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topplus Zweifelhafte Datengrundlage

Wie aussagekräftig sind die ersten Antibiotika-Kennzahlen für Milchkühe?

Die ersten bundesweiten Kennzahlen zum Antibiotika-Einsatz in der Milchviehhaltung sind veröffentlicht. Doch die Datengrundlage ist zweifelhaft und damit womöglich auch das Ergebnis.

Lesezeit: 5 Minuten

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hat erstmals die bundesweiten Kennzahlen für den Antibiotika-Einsatz bei Milchkühen veröffentlicht. Die Kennzahl 1 beträgt 2,024 die Kennzahl 2 liegt bei 4,026. Offiziell müssen sich Milchvieh-Betriebe mit diesen Kennzahlen vergleichen und ggf. Maßnahmen zur Antibiotika-Reduktion ableiten.

Doch Landwirte und Tierärzte bezweifeln, dass die Kennzahlen realistisch sind. Einige berichten gegenüber top agrar, dass sie mit höheren Werten gerechnet haben. Und scheinbar liegen deutlich mehr Betriebe, als eigentlich statistisch möglich wäre, über den Kennzahlen.

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Wie ist das möglich? Und was bedeutet das für die Betriebe?

Kurzfristige Änderungen im TAMG

Ein Grund ist wohl der Start für das Monitoring: Ende 2022 waren kurzfristig und mit nur wenig Vorlaufzeit mehrere Änderungen am Tierarzneimittelgesetz (TAMG) beschlossen worden. Unter anderem wurden Tierärzte ab 2023 dazu verpflichtet die Antibiotika-Einsätze zu melden, während Landwirte „nur“ noch ihre Tierzahlen melden. Außerdem wurden zusätzliche Nutzungsarten definiert, für die das Antibiotika-Monitoring plötzlich auch gelten soll – darunter auch Milchkühe.

Unvollständige Daten von 2023

Diese kurzfristige Entscheidung sorgte für viel Kritik. Meldewege und Zuständigkeiten waren unklar. Software teilweise noch nicht verfügbar. Viele Daten wurden nicht oder nicht vollständig erfasst. Deshalb sagt Dr. Siegfried Moder, Präsident des Bundesverband Praktizierender Tierärzte: „Die Daten aus dem ersten Halbjahr 2023 sind nicht einfach zu interpretieren und auch die Daten aus dem zweiten Halbjahr nur mit Vorsicht. Die Kennzahl für das Gesamtjahr 2023 kann man nur unter Vorbehalten beurteilen.“

Erst die Daten aus 2024, die Anfang 2025 veröffentlicht werden, würden ein realistischeres Bild des Antibiotika-Einsatzes in der Milchkuhhaltung zeigen. Denkbar sei, dass die Werte dann deutlich höher sind – und das als ein steigender Antibiotika-Einsatz interpretiert wird. „Es wäre daher wünschenswert gewesen, wenn wir nicht so kurzfristig sondern vernünftig und gut vorbereitet gestartet wären“, so Dr. Siegfried Moder.

Nicht alle Betriebe gemeldet?

Aber auch bei den Landwirten gibt es noch viele Unklarheiten. So könnten einige verpasst haben, dass sie bis zum 14. Januar 2024 ihren Tierbestand per HI-Tier aktiv in der Antibiotika-Datenbank melden bzw. bestätigen müssen. Nicht ausgeschlossen ist, dass für die bundesweiten Kennzahlen nur die Daten von einem Teil der Milchviehbetriebe einbezogen wurden.  

Genaue Infos dazu gibt es allerdings nicht. top agrar hat mehrfach bei der HI-Tier und dem BVL angefragt, von wie vielen Betrieben die bundesweiten Kennzahlen berechnet wurden. HI-Tier erklärte, man sei nur „der technische Betreiber der Datenbank“ während ein Sprecher des BVL mitteilte, man habe laut Tierarzneimittelgesetz nur die „Berechtigung“ die „Kennzahlen zu veröffentlichten“. Zu weiteren Auskünften sei man nicht berechtigt.

BMEL verweist auf Zuständigkeit der Länder

top agrar hat deshalb zusätzlich auch beim Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) nachgehakt. Laut einem Sprecher des BMEL sei es nicht die Aufgabe des BVL, diese Informationen zu veröffentlichen. Weil die Antibiotika-Daten und Tierbestands-Daten den zuständigen Behörden mitgeteilt werden, seien dies "Länderdaten, deren Richtigkeit und Vollständigkeit nur die zuständige Länderbehörde überprüfen kann."

Die Kritik an den veröffentlichten Kennzahlen sei dem BMEL bekannt. "Da es sich bei der Meldepflicht für entsprechende Daten um relativ neue Anforderungen handelt, geht das BMEL davon aus, dass es sich bei den Meldedefiziten um ein temporäres Geschehen handelt. Das BMEL wird dennoch zeitnah mit den für den Vollzug zuständigen Ländern erörtern, wie mit möglichen Meldedefiziten umgegangen werden sollte und wie diese künftig vermieden werden können", so der Sprecher des BMEL.

Behörden vor Ort entscheiden

Für Betriebe, die über der Kennzahl 2 liegen, ist diese unklare Situation mehr als frustrierend. Zumal die Veterinärämter bzw. zuständigen Behörden mit den Änderungen im Tierarzneimittelgesetz noch mehr Kompetenzen erhalten haben. Sie dürfen konkrete Maßnahmen anordnen. Siegfried Moder appelliert daher: „Weil die Daten nur unter Vorbehalt zu beurteilen sind, sollten auch die zuständigen Behörden entsprechend handeln.“

K O M M E N T A R

Frustrierender Start, der absehbar war!

Was sagt die veröffentlichten Kennzahlen über den Antibiotika-Einsatz in der Milchviehhaltung aus? Scheinbar wenig bis nichts! Denn durch den politisch gewollten, übereilten Start des Monitorings mit vielen offenen Fragen Ende 2022 sind offenbar nur wenige verlässlichen Daten für Milchkühe geliefert worden. Das haben Tierärzte schon lange befürchtet.

Auf Grundlage welcher Daten die aktuellen Zahlen nun berechnet wurden, lässt sich nicht nachvollziehen. Unter anderem, weil die Behörden trotz wiederholter Nachfrage keine Auskunft darüber geben, von wie vielen Betrieben die Durchschnittswerte berechnet wurden. Erstaunlich, wo doch im Gegenzug von den Landwirten umfangreiche Selbstauskünfte verlangt werden...

Die scheinbar zu niedrigen Kennzahlen zur Therapiehäufigkeit bei Milchkühen könnten Folgen haben: Selbst engagierte Betriebe sind jetzt (zumindest offiziell) dazu verpflichtet, den Antibiotika-Einsatz zu reduzieren – egal, ob sinnvoll oder nicht. Wie es für sie weitergeht liegt in der Hand des jeweiligen Veterinäramtes. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Beamte vor Ort mit Sachverstand und objektiven Blick agieren.  

Hinzu kommt: Wenn die Kennzahlen im nächsten Jahr realistischer und deutlich höher sind, könnte das in der Öffentlichkeit als steigender Antibiotika-Einsatz interpretiert werden. Das wäre ein Bärendienst für die Milchbranche.
Anke Reimink, Redaktion top agrar

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