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Koalitionsverhandlungen

Dosch: „Die Ampel-Parteien müssen die Borchert-Ergebnisse anerkennen“

Der Wandel der Tierhaltung ist nicht über den Markt zu leisten, sagt der Cheflobbyist des Fleischkonzerns Tönnies, Thomas Dosch. Die Ampel-Parteien sollten sich zur staatlichen Finanzierung bekennen.

Lesezeit: 6 Minuten

top agrar: Herr Dosch, in den Koalitionsverhandlungen in Berlin hakt es dem Vernehmen nach weiter beim Thema Zukunft der Tierhaltung. Worauf sollten sich SPD, Grüne und FDP mindestens einigen?

Dosch: Die Zeichen müssen jetzt pro Landwirtschaft und pro Nutztierhaltung gestellt werden. Nutztierhaltung und Pflanzenbau sind Teil eines Nährstoffkreislaufes. Landwirtschaft hat bislang viel für den Wohlstand in unserem Land geleistet. Wenn mehr Umweltleistungen und Tierwohl gefordert werden, geht das nur, in dem die Mehraufwände bezahlt werden - zum einen über höhere Lebensmittelpreise, zum anderen über die Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung.

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Das Geld für Stallumbau oder gar Neubau kann im internationalen Wettbewerb nicht allein von der Lebensmittelkette gestemmt werden. Wie es dennoch gehen kann, das hat das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, geleitet von Bundeslandwirtschaftsminister a.D. Jochen Borchert, aufgezeigt. Die Vorschläge sind getragen von Kompromissen ganz unterschiedlicher Interessen und haben Hand und Fuß. Ich erwarte, dass die Ampelparteien diesen gesellschaftlich einmaligen Prozess und dessen Ergebnisse anerkennen.

Es braucht es einen Anschub, wie er auch in anderen Sektoren geleistet wurde.

Warum ist eine Einmischung des Staates bei der Tierhaltung wichtig? Es gibt weiterhin viele Landwirte, die mit staatlichen Tierwohlprämien fremdeln. Schafft es der Markt nicht?

Dosch: Solange Tierwohl und Umweltleistungen nicht mit dem Verkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse erwirtschaftet werden können, ist das eine Leistung die separat bezahlt werden muss. Das gilt besonders für die Umstellung des Systems. Da braucht es einen Anschub, wie er auch in anderen Sektoren geleistet wurde und noch immer wird. Bestes Beispiel ist die Solar- und Windenergie.

Das Ziel einer sicheren Lebensmittelversorgung gebietet es, die Nutztierhaltung in unseren Regionen zu halten. Jetzt geht es darum, den gewünschten Umbau der Tierhaltung zu ermöglichen und zu finanzieren. Dieser fundamentale Wandel ist nicht über den Markt zu leisten, schon gar nicht in einem europäischen Binnenmarkt und einem brutalen Wettbewerb.

Es gibt mittlerweile verschiedene Finanzierungsarten, die auch schon über Studien durchgespielt wurden: Mehrwertsteuererhöhung, Verbrauchssteuer, Tierwohl-Soli. Welche Variante bevorzugen Sie?

Dosch: Da bin ich offen. Die rechtlichen Möglichkeiten und alle Vor- und Nachteile wurden in einer Machbarkeitsstudie auf mehr als 276 Seiten beschrieben. Wer sie gelesen hat, der kann es wissen: Alle drei genannten Optionen sind grundsätzlich möglich.

Zentral ist jedoch, dass die Umsetzung auf Basis von Verträgen erfolgt, die die Landwirtschaft mit dem Staat abschließt. Hier werden die Tierwohlstandards vereinbart und eine Laufzeit, die nicht an Legislaturperioden gebunden ist. Und, sie sind freiwillig, da es sich um Leistungen handelt, die über gesetzliche Vorgeben hinausgehen.

Ein privater Fonds ist nicht praktikabel.

Statt staatlicher Verträge liegt auch die Umsetzung über die private Wirtschaft auf dem Tisch. Im Gespräch ist, die ITW aufzuwerten und die Tierwohlprämien über eine Umlage wie beim EEG zu bezahlen. Halten Sie das für einen realistischen Weg?

Dosch: Der Vorschlag wurde bereits zum Ende der letzten Legislaturperiode diskutiert. Ein Gutachten im Auftrag des BMEL macht deutlich: Ein privater Fonds ist nicht praktikabel. Bei einem privaten Fonds müsste neben der staatlichen Verwaltung, eine eigene Verwaltungsstruktur geschaffen werden, die dann auch noch über den Mehrpreis von Fleisch und Wurst erwirtschaftet werden müsste, das wäre wahrlich nicht zweckmäßig. Man muss sich nur vor Augen führen, dass das Geld, anders als bei der Initiative Tierwohl, bei jedem Metzger und jeder Pommes Bude eingesammelt werden müsste. Da kämen mehrere hundert tausend zusammen, die eine Abgabe entrichten müssten. Und wenn jemand nicht zahlt, müsste, anders als bei einer staatlichen Lösung, dagegen zivilrechtlich geklagt werden.

Nein: Das funktioniert nicht. Die Borchert-Empfehlungen können nur auf Basis staatlicher, langfristiger und verlässlicher Verträge umgesetzt werden.

Aldi hat angekündigt, sein Frischfleisch-Sortiment bis 2030 auf die höheren Tierwohl-Haltungsformen 3 und 4 umzustellen. Wird der Discounter es schaffen, die Mengen dafür zusammen zu bekommen?

Dosch: Wenn die Borchert-Empfehlungen von der Politik umgesetzt und die notwendigen Voraussetzungen im Baurecht und Immissionsrecht geschaffen werden, ganz klar ein Ja. Wenn das dann noch dazu führt, dass in Deutschland bei Schweinen 5 x D umgesetzt wird, kommt das der Landwirtschaft in unseren Regionen zugute.

Die Politik muss sich endlich um ein Bau- und Immissionsschutzrecht bemühen.

Werden die Betriebe, die bereits in den letzten Jahren Vorreiter beim Tierwohl waren, aber bei den Außenklimareizen jetzt nicht ohne weiteres nachrüsten können, zu den Verlierern des Umbaus der Tierhaltung werden?

Dosch: Klar ist, es gibt Ställe, die können nicht einfach umgebaut werden. Das liegt oft an baulichen Grenzen und genehmigungsrechtlichen Hürden. Beim letzten Punkt muss sich die Politik endlich um ein Baurecht und Immissionsschutzrecht bemühen, das dem Umbau der Tierhaltung nicht im Weg steht. Insgesamt sind Kriterien für die Umsetzung der Umbauten zur Auflösung der Zielkonflikte (Emissions-, Bau- und Umweltrecht) in allen modernen Stallformen erforderlich.

Wir bei Tönnies unterstützen aber auch die Betriebe, die hier nicht mitgehen können, in dem wir für alle Tierwohlstufen Absatzmärkte erschließen.

Mehrkosten von 70 Cent pro Person und Woche müssen doch möglich sein.

Viele Branchen wollen Geld, da ist die Landwirtschaft nicht die einzige. Welches Signal müssen die Koalitionäre von SPD, Grünen und FDP nun in Richtung Bevölkerung senden, um Steuermittel für die Tierhaltung loszueisen?

Dosch: Laut Machbarkeitsgutachten und Folgenabschätzung zu den Borchert-Empfehlungen reden wir von Mehrkosten von rund 70 Cent für Lebensmittel pro Person und Woche, um den Umbau der Tierhaltung zu finanzieren. Das muss doch möglich sein.

Kein Marktteilnehmer kann sich das selbst aus den Rippen schneiden.

Wenn sich eine Größe wie Tönnies aus der Fleischwirtschaft um staatliche Tierwohlfinanzierung bemüht, kommt der Gedanke, Sie wollten ihr Geschäft staatlich absichern. Was entgegnen Sie?

Dosch: Nein, es geht um die Versorgungssicherheit der Menschen in unserem Land. Und genau dafür brauchen wir Landwirtschaft und Nutztierhaltung in unseren Regionen. Sonst kommen unsere Lebensmittel schon bald aus dem Ausland.

Uns geht es vor allem um die Zukunft der vielen tausend landwirtschaftlichen Familienbetriebe in Deutschland. Mehr Tierwohl kostet mehr Geld und das muss zusätzlich aufgebracht werden. Im harten internationalen Wettbewerb kann sich das kein Marktteilnehmer selbst aus den Rippen schneiden.

Thomas Dosch ist Cheflobbyist bei Deutschlands größtem Fleischkonzern Tönnies und befasst sich als Leiter für Public-Affairs mit politischer Kommunikation, Nachhaltigkeit und Tierschutz. Firmenchef Clemens Tönnies holte Dosch im Herbst 2020 in sein Unternehmen. Dosch ist in der Agrarbranche fest verwurzelt. Er war Leiter der hessischen Staatsdomäne Mechtildshausen und bis 2011 zwölf Jahre lang Präsident von Bioland. 2014 wechselte er als Abteilungsleiter in das niedersächsische Agrarministerium unter dem Grünen Landwirtschaftsminister Christian Meyer in Hannover. Dort blieb das Grünen-Mitglied Dosch bis 2020 auch unter der aktuellen Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU).

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