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Interview

Spallek: Wir haben in den letzten Jahrzehnten zu wenig in den ländlichen Raum investiert

Die Grünen-Politikerin Dr. Anne Monika Spallek hat kein Verständnis für GAK-Kürzungen und warnt vor gesellschaftspolitischen Folgen, sollten die Ländlichen Räume weiter abgehängt werden.

Lesezeit: 11 Minuten

Die grüne Bundestagsabgeordnete Dr. Anne Monika Spallek hält die von der Ampel geplanten Kürzungen in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) für einen Fehler.

Perspektivisch wünscht sie sich für die Ländlichen Räume dennoch einen stärkeren Fokus auf wirtschaftliche Entwicklung und Wertschöpfung. In der Agrarpolitik verteidigt sie den Ansatz Brüssels hin zu mehr Klima, Umwelt- und Artenschutz.

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Der Green Deal und die damit verbundenen Extensivierungsstrategien sind für Spallek nicht zwangsläufig mit einer verringerten Versorgungssicherheit verbunden, solange noch große Reserven bei der Bekämpfung von Nahrungsmittelverschwendung bestehen.

Bei Neuen Züchtungstechnologien bleibt die Grüne auf Abstand. Die seien „ganz klar Gentechnik“. Vor einer Zulassung müssten Risiken ausreichend geklärt und eine Kennzeichnung umgesetzt werden.


Frau Dr. Spallek, Sie sind promovierte Mathematikerin und waren Unternehmensberaterin. Das prädestiniert nicht unbedingt für die Politikfelder Ländlicher Raum und Landwirtschaft. Wie sind Sie mit diesen Themen in Kontakt gekommen?

Spallek: Ich bin im Münsterland geboren und habe meine frühen Jahre im Kreis Coesfeld verbracht. Zwischendurch lebte ich einige Jahre im Ruhrgebiet, wollte immer wieder zurück aufs Land. An die Landwirtschaft bin ich über mein Pferd herangekommen, das ich schon damals auf einem Bauernhof selbst gepflegt habe. Dort habe ich auch bei der Strohernte geholfen oder meine eigene Weide gepflegt, so wie man das eben macht. Das war oft harte Arbeit, es hat aber auch viel Spaß gemacht. Seit 1999 lebe ich wieder in meinem alten Kreis im Münsterland und betreibe selber einen Hof für alte Pferde.

Seitdem konnte ich viele Veränderungen beobachten, nicht alle waren gut. Damals hatten viele Landwirte in der Nachbarschaft noch Tiere auf der Wiese, meist auf kleineren Höfen. Einer nach dem anderen gab auf, einige wenige haben sich vergrößert. Die Tiere verschwanden von den Koppeln. Die Orte wurden leerer, der Bäcker machte zu. Hinzu kam die Klimakrise, die auch hier bei uns in Nordrhein-Westfalen nicht mehr zu übersehen ist. Das Münsterland war früher eine Waschküche, jetzt in den meisten Jahren nicht mehr. Auch die Artenvielfalt hat hier spürbar abgenommen.

Was hat Sie politisch angetrieben?

Spallek: Angefangen habe ich in einer Bürgerinitiative „zur Werterhaltung der Region Billerbeck“. Damals ging es gegen gewerbliche Tierhaltung und das „Wachse oder weiche“. Dann bin ich bei den Grünen eingetreten, schon früh mit dem Fokus auf eine vielfältige bäuerliche Landwirtschaft, auf regionale Wertschöpfungsketten, Strukturen der Daseinsvorsorge und der Nahversorgung. Als Friedrich Ostendorff 2020 sagte, dass er nicht mehr für den Bundestag antritt, habe ich mir gedacht, dass ich in Berlin noch mehr bewegen könnte als in der Region.

Sie haben schon die Themen Strukturwandel und Klimawandel angerissen. Was sind für Sie die größten Probleme, vor denen der Ländliche Raum und die Landwirtschaft stehen?

Spallek: Die größten Herausforderungen sind nach meiner Überzeugung tatsächlich die Klimakrise und die Biodiversitätskrise. Beides ist miteinander verbunden. Direkt vor Ort kann es dabei nicht nur um Klimaschutz gehen, sondern auch um Klimaanpassung. Das ist die größte Herausforderung. Das zeigt dieses Jahr ganz deutlich. Ja, es hat nasse Sommer schon früher gegeben. Neu sind aber diese langanhaltenden Wetterperioden, egal ob es Dürre ist oder Regen.

Daran müssen wir uns anpassen. Ein Beispiel: Bisher haben wir alles an Niederschlägen möglichst schnell abgeleitet. Das funktioniert nicht mehr, wenn Dürren häufiger werden. Wir brauchen ein richtiges Wassermanagement, aber auch mehr Resilienz in den landschaftlichen Strukturen.

Wir brauchen ein richtiges Wassermanagement, aber auch mehr Resilienz in den landschaftlichen Strukturen.

Die Kombination aus Humusaufbau auf dem Acker und Hecken, Gehölzen, Agroforst sowie vielfältigen Anbaukulturen macht auch die Agrarproduktion tendenziell robuster. Da gibt es gute Modellprojekte, die auch vom BMEL gefördert werden, zum Beispiel die Entwicklung von Weizenpopulationssorten, die besser mit widriger Witterung klarkommen.

Politische Gestaltung funktioniert nicht zuletzt über Fördermaßnahmen. Die aktuellen Kürzungspläne für den Agrarhaushalt sprechen aber eine klare Sprache: Die GAK soll stark eingekürzt werden, was gerade für den ländlichen Raum einen herben Einschnitt bedeutet. Haben Sie dafür Verständnis?

Spallek: Überhaupt nicht. Wir haben in den letzten Jahrzehnten schon zu wenig in die Infrastruktur im ländlichen Raum investiert. Auch deshalb sollten die entsprechenden Fördersysteme in dieser Legislatur eigentlich gestärkt werden. Aber ja, es gibt die Sparzwänge und auch die Schuldenbremse darf nicht vergessen werden. Ich bin allerdings der Meinung, dass wir Investitionen in die Zukunft – und das sind die Gelder für den Ländlichen Raum für mich – erhalten müssten, sonst verlieren wir in der EU den Anschluss. Ich verstehe nicht, dass es Herrn Lindner nicht bewusst ist, wie wichtig das ist.

Ein anderer Aspekt sind die Ausgabenzwänge: Im Agrarhaushalt gibt es nur wenige flexible Mittel, bei denen man überhaupt kürzen könnte. Von den knapp 7 Mrd.€ (konkret 6,8 Mrd.) Jahresetat des Bundeslandwirtschaftsministeriums sind 4 Mrd. € im Sozialbereich fest verbucht. Die GAK ist der nächste größere Posten. Die muss nun leider um 194 Mio. € reduziert werden, das relativiert sich aber. Im vergangenen Jahr sind 397 Mio. € aus der Gemeinschaftsaufgabe nicht abgerufen worden. Damit die Mittel besser abfließen, hat man die Sonderrahmenpläne "Förderung der ländlichen Entwicklung" und "Ökolandbau und Biologische Vielfalt" gestrichen und einen Topf gebildet.

Alle diese Mittel werden zukünftig vollständig im "Allgemeinen Rahmenplan" veranschlagt. Die Mittel für den Küsten- und Hochwasserschutz wurden dagegen vollständig in die Sonderrahmenpläne gepackt. So ist in diesem „Topf“ jetzt genauso viel Geld für die ländlichen Räume und den Insektenschutz drin, wie 2022 insgesamt abgerufen wurden. Wie die Mittel in Zukunft genutzt werden, können die Länder selber entscheiden, d.h. grundsätzlich können sie in Zukunft genauso viele Mittel noch für die "Förderung der ländlichen Entwicklung" und "Ökolandbau und Biologische Vielfalt" einsetzen wie in 2022 dafür genutzt wurde.

Kann man den Ländlichen Raum auch auf andere Weise unterstützen?

Spallek: Ich bin der Meinung, dass wir von der Förderung wegkommen müssen. Unsere Idee ist die Stärkung der regionalen Wertschöpfung. Der ländlichen Raum darf nicht mehr nur als Zulieferer von Rohstoffen betrachtet werden. Die dort mit der Erzeugung erneuerbarer Energien und oder mit Lebensmitteln erzielten Einnahmen, müssen auch dort verbleiben. Um hierfür innovative Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten zu entwickeln, haben wir das Bundesprogramm ländliche Entwicklung auch letztes Jahr im Haushalt umbenannt zum Bundesprogramm ländliche Entwicklung und regionale Wertschöpfung.

Ich bin der Meinung, dass wir von der Förderung wegkommen müssen.

Wir wollen weg von der „Entwicklung“ hin zu eigenständiger Gestaltung in den ländlichen Regionen. Die Energiewende wird dabei massiv helfen. Allein im Landkreis Osnabrück wird jährlich rund eine Milliarde für Strom, Wärme und Verkehr aufgewendet, der Großteil davon fossil. Das hierfür ausgegebene Geld landet zum großen Teil im Ausland. Wenn aber alles elektrifiziert oder mit regional erzeugtem Wasserstoff oder auch Biomethan versorgt wird, wird der ländliche Raum der Profiteur sein. Auch die Kommunen werden Profiteur beim Ausbau der Windkraftanlagen und Solarparks, wenn sie mit 0,2 Cent je kWh an den Anlagen beteiligt werden, hinzu kommt die Gewerbesteuer.

Auch die Menschen vor Ort sollen besser beteiligt werden können. Dafür haben wir insbesondere eine Förderung von bis zu 200.000 Euro für Bürgerenergiegenossenschaften auf den Weg gebracht, die Eigenversorgung erleichtert und die vieles entbürokratisiert. Wenn wir den Weg weitergehen, dann kommen wir zu viel mehr Wertschöpfung und vor allem günstigerer Energie gerade im ländlichen Raum. Dadurch wird der ländliche Raum auch für die Wirtschaft und die Industrie immer attraktiver, was ebenfalls der Bevölkerung dort zugutekommt.

Im Moment hat man aber eher den Eindruck, dass sich gerade die Menschen in ländlichen Regionen immer weiter abgehängt fühlen. Was passiert, wenn das Umsteuern der Energieversorgung nicht gelingt?

Spallek: Mit der Corona Krise, der Energiekrise und auch den Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine mussten die Menschen in den vergangenen Jahren viel wegstecken. Wir haben immer noch hohe Strompreise und sind immer noch nicht da, wo wir eigentlich hinwollen. Ich verstehe den Frust der Menschen und hoffe, dass es nicht zu lange dauert, bis die Transformationserfolge wirken. Ansonsten steht zu befürchten, dass die AfD davon profitiert. Deswegen haben wir auch das Tempo und die Beteiligungschancen der Menschen vor Ort an der Transformation massiv erhöht. Und ich bin mir sicher, bereits in wenigen Jahren wird dies auch spürbar dort ankommen.

Ökologisierung und Extensivierung sind seit Jahren die Leitplanken der deutschen und europäischen Agrarpolitik. Das wird nicht nur positiv gesehen. Ein FAO-Vertreter hat Brüssel kürzlich davor gewarnt, dass ein strikt umgesetzter Green Deal die globale Ernährungssicherung aufs Spiel setzt. Können Sie das nachvollziehen?

Spallek: Da kann ich nur widersprechen. Unser Ernährungssystem ist aktuell sehr ineffizient – ein Drittel aller Nahrungsmittel verdirbt oder wird verschwendet. Es nützt nichts, noch mehr zu intensivieren und noch mehr wegzuwerfen. Es gibt viele Studien die sagen, dass wenn wir das System effizienter aufbauen, dann können wir auch 12 Milliarden Menschen ernähren. Das Wichtigste bleibt die Ernährungssicherung. Mit diesem Ziel weiter auf Intensivierung zu setzen, würde aber auf Kosten von Klimaschutz und Biodiversität gehen. Ich denke auch, dass ein ausschließlicher Fokus auf Extensivierung nicht der richtige Weg ist: Wir müssen die Produktivität im Ökolandbau ebenfalls steigern. Die Anbau- und Produktionssysteme müssen insgesamt nachhaltig produktiver und resilienter werden. Das heißt ökologischer, vielfältiger und mit Humusaufbau. „Biologische Intensivierung“ wäre dafür ein guter Begriff.

Um solche Ansätze zu unterstützen, hat die Ampel vier Mrd. € für das Thema natürlichen Klimaschutz im Haushalt reserviert. Für die Landwirtschaft werden Förderprogramme für die konservierende Bodenbearbeitung und den Humusaufbau kommen.

Die Ziele der SUR, der Farm-to-fork und des Green Deals gefährden nicht die Ernährungssicherheit in der EU.

Sind in Zeiten nachlassender globaler Versorgungssicherheit die Reduktionsziele für Pflanzenschutz und Dünger oder 25 % Ökolandbau bis 2030 und Stilllegungspflichten denn überhaupt noch vermittelbar? All das reduziert schließlich den Output der begrenzten europäischen Ackerflächen.

Spallek: Die Reduktionsziele haben im Grundsatz ihre Berechtigung. Klar ist auch, dass es beim chemischen Pflanzenschutz und beim synthetischen Dünger noch Einsparpotenziale gibt. Die Ziele der Verordnung über die nachhaltige Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) , der Farm-to-fork und des Green Deals gefährden nicht die Ernährungssicherheit in der EU.

Nachvollziehen kann ich die Kritik an den pauschalen Zielvorgaben und an den diskutierten totalen Pestizidverboten in Sensiblen Gebieten. Das macht keinen Sinn. Auch im Obst- und Gemüseanbau ist der Verzicht auf Agrarchemie gar nicht so einfach. Da muss man ein bisschen pragmatischer rangehen. In NRW schaut man sich gerade an, in welchen Bereichen weniger Pflanzenschutz möglich und sinnvoll ist, ohne dass die Erträge leiden. Das ist eine Pestizidreduktionsstrategie „von unten“.

Genome Editing ist ganz klar Gentechnik.

Stichwort „Nachhaltige Intensivierung“. Neue Züchtungstechnologien gelten manchen als Lösung für viele aktuelle Herausforderungen im Ackerbau, andere lehnen das als „Gentechnik“ rundheraus ab. Allerdings bröckelt die Front. Auch ihre Parteikollegin Katharina Fegebank hat sich vor kurzem für eine offenere Haltung bezüglich Crispr/Cas ausgesprochen. Wo stehen Sie in der Debatte?

Spallek: Die Haltung unserer Partei ist klar: Wir brauchen eine gesundheitliche Risikobewertung und eine Kennzeichnung für das Vorsorgeprinzip. Wo Gentechnik drin ist, da muss es auch draufstehen. Deshalb können wir dem Vorschlag aus Brüssel auch nicht folgen, denn ohne eine Kennzeichnung gibt es auch keine Orientierung für Verbraucher.

Ganz konkret: Ist Genome Editing für Sie Gentechnik oder nicht?

Spallek: Ja, natürlich. Genome Editing ist ganz klar Gentechnik. Klar ist doch, dass momentan vieles an dieser Technologie und ihren Auswirkungen noch gar nicht genug erforscht und prognostizierbar ist. Was ist mit unabsichtlichen Veränderungen am Genom? Wenn man an einer Stelle schneidet, dann hat man mitunter auch an anderer Stelle Veränderungen. Und wie wird sich das alles auf die natürlichen Ökosysteme auswirken? Zum Vorsorgeprinzip kommt noch die Patentfrage. Solange wir das also nicht alles richtig durchforscht und geklärt haben, kann man die Genschere nach meiner Überzeugung nicht unreguliert loslassen. Noch einmal, wir wollen es nicht verbieten, es muss aber gekennzeichnet sein.

Vielen Dank für das Gespräch!

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