Dieser Artikel erschien zuerst im Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben.
Sehr geehrter Herr Bißmeier, im Rahmen des Flächenmonitorings wurde bei Ihnen nach aktuellem Stand der Überprüfung eine abweichende Antragsangabe oder (noch) nicht eingehaltene Fördervoraussetzung festgestellt, bei denen Ihr Handeln erforderlich ist.“ Wie viele andere Landwirte in diesem Herbst fand auch Tim Bißmeier aus Versmold, Kreis Gütersloh, kürzlich diese Mitteilung der Landwirtschaftskammer NRW (LWK) in seinem elektronischen Postfach.
Bis 15. November mulchen
Das Schreiben bezog sich auf einen gut 0,2 ha großen Teilschlag, den Bißmeier im Rahmen der Agrarumweltmaßnahmen als 12 m breiten Blühstreifen angelegt hat. Die Fläche sei noch nicht gemulcht und damit die Mindesttätigkeit auf Brachen oder Streifen als Fördervoraussetzung nicht erfüllt worden, so der Hinweis im Schreiben. Die Konsequenz: Sein Antrag stand auf „rot“. Sollte er nicht reagieren, wäre die Auszahlung der Agrarprämien blockiert. Bis zum 15. November hatte er nun Zeit, seiner Mindesttätigkeit nachzukommen, sprich die Fläche zu mulchen und den Nachweis darüber mittels Fotos mit GPS-Standortdaten der LWK zukommen zu lassen.
Schweren Herzens ist er dieser Verpflichtung am Donnerstag vergangener Woche nachgekommen. Dabei müssen die im Rahmen des fünfjährigen Programms angelegten Blühstreifen eigentlich nur alle zwei Jahre gemulcht werden. Und in den Jahren ohne Mulchen seien deutlich mehr Wildtiere und Insekten zu beobachten. „Welchen Sinn hat das Mulchen überhaupt?“, fragt sich der 36-jährige Ingenieur, der im Nebenerwerb rund 10 ha Ackerfläche und etwas Grünland bewirtschaftet. Er hakte diesbezüglich bei der LWK nach. „Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Das ist eine EU-Vorgabe“, so die Antwort der Mitarbeiterin der örtlichen Kreisstelle.
Deckung geht verloren
Auf insgesamt drei Teilschlägen und einer Gesamtfläche von 0,75 ha hat Bißmeier Blühstreifen angelegt. „Nicht wegen der Prämie, sondern um etwas für das Wild und die Insekten zu tun“, betont er. Seit rund 15 Jahren ist er Jäger und hat mit zwei weiteren das Revier vor Ort gepachtet. „Ich verstehe mich selbst mehr als Heger“, unterstreicht er. Prädatoren wie Fuchs oder Waschbär wird intensiv nachgestellt. Das Ergebnis: Die Niederwildbestände sind wieder deutlich gestiegen. Auch an diesem Tag lassen sich mehrere Fasanenhähne mit ihren Hennen dabei beobachten, wie sie auf einem abgeernteten Maisfeld nach Körnerresten picken.
Für sie und viele andere Wildtiere bieten angrenzende Blühstreifen wichtigen Lebensraum sowie Deckung und Schutz über Winter. „Der eigentliche Blüheffekt tritt nur im ersten Jahr auf. Ab dem zweiten Jahr etabliert sich der Waldstaudenroggen, im Weiteren folgt eine zunehmende Vergrasung.
„Strukturen sind wichtig“
Doch gerade diese Strukturen sind wichtig, erklärt Hendrik Specht von der Westfälischen Kulturlandschaft auf Nachfrage des Wochenblattes. „Viele Tagfalter legen an den Gräsern ihre Eier ab; verschiedene Laufkäferarten und Amphibien haben dort ihren Lebensraum.“ Vögeln bieten die Samen perfekte Nahrung. „Wir bräuchten viel mehr von solchen unberührten Strukturen“, betont der Landschaftsökologe. Beim Mulchen wäre daher eine „Kann-“ anstatt einer „Muss-Regelung“ seines Erachtens nach wünschenswert. Das aktive „Nichts tun“ sollte im Sinne einer ökologisch effektiven Flächennutzung förderrechtlich als Leistung für Prämienzahlungen anerkannt werden.
„Bei Problemkräutern auf der Fläche, beispielsweise Ampfer oder Jakobskreuzkraut, macht das Mulchen durchaus Sinn“, räumt Bißmeier ein. Doch auf seinem Blühstreifen ist davon weit und breit nichts zu sehen. „Mich haben in der Vergangenheit schon Spaziergänger angesprochen, warum ich solche Streifen überhaupt mulche“, berichtet er. Zu seinem Leidwesen nutzen Hundehalter diese dann gerne als Spazierweg.
Trotzdem bleibt ihm keine andere Wahl, will er seine Prämienzahlung nicht gefährden. Binnen einer Viertelstunde ist der Aufwuchs auf seiner Blühfläche Geschichte; haben sechs Hasen und einige Rehe das Weite gesucht. Im abgemulchten Gras vor uns bewegt sich etwas: Ein Grasfrosch bahnt sich mühsam den Weg durch die Halme. Er hat das Mulchen überlebt – sein Lebensraum nicht.