Nach der Expertenanhörung zum Tierhaltungskennzeichnungsgesetz im Bundestag erhöhen landwirtschaftliche Vertreter den Druck zu Änderungen am Gesetzentwurf. Dort hatte die überwiegende Mehrheit der Sachverständigen großen Änderungsbedarf gesehen. Der vorliegende Entwurf, der Ende Dezember in erster Lesung im Bundestag debattiert wurde, verbessere weder die Lebensbedingungen der Nutztiere, noch werde der Verbraucherschutz erhöht, hieß es.
Raiffeisenverband sieht Zerschlagung der Schweinehaltung kommen
Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) brachte seine Fassungslosigkeit über den Entwurf zum Tierhaltungskennzeichnungsgesetz zum Ausdruck. Präsident Franz-Josef Holzenkamp bewertet die Pläne als "praxisfremd und unausgereift". Ohne erhebliche Nachbesserungen würden Schnitzel und Wurstspezialitäten zukünftig größtenteils nur noch außerhalb von Deutschland produziert.
"Ich appelliere an die Parlamentarier: Setzen Sie sich intensiv und kritisch mit Ihrem Entwurf auseinander. Nehmen Sie die qualifizierten Einwände der Experten an und handeln Sie! Alles andere wird die Schweinehaltung in Deutschland zerschlagen."
Holzenkamp fordert insbesondere die Möglichkeit des Herabstufens von Produkten in eine niedrigere Haltungsform. Nur so könne der Fleischverkauf an der Nachfrage ausgerichtet werden. Für die Umsetzung in der Praxis sei zudem die Option der Chargenbildung mit Tieren aus unterschiedlichen Haltungsformen erforderlich.
Der DRV-Präsident ergänzt: "Weiterhin fehlt ein wirtschaftlich tragbares Gesamtkonzept für die gesellschaftlich gewollte Transformation der deutschen Schweinehaltung. Zum unbrauchbaren Tierhaltungskennzeichnungsgesetz gesellen sich der lückenhafte Entwurf zur Änderung des Baugesetzbuches und die mangelhaften Eckpunkte für ein Bundesförderprogramm zum Umbau der Tierhaltung. Das ist kein Umbauprogramm, sondern ein Abbauprogramm! Absprachen zwischen den Koalitionären gelten offenbar genauso wenig wie Empfehlungen der Wissenschaft oder des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung."
ITW vermisst Gastronomie und Vearbeitungsstufe in den Plänen
Alexander Hinrichs, Geschäftsführer der „Initiative Tierwohl“, begrüßte laut dem Bundestags-Pressedienst zwar das Vorhaben, jedoch blieben viele Bereiche ausgespart. So fehle „der wichtige Bereich der Gastronomie komplett“, sagte Hinrichs. Ebenso seien be- und verarbeitete Waren wie Wurst und mariniertes Fleisch nicht mit einbezogen. Damit würden schätzungsweise zwei Drittel des Schweinefleischabsatzes in Deutschland kennzeichnungsfrei bleiben. Auch die Sauenhaltung und die Ferkelaufzucht wie auch andere Tierarten seien nicht in die Kennzeichnung einbezogen.
Außerdem bestehe die Gefahr, so Hinrichs, dass bestehende Label, die der Verbraucher kenne und anerkenne, verdrängt würden. Davon betroffen wären seiner Meinung nach die Kennzeichnungen der „Initiative Tierwohl“ und die „Haltungsform-Kennzeichnung“.
Und anders als in der Borchert-Kommission empfohlen biete der aktuelle Gesetzentwurf ausschließlich eine Kennzeichnung mit Stufendefinitionen an. Einen Weg, wie die Tierhalter in welchem Zeitraum welches Zielbild entwickeln sollten, zeige der Gesetzentwurf hingegen nicht auf, kritisierte Hinrichs.
ISD: Importabhängigkeit steigt
Dirk Hesse, Sprecher der Initiative Schweinehaltung Deutschland (ISD), machte darauf aufmerksam, dass die Produktionskosten des deutschen Schweinefleisches bereits jetzt im weltweit oberen Drittel lägen. Dies insbesondere auf Grund der gesetzlichen Haltungsvorgaben.
Bereits heute stammten mit steigender Tendenz über 28 % des verzehrten Schweinefleisches aus Importen. Zusätzlich steige die Abhängigkeit von lebend importierten Ferkeln und Mastschweinen, und damit auch die Zahl der Tiertransporte. In Deutschland sei die Zahl der geschlachteten Mastschweine in den letzten sieben Jahren um mehr als 17 % gesunken, mit noch stärker sinkender Tendenz. Die weitere Reduzierung der Tierhaltung werde zu zusätzlichen Arbeitsplatzverlusten zwischen 30 und 50 % in der Nahrungsmittelbranche führen.
Etwa 45 % der Konsumenten in Deutschland sähen die Versorgungssicherheit als wichtig an. „Die ISD fordert die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Tierhaltung, dabei insbesondere eine weitere Steigerung des Tierwohls und die Verbesserung der Umweltwirkung“, sagte Hesse.
DBV: Lenkungswirkung wird sogar konterkariert
Auch Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, verwies auf die Ergebnisse der Borchert-Kommission. „Vor Jahren wurde damals unter etlichen anderen Punkten eine Kennzeichnungsregelung gefordert“, erklärte Krüsken.
Umso enttäuschender sei es aus Sicht der Landwirtschaft, dass der nun vorliegende Entwurf gravierende Schwachstellen aufweise, mit denen die angestrebte Lenkungswirkung nicht nur verfehlt, sondern in Teilen auch konterkariert werde.
Die vorgesehenen Regelungen für eine freiwillige Kennzeichnung böten große Schlupflöcher für Verarbeiter, die sich der Kennzeichnung entziehen wollten, beispielsweise indem sie einen Verarbeitungsschritt ins europäische Ausland verlagerten. Solchen Umgehungsmöglichkeiten seien auch angesichts unzureichender Kontrolle Tür und Tor geöffnet. Die fehlenden Kontrollmöglichkeiten im Ausland seien völlig inakzeptabel.
„Es ist unverständlich, dass nicht auf bestehende und funktionierende Kontrollsysteme zurückgegriffen werden soll“, sagte Krüsken. Schließlich bleibe noch anzumahnen, dass die eingangs erwähnten weiteren Bestandteile eines schlüssigen Gesamtkonzeptes für die Weiterentwicklung der Tierhaltung - ein Tierwohl-Vorrang im Bau- und Genehmigungsrecht und ein tragfähiges und langfristig angelegtes Finanzierungskonzept für Tierwohlprämien - zügig und möglichst zeitgleich angegangen werden müssten.
Stegemann: "Özdemirs Tierhaltungskennzeichnung ist ein Tierwohl-Killer"
Das sieht auch der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann so. "In der Anhörung ist deutlich geworden, dass Cem Özdemirs Vorschlag ein Tierwohl-Killer ist. Würde der Gesetzentwurf so umgesetzt, wie er dem Bundestag vorliegt, wäre dies das Ende bekannter und bewährter privatwirtschaftlicher Kennzeichnungen wie der 'Initiative Tierwohl' (ITW)", beklagt Stegemann.
Minister Özdemir lasse völlig außer Acht, dass im Rahmen der ITW bereits bei 70 % der in Deutschland gemästeten Schweine das Niveau des Tierwohls angehoben wurde. Zudem drohe mehr Lebensmittelverschwendung, weil bei Marktstörungen Ware aus höherwertigen Haltungsstufen nicht als Aktionsware preiswerter verkauft werden darf. "Qualitätsfleisch von unseren Landwirten bliebe damit in den Regalen liegen", betont der Politiker.
Stumpp: So gewinnt man kein Vertrauen
Die zuständige Berichterstatterin der CDU/CSU-Fraktion, Christina Stumpp, bezeichnet das Label als Rohrkrepierer. Mit ihm werde es nicht gelingen, das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen. Denn Verbraucher würden beispielsweise nicht darüber informiert, ob ein Ferkel im Ausland ohne Betäubung kastriert wurde. Auch würden inländische Landwirte benachteiligt, weil Fleisch aus dem Ausland, das oft zu schlechteren Tierwohlbedingungen produziert wurde, nicht gekennzeichnet werden muss.
"Auch in anderer Hinsicht würde eine umfassende, alle Verarbeitungsstufen einbindende Tierhaltungs- und Herkunftskennzeichnung helfen. Verbraucher erfahren zum Beispiel nach Cem Özdemirs Plänen nichts darüber, wie die Tiere gehalten wurden, deren Fleisch in Wurst oder in der Außer-Haus-Verpflegung verarbeitet wird", so Stumpp.
AbL: Anreiz zum Umbau der Tierhaltung fehlt
Martin Schulz, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und Neuland-Schweinehalter in Niedersachsen, machte deutlich, dass eine reine Kennzeichnung nicht den großflächigen Umbau der Tierhaltung zur Folge haben werde. „Ein reines Einsortieren der Tierhaltung in bestimmte Kategorien erzeugt noch keinen Anreiz für Betriebe, ihre Ställe in artgerechtere Haltungssysteme umzubauen“, sagte Schulz. Dazu brauche es vor allem auch finanzielle Anreize und die Unterstützung bei der Entwicklung eines entsprechenden Marktes.
Zahlreiche privatwirtschaftliche Markenfleischprogramme, inklusive der Tierhaltung im ökologischen Landbau, hätten in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Teil der Tierhaltung in Deutschland auf ein höheres Tierwohlniveau bringen können. Ein Programm wie Neuland zeige seit 35 Jahren, wie eine landwirtschaftliche Tierhaltung mit wesentlich besseren Tierwohlbedingungen in artgerechten Stallsystemen in der landwirtschaftlichen Praxis auch wirtschaftlich funktionieren könne. Die Erfahrung habe jedoch auch gezeigt, dass alleine aus dem Markt heraus ein Umbau der Tierhaltung finanziell nicht gelingen werde.
Der größte Kritikpunkt der AbL, so deren Vorsitzender Schulz, liege darin, dass in der Kennzeichnung nur rund 60 % des Schweinelebens abgebildet werde, die Sauenhaltung und die damit verbundene Ferkelaufzucht fänden dagegen keine Berücksichtigung. Im Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung seien jedoch weitestgehend Kriterien für die Sauenhaltung und Ferkelaufzucht erarbeitet worden. Diese bildeten die Grundlage für eine schnelle Erweiterung der Tierhaltungskennzeichnung auch auf Sauen und Ferkel.
FLI: Schlichtes Einsortieren in Haltungsstufen führt nicht zu mehr Tierschutz
Für Professor Lars Schrader, Leiter des Instituts für Tierschutz und Tierhaltung am Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit, geht es bei dem Gesetzentwurf in erster Linie um Verbraucherschutz und nicht in erster Linie um Tierwohl. Das Zuordnen in fünf Haltungsstufen sei „sehr formalistisch“ und greife zu kurz.
Er betonte, dass das „Management der Tierhaltung“ entscheidend sei, das schlichte Einsortieren in Haltungsstufen führe nicht zu mehr Tierschutz. Vielmehr müsse sich der Gesetzgeber auf bauliche Standards und den Umgang der Halter mit seinen Tieren konzentrieren. Schrader betonte, er hätte sich eine freiwillige Kennzeichnung gewünscht, doch der Koalitionsvertrag sehe die Einführung einer verpflichtenden Tierhaltungskennzeichnung vor.
ProVieh: Völlig falsche Anreize
Anne Hamester, Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft des Vereins Provieh, übte scharfe Kritik an dem Gesetzentwurf. Er sorge weder für mehr Transparenz, noch schaffe er Anreize für bessere Tierhaltungsbedingungen. Der Einzelhandel, die Gastronomie und Außer-Haus-Verpflegung fehlten komplett. Die fünf Haltungsformen im Kennzeichenentwurf seien irreführend und setzten „völlig falsche Anreize sowohl in Bezug auf defizitäre als auch tiergerechte Haltungsverfahren von Schweinen“, so die Verbandsvertreterin.
So sei die Haltungsform „Stall und Platz“ als Stufe über dem gesetzlichen Mindeststandard aus tierschutzfachlicher Sicht untragbar. Die Haltungsform nach dem gesetzlichen Mindeststandard müsse Schweinen einen deutlichen Mehrwert bieten und sich als Haltungssystem deutlich abgrenzen.
Hamester forderte, statt der Haltungsstufe „Stall und Platz“ nach dem gesetzlichen Mindeststandard die Haltungsform, „Frischluftstall“ folgen zu lassen. Danach solle die Haltungsform ,,Auslaufstall„ als dritte Haltungsform folgen, in dieser Stufe sei nur die Stallhaltung mit angegliedertem Auslauf enthalten.
Als zusätzliche Haltungsform solle “Freiland„ für das Schweineleben auf Naturboden eingeführt werden, statt sie in die Haltungsform “Auslauf /Freiland„ zu integrieren. Die Kennzeichnung müsse über die Haltung des kompletten Lebens der Tiere informieren und den Verlauf von der Geburt bis zur Schlachtung abbilden.
BRS: Sehr einseitige Förderung
Nora Hammer, Geschäftsführerin Bundesverband Rind und Schwein, schloss sich der Ablehnung des Gesetzentwurfes in der vorliegenden Fassung an. “Der Entwurf lässt ein Gesamtkonzept zum Umbau der Nutztierhaltung in Deutschland vermissen", sagte Hammer. Auch sie verwies darauf, dass durch das neue Label mehr Verwirrung als Klarheit geschaffen werde, zudem adressiere der Entwurf lediglich einen sehr kleinen Teil des Fleischmarktes und bevorteile ausländische Ware.
Der Gesetzentwurf verdeutliche, dass “künftig sehr einseitig nur noch Bio-, Neuland- und Tierschutzbund-Betriebe unterstützt werden sollen„, bemängelte Hammer. Diese Betriebe machten jedoch lediglich 1 % der Schweinproduktion in Deutschland aus. Die konventionell wirtschaftende Schweinehaltung werde dagegen von jedweden Perspektiven weitgehend ausgeschlossen. Das könne, insbesondere vor dem Hintergrund der Forderung nach bezahlbaren und vor allem verfügbaren tierischen Produkten, nicht mit einer bundesweiten Nutztierstrategie gewollt sein.
BÖLW: Schweinehaltung nach heutigem Verfahren nicht mehr zukunftsfähig
Peter Röhrig, Geschäftsführender Vorstand beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), erinnerte an die Bewertungen des wissenschaftlichen Beirates aus 2015, wonach die Haltungsbedingungen eines Großteils der Nutztierhaltung in Deutschland als “nicht zukunftsfähig" beschrieben wurden. Die gesellschaftlichen Erwartungen an die Nutztierhaltung seien seitdem immer weiter gestiegen.
Das Thünen-Institut habe im Rahmen der Borchert-Kommission geschlussfolgert, dass ohne einen ambitionierten Umbauplan viele tierhaltende Betriebe keine Perspektive hätten. Deshalb "ist es gut, dass das Gesetz die Perspektive der über 17.000 Bio-Tierhalter in Deutschland berücksichtigt, die vorbildhaft den Umbau der Tierhaltung gestalten und darüber hinaus umfassende Umweltleistungen erbringen", sagte Röhrig. Es sei aber auch klar, dass der vorgelegte Gesetzentwurf nur einen ersten Schritt hin zu einer umfassenden verpflichtenden Kennzeichnung darstelle.