Im Mai haben wir uns auf den Weg in Americas Dairyland – den Milchstaat Wisconsin – gemacht. Auf einer Fläche von rund 170 000 km2 leben laut einer Studie der amerikanischen Agrarzeitschrift „Hoard's Dairyman“ rund 1,2 Mio. Kühe (Stand 2021). Damit liegt Wisconsin auf Platz 2 hinter Kalifornien. Die Milchleistung pro Kuh liegt im Durchschnitt bei 11 287 kg.
Wo viele Kühe sind, gibt es auch viele Kälber: Etwa 50 % von ihnen leben laut der Studie in Iglus, weitere 47 % in Ställen mit Boxensystemen. Die Gruppenhaltung macht insgesamt etwa 19 % aus. Die Kälberhaltung in Wisconsin haben wir uns gemeinsam mit der Firma Hampel's Calf-Tel angesehen, die Haltungssysteme für die jungen Tiere herstellen.
Haltungsvorgaben sind je nach Bundesstaat unterschiedlich. Das National Dairy Farm Program stellt Milchkuhhaltern einige Richtlinien: Beispielsweise 3,25 m2 eingestreute Liegefläche für Tiere bis 200 kg Körpergewicht.
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Das Milchland der USA ist im Volksmund der Bundesstaat Wisconsin. Dort leben etwa 1,2 Mio. Kühe und demnach auch viele Kälber.
Die Kälberaufzucht ist für viele Landwirte ein wichtiger Betriebszweig.
Auf der Reise haben wir uns die Produktion des Herstellers Hampel’s Calf-Tel angesehen und gemeinsam kälberhaltende Betriebe besucht.
Auf der „Calfranch“ von Pagels Ponderosa dreht sich die tägliche Arbeit rund um das Wohlbefinden der 3 500 Jungtiere.
J Hall hält etwa 5 000 Kälber in Iglus. Diese zieht er im Lohn für Milchkuhbetriebe in der Region auf.
Zu Besuch bei Pagels Ponderosa
Bis zu 30 Kälber pro Tag: Das Management auf dem separaten Standort für Kälber ist genau geplant.
Wir fahren mit einem Pick-Up über schnurgerade Straßen. Am Wegesrand sind viele Milchkuhbetriebe zu sehen: Immer wieder ziehen die typischen roten Scheunen an uns vorbei. Fast auf jedem Hof wehen amerikanische Flaggen im Wind. Mein Blick bleibt bei einer großen Dairyfarm hängen. Auf dem Hofschild an der Einfahrt steht „Pagels Ponderosa“, der Name der Farm, die wir besuchen wollen. 5 600 Kühe sind hier zuhause. Kreuzungen aus Ayrshire, Jersey und Holstein Friesian. Täglich erblicken hier zwischen 15 und 30 Kälber das Licht der Welt. Zweimal am Tag holt Manager Shawn Miller die Kälber ab und bringt sie zur Kälberfarm, die etwa 2,3 Meilen (3,7 km) von dieser Hofstelle entfernt ist.
Mehr Milch im Winter
Wir fahren weiter und können schon von der Einfahrt der Calfranch die vielen baugleichen Ställe sehen. 26 an der Zahl und nach alphabetischer Reihenfolge benannt. „Wir beherbergen 3 500 Jungtiere im Alter von bis zu elf Monaten“, erklärt mir Shawn. Pro Stall sind 60 Kälberboxen nach einem modularen System aufgebaut. Sie sind 122 cm breit und 183 cm lang. In der Rückwand ist ein Lüftungsgitter eingebaut. Die Boxen werden dem Alter nach belegt. Dabei trennen Mitarbeiter die weiblichen von den männlichen Tieren für bessere Haltungshygiene und geringe Krankheitsübertragungen. Um auch den Nasenkontakt zu vermeiden, bleibt an der Schnittstelle zwischen Kuh- und Bullenkälbern eine Box leer.
Von Beginn an steht den jungen Tieren Wasser und Kälbermüsli zur freien Aufnahme bereit. Wasser befindet sich in den schwarzen und Kälbermüsli in den weißen Eimern vor den Kälberboxen. Noch auf der Dairyfarm wird jedes neugeborene Kalb mit gut 3,5 l Kolostrum gedrencht. Der Wert vom Qualitätstest soll über 23 Brix liegen. Dabei werden auch die Ohrmarken eingekniffen und der Nabel desinfiziert.
Der weitere Tränkeplan mit Milchaustauscher sieht wie folgt aus:
- Tag 1 – 2: zweimal täglich je 1,9 l
- Tag 3 – 13: zweimal täglich je 2,4 l
- Tag 14 – 42: zweimal täglich je 3,3 l
- Tag 42 – 49: einmal täglich 3,3 l
- Tag 49: Absetzen
- Wintertags gibt es ab 14 Tagen 0,5 l und ab 42 Tagen 0,25 l mehr Milch aufgrund des höheren Energiebedarfs.
Die Milch trinken die Kälber aus den Wassereimern. Die Boxen der Tiere, die nur einmal täglich Milch bekommen, sind mit einem weißen Band gekennzeichnet. Abgesetzte Kälber tragen ein orangenes Band.
Überall Schlauchlüftung
„Kurz nach dem Absetzen, im Alter von 50 Tagen, nehmen wir je eine Trennwand in der Mitte heraus und halten die Kälber paarweise“, sagt Shawn. Damit hat die Farm gute Erfahrungen gemacht und die Kälber sind auf die spätere Gruppenhaltung vorbereitet.
Ein Bobcat mit Einstreugerät im Frontlader verteilt zweimal wöchentlich frisches Weizen- oder Haferstroh. „Frisch eingestreute Boxen sorgen für gute Luft im Stall“, sagt der Kälberbetreuer. Daher ist links und rechts im Stall über den Boxenreihen zudem je eine Schlauchlüftung installiert. Sie läuft ganzjährig und lässt sich manuell steuern. Einen Teil hat die Farm selbst gebaut: Je Kälberbox haben sie ein Loch in ein großes Rohr gebohrt, wodurch Luft ausströmt. Bei der gekauften Variante kann sich in den Wintermonaten eine Membran vor die Öffnung legen, sodass die Luft nicht direkt auf die Tiere herabfällt. Um die Lufttemperatur zu kontrollieren, hängt in manchen Ställen ein Thermometer. Zudem tragen die Neugeborenen im Winter für die ersten 21 Lebenstage Kälberdecken.
Eigener Krankenhausstall
Auf der Calfranch kümmern sich 16 Mitarbeiter um die Milchkühe von morgen. Die Angestellten kommen aus Zentralamerika und den USA. Manager Shawn ist wichtig: „Wir wollen den Stress für Mensch und Tier so gering wie möglich halten. Wir füttern und stallen deshalb mit vielen Mitarbeitern um, damit niemand frustriert ist und die Kälber schlecht behandelt.“ Um alle Mitarbeiter auf demselben Stand zu halten, hängt eine leere Ohrmarke als Protokoll an der Box kranker Tiere. Dort werden die Ohrmarkennummer des Tieres, das Behandlungsdatum, die entsprechenden Medikamente und sonstige Auffälligkeiten eingetragen.
Für schwache oder schwerkranke Kälber gibt es einen sogenannten Krankenhaus-Stall. Dieser besteht aus zehn Einzelboxen ohne Lüftungsgitter auf der Rückseite. Im Winter wärmen zwei Heizlüfter den Stall auf 10 °C auf. Normalerweise sind die Kälber nach sieben bis zehn Tagen fit für die Entlassung.
Im Alter von 65 bis 70 Tagen verlassen die Jungtiere die paarweise Haltung und sind von nun an in Gruppen aufgestallt. Die Calfranch arbeitet nach dem Rein-Raus-System: Alle Kälber eines Stalls ziehen um. Danach misten Mitarbeiter den Stall aus und waschen ihn. Die modularen Kälberboxen kommen zur Waschbasis, wo zwei weitere Hochdruckreiniger bereit stehen. Nach sieben Tagen Leerstand ist der saubere Stall bezugsfertig für neugeborene Tiere.
Die Gruppenställe haben einen außen liegenden Futtertisch, Spalten am Fressgitter und einen Liegebereich im hinteren Teil. Er ist mit eigens separierter Gülle eingestreut. „Wenn die Tiere hierher kommen, bringen sie 80 bis 100 kg auf die Waage. Wir wiegen sie mit einer mobilen Einzeltierwaage nach der Geburt, im Absetz- bzw. Umstallalter und mit etwa 4,5 Monaten. Ihr Gewicht liegt dann zwischen 160 und 190 kg“, sagt Shawn. Die Ställe sind mit Curtains und Ventilatoren ausgestattet.
Bullenkälber verkauft die Farm nach ein bis drei Tagen. Holstein-Kälber bringen dann etwa 180 $, Fleischrassekreuzungen bis zu 400 $. Holstein-Jersey-Kreuzungen liegen bei nur 10 $.
An dem Standort gibt es zwei Boxenlaufställe für 2 000 Jungrinder ab vier bis fünf Monaten mit 120 Tieren je Gruppe.
Erhitzen und in Form bringen
Das Werk von Hampel's Calf-Tel befindet sich seit 1981 in Germantown in Wisconsin. Dort entstehen Haltungssysteme für Kälber wie Iglus oder modulare Boxen aus extrudiertem Polyethylen – einem speziellen Kunststoff. Für die Iglus wird eine etwa 35 kg schwere Kunststoffplatte für 130 Sekunden auf 165 °C erhitzt. Währenddessen saugt ein Metallkorpus das Material mittels Vakuum in die gewünschte Form. Der Vorgang nennt sich Thermoformen. Dadurch sollen die entstandenen Produkte robust und kaum verformbar sein. Ein Pigment, was UV-Strahlen blockiert, soll die Kälberboxen davor schützen, porös zu werden. Der Kunststoff ist lichtundurchlässig und porenfrei.
Pro Tag laufen 432 Kälberhütten vom Band, was einer Produktion von 18 Hütten pro Stunde entspricht. Das macht 30 % der Werkskapazität aus. Zudem stellt die Firma mobile Toilettenkabinen, Spielplatzrutschen und Plastikbauteile für John Deere her.
Kälberaufzucht im Lohn
J Hall zieht im Auftrag für regionale Milchkuhfarmen Kälber auf. 50 Mitarbeiter helfen ihm dabei.
Was 1995 mit 15 Kälberiglus im Garten anfing, sind jetzt 5 000 Iglus auf rund 20 ha – soweit das Auge reicht. J Hall ist Kälberaufzüchter in Kewaunee im Osten Wisconsins. Pro Jahr zieht er etwa 40 000 Jungtiere auf.
Die neugeborenen weiblichen Kälber holt Hall im Alter von zwölf bis 24 Stunden von insgesamt 29 Milchkuhbetrieben ab. Dort haben sie mindestens zwei Mahlzeiten Kolostrum bekommen. In der Regel sind die Farmen nicht weiter als eine Stunde entfernt. Einige wenige Milchkuhbetriebe sind etwa 2,5 Autostunden weit weg. Bei der Arbeit mit den jungen Tieren helfen etwa 50 Mitarbeiter, vorrangig aus Zentralamerika.
Blutprobe von jedem Kalb
Wenn die Kälber den Anhänger verlassen, kommen sie zunächst in einen Gruppenstall – in der Regel gibt es pro Milchkuhbetrieb eine Gruppe. „Wir ziehen von jedem Kalb eine Blutprobe. So können wir überprüfen, ob die Tiere gutes Kolostrum bekommen haben und wir lassen einen BVD-Test machen“, erklärt J Hall. Pflicht ist ein BVD-Test – anders als in Deutschland – jedoch nicht. Am zweiten Tag werden die Tiere enthornt und ab Tag drei kommen sie in Einzeliglus.
Insbesondere in den kalten Wintermonaten bietet der gewärmte Gruppenstall einen entscheidenden Vorteil, um den Stress für die jungen Tiere so gering wie möglich zu halten. Nach drei Lebenstagen fällt es ihnen leichter, ihre Körpertemperatur selbst zu regulieren.
Im Iglu angekommen, verbleiben die Kälber dort für insgesamt 70 Tage. Im Auslauf vor dem Iglu haben die jungen Tiere Sichtkontakt zu ihren Nachbarkälbern. Kleine Kälber bzw. Jerseys stallt Hall zu zweit auf. Seine Iglus sind 2,43 m lang und 122 cm breit. Zweimal täglich fährt ein Truck mit großem Milchtank durch die Reihen und verteilt je 4 l Milch an jedes Kalb. In den ersten 21 Tagen Milchaustauscher, danach ein Gemisch aus Milchaustauscher und Vollmilch. Die Vollmilch holen J und seine Mitarbeiter von einigen ihrer Milchkuhfarmen, also den Kunden, ab. Die Kälber trinken die Milch in den ersten vier Tagen aus einer Flasche mit Nuckel, anschließend aus einem Eimer ohne Nuckel. Im Anschluss an die Mahlzeit steht ihnen im selben Eimer Wasser zur Verfügung. Im Alter von acht Wochen werden die Jungtiere von der Milch abgesetzt. Ab dem dritten Lebenstag bekommen die Tiere Kälbermüsli von einem Truck, der täglich durch die Reihen fährt.
Einmal wöchentlich streuen die Mitarbeiter von J Hall die Iglus mit Stroh ein. In den Sommermonaten tauschen sie das Stroh gegen Sägemehl aus. „Das Sägemehl minimiert den Fliegendruck und ist bei Wärme angenehmer für die Kälber“, erklärt der Farmbesitzer. Im Winter isoliert es jedoch nicht so gut wie Stroh.
3,70 € pro Tier und Tag
Nach 70 Tagen im Einzeliglu kommen die Kälber in eine Gruppe mit etwa 12 Tieren. Dort bleiben sie bis zum 120. bis 180. Tag, bevor sie zurück auf die Milchviehfarmen gehen auf denen sie geboren wurden. Die Iglus desinfiziert der Betrieb nach jedem Kalb. Eine Vollwäsche gibt es einmal im Jahr. Um den unbefestigten Sandboden beim Igluwechsel auszutrocknen, kommt „Lime“ zum Einsatz. Das ist ein Kalk, der den ph-Wert anhebt, desinfiziert und Feuchtigkeit bindet. „Im Sommer ist der Boden trocken. Doch während der Regenzeit im restlichen Jahr ist es hier oft matschig. Das finde ich nicht ideal“, gibt J Hall zu.
Beim Ausstallen in die Gruppe werden die Kälber zum zweiten Mal gewogen. Das erste Mal erfolgte bereits beim Einstallen. Eine letzte und dritte Wiegung wird vorgenommen, wenn die Jungtiere die Aufzuchtfarm verlassen. Die Holstein-Kälber haben Tageszunahmen von umgerechnet rund 900 g. Fleischrassekälber legen etwa 1 000 g pro Tag an Gewicht zu.
Für die Aufzucht der Kälber von Tag eins bis 150 zahlen die Milchkuhbetriebe 4,10 $ je Tier und Tag an J Hall. Das entspricht etwa 3,70 €. Kehren manche Kälber zum Geburtsbetrieb zurück, geht die Reise für andere erst richtig los: Einige Kälber kommen auf Rinderaufzuchtbetriebe. Diese liegen vorrangig in den Bundesstaaten Texas, Oklahoma, Colorado und Kansas. „Die dortigen Kosten für Stallplätze, Arbeit und Futter sind deutlich geringer als bei uns“, erklärt J Hall. Zudem sei die erlaubte Tierzahl in Wisconsin begrenzt, sodass Betriebe die Rinderaufzucht auslagern, um mehr Kühe und Kälber halten zu können. Per Lkw dauert die Fahrt nach Texas etwa 18 Stunden, bis nach Colorado sind es 21 Stunden. Die Jungtiere kommen dort im Alter von gut fünf Monaten an und sind für 15 weitere Monate auf den Betrieben. Mit circa 20 Monaten kommen die Rinder zurück zum Ursprungsbetrieb und kalben im Alter von 22 Monaten das erste Mal.
Kommentar:Zuhause ist nicht alles schlecht
Auf der Suche nach erfolgreichen Betrieben schauen wir oft und gerne in die USA. Egal ob zum Thema Zucht, Stallbau oder Management. Und es ist tatsächlich so: Es gibt dort viele tolle Konzepte und Anregungen für zuhause.
Was mich beeindruckt hat: Bei Pagels Ponderosa hat die Kälberhaltung einen hohen hygienischen Standard und die Luft ist in den Ställen sehr gut, auch im Sommer. Dabei sind schwül-warme Temperaturen von 30 °C nicht selten. Auch Betriebe mit Iglus reagieren darauf, indem sie die Iglus im Sommer mit Sand eingestreut nach Norden und im Winter mit Strohmatratze nach Süden ausrichten. Hierzulande können wir beim Hitzestress meiner Erfahrung nach noch dazulernen.
Auch die Organisation mit vielen Arbeitskräften haben die Farmen im Griff: Macht das Team von J Hall nur einen zusätzlichen Schritt pro Kalb, summiert sich das um den Faktor 5 000.
Aber: Kleine Kälber werden in Wisconsin bereits nach wenigen Stunden transportiert. Später stehen sie teils bis zu 70 Tage in Einzelhaltung. Das gehört zu den Schattenseiten des Milchlandes. Auch bei uns bzw. in der EU steht das Wohl der Tiere bei Transporten in der Kritik – nicht immer zu Unrecht. Kälber länger als 48 Tage einzeln zu halten, verstößt bei uns gegen das Gesetz. Zudem haben wir verbindliche Auflagen etwa für das Platzangebot und sind mit höheren Tränkemengen in der Regel besser aufgestellt.
Die Auflagen in Deutschland sind im Vergleich zu anderen Ländern oft hoch. Jedoch nicht ohne Grund. In unseren Tieren steckt Potenzial. Holen wir es heraus – für die guten Kühe von morgen.