehmen und sogar mehr exportieren als jetzt.

Wir können in Europa unter bestimmten Voraussetzungen komplett auf Bio umstellen.

Dazu müssten wir aber beispielsweise aufhören, Pflanzen für Biotreibstoffe anzubauen und den Konsum an Fleisch, Zucker, Eiern und Milch zurückfahren. Aber das passiert ja in Teilen schon. Wenn eine Mehrheit der Bevölkerung sagt, dass sie nicht jeden Tag Fleisch essen muss, zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind.

Sie dürfen auch nicht vergessen, dass nach Berechnungen des Thünen-Instituts gerade einmal ein Viertel unserer Anbaufläche für die direkte Lebensmittelerzeugung genutzt wird. Rund die Hälfte sind Tierfutterflächen und auf dem Rest wachsen Energiepflanzen und nachwachsende Rohstoffe. Viel Platz für Lebensmittel, wenn man es richtig anstellt.

Energiepflanzen waren ursprünglich mal eine Idee der Grünen. Hat nicht auch Ihre Kollegin Renate Künast damals viel für getan, Biogasmais den Weg zu ebnen? Sollten solche Energiepflanzen weiter einen Platz in der Fruchtfolge haben?

Karl Bär: Die Aufgabe der Landwirtschaft ist primär die Lebensmittelerzeugung. Biogas hat aber auch eine wichtige Rolle in unserem Energiesystem. Nur sollte es auf der Rohstoffseite möglichst auf Stoffe begrenzt bleiben, die anders nicht genutzt werden können wie Gülle oder Futterreste. Großflächig Mais anzubauen, um damit Energie zu produzieren, halte ich mit Blick auf das Thema Ernährungssicherung für echt problematisch.

Noch schlimmer finde ich aber den Anbau von Raps für Biosprit. Der wird ja nicht eingesetzt, weil es so toll oder billig ist, sondern weil man die Unternehmen verpflichtet hat das zu machen. Das Argument war, dass es gut für die Umwelt wäre. In einer Vollkostenrechnung stimmt das so aber nicht. Langfristig löst sich das Problem sowieso von selbst, weil der Verbrennungsmotore aus den Autos verschwinden wird.

Sie sagen von sich, Sie stehen für eine ökologische Landwirtschaft ein, die ohne Gift und Gentechnik auskommt. Ist Kupfer, das als Pflanzenschutzmittel im Ökolandbau eingesetzt wird, denn nicht auch ein „Ackergift“?

Karl Bär: Mit Kupfer wird auch gedüngt, weil es ein wichtiger Mikronährstoff ist.

Mit Kupfer wird auch gedüngt, weil es ein wichtiger Mikronährstoff ist.

Man darf das nicht verallgemeinern. Ich könnte auch sagen, dass Glyphosat eindeutig ein Gift ist, denn es ist dazu da zu töten. Dennoch haben wir bei Kupfer die Aufgabe, den Einsatz weiter zu reduzieren. Gerade im ökologischen Weinbau müssten dazu mehr Alternativen zugelassen werden.

Stichwort „Ernährungssicherung“: Ökolandbau erreicht grob gesagt nur die Hälfte der konventionell erzielbaren Erträge. Ist das in Zeiten zunehmender globaler Unsicherheiten – auch bei der Lebensmittelversorgung – denn überhaupt vertretbar?

Karl Bär: Wir haben die moralische Verantwortung gegenüber den Folgegenerationen, die planetaren Grenzen einzuhalten. Das schaffen wir mit einer intensiven, hochproduktiven Landwirtschaft nicht. Die ist nicht nachhaltig und kostet uns am Ende mehr als sie erwirtschaftet. Deshalb müssen wir hinkommen zu einer ökologischeren Landwirtschaft. Ob das dann alles mit Biosiegel versehen sein muss, ist eine andere Frage.

Wenn wir so weitermachen und die meisten planetaren Grenzen überschreiten, rennen wir an eine Wand.

Wenn wir so weitermachen und die meisten planetaren Grenzen überschreiten – ob beim Klima, dem Wasser oder dem Artenschutz - rennen wir an eine Wand. Deshalb müssen wir die Welt anders als mit intensiver, konventioneller Landwirtschaft ernähren, sonst können wir sie bald überhaupt nicht mehr ernähren.

Aber ganz ohne chemischen Pflanzenschutz besteht doch die Gefahr, dass in ganz schwierigen Jahren große Teile der Ernte verloren gehen. Hat der Ökolandbau denn Werkzeuge, um auf andere Weise Totalausfälle sicher ausschließen zu können?

Karl Bär: Der Ökolandbau funktioniert da ein bisschen anders. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Fruchtfolge. Wenn ich Fruchtfolgen habe, die nur aus Weizen, Raps und Mais bestehen, dann züchte ich auch manche Probleme gezielt herbei. Die Kulturpflanzen müssen auf dem Acker vielfältiger werden, dann sinkt auch der Krankheitsdruck.

Wir werden auch unsere Landschaften anders gestalten müssen, um sie besser an den Klimawandel und den Verlust an Süßwasserressourcen anzupassen. Ich meine Retentionsflächen, aber auch den Umgang mit dem Boden und der Bodenbedeckung. Es gibt in Deutschland großflächige Agrarlandschaften, die ich für instabil halte. Das ist eine Frage der Resilienz. Vielfältige Systeme sind immer widerstandsfähiger.

Im Moment wird es nicht diskutiert, das Thema kommt aber regelmäßig wieder hoch. Was halten Sie von einer Pflanzenschutzmittelsteuer?

Karl Bär: Realpolitisch wäre das eine der besten Methoden zur Senkung des Pestizideinsatzes.

Realpolitisch wäre eine Steuer auf Pflanzenschutzmittel eine der besten Methoden zur Senkung des Pestizideinsatzes.

Das zeigen die Erfahrung aus den Nachbarländern. Dänemark beispielsweise hat die Pflanzenschutzabgabe sehr deutlich nach oben gesetzt. Nach einigen Jahren gab es einen Rückgang um die 30 %, einfach durch den ökonomischen Anreiz, auf die nicht unbedingt notwendigen Mittel zu verzichten.

Automatisch wird dann zu anderen Methoden wie vorbeugenden Maßnahmen, mechanischer Unkrautbekämpfung oder ähnlichem gegriffen. Eigentlich entspricht das auch der Rechtslage und den Regeln des Integrierten Pflanzenschutzes. Insofern stünde ich einer Pestizidabgabe total positiv gegenüber und wenn der Staat nebenbei noch ein bisschen Geld einnehmen kann, dann tut uns das in der Situation nach dem Urteil zum Bundeshaushalt ganz gut. Das wäre mir sehr viel lieber, als am Ende die Agrardieselbeihilfe zu streichen oder die GAK noch einmal runterzufahren.

Glyphosat wird nach der Entscheidung der EU-Kommission bis mindesten 2033 in der EU zugelassen bleiben. Sehen Sie das aus grüner Perspektive als Niederlage an?

Karl Bär: Das ist ein großer Fehler der EU Kommission. Sie haben keine Mehrheit für Glyphosat gefunden und dann eine Entscheidung getroffen, die ein Großteil der Bevölkerung für falsch hält.

Bundesminister Özdemir hat angekündigt, den Wirkstoff dann eben national zu verhindern. Gehen Sie da mit und wie sollte das EU-konform geschehen? Luxemburg hat doch gezeigt, dass ein pauschales Verbot vor Gericht kaum Bestand hätte.

Karl Bär: Wir sollten es versuchen. In einigen EU-Mitgliedsstaaten gab es durchaus auch erfolgreiche Fälle, wo einzelne Wirkstoffe oder Wirkstoffgruppen national verboten wurden. Frankreich hat zum Beispiel mit dem Neonikotinoid-Verbot nicht nur das EU-weite Verbot vorweggenommen, sondern mit Acetamiprid and Sulfoxaflor auch Stoffe verboten, die in der EU noch zugelassen sind.

Dänemark lässt grundsätzlich keine Mittel zu, deren Wirkstoffe eine Halbwertzeit im Boden von über einem halben Jahr haben. In Bezug auf Glyphosat darf auch nicht vergessen werden, dass wir in Deutschland immer noch ein bestehendes Glyphosatverbot zum 1. Januar 2024 haben.

Ist das überhaupt noch so umsetzbar in der neuen Lage?

Karl Bär: Bei der Entstehung der entsprechenden Verordnung war man davon ausgegangen, dass Glyphosat europaweit verboten wird. Das ist nun nicht passiert. Dennoch finde ich es sehr gut, wenn Cem Özdemir jetzt alle Möglichkeiten für ein nationales Verbot ausschöpfen will. Der Einsatz von Totalherbiziden ist nach meiner Auffassung bei der Stoppelbehandlung oder Vorauflaufbehandlung und auch beim Grünlandumbruch ohnehin nicht das Mittel der Wahl.

Gesetzt den Fall, dass der Einsatz von Glyphosat in Deutschland unterbunden würde: Wäre der Preis dann nicht zu hoch? Schließlich würde der Pflug zwangsläufig öfter zum Einsatz kommen, mit allen Folgen für Bodengefüge und auf und im Boden lebende Arten.

Karl Bär: Im November wurde die Professor-Niklas-Medaille an Felix Löwenstein verliehen. Er ist Biobauer und erzählte, dass er seit langer Zeit pfluglos arbeitet. Ich kenne auch Ökolandwirte, die pfluglos wirtschaften, oder nur im Abstand von mehreren Jahren wendend arbeiten. Das geht schon und ich halte das für ein in weiten Teilen vorgeschobenes Argument.

Dass es Fälle geben kann, in denen am Ende der Glyphosat-Einsatz steht, das sehe ich auch. Deswegen haben wir das Kaskadensystem in der Landwirtschaft. Aber ein Wirkstoff, der wirklich alles an Pflanzen tötet und zusätzlich auch noch Bodenbakterien, der sollte wirklich das allerletzte Mittel sein.

Ein Wirkstoff, der wirklich alles an Pflanzen tötet und zusätzlich auch noch Bodenbakterien, der sollte wirklich das allerletzte Mittel sein.

Was macht Glyphosat darüber hinaus für die Grünen so gefährlich, dass es unbedingt weg muss?

Karl Bär: Wir haben ein grundsätzliches Problem mit dem europäischen Zulassungsverfahren für Pestizide. Das ist ein Zulassungsverfahren, das vor allem Rechtssicherheit für die Herstellerfirmen schaffen soll und auf Zulassung statt Risikominimierung abzielt. Das gilt für Glyphosat genauso wie für andere Wirkstoffe.

Aber im Fall von Glyphosat hatten die Behörden beispielsweise selbst keinen Bewertungsmaßstab für die indirekten Auswirkungen des Wirkstoffs auf die Biodiversität. Wenn aber die Ackerbegleitflora weggespritzt wird, fehlt den Insekten und weiter in der Kette den Nagetieren oder Vögeln die Nahrung. Dann die gesundheitlichen Bedenken gegen Glyphosat. Die vielen Verfahren gegen Bayer in den USA sprechen da eine klare Sprache. Und dennoch stehen viele Pflanzenschutzunternehmen mindestens als Finanzier hinter Studien, die irgendwann in die Bewertung von Wirkstoffen einfließen.

Grundsätzlich richtig, aber es gibt auch Institutionen, die nicht unter dem Verdacht stehen industrienah zu sein. Beispielsweise das BfR, das bei Glyphosat keine Kanzerogenität erkennen kann. Sehen Sie da auch Lücken?

Karl Bär: Wenn das BfR nicht im Verdacht steht industrienah zu sein, dann kann ich auch nicht verdächtigt werden, mit der Umweltbewegung im Bunde zu sein.

Aber das BfR wurde doch von Frau Künast gegründet.

Karl Bär: Ich weiß nicht, worauf Sie mit den Anspielungen auf Renate immer hinauswollen, aber das BfR ist genauso eine der Institutionen, die im Zweifelsfall die Berichte der Herstellerfirmen bewerten müssen und darauf vertrauen. Mitunter werden da nur die Zusammenfassungen ausgewertet, ohne die Studien gelesen zu haben.

Wir haben schon über den Werkzeugkasten für die Landwirtschaft gesprochen. Nicht nur der Bauernverband wünscht sich eine möglichst volle und große Toolbox für den Ackerbau. Er zählt ausdrücklich auch die Neuen Züchtungstechniken dazu. Warum stemmt sich Ihre Partei so gegen Crispr-CAS und Co.?

Karl Bär: Wir stehen dem nicht völlig ablehnend entgegen. Wir sind nur der Ansicht, dass weiterhin auch neue Gentechnik für den Verbraucher verpflichtend auf dem Produkt gekennzeichnet werden soll und dass vor der Zulassung jeder einzelnen gentechnisch veränderten Pflanze eine Risikoprüfung durchgeführt werden sollte. Dazu sind wir laut internationalen Verträgen sogar verpflichtet.

Wir brauchen auch weiterhin Regeln, die eine unkontrollierbare Ausbreitung der gentechnisch veränderten Pflanzen z.B. über Pollen in der Natur oder auf ökologisch bewirtschaftete Nachbarfelder verhindern.

Wir brauchen auch weiterhin Regeln, die eine unkontrollierbare Ausbreitung der gentechnisch veränderten Pflanzen verhindern.

Dafür brauchen wir weiterhin eine Kennzeichnungspflicht vom Saatgut bis zum Endprodukt und entsprechende Nachweisverfahren, bei denen ich die Hersteller in der Verantwortung sehe.

Aber werden wir da nicht von der Realität einfach dadurch überholt, dass gerade die Neuen Züchtungstechniken sich dadurch auszeichnen, dass die Veränderungen nicht von natürlichen Mutationen zu unterscheiden sind?

Karl Bär: Erstens ist es kein Problem für Unternehmen, die Pflanzen mit neuer Gentechnik herstellen, Referenzmaterial und ein Nachweisverfahren zu liefern. Es ist zweitens so, dass eine Verbraucherkennzeichnung nicht von einem biochemischen Nachweis abhängt. Die Regional-Kennzeichnung ist auch nicht davon abhängig, ob biochemisch nachweisbar ist, ob das Schwein aus Niedersachsen oder Niederbayern kommt. Auch Bio-Produkte werden hauptsächlich entlang der Lieferkette verfolgt und gekennzeichnet.

Ich sehe nicht, warum der Einsatz von Gentechnik nicht gekennzeichnet werden sollte. Die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen das. Sie wollen mit ihren Kaufentscheidungen mit beeinflussen, wie die Landwirtschaft in der Fläche ausschaut. Das funktioniert nur da, wo ich ihnen die Möglichkeit gebe, die Entscheidung auch wirklich informiert zu treffen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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