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Agrarkonzern in der Ukraine: „Wenn wir verlieren, verlieren wir alles“​

Durch den russischen Angriff auf die Ukraine muss der Agrarkonzern Kernel auch Verluste im Exportgeschäft hinnehmen. Regionalleiter Michail Petrow sieht auch andere Probleme für die Branche.​

Lesezeit: 5 Minuten

Unser Autor: Niklas Golitschek, Freier Journalist, Bremen

Mit mehr als 500.000 ha Land zählt der Konzern Kernel zu den Schwergewichten der ukrainischen Landwirtschaftsindustrie und ist nach eigenen Angaben der größte Sonnenblumenölproduzent des Landes. Der russische Großangriff auf die Ukraine im Februar dieses Jahres hat die Arbeit des Agrarkonzerns in gleich mehreren Punkten eingeschränkt. „Wir haben Felder durch Minen verloren, andere Flächen und Maschinen verloren wir durch die russische Besatzung. Auch zwei Ölmühlen in der Region Charkiw nahe der russischen Grenze gehören jetzt nicht mehr zu Kernel“, sagt Michail Petrow. Er ist als Geschäftsführer des zu Kernel gehörenden Unternehmens Prydniprovskyi Cluster zuständig für die Regionen Kiew, Poltawa und Tscherkassy.

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Landwirte zweifeln Umsetzung des Getreideabkommens an

Doch die Schäden hielten sich bislang noch in Grenzen, betont Petrow. Die meisten Flächen bewirtschafte der Konzern ohnehin in der Zentral- und Westukraine. „Wir müssen die Infrastruktur nicht wieder aufbauen, um die Exportzahlen von 2021 zu erreichen – nur die Häfen dürfen nicht mehr blockiert sein“, betont er. An eine erfolgreiche Umsetzung des am Freitag verkündeten Getreide-Exportabkommens über das Schwarze Meer glaube er indes nicht. „Die von Russland unterschriebenen Abkommen sind den Preis des Papiers nicht wert, auf dem sie stehen“, sagt er. Am Samstag, einen Tag nach der Unterzeichnung des Abkommens, hatte Russland den Hafen von Odessa beschossen und die Vereinbarung damit torpediert; nach anfänglichem Dementi und späterem Bekunden wurde ein ukrainisches Militärschiff und Militärlager getroffen.

Mit rund 3.000 firmeneigenen Wagons könnten die Lagerbestände relativ einfach Richtung Schwarzes Meer transportiert werden. „Die Branche ist hochgradig integriert und kann sich bei der Logistik selbst versorgen“, sieht er in diesem Aspekt keinen Unterstützungsbedarf; zumindest unter normalen Umständen.

Landesgrenzen sind Export-Nadelöhr

Denn ohne den Zugang zum Schwarzen Meer fällt der wichtigste Transportweg weg. Das Landwirtschaftsministerium der USA (USDA) und das Globale Landwirtschaftliche Informationsnetzwerk (GAIN) rechneten allein 2019/2020 den vier größten Häfen 90 % der Getreideexporte mit einem Volumen von 55 Mio. t zu. Im Kalenderjahr 2021 belief sich das Exportvolumen auf 27,8 Mrd. US-Dollar und damit auf 41 % aller Exporte. „Heute arbeitet kein Hafen mehr“, beklagt Petrow. Damit könne Kernel auch nicht mehr die Kunden in Ländern wie China, Ägypten, Indonesien oder Algerien beliefern. Möglich wäre der Weg in die EU Richtung Polen oder Rumänien mit Anschlüssen nach Italien oder die baltischen Häfen. „Wir haben schon mit neuen Logistikketten begonnen“, betont er. Doch der Flaschenhals sei hier stets die Landesgrenze, da die Wagonräder wegen der unterschiedlichen Schienen-Spurbreiten gewechselt werden müssten. Das Exportvolumen bewege sich daher auf rund 20 % des Vorjahresniveaus.

Steigende Kosten setzen vor allem kleineren Landwirten zu

Das ist ein enormes Minus, denn Lastwagen könnten nicht die gleiche Menge transportieren. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sieht hier die Kapazitätsgrenze bei 1,5 Mio. t pro Monat, die wegen langer Wartezeiten und intensiven Zollkontrollen jedoch lange nicht erreicht werden. „Die EU tut nichts, damit wir unsere Ware einfacher an die Häfen bekommen“, kritisiert der Kernel-Direktor die bürokratischen Hürden. Der beste Weg zu helfen, wäre hier, den Transport nicht noch zusätzlich zu erschweren. „Ich rede auch nicht von Transporten mit gemischten Waren, sondern nur von flüssigen wie Sonnenblumenöl. Was will man da prüfen?“, wundert er sich über die tagelangen Wartezeiten. Doch auch bei Getreide müsse das schneller gehen. Treibstoff aus Rumänien gelange dagegen inzwischen deutlich einfacher in die Ukraine.

Niemand wird mehr Gerste anbauen.“ - Petrow

Unter den steigenden Transportkosten von bis zu 150 US-Dollar pro Tonne litten vor allem die kleineren Landwirte, die so keine Gewinne mehr erzielen könnten. Gerste etwa bringe aktuell lediglich 60 US-Dollar pro t ein. Kosten für die kommenden Aussaat hätten sich bei Saatgut, Pflanzenschutzmitteln und Dünger verdoppelt. Die Folge: „Niemand wird mehr Gerste anbauen.“

Der Krieg in der Ukraine sei auch ein Problem der EU

Während sich also noch rund 20 Mio. t Getreide im Land befinden, kommt nun die neue Ernte von bis zu 60 Mio t hinzu. An der Donau würden zwar nun zwei Häfen ausgebaut, doch die könnten ebenfalls nur 20 % der üblichen Exportmenge auffangen. Wie sich dieses Dilemma lösen lässt? Ohne den Willen der EU zumindest nicht, so Petrow. Dabei sei der Krieg in der Ukraine auch deren Problem. „Ich leide ohnehin. Aber es ist auch ein Problem der EU. Ich bin sicher, dass Putin seine Invasion nicht stoppen wird“, sagt er und schließt später auch die Haupt-Importeure des Getreides mit ein.

Laut dem FAO-Bericht gingen Prognosen für 2022 von bis zu 181 Mio. Menschen in 41 Ländern aus, die von einer Ernährungskrise oder der verschärften, akuten Ernährungsunsicherheit betroffen sein könnten. Die meisten davon hätten den russischen Angriff auf die Ukraine jedoch nicht einbezogen. Petrow zeigt sich außerdem überzeugt, dass, sollte die Ukraine fallen, der Krieg nicht an den Landesgrenzen enden würde. Beide Faktoren könnten den Migrationsdruck auf Westeuropa durch weitere Fluchtbewegungen erhöhen.

Landwirtschaft unterstützt das Militär weiterhin

Deshalb setze Kernel trotz der wirtschaftlichen Einbußen auch darauf, das ukrainische Militär zu unterstützen: Seine Firma Prydniprovskyi Cluster habe bereits 3 Mio. US-Dollar überwiesen, der gesamte Kernel-Konzern insgesamt rund 20 Mio.. Zumal viele Betriebe zusätzlich zum regulären Betrieb Militärgüter herstellten. „Wenn wir verlieren, verlieren wir alles“, befürchtet Petrow und rechtfertigt die Unterstützung der Armee: „Wir haben keine andere Möglichkeit.“ Er plädiert deshalb dafür, dass sich die internationalen Partner stärker engagieren und bei Waffenlieferungen schneller handeln. „Es ist einfach zu kämpfen, wenn du mit einer fremden Hand kämpfst“, merkt er an. Etwas Geld zu überweisen, militärische Ausrüstung zu schicken und darauf zu hoffen, dass die Ukraine den Feind schon besiegen werde, funktioniere eben nicht.

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