Herausforderungen in der Kälbervermarktung: Wohin mit den Kälbern?
Die innerdeutsche und zugleich wertschöpfende Vermarktung von Milchvieh-Kälbern ist je nach Marktlage eine Herausforderung. Ein Projekt in Baden-Württemberg zeigt, welche Voraussetzungen nötig sind.
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Unsere Autorin Anne Wegerhof, Naturland und EZG Schwarzwald-Bio-Weiderind, erläutert weshalb feste Kooperationen zwischen Milcherzeuger, Mäster und Handel für die Kälbervermarktung nötig sind.
Kleine, „süße“ Kälber, die auf Lkws transportiert, um im Ausland gemästet und geschlachtet zu werden. Diese Bilder sorgen medial immer häufiger für Aufmerksamkeit und für öffentliches Interesse an der Produktion von Milch. Zusätzlich zu den Transporten von Kälbern sind diskutierte Themen u. a. die Trennung von Kuh und Kalb oder Milchaustauscher versus Vollmilchtränke.
Auch Milcherzeuger würden ihre Tiere am liebsten in der Region vermarkten. Naheliegend wäre die Mast in Deutschland. Doch so einfach die Lösung scheint, so komplex sind die Herausforderungen in der Praxis. Viele Akteure müssen dafür zusammenarbeiten. Daher suchen verschiedene Initiativen nach Lösungen, um Milchviehkälber mit Wertschöpfung zu vermarkten.
Dies in die Breite umzusetzen, ist eine große Herausforderung: Laut Statistischem Bundesamt gab es im Mai 2023 in Deutschland ca. 3,78 Mio. Milchkühe. Der Bundesverband Rind und Schwein (BRS) geht auf Basis der Milchkontrolle von ca. 2 Mio. Holstein-, 842.000 Fleckvieh- und 136.000 Braunvieh-Kühen aus.
Theoretisch heißt das: Bei einem Geschlechterverhältnis von 50 : 50 und einer durchschnittlichen Remontierung von 25 % werden jedes Jahr 1,5 Mio. Holsteinkälber, 631.500 Fleckviehkälber und rund 102.000 Braunviehkälber geboren, für die es ein wertschöpfendes System braucht. Unberücksichtigt bleiben an dieser Stelle die Kreuzungstiere durch Fleischrassebesamungen.
Schnell gelesen Milchrasse-Kälber lassen sich oft schwer an deutsche Mäster vermarkten, weil die Leistungen geringer sind. Feste Kooperationen zwischen Milcherzeuger und Mäster mit Absprachen zur Aufzucht sollen die regionale Vermarktung verbessern – vor allem im Biobereich. Mastergebnisse aus der Praxis zeigen, dass mit Kreuzungstieren selbst auf der Weide gute Qualitäten erreichbar sind.
Zudem kann in der Diskussion die Rasse Fleckvieh vernachlässigt werden: Als Zweinutzungsrind für die Milch- und Fleischproduktion ist die Rasse auch bei Mästern beliebt. Die Tiere gehen in der Regel zur Mast aus Süd- nach Norddeutschland. Eine nationale Nutzungsstrategie für Fleckviehkälber ist bereits Praxis.
Für die Milchrassen gibt es in der Regel nur die Kälbermast oder den Export. Darüber hinaus gibt es bisher wenige regionale Konzepte, die eine wertschöpfende Nutzung der Kälber unterstützen. Kälber aus der Biomilchproduktion gehen darüber hinaus überwiegend in die konventionelle Mast.
Wie also lassen sich die Vermarktungsstrukturen insgesamt verbessern?
Kreuzungen: Rasse beachten
Eine bereits genutzte Möglichkeit ist die Besamung von Milchkühen mit Fleischrassebullen. Das steigert den Wert der Kälber und die Akzeptanz der Mäster. Reine Milchviehkälber sind je nach Marktlage kaum bis gar nicht vermarktbar.
Bei der Wahl der Rasse zur Kreuzungszucht gibt es verschiedene Kriterien, wie Leichtkalbigkeit oder Rahmigkeit, außerdem:
Maststandort: Zur Weidemast bzw. auf extensiven Standorten mit viel Grünland eignen sich Aubrac oder Hereford. Je intensiver die Fütterung, desto rentabler sind Blonde d’Aquitaine, Charolais oder Weißblaue Belgier. Limousin ist ein Allrounder.
Vermarktungsstrategie: Stehen spezielle Rassen im Fokus? Es gibt bspw. Programme für Angus oder Simmentaler-Fleckvieh.
Kategorie des Masttieres: Kalb, Bulle, Ochse oder Färse
Gibt es konkrete Anfragen und Wünsche vom Mäster?
Untersuchungen der Schweizer Hochschule für Agrar in Zollikofen zeigten, dass sich zur Erzeugung vollfleischiger Schlachtkörper (Klassen R, U, E) mit hohen Schlachtgewichten und gleichmäßiger Fettabdeckung bestimmte Rassekombinationen eignen.
Zu Braunvieh passen demnach am besten Weißblaue Belgier, Blonde d’Aquitaine und Charolais. Zu Holstein Friesian die Rassen Blonde d’Aquitaine, Charolais und Fleckvieh.
Blonde d’Aquitaine zeichnen sich durch eine besondere Fleischfülle, feingliedrigen Knochenbau und eine ausgeprägte Bemuskelung aus. Damit ergänzen sie auch Fleckvieh gut. Jedoch zählen Blonde d’Aquitaine zu den Intensivrassen und brauchen in der Weidemast deutlich länger, um eine ansprechende Fettabdeckung zu erreichen.
In der ökologischen Rindermast ist die Weidehaltung bis 12 Monate verpflichtend, auch für männliche Tiere. Dafür braucht es gute Futterverwerter, wie Hereford oder Aubrac. Aber auch Limousin eignet sich für die Weidemast.
Eine Voraussetzung für eine wertschöpfende Vermarktung von Milchvieh-Kälbern sind Kooperationen zwischen Milchviehbetrieb und Mäster. Verbindliche Lieferbeziehungen sind in der Industrie üblich, in der Landwirtschaft jedoch kaum. Dabei liegen die Vorteile auf der Hand:
kurze Wege (Transport usw.)
kontrollierter Gesundheitsstatus der Kälber
homogene Gruppen
Rücksprachen in Bezug auf Zucht oder Futtermittel möglich
konkrete Preisabsprachen
Es geht nicht darum, den Viehhandel auszugrenzen. Jedoch zeigen Erfahrungen in der Praxis, dass Kälber seltener erkranken, wenn sie nur den Betrieb wechseln und nicht auf einem Markt oder einer Sammelstelle waren. Ideal ist, wenn Mäster die Tiere aus möglichst wenigen Herkünften beziehen.
Würden sich direkte Kooperationen zwischen Mäster und Milcherzeuger etablieren, käme für Biobetriebe eine weitere Herausforderung hinzu: Die Kälber können nicht nach 28 Tagen zum spezialisierten Mäster wechseln, sondern müssen 90 Tage Vollmilch erhalten. Hier sind besondere Vermarktungsstrategien nötig.
Ein Standard Öko-Kalb
In Baden-Württemberg (BW) gibt es deshalb das vom Landwirtschaftsministerium (MLR BW) geförderte Projekt: „EIP Milchviehkälber Wertschöpfung durch Wertschätzung“. Ziel ist es, Strukturen auf Ebene der Landwirte aufzubauen und Vermarktungswege für Kälber aus der Milchviehhaltung zu etablieren. Das Projekt ist unterteilt in vier Arbeitsgruppen für Bio-Rindfleisch, Kalbfleisch in der Haltungsstufe 3, Rindfleisch in der Stufe 3 und 4. Alle wichtigen Akteure der Vermarktungskette sind dabei (siehe "Gemeinsam mehr Wertschöpfung").
Die Biofleisch-Arbeitsgruppe hat Voraussetzungen definiert, um mastfähige Kälber zu erzeugen. Demnach gilt für ein „Standard Öko-Kalb“ :
Gesunde Kälber (m/w), keine Lungenkrankheiten, keine wesentlichen Behandlungen wegen Vorerkrankungen
Milchrasse x Fleisch oder Zweinutzungsrasse
Ökokonforme Aufzucht mit Bio-Vollmilch (90 Tage)
Verkaufsalter: mind. 14,5 Wochen (14 Tage abgesetzt)
an Rau- und Kraftfutter gewöhnt
Kastration wenn nötig auf Geburtsbetrieb mit 4 – 6 Wochen; Kosten übernimmt Mäster (ca. 40 €)
Enthornen wenn nötig auf Geburtsbetrieb; Kosten übernimmt Mäster
Gemeinsam mehr Wertschöpfung
Im Rahmen des Projektes „EIP Milchviehkälber Wertschöpfung durch Wertschätzung“ in Baden-Württemberg wurden 17 landwirtschaftliche Betriebe ausgewählt, die mit verschiedenen Maßnahmen die Kälbervermarktung in der Region stärken wollen. Darunter z. B. Neu- oder Umbauten von Mastställen oder Konzepte für die Direktvermarktung. Diese Stallbauten werden nun finanziell gefördert. Ihre Betriebe und Ideen sollen die Bandbreite an Möglichkeiten der regionalen Kälbervermarktung darstellen, um künftig weitere Betriebe zu gewinnen.
An dem EIP Projekt beteiligt sind die Uni Hohenheim, die großen Nutzviehvermarkter, das Landwirtschaftliche Zentrum (LAZBW), die Ökoverbände Naturland und Bioland sowie viele landwirtschaftliche Betriebe.
Neutral koordinieren
Diese Kriterien dienen als eine Art Checkliste für Milchviehhalter und Mäster. Im nächsten Schritt stellt sich die Frage der Honorierung für die so aufgezogenen Kälber. Hierfür hat das EIP-Projekt ebenfalls Vorschläge gemacht. Dazu wurden die Erzeugungskosten der Milchviehhalter analysiert und Preise abhängig vom Lebendgewicht festgelegt. Kälber mit einem Zielgewicht von 130 bis 150 kg erlösen etwa 650 bis 700 €. Diese Preise sind unabhängig vom Marktgeschehen.
Trotz der Vorschläge für Kriterien und Preise, bleibt die regionale Vermarktung von Milchvieh-Kälbern eine Herausforderung.
So zeigen Gespräche mit Landwirten, dass Bio-Masttiere in Süddeutschland knapp sind. Milchvieh-Kälber werden in andere Regionen vermarktet und Mutterkuhabsetzer aus Ostdeutschland eingekauft. Häufig fehlt es noch an Erfahrungen und Vertrauen in die Mastfähigkeit der Milchvieh-Kälber. Das diese unbegründet sind, zeigen Beispiele aus der Praxis (siehe „Weidemast mit Milchkälbern? Kein Problem!“).
Erfahrungen aus der Praxis zeigen, wie wichtig eine neutrale Koordination ist, z. B. von einer Erzeugergemeinschaft, die einen Überblick über alle Mast- und Milchbetriebe hat. Spätestens seit den Unsicherheiten des Marktes im letzten Jahr ist allen Beteiligten klar, dass sich ohne verbindliche und preislich attraktive Vermarktungswege kaum neue Betriebe überzeugen lassen.
Fest steht: Das „Kälberproblem“ lässt sich lösen. Voraussetzung ist, dass nicht nur Milcherzeuger, Mäster und Vermarkter dabei sind. Sondern auch ein engagierter Handel.
Die Mast von Milchviehkälbern ist rentabel möglich – sogar auf der Weide. Das zeigen Beispiele aus dem Schwarzwald. Dort sind in den letzten Jahren einige Landwirte in die ökologische Rindermast eingestiegen und ihre Schlachtergebnisse sind überzeugend.
Die Rinderhalter vermarkten ihre Tiere über die Erzeugergemeinschaft (EZG) Schwarzwald-Bio-Weiderind. Vermittelt werden dort auch Tiere aus der Mutterkuhhaltung. Sehr engagiert mit dabei ist der Einzelhandel, die Edeka Südwest. Mehr dazu lesen Sie auch in unserer Heftausgabe 12/22, Seite R 18 oder online unter dem Titel: „Erzeugergemeinschaft Schwarzwald Bio-Weiderind – Direktvermarktung im Großformat“.
Um die Potenziale von Milchvieh-Kälbern in der Mast zu verdeutlichen, dient ein Beispielbetrieb aus dem Schwarzwald. Der Landwirt mästet ausschließlich abgetränkte Ökokälber aus der Milchviehhaltung auf der Weide. Der reine Grünlandbetrieb betreibt Kurzrasenweide und verfüttert im Winter Grassilage und Heu. Kraftfutter dient im Sommer als Lockfutter. Die Kälber werden zu Beginn der Einstallung mit einem Kraftfutter gefüttert, um die Pansenentwicklung zu fördern. Färsen und Ochsen werden im Schnitt mit 22 Monaten geschlachtet.
Die Ergebnisse (siehe Übersicht) belegen, dass auch mit den Kreuzungstieren (Holstein, Braunvieh oder Vorderwälder x Fleischrasse) gute Mastergebnisse möglich sind. Entscheidend ist die Perspektive, aus der solche Ergebnisse betrachtet werden: Für einen norddeutschen Mäster mögen dies keine Spitzenleistungen sein. Zu bedenken sind aber die Herkünfte der Tiere und die extensive Mast.
Mindestschlachtgewichte variieren je nach Vermarkter. Für klassische Ochsen gilt häufig 350 kg und mindestens Klasse R3. Bei der EZG Schwarzwald-Bio-Weiderind liegt diese bei 260 kg. Diese kann der Beispielbetrieb voll erfüllen. Das zeigt auch: Die Milchvieh-Kreuzungstiere haben viel Potenzial und könnten bei einer intensiven Fütterung sicherlich noch höhere Schlachtergebnisse erzielen.